Globalindustrie im 16. Jh.

hjwien

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In der Magazinausgabe der "Berliner Zeitung" dieses Wochenendes ist ein Interview erschienen mit Bernd Hausberger, einem Herausgeber einer neuen Globalgeschichte, die im Mandelbaum-Verlag erschienen ist.

Eines der zentralen Themen des Interviews ist das 16. Jh. und seine Bedeutung für die Globalisierung und die Frage, ob die Globalisierung eine Europäisierung war oder nicht.
Dabei kommt zur Sprache, daß China ja damals die bedeutendste Wirtschaftsmacht war und auch technologisch am höchsten entwickelt, was allerdings im scharfen Kontrast zu seiner beginnenden Isolierung stand. Hausberger deutet Thesen an, daß man im damaligen China schon eine Art Motor für die Weltwirtschaft sehen kann. Ich gebe mal einige Kernsätze an:

""Ohne den chinesischen Silberhunger hätte die lateinamerikanische Wirtschaft - und also die europäische - nicht funktioniert."

"Hätte es in China keine Industire gegeben, deren Produkte weltweit gerne teuer bezahlt wurden, wäre das lateinamerikanische Silber wesentlich weniger wert gewesen."

Ich komme dabei ins Grübeln. Zunächst frage ich mich, wieweit es zu dieser Zeit schon direkte Handelskontakte gab, oder wieviel über Zwischenhändler abgewickelt wurde, denn die großen handelskompanien entshehen doch erst später und fahren vor allem Indonesien an. Zum anderen wüßte ich gern, was das für eine umfassende chinesische Industrie gewesen sein soll? Außer Porzellan und Seide fällt mir erstmal nicht soviel ein, und da würden mich auch die Warenmengen interessieren. Tee kommt doch erst später als Interessenmagnet, oder? Außerdem würde ich den Beginn des chinesischen Exotismus in Europa ja eher ins 18 Jh. setzen.
 
Direkte Handelskontakte gab es im 16. Jhdt. anfangs noch kaum, aber sie kamen in der 2. Jahrhunderthälfte in Schwung. Die Portugiesen erreichten 1517 Kanton, wurden aber nach ein paar Jahren wieder hinausgeworfen. 1557 ließen sich die Portugiesen in Macao nieder. Im 17. Jhdt. kamen dann noch die Holländer dazu.
Silber aus Amerika wurde ab der 2. Hälfte des 16. Jhdts. in China eingeführt, was wohl mit zum Zusammenbruch des Papiergelds beitrug. Aber erst ab dem frühen 17. Jhdt. wurde es in großen Mengen direkt von Mexiko über den Pazifik zu den Philippinen und weiter nach China transportiert.
In der 1. Hälfte des 16. Jhdts. exportierte China Waren (insbesondere Tee, Jade und Seide) noch vor allem zu Land nach Zentralasien und Burma, der private Überseehandel hingegen wurde verboten, was aber den Schmuggel förderte, sodass das Verbot 1567 aufgehoben wurde. In der Folgezeit kam es tatsächlich zu einem Aufschwung der Produktion von Gütern für den Export. Z. B. wurden statt Reis verstärkt Zuckerrohr und Baumwolle angepflanzt, und in den Städten entstanden Porzellanmanufakturen, Seidenwebereien und Baumwollspinnereien. Die genannten Güter wurden aber nicht nur für den Export produziert, sondern es gab auch ein kaufkräftiges chinesisches Bürgertum, weswegen z. B. auch der Buchdruck florierte.
Dass China ein Motor der Weltwirtschaft gewesen sei und China die Wirtschaft Europas quasi am Laufen gehalten hätte, halte ich doch für übertrieben. Da wird wohl eher der häufig anzutreffende Wunsch dahinter stecken, für heutige Zustände Vorbilder in der Vergangenheit zu finden.
 
