Bonaparte, ein Mörder und Kriegsverbrecher?

excideuil

unvergessen
Vor kurzem habe ich das Buch von Zamoyski [1] zum Feldzug in Rußland gelesen und war wieder einmal erschüttert über die unsäglichen Leiden und Verbrechen, die ein solcher Krieg mit sich bringt.
Mir ist klar, dass die Beurteilung, Bewertung und Ahndung von solchen Verbrechen früher anderen Rechtsgrundsätzen unterlag als dies heute der Fall ist.

Eine andere Qualität stellt wohl die Erschießung der Gefangenen von Jaffa (1799) dar. Der Dichter und Politiker – ja, er war auch einmal Außenminister – Vicomte de Chateaubriand schreibt zu diesem Thema folgendes:

„Jaffa wird genommen. Nach dem Sturme ergab sich ein Teil der Besatzung, von Bonaparte zu zwölfhundert, von anderen zu zwei- bis dreitausend Mann angegeben, und es wurde ihnen Gnade zugesichert; zwei Tage später befahl Bonaparte, sie niederzumachen.
Napoleon leugnet diesen Mord nicht, aber er schiebt die Schuld auf die Lage, in der er sich befand. Er konnte die Gefangenen so wenig ernähren , als das sie unter Bedeckung nach Ägypten schicken; sie auf Ehrenwort in Freiheit zu setzen, war ebenfalls nicht möglich, denn sie hätten gar keinen Begriff von einem solchen Versprechen und von diesem europäischen Verfahren gehabt. „Wellington würde an meiner Stelle ebenso gehandelt haben wie ich“ sagte er.
Waren den die Massaker nötig zur Rettung unserer Armee? Wusste Bonaparte nicht, mit welcher Leichtigkeit eine Handvoll Franzosen die Streitkräfte des Paschas von Damaskus besiegte? Vernichtete er nicht bei Abukir mit einigen Reitern dreizehntausend Osmanlis? Überwand nicht Kleber später den Großwesir und seine Myriaden Mohammedaner? Wenn vom Rechte gesprochen wird, welches Recht hatten die Franzosen, Ägypten mit Krieg zu überziehen? Warum ermordeten sie Menschen, die sich nur des Rechtes der Verteidigung bedienten? Auf die Gesetze des Krieges aber konnte sich Bonaparte nicht stützen, da die Gefangenen in Jaffa die Waffen gestreckt hatten und ihre Unterwerfung angenommen war. Bonaparte wusste recht wohl, was Recht war, aber er lachte darüber; er bediente sich der Wahrheit, wie er sich der Lüge bediente; er hatte nur das Resultat im Auge, das Mittel war ihm gleichgültig. Die Menge der Gefangenen setzte ihn in Verlegenheit, also ermordete er sie. [2]

Die Aussagen des Vicomte legen nahe, dass die Handlungsweise Bonapartes auch zu seiner Zeit kriegs- und völkerrechtlich betrachtet ein Kriegsverbrechen und Mord darstellte/darstellen konnte.
Frappant ist, dass er Bonaparte sowohl als Mörder sieht als auch als einen Rassisten, der sich das Recht anmaßt, die dortige Bevölkerung als Barbaren zu betrachten, die eine Behandlung nach europäischem Recht nicht notwendig macht. Schlussendlich sieht er in Bonaparte einen Mann, dem jedes Mittel (Verbrechen) recht ist, um seine Ziele zu erreichen.

Was sagte Bonaparte selbst zu den Vorwürfen:

Bei Wencker-Wildberg [3] heißt es im Text dazu:
„Die Division Bon, die den Auftrag erhalte hatte, auf dem rechten Flügel einen Scheinangriff zu machen, erstieg die Mauern mittels Leitern, sobald die Belagerten in Unordnung geraten waren. Die Wut der Soldaten hatte ihren Höhepunkt erreicht; sie ließen alles über die Klinge springen; die Stadt wurde geplündert und erlitt alle Gräuel, die einer mit Sturm genommenen Festung widerfahren können. Endlich gegen Mitternacht wurde ein Generalpardon verkündigt, von dem nur die wortbrüchigen Kapitulanten von Kalaat-el-Arisch ausgenommen wurden…
Die Anzahl der Gefangenen betrug 2500 Mann, darunter 800 – 900 Mann der Besatzung von Kalaat-el-Arisch. Diese, die vorher geschworen hatten, binnen Jahresfrist nicht nach Syrien zurückzukehren, waren nur drei Tage lang in der Richtung auf Bagdad marschiert, dann aber abgeschwenkt und hatten sich in die Festung Jaffa begeben.
Sie hatten also ihren Eid gebrochen und wurden sämtlich erschossen. Die übrigen Gefangenen wurden mit den eroberten Fahne und anderen Siegeszeichen nach Ägypten geschickt.“ [3]

Bonaparte steht zu der Erschießung, reduziert sie auf 800-900 Eidbrüchige, sieht sich damit im Recht. Fraglich aber, ob eine solche Erschießung ohne ordentliches Militär- oder Kriegsgericht rechtes ist. Sehr fraglich, wie denn die Identifikation der Eidbrüchigen erfolgt sein soll!

In den Anmerkungen dazu heißt es:

„Die Erschießung der Gefangenen von Jaffa, die zum großen Teil aus der wortbrüchigen Garnision von Kalaat-el-Arisch bestanden, bot den Gegnern Napoleons willkommenen Anlass zu schärfster Kritik. [3]

Von der Kritikerschelte abgesehen, wird hier schon Bonaparte widerlegt, der im Text behauptete, nur die Eidbrüchigen erschossen zu haben.

