Alexander I.

excideuil

unvergessen
Mich haben einmal die Motivation und die Ziele Alexander I. interessiert, Ende des Jahres 1812 nach der Niederlage Napoleons den Krieg nach Europa zu tragen (und natürlich was daraus wurde):

Napoleon war geschlagen aber nicht besiegt aber auch der Zar hatte hohe Verluste erlitten.

Gegen einen weiteren Krieg sprach der Zustand der Armee und die Tatsache, dass nach Lage der Dinge die Früchte eines weiteren Krieges vor allem anderen Staaten zugute kommen würden.

Für einen weiteren Krieg sprach die Gewissheit, dass Napoleon alles daran setzen würde, eine neue Armee aufzustellen und da war es besser, dem Gegner zuvorzukommen.

Die Möglichkeit eines Friedens oder Vertrages verbot sich, da der Zar sich der Erfahrungen, die er mit der Vertragstreue Napoleons gemacht hatte, erinnerte und er durch einen Separatfrieden mit Frankreich Gefahr lief, die Unterstützung Großbritanniens zu verlieren.

Noch weitere Gründe sprachen dafür:

Ein Grund ist im Charakter und den Visionen des Zaren zu suchen. Die Einnahme Moskaus hatte auch bei ihm Spuren hinterlassen:
„Eine Deutungstradition will, dass der Zar, von persönlicher Rachsucht getrieben, Napoleon den Vertragsbruch und vor allem die Einnahme Moskaus dadurch heimzahlen wollte, dass er in die französische Hauptstadt einmarschierte und dem Kaiser der Franzosen dort den Frieden diktierte.“ [1]

Zudem war seine Autorität als Herrscher in die Krise geraten. Seine Schwester Katharina schrieb ihm am 6.September 1812:
„Die Einnahme Moskaus hat die Erregung auf die Sitze getrieben; die Unzufriedenheit hat ihren höchsten Punkt erreicht, und ihre Person wird keineswegs geschont. Wenn das schon mir überbracht wird, dann urteilen Sie selbst über die wirkliche Stimmung. Man klagt Sie offen an, Ihr Reich ins Unglück gestürzt und den allgemeinen Zusammenbruch herbeigeführt, schließlich die Ehre des Landes und Ihre persönliche Ehre zugrundegerichtet zu haben. [2]

Was lag also näher als mit einem außenpolitischen Erfolg, sprich territorialen Gewinn die eigene innenpolitische Stellung zu befestigen:

„Die machtpolitische Interpretationslinie hebt auf das Bestreben Alexanders ab, territorialen Gewinn und eine Ausweitung der russischen Machtsphäre zu erlangen. Nachdem der Zar im Jahre 1809 Finnland erworben hatte, suchte er dem russischen Reich nunmehr in der Tat das Großherzogtum Warschau einzuverleiben. Schon durch den Gewinn dieses Gebietes allein würde der politische Einfluss Russlands in Mitteleuropa beträchtlich zunehmen. [3]

Um diese Eroberung dauerhaft zu sichern, war es notwendig, die ehemaligen Besitzer Preußen und Österreich aus der Allianz mit Frankreich zu lösen und ihre Entschädigung an anderer Stelle Europas zu suchen. Das bedeutete, dass Napoleon wenigstens bis zum Rhein zurückgedrängt werden musste:
„So ergab sich aus dem Streben des Zaren nach Gebietsgewinn in Polen der Zwang, den Krieg nach Deutschland hineinzutragen, und Alexander musste, ob er nun an seine welthistorische Mission glaubte oder nicht, schon um der Erwerbung des Großherzogtums Warschau willen versuchen, Deutschland von der Herrschaft Napoleons befreien.“ [4]

In der Folge erleben wir Kalisch, Trachenberg, Leipzig.
Aber:
"Als Alternative für die physische Beseitigung der französischen Macht wollte der Zar sich auf zweierlei Wege sich Sicherheit verschaffen: durch einen Vertrag, demzufolge die Verbündeten Napoleon von allen Lösungen jenseits der französischen Grenzen ausschließen sollten, und durch die Berufung des früheren napoleonischen Marschalls Bernadotte, des jetzigen Prinzregenten von Schweden, auf den französischen Königsthron, falls Napoleon gestürzt werden sollte. Der Zar bewies somit, dass er nicht nur mystisch, sondern auch schlau war. Die Verweigerung einer Stimme an Frankreich in europäischen Angelegenheiten hätte dieses auf diplomatischen Weg ausgeschaltet. Die Inthronisierung Bernadottes als König von Frankreich hätte im Ergebnis die alte französisch-russische Allianz neu entstehen lassen, in der Russland der beherrschende Teil gewesen wäre.“ [5]

Das, was Kissinger als schlau bezeichnet, hatte natürlich Reaktionen:

„Zwischen dem 18. und 22. Januar (1814) besprachen Castlereagh und Metternich mehrfach das Schicksal der Koalition. Mit Erstaunen erfuhr Castlereagh von den Plänen des Zaren betreffs Bernadotte. Bezeichnenderweise beschäftigte ihn dabei nicht in erster Linie deren Auswirkung auf das europäische Gleichgewicht, sondern auf die Fortsetzung des Krieges: „Wenn nichts anderes Schlimmes noch auf dem Spiel stünde, würde das alliierte Heer gewiss dadurch gelähmt werden. Ich habe Grund anzunehmen, dass die österreichischen Truppen nicht weiter vorrücken werden, bis diese Absicht fallen gelassen ist …““ [6]

Castlereaghs Sicht aus der Perspektive der Insellage Englands ist naturgemäß eine andere als die des mit der kontinentalen Machtlage viel besser vertrauten Metternich. Er sorgte nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Napoleon dafür, dass Frankreich als Staat auch weiterhin Bestand haben würde und damit ein Gegengewicht gegen Russland bilden konnte.

Erstaunlich ist, dass Alexander sich nie seine Wünsche in Bezug auf Polen zu einer machbaren Zeit (vor Einzug in Paris) in einem Vertrag bestätigen ließ, weil während des Krieges hätte man ihm dieses Ziel kaum streitig machen können.

Er war als erster Herrscher in Paris, musste mit ansehen, dass seine Hoffnung Bernadotte wie eine Seifenblase zerplatzte.
Polen sorgte auf dem Wiener Kongress für politische Spannungen und sogar für (rhetorisches) Säbelgerassel.

In der Summe ist festzustellen, dass sich das Bild des Befreiers relativiert, im handeln eines Herrschers wohl auch immer Eroberungsdenken festzustellen ist, das internationalen Sicherheitsinteressen zuwider läuft. Umso wichtiger erscheint mir das Vorhandensein von Realpolitikern zu sein, die diesen Bestrebungen Widerstand entgegensetzen. Es ist daher vor allem Realpolitikern wie Castlereagh, Metternich und auch Talleyrand zu danken, dass nach dem Wiener Kongress einige Jahrzehnte allgemeiner Frieden in Europa herrschte.

Was meint Ihr?

Grüße
excideuil

[1] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001, Seite 44
[2] [1] Seite 45
[3] [1] Seite 46
[4] [1] Seite 47
[5] Kissinger, Henry A.: Das Gleichgewicht der Großmächte Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 – 1822, Manesse Verlag, Zürich, 1986, Seite 213
[6] [5] Seiten 216-217
 
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