Abgesehen davon, dass da wieder der Globalisierungsbegriff herumgeistert, wo er nicht hingehört (Globalisierung ist die Entnationalisierung der Produktion zu Gunsten des Profits der Anleger), halte ich die These schon für ziemlich steil. Fakt ist doch, dass die spanische Wirtschaft überhaupt nicht in Schwung kam, sondern im Gegenteil zusammenbrach, was verschiedene Auslöser hatte, u.a. die Silberschwemme. Aber eben auch der Umstand, dass in Spanien selbst kaum noch etwas produziert wurde (Wertschöpfung). Ich habe schon häufiger aus Quevedos Gedicht Don Dinero zitiert:

Und wie immer bei solchen Threads komme ich nicht umhin Quevedo mit einem Ausschnitt aus seinem Gedicht Don Dinero zu zitieren:

Poderoso caballero
Es don dinero.
Madre, yo al oro me humillo;
Él es mi amante y mi amado
Pues, de puro enamorado,
De contino anda amarillo;
Que pues, doblón o sencillo,
Hace todo cuanto quiero,
poderoso caballero
es don Dinero.
Nace en la indias honrado,
Donde el mundo le acompaña;
Viene a morir en España,
Y es en Génova enterrado.
Y pues quien le trae al lado
Es hermoso, aunque sea fiero,
poderoso caballero
es don Dinero.

Kurzfassung: Alle lieben den mächtigen Ritter Don Dinero (Herr Geld), der in Amerika hochgeehrt geboren wird und nach Spanien kommt, um zu sterben. In Genua wird er beerdigt. (In Genua gingen die spanischen Truppen an Land, die im achtzigjährigen Krieg in den Niederlanden kämpfen sollten, da sie so durch spanische (Mailand) und nichtspanische aber habsburgisch regierte Besitzungen relativ unbehelligt (von Franzosen und Engländern sowie der niederländischen Flotte) zum Kernkriegsschauplatz kamen. Genua war allerdings formell eigenständig.)

Was nun China als Jobmotor angeht, so sind es doch zunächst die Portugiesen, die Produkte aus "China" (eigentlich aus ganz Ostasien) nach Europa importieren, sei es das schon genannte Porzellan (das deutsche-portugiesische Bergungsunternehmen Arqueonautas hat da viel geborgen), seien es Apfelsinen. Die Apfelsine oder der Sinaasappel (Chinaapfel) trägt den Namen nach dem Herkunftsgebiet China (gemeint Ostasien). Gemeint ist damit die Süßorange, die Bitterorange haben die Araber schon 800 Jahre früher nach Europa gebracht - unser Orange (einschließlich des Farbnamens) kommt vom Arabischen an-naranǧ. Im Mittelmeerraum heißt die Süßorange daher auch nach dem Importeur aus China, Portugal: πορτοκαλιά (portokaliá) auf Griechisch, burtuqāl auf Arabisch, portokalli, auf Albanisch, portakal auf Türkisch.

Allenfalls wäre also das von den Europäern ausgebeutete amerikanische Silber ein "Jobmotor" in China gewesen. Und auch das ist wohl eher zweifelhaft.
Ich kann mich da Raveniks Skepsis nur anschließen.
 
Der Kritik der beiden vorherigen Posts von Ravenik und ElQ schließe ich mich an.

Ravenik hat bzgl. der Silberimporte Chinas darauf hingewiesen, dass hier die Mengen und die Herkunft differenziert zu betrachten sind (auch der mengenmäßige Vergleich zum europäischen Bedarf und zur Weltproduktion). Bis Mitte des 17. Jhdt. kam die Masse der Silberimporte aus Japan. Der ganze Komplex ist außerdem umstritten, und in der Literatur werden ganz unterschiedliche, zT extrem abweichende Schätzungen vorgetragen.

Es wäre notwendig, dass Hausberger dazu die empirischen Grundlagen offenlegt, auf die sich solche Thesen und Vergleiche stützen. Anderenfalls, das wurde schon kritisiert, wird von wenig gesicherter Basis ins Blaue argumentiert, von den zweifelhaften Übertragungen heutiger nationalökonomischer Begrifflichkeiten mal ganz abgesehen.

P.S.
Es scheint aber im Moment "in" zu sein, die großen Linien mit dem ganz großen Bleistift nachzuzeichnen: zB Maddison, Contours of the World Economy, 1-2030 AD, 2007, auf 368 Textseiten, beginnend mit einem Pro-Kopf-Einkommen, differenziert nach allen römischen Provinzen aus 14 AD.
 
Silber aus Amerika wurde ab der 2. Hälfte des 16. Jhdts. in China eingeführt, was wohl mit zum Zusammenbruch des Papiergelds beitrug. Aber erst ab dem frühen 17. Jhdt. wurde es in großen Mengen direkt von Mexiko über den Pazifik zu den Philippinen und weiter nach China transportiert.