„Um den Fall objektiv zu betrachten, muss man sich die schwierige Lage vergegenwärtigen, in die Napoleon sich durch diesen plötzlichen Zuwachs an Essern versetzt sah, deren Zahl (3000 Mann) entsprach. [3]

Das Argument kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ich als Militär eine Festung erobere, muss ich nicht zwangsläufig damit rechnen, dass nach der Eroberung „zusätzliche Esser“ vorhanden sind? Es sei denn, ich habe nicht die Absicht, Gefangene zu machen!

„Eine großmütige Geste gegenüber den Gefangenen von Jaffa hätte ihm (Bonaparte) also auch in dem Lager des Seraskiers Achtung und Gegenliebe erringen können – wenn sein Gegner Djezzar Pascha nicht ein Barbar und asiatischer Despot gewesen wäre, der sich um keine Gesetze des Völker- und Kriegsrechts kümmerte. So ließ er nicht nur Napoleons verschiedene Briefe unbeantwortet, sondern auch den Parlamentär, der nach Jaffa geschickt wurde, um den Pascha im Auftrag Bonapartes zur Übergabe aufzufordern, gegen jeden Brauch hinrichten und den Kopf des Unglücklichen auf einer Lanze von den Wällen herab höhnisch den Franzosen zeigen. Gefangene machte Djezzar Pascha überhaupt nicht; wer von den Franzosen in die Hände der Türken fiel, wurde erbarmungslos niedergemetzelt. Diese orientalische Art der Kriegsführung musste Napoleons Soldaten aufs äußerste erbittern, zumal sie sahen, auf welch hinterhältige Weise die Großmut ihres Führers von der Besatzung von Kalaat-el-Arisch vergolten wurde.“ [3]

Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob die Aussagen zum Pascha stimmen, kann aus einer solchen Handlungsweise Bonaparte eine Legitimation beanspruchen, – zumal er der Aggressor war - ähnlich „barbarisch“ und verbrecherisch vorzugehen?

„Hätte ich diesen Leuten nochmals das Leben geschenkt und sie wieder auf ihr Ehrenwort entlassen, so hätten sie sich sofort nach Akka begeben und es wäre nochmals geschehen, was sich hier ereignet hatte. Aus Gerechtigkeit gegen meine eigenen Soldaten und weil jeder Heerführer sich als Vater seiner Soldaten und diese als seine Kinder betrachten soll, durfte ich dies nicht hingehen lassen,“ sagte Napoleon am 21. Januar 1817 zu Dr. O’Meara. „Einen Teil meiner ohnehin schon stark zusammengeschmolzenen Armee als Wache für die Wortbrüchigen abzugeben, war unmöglich. Hätte ich anders gehandelt, als ich es tat, so hätte ich wahrscheinlich den Untergang meiner ganzen Armee verschuldet. Ich machte also Gebrauch von dem im Krieg geltenden Recht, Soldaten, die unter solchen Umständen in Gefangenschaft geraten, erschießen zu lassen. Ich befahl, dass von der türkischen Garnison von Jaffa diejenigen, die ich in Kalaat-el-Arisch zu Gefangenen gemacht hatte und trotz ihres gegebenen Wortes in Waffen gegen mich wieder fand, erschossen würden. Alle übrigen – es war noch eine beträchtliche Zahl – blieben am Leben. Ich würde das, was ich damals tat, befände ich mich heute in derselben Lage, wieder tun. Und ebenso würde auch Wellington und jeder andere General unter ähnlichen Umständen gehandelt haben“ [3]

Kann das glaubhaft sein? Napoleon hebt wieder nur auf die „Wortbrüchigen“ ab und wollte wohl glauben machen, dass eine Verschonung der „Wortbrüchigen“, also 800 -900 Mann, eine Katastrophe für die Armee bedeutet hätte?
Auch stellt sich mir die Frage, ob es zu der Zeit dieses Recht (von mir im Text hervorgehoben) gab, auf welches Napoleon abhebt?

Was schreiben die Biografen:
Mereschkowskij:
„“Am 25. Februar waren sie in Gaza, der ersten palästinischen Stadt; am 6. März nahmen sie Jaffa, wo sie 2000 gefangene Arnauten erschießen mussten. „Noch nie ist der Krieg mir so gemein erschienen!“ schrieb Bonaparte an das Direktorium.“ [4]

Manfred:
„Bei der Einnahme Jaffas plünderten die Franzosen die Stadt und behandelten die Besiegten äußerst grausam.“ [5]

Dufraisse:
„Gaza ergab sich kampflos, Jaffa von den Mamelucken energisch verteidigt, wurde am 7. März erobert; dabei wurden 2000 türkische Soldaten und zahlreiche Zivilisten niedergemetzelt.“ [6]

Tulard:
„Gaza (wo 2000 Türken niedergemacht wurden) und Jaffa wurden ohne Schwierigkeiten genommen.“ [7]

Bis jetzt nicht sehr ergiebig, wobei mich die Aussagen von Dufraisse und Tulard schon etwas wundern, aber mehr dazu weiter unten.

