Freisprüche in mittelalterlichen Hexenprozessen?

Muck134

Mitglied
Hallo zusammen,

in einem Seminar zu Frauenbildung kamen wir heute auch auf die Hexenverfolgung zu sprechen.
Und innerhalb dieser Diskussion stellte sich uns die Frage, ob es auch Freisprüche in frühen Hexenprozessen gab- sprich bevor die hysterische Jagd und unhaltbaren Anschuldigungen tausende Frauen zum Tode verurteilelten.
Gab es im Mittelalter wirklich Freisprüche bei Hexenprozessen? Gibt es Belege dafür? :confused: Wenn ja, wie häufig kamen die Frauen mit dem Leben davon? Wieso entwickelten sich die Hexenprozesse schließlich zu einer unkontrollierten Jagd?

Muck :bussi:
 
Hab da was gefunden:

Insgesamt sind bisher 615 Zauber- und Hexenprozesse (1350-1700) belegt. Es wurden 425 (69%) Frauen und 190 (31%) Männer verfolgt. Es gab 196 Verbrennungen, 102 Verbannungen, und 78 Freisprüche oder Entlassungen auf Kaution. 23 Angeklagte überlebten ihren Prozess nicht.

Der Text bezieht sich auf Flandern, die Quelle ist:

Hexenprozesse in Flandern

.
 
Und ein Beispiel aus Oesterreich:

In den österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg enden knapp 60 Prozent aller Hexenprozesse mit der Verurteilung/Hinrichtung der Angeklagten. Läßt man die 14 Prozent der Fälle, deren Ausgang bis heute ungeklärt ist, außer acht, so werden zwei Drittel aller Verdächtigen hingerichtet. In Bludenz - Sonnenberg enden die meisten Verfahren - anders als in den anderen Herrschaften mit dem Freispruch. Die Ursache dafür ist unklar.

Quelle hier:

Hexenprozesse Oesterreich


Aber es ist wohl kaum zu leugnen - fruehe Feisprueche gab es eher selten, erst gegen Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die haeufiger. Ein recht fruehes Beispiel ist da vielleicht der Fall vierzehnjaehrigen Agatha Gatter, die tatsaechlich 1603 freigesprochen wurde..

Der Fall Agatha Gatter

.
 
Zuletzt bearbeitet:
Muck134 schrieb:
Gab es im Mittelalter wirklich Freisprüche bei Hexenprozessen? Gibt es Belege dafür? :confused: Wenn ja, wie häufig kamen die Frauen mit dem Leben davon?
Im Mittelalter gab es kaum Hexenprozesse, die begannen in der frühen Neuzeit. Über die Ursachen der Massenhysterie wird viel spekuliert, schlüssige Erklärungen gibt es bis heute nicht.
Die eindeutig als Hexen angeklagten Frauen und Männer im Mittelalter müsste man einzel untersuchen. Es sind nicht sehr viele, aber oft wird vieles als Hexenprozess bezeichnet, was bei näherer Betrachtung als Ketzerei zu definieren ist.
 
Passend hierzu ist das Stück "The Crucible" von Arthur Miller (wurde auh sehr gut verfilmt! "Hexenjagd"). Da findet man vielleicht ein paar anhaltspunkte, warum es zur Hysterie gekommen ist.
Was Freisprüche angeht, kann ich mich jetzt nicht direkt auf Quellen beziehen, müßte ich noch mal nachschlagen, aber war es nicht so, dass eine Frau dann unschuldig war, wenn sie z.B. im Fluß unterging? Damit war doch ihre Unschuld bewiesen, nur war es dann für sie zu spät. Oder meisnt Du richtige Freisprüche vor Gericht?
Liebe Grüße
 
Zitat:" Die fürchterlichen Auswüchse mittelalterlichen Denkens, die zur systematischen Ausgestaltung des Hexenwahns führten"

Naja, ähnliches gab es mal in Bezug auf Kommunisten. Ich sage nur J.Edgar Hoover
 
heripo1422 schrieb:
Die fürchterlichen Auswüchse mittelalterlichen Denkens, die zur systematischen Ausgestaltung des Hexenwahns führten, lassen sich nachverfolgen - z.B.: im "Malleus Maleficarum" oder in der Bulle "Summis desiterantes" von 1487 und 1484.
Waren das wirklich Auswüchse mittelalterlichen Denkens?
Die Rezeption des Hexenhammers von Heinrich Kramer (Institoris) mit all seinen furchtbaren Auswirkungen war nicht mehr Mittelalter.
Und Summis desiterantes, das wohl "Summis desiderantes" heissen sollte, ist historisch im Kontext der Inquisition anzusiedeln und zu bewerten.