Interessant, vom Zusammenbruch des Papiergeldes wußte ich nichts. Es gingen also regelmäßig Silberflotten über den Pazifik. Gingen dann die dafür gekauften Güter wieder nach Lateinamerika zurück oder wurden dann nach Europa weitergeleitet?

In der 1. Hälfte des 16. Jhdts. exportierte China Waren (insbesondere Tee, Jade und Seide) noch vor allem zu Land nach Zentralasien und Burma, der private Überseehandel hingegen wurde verboten, was aber den Schmuggel förderte, sodass das Verbot 1567 aufgehoben wurde. In der Folgezeit kam es tatsächlich zu einem Aufschwung der Produktion von Gütern für den Export. Z. B. wurden statt Reis verstärkt Zuckerrohr und Baumwolle angepflanzt, und in den Städten entstanden Porzellanmanufakturen, Seidenwebereien und Baumwollspinnereien.

Kann man denn mit Jade etwas anderes anfangen als Schmuck herzustellen? Und ist dann der europäische Markt mit Jade gefüllt worden? Ich kenne Jade immer nur als seltene Pretiose in Kunstsammlungen.


Fakt ist doch, dass die spanische Wirtschaft überhaupt nicht in Schwung kam, sondern im Gegenteil zusammenbrach, was verschiedene Auslöser hatte, u.a. die Silberschwemme. Aber eben auch der Umstand, dass in Spanien selbst kaum noch etwas produziert wurde (Wertschöpfung).

Bernd Hausberger lehrt in Mexico und sagt selbst, daß er aus lateinamerikanischer Sicht urteilt, zumindest im Interview kommt Spanien selbst nur peripher vor.

Die Apfelsine oder der Sinaasappel (Chinaapfel) trägt den Namen nach dem Herkunftsgebiet China (gemeint Ostasien).

Aber die Apfelsine kam auch ursprünglich als Zierpflanze für die herrschaftlichen Gärten? Oder wurden tatsächlich tonnenweise Früchte importiert, um von glücklichen Kindern gegessen zu werden?


Ravenik hat bzgl. der Silberimporte Chinas darauf hingewiesen, dass hier die Mengen und die Herkunft differenziert zu betrachten sind (auch der mengenmäßige Vergleich zum europäischen Bedarf und zur Weltproduktion). Bis Mitte des 17. Jhdt. kam die Masse der Silberimporte aus Japan. Der ganze Komplex ist außerdem umstritten, und in der Literatur werden ganz unterschiedliche, zT extrem abweichende Schätzungen vorgetragen.

In dem Moment, wo ich die Frage formuliere, kommt sie mir selbst etwas banal vor, aber ich stelle sie trotzdem mal: Wo ist das ganze Silber eigentlich hin? Wurde es für die chinesische Münzprägung gebraucht und ist heut noch im Lande, oder floß Silber auch in erheblichem Umfang wieder aus China ab?


Es wäre notwendig, dass Hausberger dazu die empirischen Grundlagen offenlegt, auf die sich solche Thesen und Vergleiche stützen. Anderenfalls, das wurde schon kritisiert, wird von wenig gesicherter Basis ins Blaue argumentiert, von den zweifelhaften Übertragungen heutiger nationalökonomischer Begrifflichkeiten mal ganz abgesehen.

Es scheint aber im Moment "in" zu sein, die großen Linien mit dem ganz großen Bleistift nachzuzeichnen

Ich denke mal, im Gesamtwerk werden wohl auch mehr Grundlagen erscheinen. Allerdings bin ich gerade nicht in der Lage, für "Globalgeschichte - Die Welt 1000-2000" im Schuber mal eben 198,- Euro hinzublättern.:cry:

Ich habe ja auch meine Probleme mit der inflationären Verwendung des Begriffs der Globalisierung. Allerdings kriege ich dann immer so meine Selbstzweifel, wie letztens auch bei einer Geschichte des Geldes, wo mir ebenfalls Thesen der Autorin, in einem Zeitungsinterview geäußert, unverständlich erschienen. Dann frage ich mich aber auch: die Leute müssen sich doch etwas dabei denken, wenn sie so etwas sagen, das sind doch intelligente Menschen, warum verstehe ich dann nicht, was sie mir sagen wollen, wenn sie so krude Thesen äußern?
 