Cronin:
„Dann setze N. den Marsch fort und erstürmte am 7. März Jaffa. Dort nahm er 4000 Türken gefangen, unter ihnen mehrere hundert der in Gaza auf Ehrenwort freigelassenen.
N. stand nun vor einer schweren Entscheidung. Er konnte die türkischen Gefangenen in Gewahrsam behalten, aber wie sollte er sie ernähren? Seine eigenen Leute führten, an die 500 km von ihrem Stützpunkt Kairo entfernt, nicht einmal Zwieback genug für sich selbst mit, und in der Wüste war zusätzliche Nahrung nicht aufzutreiben. Er konnte andererseits die Gefangenen freilassen, aber nun hatte er die Gewissheit, dass sie sich der türkischen Hauptarmee anschließen und die Zahl eines ohnehin stark überlegenen Feindes vermehren würden. Entweder mussten also die Türken verhungern, oder er musste ein zweites Mal gegen sie kämpfen – und franz. Blut opfern. Er scheute sich, die Verantwortung allein zu übernehmen, und tat, was er bis dahin noch nie getan hatte: er rief seine ranghöchsten Offiziere zu einem Kriegsrat zusammen. Sie besprachen sich zwei Tage lang. Die Mehrheit sah nur einen Ausweg: man musste die Gefangenen erschießen. So furchtbar diese Lösung war, man fand, dass sie verglichen mit den beiden anderen Möglichkeiten das geringere Übel darstellte. Napoleon gab die nötigen Befehle, und am 10. März wurden die Türken erschossen.“ [8]

Da stellt sich mir die Frage, scheute er die nur die alleinige Verantwortung – die er so oder so gehabt hätte - oder wollte er seine Unterführer zu Mitwissern und -tätern machen, damit sie ihn später nicht anklagen konnten?
 
Ähnlich schreibt Emil Ludwig, er fügt noch hinzu:
„Viele Militärkritiker, besonders die deutschen, haben diese Handlung als unausweichlich später gebilligt.“ [9]

Bei Tarlé ergibt sich ein neuer, bereits vermuteter Aspekt:
„Nach einiger Zeit, als Niedermetzelung und Plünderung zu Ende gingen, wurde General B. gemeldet, dass sich 4000 unverletzte türkische Soldaten in voller Bewaffnung, zum größten Teil Albaner, in einer geräumigen, von allen Seiten gut geschützten starken Stellung verschanzt hätten. Als franz. Offiziere mit der Aufforderung an sie herantraten, sich zu ergeben, wenn man ihnen ihr Leben zusichere; andernfalls würden sie bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Franz. Offiziere versprachen ihnen das Leben; die Türken kamen aus ihrer befestigten Stellung heraus, legten die Waffen nieder und wurden gefangen genommen. General B. geriet in Wut darüber. Seiner Meinung nach war es völlig überflüssig gewesen, den Türken dieses Versprechen zu geben.“ [10]

Bonapartes Wut gibt wohl Anlass zu der Annahme, dass er nicht die Absicht hatte, Gefangene zu machen. Und die Erschießung selbst ist ein Bruch einer Zusage.

Herold:
„Zwei- bis dreitausend Türken, die sich in der Zitadelle hielten, ergaben sich sich anderentags, auf das Versprechen hin, verschont zu bleiben; im verlauf der drei folgenden Tage wurden sie an den Strand geschleppt und füsiliert, mit dem Bajonett erstochen oder auch ertränkt. „Unter den Opfern“, berichtet ein franz. Augenzeuge, „entdeckten wir zahlreiche Kinder, die sich im Todeskampf an ihre Väter geklammert hatten.“ Das widerwärtige Gemetzel war von Bonaparte persönlich angeordnet worden…“ [11]

Damit dürfte wohl die Rechtfertigung Bonapartes, es hätte sich nur um die „Eidbrüchigen“ gehandelt, endgültig ad acta gelegt werden können.

Fournier:
„Als sich tags darauf zwei Adjutanten Bonapartes zeigen, bieten ihnen die Eingeschlossenen, gegen Zusicherung ihres Lebens, ihre Ergebenheit an, und die Offiziere gehen, ohne weitere Ordre zu holen, darauf ein, zum nicht geringen Verdruss des Obergenerals, dem die große Zahl Verlegenheit schafft.“

In den Anmerkungen findet sich Bemerkenswertes:
„Die Geschichtsschreibung hat diesen grausamen Akt zumeist verurteilt; militärische Schriftsteller haben ihn – insbesondere als Abschreckungsmittel, als das er gedacht war – für gerechtfertigt erklärt. Aber auch nur insoweit, als es sich dabei bloß um die Garnison von Jaffa handelte. Diese soll es jedoch nicht allen gewesen sein, die über die Klinge springen musste. Ein Stabsoffizier des Expeditionsarmee erzählt: „Die Gefangenen von El Arisch waren gegen die Kapitulationsbedingungen mitgeschleppt worden. B. fürchtete, sie möchten statt nach Bagdad nach Jaffa oder Akka gehen uns seine Feinde zu verstärken. Nach der Erstürmung Jaffas begannen die Milizen unruhig zu werden und zu murren. Sie meinten, jetzt habe B. ohnehin nicht mehr zu fürchten, dass sie sich nach Jaffa wenden, er möge sie, der Kapitulation gemäß, nach Bagdad marschieren lassen. B. konnte sich nicht entschließen und da er ohnehin beschlossen hatte, sich der bei (!) Jaffa gemachten Gefangenen zu entledigen, ließ er heimlich die Gefangenen von El Arisch unter jene mengen und alle zusammen am 10. März (es war der 9.) ermorden“ (Jahrbücher f.d. Armee und Marine, XXXVI. 141.)
Ein zweiter Augenzeuge, Vigo Roussillon, erzählt nämlich gleichfalls, die gefangene Garnison von Jaffa habe, „zusammen mit der von El Arisch, die wir hinter uns hergeführt hatten, den Tod erlitten“. (Revue d.d. mondes v.100,p. 604)
Andere vertrauenswürdige Augenzeugen, wie z.B. der Genieoffizier Detroye, aus dessen Tagebuch Waas in der Hist. Vierteljahrschrift, 1903, Mitteilung machte, erwähnten nichts von den Gefangenen von El Arisch. Malus in seiner Agenda (p.123) sagt, man habe sich ihnen gegenüber zwar perfid benommen, indem man sie, gegen die Zusage nicht freigab, sie seien aber sämtlich bei guter Gelegenheit entwischt. Und so dürfte es wohl gewesen seien. Dass sie dann doch die Garnison in Jaffa verstärkten, hält übrigens ein Brief General Bertrands aus späterer Zeit (1829) fest, in dem es heißt: „Einer der Beweggründe für die blutige Exekution der Gefangenen von Jaffa war die Besorgnis, sie später in Akka wieder zu finden, um sie ein drittes Mal bekämpfen zu müssen, nachdem man sie bereits in El Arisch und in Jaffa zur Waffenstreckung gezwungen hatte. (Feuilles d’histoire, 1909, p. 73)“ [12]