heripo1422 schrieb:
Das Denken jener Zeit ist uns schon fast vollständig erhalten geblieben da die möglichst perfekten Protokollierungen der "peinlichen Verhandlungen" geradezu "beispielhaft" in der Rechtsgeschichte sind.
Des Mittelalters?

heripo1422 schrieb:
Wer sich für die Denkweise jener Zeit interessiert, dem empfehle ich "Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. u. 15. JH in Frankreich und den Niederlanden" von Johan Huizinga.
Du meinst Huizinga, Johan.- Herbst des Mittelalters mit dem Untertitel Studien über Lebens- und Geistesformen...
Immer noch aktuell; für die Hexenprozesse allerdings weniger.
 
Gefesselte Frauen ins Wasser werfen und sehen ob sie untergehen,
das ist im Prinzip die Fortsetzung dessen was man im Mittelalter
als Gottesurteil bezeichnet hat.
Solchen Methden waren in der frühen Neuzeit schon veraltet und sollten
durch Befragungen, nämlich die Inquisition, ersetzt werden.

Es wurden auch z.B. gerichtliche Zweikämpfe verboten. Eine Thematik
die zumindest entfernt damit zusammenhängt, nämlich aus Sicht
der Rechtsgeschichte.
 
Guter Link zum Thema:

http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/recht/hexen/gliederung.htm

Ich weiss nur von einem Fall in den Jahren 1610/11 im Baskenland. Der Oberste Funktionär der Inquisition von Logrono, Alonso de Salazar Frias, sah die Schuld der angeklagten "Hexen" nicht als bewiesen an (obwohl er natürlich fest von der Existenz von Hexen überzeugt war) und so wurde keine der verhafteten Frauen verbrannt. Ob man dabei natürlich von einem Freispruch nach unserer Definition sprechen kann ist fragwürdig.
Quelle: Greyerz, Kaspar von: Religion und Kultur. Europa 1500-1800. Göttingen 2000. S. 227
 
survivor schrieb:
Gefesselte Frauen ins Wasser werfen und sehen ob sie untergehen, das ist im Prinzip die Fortsetzung dessen was man im Mittelalter
als Gottesurteil bezeichnet hat.

<< mal dumm dazwischenfragt, aber war das "Gottesurteil" nicht ein Zweikampf auf Leben und Tod? (dachte das immer :confused: )


Solchen Methden waren in der frühen Neuzeit schon veraltet und sollten durch Befragungen ersetzt werden.

Und Folter! Diese galt tatsächlich gegenüber dem "Gottesurteil" als fortschrittlich... :eek:
 
Tekker schrieb:
<< mal dumm dazwischenfragt, aber war das "Gottesurteil" nicht ein Zweikampf auf Leben und Tod? (dachte das immer :confused: )
Und Folter! Diese galt tatsächlich gegenüber dem "Gottesurteil" als fortschrittlich... :eek:

Der Zweikampf war eine Möglichkeit für ein Gottesurteil, es gab aber noch sehr viele andere. Zum Beispiel: Man mußte glühende Kohle in die Hand nehmen, diese führte natürlich zu Verbrennungen. Der "Angeklagte" wurde freigesprochen, wenn diese Verbrennungen innerhalb von sieben Tagen (glaub ich) verheilt waren. War dies nicht der Fall, dann war man schuldig. Aber wie schon gesagt, es gab ganz viele verschiedene Arten der Gottesurteil.