Es gingen also regelmäßig Silberflotten über den Pazifik. Gingen dann die dafür gekauften Güter wieder nach Lateinamerika zurück oder wurden dann nach Europa weitergeleitet?
Es wurden tatsächlich auch Güter aus China nach Amerika verschifft, wobei die (ebenfalls spanischen) Philippinen als Zwischenstation im transpazifischen Handel fungierten und Acapulco in Mexiko der Hauptanlaufhafen in Amerika war.
In Lateinamerika wurde aus China (neben Europa) u. a. das Quecksilber eingeführt, das für den Silberabbau benötigt wurde.
Es wurde aber auch Seide aus China nach Amerika gebracht, und zwar offenbar in solchen Mengen, dass gegen Ende des 16. Jhdts. die Seidenerzeugung in Mexiko (die ohnehin von Seiten des spanischen Mutterlandes, das auch Seide nach Amerika verkaufte und daher der dortigen Seidenproduktion das Leben schwer machte, unter Druck stand) in eine existenzielle Krise geriet. Teilweise wurde die chinesische Seide aber auch über Amerika nach Europa weiterverschifft. Die spanische Regierung versuchte den transpazifischen Seidenhandelsverkehr aber zu beschränken, indem sie pro Jahr nur einem Schiff pro Richtung die Fahrt gestattete. Trotzdem wurden in der gesamten Zeit der spanischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika aber schätzungsweise bis zu 5000 Tonnen Silber aus Amerika für chinesische Seide ausgegeben.

Kann man denn mit Jade etwas anderes anfangen als Schmuck herzustellen? Und ist dann der europäische Markt mit Jade gefüllt worden? Ich kenne Jade immer nur als seltene Pretiose in Kunstsammlungen.
Ich habe mich da wohl missverständlich ausgedrückt. Jade wurde bevorzugt nach Burma exportiert und dort gegen Elfenbein und Metalle gehandelt.

In dem Moment, wo ich die Frage formuliere, kommt sie mir selbst etwas banal vor, aber ich stelle sie trotzdem mal: Wo ist das ganze Silber eigentlich hin? Wurde es für die chinesische Münzprägung gebraucht und ist heut noch im Lande, oder floß Silber auch in erheblichem Umfang wieder aus China ab?
Das amerikanische Silber führte tatsächlich zu einer gewissen Silberschwemme in China, wobei aber Silber nicht nur aus Amerika, sondern vor allem auch aus Japan kam. Das (allerdings schon vorher in der Krise befindliche) Papiergeld wurde aufgegeben und durch Silber ersetzt.

Allerdings kriege ich dann immer so meine Selbstzweifel, wie letztens auch bei einer Geschichte des Geldes, wo mir ebenfalls Thesen der Autorin, in einem Zeitungsinterview geäußert, unverständlich erschienen. Dann frage ich mich aber auch: die Leute müssen sich doch etwas dabei denken, wenn sie so etwas sagen, das sind doch intelligente Menschen, warum verstehe ich dann nicht, was sie mir sagen wollen, wenn sie so krude Thesen äußern?
Thesen, insbesondere wenn sie breitenwirksam publiziert und verkauft werden sollen, klingen eben besser, wenn sie möglichst pointiert und großsprecherisch sind. "Die Welt war schon im 16. Jhdt. globalisiert, und China war schon damals der Motor der Weltwirtschaft" klingt natürlich besser als ein nüchtern-sachliches "Es bestanden schon im 16. Jhdt. Handelskontakte zwischen China, Europa und Amerika". Insbesondere beim Buch der Autorin, die alles auf das Geld zurückführt, habe ich den Eindruck, dass es durchaus auf Öffentlichkeitswirksamkeit und den breiten Markt abzielt und nicht nur ein Beitrag zum akademischen Diskurs sein soll.
 
Zum kurzen Leben der mexikanischen Seidenindustrie nach 1530 und zum pazifischen Handel siehe hier (LSE):

http://personal.lse.ac.uk/mad1/SilkPacific.pdf
Die dort verwendeten Silbermengen sind umstritten, aber das sei mal dahingestellt. Immerhin wird der Kreishandel gut beschrieben.


Das importierte Silber landete im W. im Münzwesen (Umlauf und Hortungen), sowie wahrscheinlich in nicht unbedeutenden Mengen in Schmuck und Kunstartikel/Verzierungen.
 