Ob nun bis Jaffa mitgeführt oder entwichen, es ist wohl so, dass die Franzosen, besser B. sein Wort nicht hielt.

Herre:
„Nach der Einnahme der Stadt ließ B. niedermachen, was sich ihm entgegenstellte, auch diejenigen, die sich ergeben hatten. Einige tausend Kriegsgefangene wurden an den Strand geführt, teils erschlagen, teils ins Meer gejagt. Er habe nicht gewusst, wie er sie ernähren und bewachen sollte, suchte N. dieses Kriegsverbrechen zu rechtfertigen.“ [13]

Ich fasse einmal zusammen:
Bonaparte nahm El Arisch ein, sicherte den sich gefangen gebenden Verteidigern freies Geleit nach Bagdad. Er hielt sein Wort nicht, er führte die Gefangenen mit sich Richtung Jaffa. Egal ob geflohen oder bis nach Jaffa gebracht, der Wortbruch B. ist wohl erwiesen. In Jaffa ergibt sich die Besatzung der Zitadelle gegen die Zusage franz. Offiziere auf Erhalt des eigenen Lebens. B. gerät darüber in Wut, ist in Verlegenheit, was die Annahme zulässt, dass es nicht seine Absicht war, Gefangene zu machen.
Er beruft – zum ersten Mal – einen Kriegsrat ein. Er ist sich sicherlich bewusst, dass die Erschießung Mord – ein Kriegsverbrechen - ist; mit der Einbeziehung seiner Unterführer in die Entscheidung macht er sie zu Mitwissern und zu Mittätern.
Die Erschießung der Gefangenen – wieder ein Wortbruch - erfolgte aus strategischer Sicht in Richtung Akka.
Die bei Wencker-Wildberg dokumentierte offizielle Darstellung sucht in der orientalischen barbarischen Kriegsführung, also auch in dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Vergleich Gründe, um die Verbrechen des Generals zu bemänteln und zu rechtfertigen.

Damit gebe ich Chateaubriand Recht. Ich mag damit daneben liegen, die Kenner des Kriegs- und Völkerrechts dieser Zeit sind dann gefragt, mich eines besseren zu belehren.

Erstaunlich ist für mich, dass so wenige das Kind beim Namen nennen: Bonaparte ein Mörder, ein Kriegsverbrecher! Die Franzosen sich sogar völlig zurücknehmen, das Thema so gar kein Interesse hervorrufen zu scheint.
Eine Erklärung liefert Presser:

„Der erste „Zwischenfall“ findet in Jaffa statt. Die Stadt wird im Sturm genommen, und die Gräuel der Vergewaltigung, des Mordes und der Plünderung zeigen den Gelehrten ihren Mitbruder Bonaparte in anderem Licht. Aber damit nicht genug. Er hat ein paar tausend türkische Gefangene, die er in den Dünen südlich der Stadt pelotonweise erschießen lässt. Diese Tatsache wird nirgends geleugnet. Bis hin nach Sankt Helena ist Napoleon immer wieder darauf zurückgekommen und hat zur Entschuldigung angeführt, er habe diese Menschen weder ernähren noch freilassen können, also … Man kann das unterschreiben, aber dann möge man sich Rechenschaft über die Tatsache geben, dass in Madelins 16teiligem Werk, ein Konvolut von mehreren tausend Seiten, die widerwärtige Abschlachtung verschwiegen wird, während uns wiederum ein Bonaparte gezeigt wird, der sich mit einem Heldenmut ohnegleichen unter die Pestkranken mischt.“ [14]

Ähnlich argumentiert Willms:
„Das zeigt … das Massaker an über viertausend osmanischen Gefangenen, mit dem die franz. Truppen, nachdem sie im eroberten Jaffa eine Nacht und einen Tag lang barbarisch gehaust hatten, auf Befehl B. am 8. März 1799 begannen. Vom Makel, den er damit auf sich geladen hatte, suchte er sich auf seine Weise zu befreien: Sein Besuch bei den Pestkranken im Lazarett von Jaffa, der unmittelbar nach der Beendigung dieser Massenabschlachtung wehrloser Menschen stattfand, verfehlte weder auf die Gemüter der Zeitgenossen noch der Nachgeborenen die von ihm kalkulierte Wirkung… [15]

Der Mord fand 1799 statt. Im gleichen Jahr übernahm Bonaparte die Macht in Frankreich. … In der Folge wurden durch Kriege revolutionäre Ideen über Europa gebracht…

Welche historische Katastrophe bedeutet es für die Franzosen, wenn sie sich zugeben müssten, dass ihre Vorfahren einem Mörder und Kriegsverbrecher „nachgerannt“ sind, er sich im Land der Aufklärung und der Großen Revolution zum Kaiser aufschwingen konnte? Welche Katastrophe bedeutet es, wenn nicht nur in Frankreich deutlich würde, dass für die Veränderungen auf dem Kontinent ein – sicherlich hochintelligenter Militärstratege – aber ein im Grunde skrupelloser Abenteurer verantwortlich ist?