Die sogennante Inquisition war ursprünglich die Verfolgung und Diziplinierung gottloser Prälaten. Dieses Verfahren setzte sich jedoch im 13. Jahrhundert auch an den weltlichen Gerichten durch.
Dort sollte durch das Inquisitionsverfahren die materielle Wahrheit gefunden werden. Die Eide, Gottesbeweise und Zeugenaussagen fielen weg.
Die Folter jedoch setzte sich nach und nach durch. Begründet wurde diese damit, dass ein neues Mittel zur Urteilsfindung nötig war. Gottesbeweise und Eide durch Leumünder waren ja verboten worden, und somit sagte man, dass nur die Folter die Wahrheit bringe. Wobei man festhalten muss, dass die Folter nur dann eingesetzt werden sollte, wenn genügend oder schwerwiegende Indizien vorliegen. Das diese Methoden dann jedoch bei den Hexenverfolgungen sehr willkürlich eingesetzt wurden, wissen wir glaub ich alle
 
Zuletzt bearbeitet:
Tekker schrieb:
<< mal dumm dazwischenfragt, aber war das "Gottesurteil" nicht ein Zweikampf auf Leben und Tod? (dachte das immer :confused: )

Das Gottesurteil ist unter anderem die "Wasserprobe", die es auch als Kaltwasserprobe gab (die Warmwasservariante möchte ich mir lieber nicht vorstellen).
Bei Frauen gerne angewandt. Denn Frauen durften damals nicht "schwören", sondern hatten ihre Unschuld (in jegl. Hinsicht) zu beweisen.

Es ging darum, ob die Beschuldigte im (unschuldigen) Wasser versinken konnte, falls nicht half ihr der Teufel.
Daß diese Probe nur funktioniert, wenn man die Luft langsam aus der Lunge raus läßt...
Sicher haben auch einige derlei "Prüfungen" mit ihrem Leben bezahlt...

Irgenwo stand im Buch der Bücher: "Ihr ja sei ein ja, ihr nein sei ein nein. Alles andere ist des Teufels."

Schwören konnte man damals nur auf seine Ehre- und die hatte nur der Mann, der dann für die "Schandtaten" seiner Frau, Tochter einzustehen hatte (mit seiner Ehre). Daher konnte die Frau den Mann auch ehrlos machen, nicht jedoch der Mann die Frau.

Soweit mein Kenntnisstand.

Gruß, Snaedis
 
Cleopatra schrieb:
Die sogennante Inquisition war ursprünglich die Verfolgung und Diziplinierung gottloser Prälaten...

Dazu wäre dann noch zu ergänzen, das der Inquisitionsprozeß als BEGRIFF erstmal und ursprünglich einzig und allein den Gegensatz zum Akkusationsprozeß darstellte und erst später im Laufe seiner Entwicklung mit der Institution der "Inquisition" ident gesetzt wurde. Beim Akkusationsprozeß muß es einen Kläger geben, der eben Anklage erhebt und damit die juristischen Mühlen in Gang setzte. Vice versa dazu galt natürlich der Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und genau hier griff dann der Inquisitionsprozeß, bei dem der Prozeß nicht durch den Geschädigten sondern durch den Staat initiert wird. Hier spiegelt sich zuallerest einmal eine Änderung bzw. Verlagerung im Rechtsverständnis wieder, welches als solches dem Mittelalter relativ fremd war. Dort pochte jeder auf seine Rechte und Privilegien und hatte ein ureigenstes Interesse daran, diese nötigenfalls als Kläger durchzusetzen. (=Akkusationsprozeß). In diesem Zusammenhange ist es dann auch verständlich, daß im Mittelalter, ganz der klassischen Tradition folgend, nicht das Delikt der Hexerei als solches im Vordergrund stand, sondern der Schaden, der dem Einzelnen, eventuell unter Zuhilfenahme von Zauberei zugefügt wurde. Man wurde also wegen Mordes mittels Zauberei verurteilt und nicht wegen zauberei mit Todesfolge. Erst im Rahmen diverser religionstheoretischer Diskussionen kam man dann nach und nach zu der allgemeinen Auffassung, dass Zauberei nur mit Hilfe von Dämonen möglich sei und aus dem ganz "normalen" Delikt der Zauberei wurde die Hexerei geboren und damit ein Interesse an deren Verfolgung entwickelt. Aber dazu gibt es garantiert schon andere Threads ... (ich hab' aber nicht gesucht)

Bye erstmal
Suedwester
 
Da ich so oft die Stichworte "Inquisition" und "Gottesurteil" gelesen habe, scheinen zwei kleine Hinweise angebracht:

1. Die Inquisition hatte nur am Rande mit den Hexenprozessen zu tun.

2. Die im 12. Jahrhundert belegten "Gottesurteile" wurden auf dem Vierten Laterankonzil 1215 verboten, also lange vor dem Ausbruch der Hexenverfolgung.
 
hyokkose schrieb:
2. Die im 12. Jahrhundert belegten "Gottesurteile" wurden auf dem Vierten Laterankonzil 1215 verboten, also lange vor dem Ausbruch der Hexenverfolgung.

Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass z.B. die Wasserprobe nicht mehr angewandt wurde. Sie galt jetzt nur nicht mehr als Gottesurteil, sondern schlicht als vorläufige Prüfung, als Mittel, Indizien zu erlangen, einen Verdacht zu festigen. Der Glaube war weit verbreitet, dass der Teufel im Wasser mit den Hexen war und ihr Sinken verhinderte, indem er ihnen zum Beispiel eine eiserne Stange brachte. Scribonius äußert sich zudem umständlich über die spezifische Leichtheit der Hexen, die also auch als Anlass zur Wasserprobe gelten darf. Besonders in Westfalen wurde die Wasserprobe, während der Hexenverfolgung übrigens oft auch "Hexenbad" genannt, im 16. Jahrhundert besonders häufig angewandt.
Interessant (und Beweis für die Stupidität des Ganzen :autsch: ): In einigen deutschen Weistümern aus dem 14. und 15. Jahrhundert wird die Entscheidung genau umgekehrt gedeutet, d.h. die Angeklagte war hier eine Hexe, wenn sie unterging (und damit hatte man sie praktischer Weise meist auch gleich los).

Noch etwas zum ursprünglichen Eintrag von Muck:
Ein besonders schönes Beispiel eines Freispruchs und gleichsam Beweis, dass es auch noch halbwegs vernüntige Hexenrichter gab, ist für mich der Prozess der vierzehnjährigen Agatha Gatter Anfang des 17. Jahrhunderts in Freiburg. Einfach mal googeln!

lg paracelsus
 
paracelsus schrieb:
Der Glaube war weit verbreitet, dass der Teufel im Wasser mit den Hexen war und ihr Sinken verhinderte, indem er ihnen zum Beispiel eine eiserne Stange brachte. Scribonius äußert sich zudem umständlich über die spezifische Leichtheit der Hexen, die also auch als Anlass zur Wasserprobe gelten darf. Besonders in Westfalen wurde die Wasserprobe, während der Hexenverfolgung übrigens oft auch "Hexenbad" genannt, im 16. Jahrhundert besonders häufig angewandt.

Da muss man aber auch den regionalgeschichtlichen historischen Hintergrund mit einbeziehen, Aberglaube und krude juristische Thesen wie bei Scribonius schließen einander nicht aus.

Unterhalb der gelehrten Diskussion über die Wasserprobe kursierten quasi unter vorgehaltener Hand zudem jede Menge handgestrickter Theorien unter der Bevölkerung, auf die der Vorgang selbst eine unerhörte Faszinationskraft ausgeübt haben muß. Anna Ebbing, die Frau des Coesfelder Bürgers Albert Schuermann, hatte sich beispielsweise von dem Ratsherren Dietherich Velthauß im Rathaus sagen lassen, daß derjenige, der "eine weisse lebber hette, nicht zu grundt gehen könnte." [90]

Die kritische Haltung, die zahlreiche Juristen, Mediziner, Gelehrte und Landesherren der Wasserprobe gegenüber im 16. und 17. Jahrhundert an den Tag legten, konnte deren Popularität im westfälisch-lippischen Raum und gerade im Fürstbistum Münster zwar keineswegs schmälern. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte tat sich hier indessen eine immer stärkere Kluft auf zwischen der Ablehnung der Probe von seiten der Räte zum einen, der adeligen Lust an der Durchführung von Proben zum zweiten und deren volkstümlicher Konjunktur zum dritten. Daß die Landesregierung schon früh auf die in den Städten und Gerichtsherrschaften des Münsterlandes veranstalteten Wasserproben ein wachsames Auge hatte, läßt sich über eine Vielzahl von Quellen dokumentieren, angefangen bei den Regierungsprotokollen, über die mit den landesherrlichen Beamten geführten Korrespondenzen bis hin zu den Mahnschreiben und Verboten, die aus Münster an die adligen Gerichtsherren gesandt wurden.

Nicht ganz leichte Kost:
Gudrun Gersmann
Wasserproben und Hexenprozesse
Ansichten der Hexenverfolgung im Fürstbistum Münster


http://www.hexenforschung.historicum.net/etexte/wasserprobe.html
 
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