Aber die Apfelsine kam auch ursprünglich als Zierpflanze für die herrschaftlichen Gärten? Oder wurden tatsächlich tonnenweise Früchte importiert, um von glücklichen Kindern gegessen zu werden?

Das waren die Bitterorangen, die schon seit dem 8. Jahrhundert in Spanien angebaut wurden. Ich hatte darauf implizit hingewiesen:

Die Apfelsine oder der Sinaasappel (Chinaapfel) trägt den Namen nach dem Herkunftsgebiet China (gemeint Ostasien). Gemeint ist damit die Süßorange, die Bitterorange haben die Araber schon 800 Jahre früher nach Europa gebracht - unser Orange (einschließlich des Farbnamens) kommt vom Arabischen an-naranǧ.

Offensichtlich haben die Spanier mal im 18. Jahrhundert den Engländern ein paar Bitterorangen verkauft und die Engländer vergeben es sich in ihrem Stolz nicht, einzugestehen, dass sie einem Betrug aufgesessen sind und quälen sich daher bis heute mit ihrer Bitterorangenmarmelade, der marmalade. :D

(Achtung! Klischee! Bitte nicht ernst nehmen!)

Trotzdem wurden in der gesamten Zeit der spanischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika aber schätzungsweise bis zu 5000 Tonnen Silber aus Amerika für chinesische Seide ausgegeben.

Woher stammen diese Angaben?
 
Das waren die Bitterorangen, die schon seit dem 8. Jahrhundert in Spanien angebaut wurden. Ich hatte darauf implizit hingewiesen:

Auf den Unterschied zwischen Süß- und Bitterorangen und die Zeit ihrer Einführung sowie ihre Benennungen hast Du hingewiesen, wobei ich das mit Portugal toll finde (ich mag Portugal), aber meine Frage richtete sich nach dem Zweck ihrer Einführung, also ob die Früchte schon im 16. oder meinethalben auch im 17. Jh. als Nahrungsmittel in Europa verbreitet waren.

Ich bin da kein Kenner und habe das auf die Schnelle auch nicht überprüft, aber wenn ich an barocke Stilleben denke oder an die berühmten Obstgesichter des Arcimboldo, dann scheinen mir Apfelsinen da noch nicht so präsent zu sein. Oder irre ich mich da sehr?
 
Woher stammen diese Angaben?

Aus Steuereinnahmen, Importaufzeichnungen, Ladevolumina einzelner Schiffe (auch Havarien) usw. wird geschlossen, dass im 17. Jhdt. durchschnittlich ca 50-60 Tonnen pro Jahr(2 Mio. Pesos), darunter in Spitzenjahren sogar laut der Aufzeichnungen 160 Tonnen Silber (ca. 6 Mio. Pesos) über die Pazifik-Route gingen.

Für 100 Jahre sind das 5000-6000 Tonnen, allerdings muss man noch einge Jahrzehnte des 16. Jhdt. zuzählen. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, die Schätzungen sind teilweise umstritten. Vergleichbar sind sie den Schätzungen von 10.000 Tonnen Silber, die im Jahrhundert zuvor von Japan als Chinaimporte geschätzt werden. Auch diese Zahlen werden heiß diskutiert.

ZB Flynn/Giraldez, Silk for Silver, Manila-Macao-Trade in the 17th Century, 1996.

Ein Problem der Schätzungen ist der Japan-Handel, ein anderes der Schmuggel, schließlich sind die Jahre nur lückenhaft erfasst.
 
Es gab vor einigen Jahren eine Ausstellung, ich kann mich leider nicht mehr erinnern wo, über die sehr interessante Mischkultur die im 17-18 Jahrhundert an der Ostküste Mexikos auf Grund dieses Überseehandels entstand. Es ist offensichtlich nicht nur Seide und Porzellan importiert worden, sondern es kamen auch Chinesen über den Pazifik, die sich dort mit Spaniern und hispanisierten Einheimischen mischten.

Es gab bestimmt interessante und weitläufige Handelsverbindungen, ich habe mir auch einmal eine Ausstellung mit Porzellanfunden aus einem Ostindienfahrer angesehen, das Ganze jedoch als frühe Globalisierung zu betrachten, halte ich auch für sehr übertrieben.
 