Grüße
excideuil

[1] Zamoyski, Adam: 1812, Napoleons Feldzug in Russland, C.H. Beck, München, 2012 (2004)
[2] Chateaubriand, François-René: „Napoleon“, Rösl & Cie., München, 1920, Seiten 61-62
[3] Wencker-Wildberg, Friedrich: „Napoleon – Die Memoiren seines Lebens“, Gutenberg-Verlag Christensen & Co., Wien, Hamburg, Zürich, o. J, Bd. III, Seiten 44-46
[4] Mereschkowskij, D.: „Napoleon – Sein Leben – Der Mensch“, Verlag von Th. Knaur Nachf., Berlin, 1928, Seite 87
[5] Manfred, A.S.: „Napoleon Bonaparte“, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1978, Seite 201
[6] Dufraisse, Roger: „Napoleon – Revolutionär und Monarch“, C.H. Beck Verlag, München, 1994, Seite 40
[7] Tulard, Jean: Napoleon oder der Mythos des Retters, Wunderlich, Tübingen, 1978, Seite 110
[8] Cronin, Vincent: “Napoleon – Stratege und Staatsmann”, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1997, Seite 206
[9] Ludwig, Emil: „Napoleon“, Ernst Rowohlt Verlag, Berlin, 1925, Seite 138
[10] Tarlé, Eugen: „Napoleon“, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1972, Seite 78
[11] Herold, Christopher: Der korsische Degen – Napoleon und seine Zeit, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1968 (1966), Seite 77
[12] Fournier, August: „Napoleon I., Emil Vollmer (Phaidon Verlag), Essen, 1996, Nachdruck der Ausgabe Wien 1922, Bd. 1, Seiten 176-177
[13] Herre, Franz: „Napoleon Bonaparte – Wegbereiter des Jahrhunderts“, C. Bertelsmann Verlag, München, 1989, Seite 79
[14] Presser, Jacques: „Napoleon – Die Entschlüsselung einer Legende“, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1979, Seite 58
[15] Willms, Johannes: „Napoleon“, Pantheon, München 2009, (2005), Seite 180
 
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Interessante Fakten und Informationen! Beim Lesen sind mir jedoch eine Reihe von Fragen gekommen.

Die Darstellung zielt darauf ab, Napoleon als einen vorsätzlichen und kaltblütigen Mörder darzustellen. Ich kann dieser Argumentation insoweit folgen als Napoleon ein bedingungsloser Machtmensch war, dem zur Erreichung seiner persönlichen Ambitionen jedes Mittel Recht war.

Die einzelnen dargestellten Fälle kann ich nicht beurteilen, welche mehr oder minder subjektiv als zwingend wahrgenommenen Gründe für sein Verhalten angeführt werden können. Die Rahmenbedingungen für sein Verhalten sind mir ein wenig zu kurz gekommen, um den Ermessensspielraum deutlicher zu illustrieren.

Aus der Darstellung ergibt sich für mich nicht die "Zweckrationalität des Verhaltens" von Napoleon. War es wirklich nur "Mordgier", wie angedeutet, oder lassen sich Argumente anführen, die aus den spezifischen Bedingungen des Kampfplatzes resultieren. Wie beispielsweise die Versorgung von Gefangenen mit Lebensmitteln und Wasser etc., die die Durchführung seiner eigenen Ziele behindert hätten.

Interessant wäre zudem die Frage, ob kulturelle Ressentiment eine Rolle bei der Entscheidung von Napoleon gespielt haben und die Bereitschaft gefördert haben, so rücksichtslos zu agieren. Die Fragestellung erscheint vor dem Hintergrund späterer Exzesse im Kolonialbereich durch fast alle Kolonilamächte durchaus relevant.

Stutzig macht mich die Einordnung von Napoleon als "Mörder" insofern, als er in der Folge während seiner Feldzüge zwar über hunderttausende von Toten gegangen ist und das Individuum wenig gezählt hat, aber das spezifisch pathologische im Sinne von Kriegsverbrechen, wie oben dargestellt, m.E. nicht zu erkennen ist.

Eine weitere historische Linie wäre die Betrachtung der Handlungsweise von Feldherren im allgemeinen. Betrachten wir Cäsar (Alesia & Bürgerkrieg), Tilly (Magdeburg) und Napoleon (Agypten-Feldzug) in vergleichender Perspektive dann ergibt sich als gemeinsames Merkmal ein sehr instrumentelles Verhältnis zur Gewalt, das exzessiv eskaliert.

Was ich damit sagen will ist, dass pathologisches Verhalten bereits im Krieg als strukturelles Merkmal angelegt ist. Und genau vor diesem Hintergrund der Entfesselung von Hass und Brutalität ist m.E. ja auch der Versuch zu sehen, durch Gesetze die schlimmsten Exzesse zu verhindern.

Das ist keine Entschuldigung für das Verhalten von Napoleon, sondern eher eine grundsätzliche Kritik am Krieg.
 
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Es spricht natürlich für Dich, dass Du diesen Aspekt als zentralen Punkt meiner Argumentation sofort identifiziert hast. :yes:

Aber zu Deiner Beruhigung, es war mir auch aufgefallen und jetzt ist der Ort der richtigen Person zugeordnet.
 