Chinesische Einwanderer gab es tatsächlich, aber zahlenmäßig waren sie wohl eher wenige. 1608 wurde die Einwanderung von Chinesen verboten.

Eine größere Rolle spielte die Einwanderung von Chinesen in Lateinamerika erst im 19. Jhdt. nach dem Ende der Kolonialzeit und nach der Abschaffung der Sklaverei, als man Arbeitskräfte für die Plantagen oder auch für den Bau des Panamakanals brauchte. Die Anwerbung von Arbeitern in China wurde von den lateinamerikanischen Regierungen teilweise sogar staatlich gefördert, wobei die Umstände der Anwerbung und des Transports nach Amerika eher mit Menschenhandel zu tun hatten und die Chinesen nach ihrer Ankunft oft jahrelang mit Knebelverträgen wie Leibeigene gehalten wurden. Auch im noch spanischen Kuba wurden Chinesen eingeführt. Eine Vermischung mit den Einheimischen scheint es allerdings kaum gegeben zu haben. Von den einheimischen Arbeitern wurden die Chinesen ohnehin wegen Lohndumpings angefeindet, und die Sterblichkeit unter den Chinesen war (schon bei der Überfahrt) hoch. Auch China versuchte die Anwerbung von Arbeitern in seinem Land zu unterbinden.
 
Chinesische Einwanderer gab es tatsächlich, aber zahlenmäßig waren sie wohl eher wenige. 1608 wurde die Einwanderung von Chinesen verboten.

Vermutlich waren das dann Manila-Chinesen. Dort wurde für die Philippinen die Einwanderung 1606 begrenzt, nachdem in Folge mehrerer Wellen mit dem Handel die Zahl der eingewanderten Chinesen die der spanischen Kolonisten mit 10:1 überstieg. Das wurde der Kolonialmacht wohl unheimlich.

Nur wenige dürften weiter gewandert sein, nachdem schon die Beschränkung für die Philippinen galt.

In dem Moment, wo ich die Frage formuliere, kommt sie mir selbst etwas banal vor, aber ich stelle sie trotzdem mal: Wo ist das ganze Silber eigentlich hin? Wurde es für die chinesische Münzprägung gebraucht und ist heut noch im Lande, oder floß Silber auch in erheblichem Umfang wieder aus China ab?

Um das nochmal klarzustellen: die Frage ist keinesfalls banal, sondern Gegenstand eines Streits zwischen der ReOrient-These und Alternativen Verwendungsrechnungen:

Deng: Foreign Silver, China’s Economy and Globalisation of the Sixteen to Nineteenth Centuries, LSE 2007

Demnach landeten 15% im Staatsschatz, 65% im Kredit- und Pfandleihhaus-System Chinas.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber die Apfelsine kam auch ursprünglich als Zierpflanze für die herrschaftlichen Gärten? Oder wurden tatsächlich tonnenweise Früchte importiert, um von glücklichen Kindern gegessen zu werden?

Da die Bitterorange schon seit dem 8. Jahrhundert als Zierpflanze auf der iberischen Halbinsel wuchs (und bis heute dort wächst, in Italien seit dem 10. Jhdt.) wäre eine Einführung der Süßorange als Zierpflanze aus Ostasien im 16. Jahrhundert wohl kaum die Kosten und Mühen wert gewesen. Letzteres nur als ggf. teures Konsumprodukt.
 
Da die Bitterorange schon seit dem 8. Jahrhundert als Zierpflanze auf der iberischen Halbinsel wuchs (und bis heute dort wächst, in Italien seit dem 10. Jhdt.) wäre eine Einführung der Süßorange als Zierpflanze aus Ostasien im 16. Jahrhundert wohl kaum die Kosten und Mühen wert gewesen. Letzteres nur als ggf. teures Konsumprodukt.

Hm, leuchtet ein. Ich dachte, vielleicht sieht die Pflanze anders aus oder blüht anders.
 
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In dem Moment, wo ich die Frage formuliere, kommt sie mir selbst etwas banal vor, aber ich stelle sie trotzdem mal: Wo ist das ganze Silber eigentlich hin? Wurde es für die chinesische Münzprägung gebraucht und ist heut noch im Lande, oder floß Silber auch in erheblichem Umfang wieder aus China ab?