Nun, Gefangene zu töten um sich ihrer zu entledigen gilt zumindest in der Neuzeit als Verbrechen (Magdeburg z,B. wurde so empfunden)
Das Argument der mangelnden Versorgung kann nicht ziehen, denn die wurden ja vorher auch versorgt, es gab Wasser und Lebensmittel für beide Armeen, warum sollte es für Gefangene und eine Armee weniger sein?
Die Gefangenen einfach "nach Hause "zu schicken, war nicht möglich, da die Gefahr einer Wiederbewaffnung etc. bestand, sie in die eigenen Verbände integrieren , war auch nicht möglich, bliebe noch eine Gefangenschaft unter Bewachung bzw ein Einschiffen der Gefangenen nach Frankreich . Beides hätte die Armee entscheidend geschwächt.
Also blieb zum Schutz der eigenen Kräfte nur die Barberei der Ermordung oder die Zurücklassung der Gefangenen ohne jede Versorgung , Waffen und mit unzureichender Kleidung.

Die Alternative wäre die Vernichtung des franz. Expeditionskorps durch "feindliche Maßnahmen" und mangelnde Versorgung gewesen, oder eben der Rückzug aus dem Land.

Eine Erklärung, keine Entschuldigung.
 
Vorab der Dank an excideuil für die interessante Darstellung!

Die "Rechtslage", unter die die Sachverhaltsschilderungen ggf. subsumiert werden können, ist durch den Übergang der Auffassungen im 18. Jahrhundert indessen verworren und unübersichtlich. Auch scheint mir unklar, aus welchen Motiven heraus Napoleon diese offensichtlichen Rechtfertigungsversuche unternimmt.

Die Umbruchszeit des Kriegsrechts läßt sich mit Namen verbinden: Vattel, Moser, Rousseau usw. Hier tauchen Fragen auf, wie das formulierte Kriegsrecht - die Literatur stellt insoweit Axiome auf - tatsächlich anzuwenden ist. Die Behandlung der Kriegsgefangenen ist dabei keine Selbstverständlichkeit, und so finden auch die Forderungen der Philosophen erstmals Eingang in bilaterales Vertragsrecht: im Abkommen Preußen-USA wird ausdrücklich - was somit nicht selbstredend klar zu sein scheint, und zuvor dem Einzelfall oder der (gegenseitigen?) Entscheidung der Parteien unterlag - die humane Behandlung der Kriegsgefangenen verbindlich geregelt. Das man dazu die Notwendigkeit sah, läßt auf einen Regelungsbedarf schließen.

Als Kontext muss man auch den Übergang zu den Massenheeren sehen: neben die "Professionellen" des Krieges traten nun landwehrähnliche Truppen, bewaffnete Zivilbevölkerung usw. Die Anfänge waren unscharf: 1757 verbot ein preußisches Dekret generell alle "Grausamkeiten" im Kriege, worunter man weiter ausgelegt auch die Tötung von Kriegsgefangenen verstehen kann. 1760 erweiterte das Moser, allerdings ausdrücklich (nur!) auf europäische Kriege: dem kapitulierenden Feind sei "Quartier zu geben" und "Kriegsgefangene (seien) am Leben zu lassen". Damit geht er über Vattel hinaus, und das betrifft einen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten vor den Ereignissen Napoleons.

Gefühlt setzte hier also ein Schwenk ein, der sich im preuß.-amerik. Abkommen 1785 und auch im Dekret vom 4.5.1792 der gesetzgebenden Versammlung - hier vor dem Kontext der levée en masse - vollzieht: Kriegsgefangene werden unter die Obhut des Staates gestellt, der ihnen in diesem Kriegsverständnis unter bestimmten Ausnahmen rücksichtsvolle Behandlung zusichert. Die neue Doktrin war allerdings kaum verankert: so wurden solche Bestimmungen zT auch wieder aufgehoben. Volk und Armee verschmolzen im Kriegsfall, humane Rücksichtnahme war nicht einmal auf dem europäischen Kriegsschauplatz selbstverständlich, wie sich kurz nach dem Dekret 1798 gegen Widerstand und in der Behandlung von Gefangenen zeigte:
Kanton Nidwalden Online: Geschichte
Kanton Nidwalden Online: Geschichte

Hinzu kamen "Abgrenzungsprobleme" bei Kombattanten, obwohl gerade Frankreich in der oben vorgenommenen Verschmelzung und der Entwicklung zm Volkskrieg voranschritt: Beispiele für das massenweise Füsilieren von Gefangenen finden sich im spanischen Guerillakrieg 1808 oder gegen Hofers Tiroler 1809. Hier fand man schnell weitere Ausnahmen von den (neuen) Regeln. Auch stellt sich die Frage, ob die russische Praxis des "Quartiers" mit de Veschickung in den Osten und hohen Mortalitätsraten sich wesentlich von dem sofortigen Füsilieren abhebt.

Fraglich erscheint mir, ob sich Napoleon hier tatsächlich von allgemein anerkannten (Kriegs-)Rechtsregeln beindruckt zeigt, oder einem noch diffusen Moralanspruch der Öffentlichkeit oder einem Dekret des eigenen Landes, das jedenfalls für den europäischen Kriegsschauplatz gelten sollte (islamisches Kriegsrecht ist hier noch völlig ausgeblendet), nachkommen wollte. Es war jedenfalls noch ein weiter Weg bis Haag 1907 und Genf 1929.

Noch ein weiterer Hinweis: bereits im 18. Jahrhundert reagierte man zudem sehr empfindlich auf die Praxis, dass Überläufer und Kriegsgefangene die gegnerische Kriegspartei "auffüllten", so etwa nach Festungskapitulationen. Das Humanitätsrecht hatte somit auch die zweite Seite der Medaille, dass diese Praxis unterbunden werden sollte (siehe auch die "Cavaliersparole" bei Gefangennahmen, jedenfalls für Ehrenträger wie Offiziere. Dem Fußvolk konnte man das natürlich kaum abnehmen). Das zeigt aber auch, in welchen Kinderschuhen das "Recht der Kriegsgefangenen" im 18. Jahrhundert steckte.

Buß: Der Kombattantenstatus: die kriegsrechtliche Entstehung eines Rechtsbegriffs und seine Ausgestaltung in Verträgen des 19. und 20. Jahrhunderts
Schmid: Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege.
 
Der Kontext für die Beurteilung seiner Vorgehensweise bleibt weiterhin im Unklaren. Dennoch wird man die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen müssen für die Beurteilung seines Handelns.

Und deswegen ist folgendes Argument inhaltlich auch nicht korrekt.

Das Argument der mangelnden Versorgung kann nicht ziehen, denn die wurden ja vorher auch versorgt, es gab Wasser und Lebensmittel für beide Armeen, warum sollte es für Gefangene und eine Armee weniger sein?

Chandler stellt es anders dar. Massive Wasserprobleme traten bereits bei der Anlandung der französischen Truppen auf und verstärkten sich im Verlauf der Operationen und führten teilweise zu Selbsttötungen bis hin zur Generalität.

Zum Teil ist diese extreme Situation auf fehlerhafte Karten zurückzuführen, die Orte mit Wasserversorgung aufwies, deren Brunnen vertrocknet waren und bereits entvölkert.

Ausgerüstet waren die Truppen mit allem möglichen, hartem Zwieback als Notration aber mit keinen Wasserflaschen. Das führte laut Chandler zu einer Stimmung, die als latenter Aufruhr zu beschreiben war, wenngleich keine offene Meuterei stattfand.

In diesem Sinne kann man durchaus, zumindest für die frühe Phase, von einer extremen Situation für die französische Armee sprechen.

Diese Betrachtung läßt zudem noch außen vor, dass den Franzosen eine Streitmacht gegenüberstand, die mehr als 100.000 Köpfe zählte.
 
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Ausgerüstet waren die Truppen mit allem möglichen, hartem Zwieback als Notration aber mit keinen Wasserflaschen. Das führte laut Chandler zu einer Stimmung, die als latenter Aufruhr zu beschreiben war, wenngleich keine offene Meuterei stattfand.
Weiß man woher der Mangel an Wasserflaschen kam? Sowas ist mir noch nie auf dem europäischen Kriegsschauplatz vorgekommen.
Ich glaube auch mich daran zu entsinnen, dass es spezielle Vorschriften wegen der Wasserflaschen gab.
Wie wurden denn ohne mitgeführtes Wasser überhaupt die Waffen in Schuss gehalten?
 
Weiß man woher der Mangel an Wasserflaschen kam? Sowas ist mir noch nie auf dem europäischen Kriegsschauplatz vorgekommen.

Bei Chandler und Elting habe ich keine Hinweise als Erklärung gefunden. Aber ich suche noch mal in Richtung Logistik.

Swords Around A Throne - John R. Elting - Google Books

Allerdings schreibt Chandler, dass für die Sinai-Expedition Anfang 1799 zusätzlich Dromedare, jede Division über ein Maulesel-Transport-Abteilung und jeder Mann über einen Leder-Wasser -Beutel verfügte.

In diesem Sinne hat sich im Verlauf der Kampagne die Versorgung verbessert, seit dem schwierigen Beginn.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vorab der Dank an excideuil für die interessante Darstellung!
Da schließe ich mich an!!!

Und Danke auch für die anderen informativen Beiträge!!

eine Frage hierzu: ist denkbar, dass man - je weiter man in ferne bzw. exotische Gebiete kam - im späten 18. und frühen 19. Jh. brutaler vorging? Oder gab es in den napoleonischen Kriegen innerhalb Europas, also quasi unter "direkter Beobachtung", vergleichbare Massaker an Gefangenen?

auf jeden Fall erscheint mir diese Beschreibung (ich zitiere sie aus excideuils Beitrag) für das späte 18. Jh. ungeheuer krass:
"Herold:
„Zwei- bis dreitausend Türken, die sich in der Zitadelle hielten, ergaben sich sich anderentags, auf das Versprechen hin, verschont zu bleiben; im verlauf der drei folgenden Tage wurden sie an den Strand geschleppt und füsiliert, mit dem Bajonett erstochen oder auch ertränkt. „Unter den Opfern“, berichtet ein franz. Augenzeuge, „entdeckten wir zahlreiche Kinder, die sich im Todeskampf an ihre Väter geklammert hatten.“ Das widerwärtige Gemetzel war von Bonaparte persönlich angeordnet worden…“ [11]
massenweise füsilieren, erstechen und auch noch ertränken ist schon haarsträubend barbarisch!...
 
Natürlich wie wahrscheinlich die Hälfte der Personen über die wir in diesem Forum reden.
 
Zunächst ein Danke in die Runde für die interessanten Beiträge!
Die Darstellung zielt darauf ab, Napoleon als einen vorsätzlichen und kaltblütigen Mörder darzustellen. Ich kann dieser Argumentation insoweit folgen als Napoleon ein bedingungsloser Machtmensch war, dem zur Erreichung seiner persönlichen Ambitionen jedes Mittel Recht war.

Die einzelnen dargestellten Fälle kann ich nicht beurteilen, welche mehr oder minder subjektiv als zwingend wahrgenommenen Gründe für sein Verhalten angeführt werden können. Die Rahmenbedingungen für sein Verhalten sind mir ein wenig zu kurz gekommen, um den Ermessensspielraum deutlicher zu illustrieren.