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War dass nicht einer der Gründe für die Opium-Kriege? Der Versuch der Chinesischen Regierung, den Silberabfluss durch den Verbot des Opium-Imports einzudämmen?
 
War dass nicht einer der Gründe für die Opium-Kriege? Der Versuch der Chinesischen Regierung, den Silberabfluss durch den Verbot des Opium-Imports einzudämmen?

Das Opium stellt keine Erklärung für die "Silberbilanz" Chinas dar, wichtiger waren die schwankenden Ausfuhren. Wahrnehmung und Propaganda wichen insoweit von den realen Sachverhalten ab.

1857/86 hatte China höhere Opiumimporte und gleichzeitige Silberimporte bei Handelsüberschüssen, während 1808/56 bei geringeren Opiumimporten Silberausfuhren stattfanden.

"opium could not explain the silver flow out of and into China, the exports of China have to be examined, as China did not have much financial basis for its international balance of payments" (Man Houng-Lin)

Dagegen wurden die Pawnshops ab Mitte des 19. Jhdt. Ziele bei den diversen großen Aufständen, und es waren leichte Ziele. Die Plünderungen dürften große Teile der "Stocks" mobilisiert haben. Eine letzte Welle ergab sich dann 1900 mit den Plünderungen der ausländischen Truppen und Aufständischen im Boxerkrieg.
 
Ich bin der Interviewte und ich freue mich, dass das so ein Echo gefunden hat. Trotzdem fühle ich mich ein bisschen komisch, weil ich es ja angebrachter fände, wenn die Bücher kritisieren würden. So ein Interview ist zumindest viel kürzer, man sagt die Dinge noch kürzer, etc. Falls ich mich missverständlich ausgedrückt habe, noch einmal kurz meine Meinung: dass China das Zentrum der frühen Weltwirtschaft war, ist eine von Teilen der Forschung vertetene Meinung, aber nicht meine. Ich vertrete eher einen systemischen Ansatz, unter dem mir Begriffe wie Zentrum und Peripherie überhaupt etwas suspekt sind: In einem System stehen die Teile in Beziehung zueinander, jeder beeinflusst jeden. Beim Silber sehe ich das jetzt so, dass die Spanier in Amerika, für mich die neue amerikan. Elite oder Oberschicht, unbedingt Importe brauchte, die sie bezahlen musste. Dafür produzierte man Silber. Die ganze Alte Welt, aber besonders China, brauchte Silber. (für ihre Geld-, Steuer- und Handelsysteme), dafür exportierte man Waren. Am Ende floss das meiste Silber nach China, erst durch den Opiumhandel gabe es wieder einen Abfluss. Dort zirkulierte es in einer wachsenden Wirtschaft, d.h. der Bedarf stieg ständig, zum Teil mag es auch gehortet worden sein, wie Kindleberger arumentierte. Aber ich glaube nicht, dass die Amerikaner von China abhängig waren, und auch die Chinesen nicht von Amerika. Das ist jetzt wieder sehr kurz.
 
Ich bin der Interviewte und ich freue mich, dass das so ein Echo gefunden hat.
Vorab ein herzliches Willkommen!:winke:

Trotzdem fühle ich mich ein bisschen komisch, weil ich es ja angebrachter fände, wenn die Bücher kritisieren würden. So ein Interview ist zumindest viel kürzer, man sagt die Dinge noch kürzer, etc. Falls ich mich missverständlich ausgedrückt habe, noch einmal kurz meine Meinung:
Die Publikation wurde, wenn ich das oben richtig verstehe, nicht kritisiert. Die Diskussion hatte (selektiv) Thesen aus dem Interview als Ausgangspunkt. Da liegt natürlich die Gefahr einer Verkürzung oder Verzerrung durch den Interviewer stets nahe, deshalb sind die weiteren Hinweise hilfreich:

(1.) dass China das Zentrum der frühen Weltwirtschaft war, ist eine von Teilen der Forschung vertetene Meinung, aber nicht meine. Ich vertrete eher einen systemischen Ansatz, unter dem mir Begriffe wie Zentrum und Peripherie überhaupt etwas suspekt sind: In einem System stehen die Teile in Beziehung zueinander, jeder beeinflusst jeden.
(2.) Beim Silber sehe ich das jetzt so, dass die Spanier in Amerika, für mich die neue amerikan. Elite oder Oberschicht, unbedingt Importe brauchte, die sie bezahlen musste. Dafür produzierte man Silber.
(3.) Die ganze Alte Welt, aber besonders China, brauchte Silber. (für ihre Geld-, Steuer- und Handelsysteme), dafür exportierte man Waren.
(4.) Am Ende floss das meiste Silber nach China, erst durch den Opiumhandel gabe es wieder einen Abfluss.
(5.) Dort zirkulierte es in einer wachsenden Wirtschaft, d.h. der Bedarf stieg ständig, zum Teil mag es auch gehortet worden sein, wie Kindleberger arumentierte.
(6.) Aber ich glaube nicht, dass die Amerikaner von China abhängig waren, und auch die Chinesen nicht von Amerika. Das ist jetzt wieder sehr kurz.
(1.) sehe ich auch so, insbesondere hinsichtlich der Trends in der wirtschaftshistorischen Literatur, vom "Zentrum" und "Weltwirtschaft" zu sprechen. Das suggeriert eine Qualität von Konnektivitäten und Interdependenzen, die allein schon aufgrund der bis dato abgeschätzt geringen Außenhandelsanteilen der regionalen Wirtschaftsaktivitäten nicht nachweisbar sind. Abseits solcher Bewertungen ist es nachvollziehbar, für diese Wirtschaftsstrukturen Einflüsse empirisch zu belegen: quasi wertfrei die Betrachtung zu globalisieren.

(2.) Mir erscheint zweifelhaft, ob man von dem Denkschema einer nachfragegetriebenen Silberproduktion ausgehen kann (ansonsten müsste man vorherige Nachfrageüberhänge in einem funktionierenden Markt nachweisen). Die lateinamerikanische Produktion wurde mE auch nicht für die Bezahlung der lateinamerikanischen Warenimporte benötigt. Das "dafür" würde ich daher in Frage stellen.

(3.) Auch hier liegt eine Vorstellung von Nachfrage und funktionsfähigen Güter- und Finanz-Märkten zugrunde, die eher durch die Gegenwart geprägt ist. Gerade bei China fehlt ein nachgewiesener "Transmissionsmechanismus" der Silberimporte zur Binnenwirtschaft, vielmehr versickerten die Edelmetalle zum Großteil in der "Kassenhaltung", und ersetzten herkömmliche Vorratssysteme (etwa in Form von grain stocks). Nur ein (evt. sehr geringer?) Teil lief in den Aufbau einer "Bimetallwährung" Kupfer/Silber. Zwei weitere Hinweise:
a) der Goldexport, der dem Silberimport gegenläufig wirkte
b) die ebenso behauptete Stagnation der chinesischen Binnenwirtschaft per capita (in Studien gegenläufig zur Expansion der europäischen Verhältnisse) - um Verzerrungen des Bevölkerungswachstums zu eliminieren.

(4.) die Mengenbilanzen sind höchst umstritten, die Schätzungen schwanken beachtlich. Studien gibt es für die Jahres-Durchschnittsimporte von amerikanischem Silber nach China zwischen 40, 60 und 140 JaTo für das 17. Jhdt. Da kann man sich je nach ausgesuchtem Autor verschiedenen Bedeutungsthesen anschließen, bei einer Schwankung fast um den Faktor 3. Die These, dass die Masse des nach Europa exportierten amerik. Silbers durch weitergehenden Warenaustausch letztlich auch in China landete, ist ebenso umstritten, bzw. nicht bewiesen. Belastbare Bewegungsbilanzen bestehen dazu nicht. Der entgegen gerichtete Goldstrom ist dabei regelmäßig nicht berücksichtigt, müsste aber in diesem Edelmetall-Verschiebebahnhof, dem Wirkungen auf die Realwirtschaften unterstellt werden, berücksichtigt werden.

(5.) Studien gehen auch davon aus, dass die Masse gehortet wurde. Was also stimmt hier? Die Fehlertoleranzen sind beachtlich - es gibt Abschätzungen des gesamten chinesischen Stocks Mitte des 19. Jhdts. (nach über 3 Jhdt. japanischer und amerikanischer Importe) von ca. 20.000 To. bis 40.000 To. Wenn schon das Wachsen der Realwirtschaft strittig ist, dann erst recht der Zusammenhang eines (unterstellten) Wachstums mit den dem Bedarf an Silberimporten.

(6.) volle Zustimmung.
 
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