Aus der Darstellung ergibt sich für mich nicht die "Zweckrationalität des Verhaltens" von Napoleon. War es wirklich nur "Mordgier", wie angedeutet, oder lassen sich Argumente anführen, die aus den spezifischen Bedingungen des Kampfplatzes resultieren. Wie beispielsweise die Versorgung von Gefangenen mit Lebensmitteln und Wasser etc., die die Durchführung seiner eigenen Ziele behindert hätten.
Ich habe ein Zitat von Chateaubriand gewählt und versucht, dies mit den mir zur Verfügung stehenden Quellen zu belegen. Mir ging es nicht darum, N. Mordgier zu unterstellen, sondern darum, dass er in dieser konkreten Situation die Entscheidung fiel, Tausende zu ermorden. Und die Diskussion gibt mir ja nicht unrecht:
Das Argument der mangelnden Versorgung kann nicht ziehen, denn die wurden ja vorher auch versorgt, es gab Wasser und Lebensmittel für beide Armeen, warum sollte es für Gefangene und eine Armee weniger sein?
Eine Position, der ich nur zustimmen kann. Ein gut vorbereiteter Feldzug, eine gut ausgerüstete Truppe mit guter Organisation des Nachschubes leidet keinen Mangel ... es sei denn ...
Wenn ich dann lese:
Chandler stellt es anders dar. Massive Wasserprobleme traten bereits bei der Anlandung der französischen Truppen auf und verstärkten sich im Verlauf der Operationen und führten teilweise zu Selbsttötungen bis hin zur Generalität.

Zum Teil ist diese extreme Situation auf fehlerhafte Karten zurückzuführen, die Orte mit Wasserversorgung aufwies, deren Brunnen vertrocknet waren und bereits entvölkert.

Ausgerüstet waren die Truppen mit allem möglichen, hartem Zwieback als Notration aber mit keinen Wasserflaschen. Das führte laut Chandler zu einer Stimmung, die als latenter Aufruhr zu beschreiben war, wenngleich keine offene Meuterei stattfand.

In diesem Sinne kann man durchaus, zumindest für die frühe Phase, von einer extremen Situation für die französische Armee sprechen.
dann kann ich doch nur zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Armee B. "aus dem letzten Loch pfiff", Jaffa hingegen gut versorgt war. Und schon wird der Satz B. "Wie soll ich die Gefangenen versorgen" propagandistisch. Es mag sein, dass, wenn 10-13 Tausend Franzosen hinzukommen, die Lage schwierig wurde. Gleichzeitig sind die Plünderungen und die Verlegenheit B. erklärt. Aber war das die "Schuld" der sich ergebenen Garnison? Mal davon abgesehen, welche franz. Verluste zu beklagen gewesen wären, wenn sie sich nicht ergeben hätte. Aber so standen sie im Weg. Und sie wurden ermordet, obwohl franz. Offiziere ihr Wort gegeben hatten.
Die Gefangenen einfach "nach Hause "zu schicken, war nicht möglich, da die Gefahr einer Wiederbewaffnung etc. bestand, sie in die eigenen Verbände integrieren , war auch nicht möglich, bliebe noch eine Gefangenschaft unter Bewachung bzw ein Einschiffen der Gefangenen nach Frankreich . Beides hätte die Armee entscheidend geschwächt.
Also blieb zum Schutz der eigenen Kräfte nur die Barberei der Ermordung oder die Zurücklassung der Gefangenen ohne jede Versorgung , Waffen und mit unzureichender Kleidung.
Auf genau diese Argumentation hebt Chateaubriand ab: "Waren denn die Massaker nötig zur Rettung unserer Armee? Wusste Bonaparte nicht, mit welcher Leichtigkeit eine Handvoll Franzosen die Streitkräfte des Paschas von Damaskus besiegte? Vernichtete er nicht bei Abukir mit einigen Reitern dreizehntausend Osmanlis? Überwand nicht Kleber später den Großwesir und seine Myriaden Mohammedaner?"

@silesia
vielen Dank für deine Ausführungen! Das "Kriegsrecht" ist mir jetzt etwas klarer.

Grüße
excideuil
 
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eine Frage hierzu: ist denkbar, dass man - je weiter man in ferne bzw. exotische Gebiete kam - im späten 18. und frühen 19. Jh. brutaler vorging? Oder gab es in den napoleonischen Kriegen innerhalb Europas, also quasi unter "direkter Beobachtung", vergleichbare Massaker an Gefangenen?

Wie war es denn in Spanien? Gab es da nicht auch widerwärtige Szenen?
 
Wie war es denn in Spanien? Gab es da nicht auch widerwärtige Szenen?
ich kenne mich mit der spanischen Geschichte um die Wende vom 18. zum 19. Jh. nicht aus - kannst du mir einen Tipp/Link geben?

was das hier besprochene schreckliche Ereignis betrifft: dass zum erschießen noch geradezu Abschlachten (Bajonett) und sogar ertränken hinzukommt, macht sprachlos
 
ich kenne mich mit der spanischen Geschichte um die Wende vom 18. zum 19. Jh. nicht aus - kannst du mir einen Tipp/Link geben?

was das hier besprochene schreckliche Ereignis betrifft: dass zum erschießen noch geradezu Abschlachten (Bajonett) und sogar ertränken hinzukommt, macht sprachlos

Die bekannteste Tat ist wohl die Massenerschiessung am 03. Mai 1808, nach dem Aufstand der madrider Bevölkerung gegen die Abreise der letzten Mitglieder der königlichen Familie. Das waren aber aufrührerische Zivillisten (und einige rebellische Militärs) so dass man das damals im Ausland als nicht ganz so schlimm ansah. Es entfachte aber den Aufstand in ganz Spanien. Daneben gab es unmengen an gegenseitigen Gräueltaten.

Die größte auf spanischer Seite war wohl das Ende der gefangenen Franzosen von Bailen. Da sie auf der Halbinsel nirgendwo vor der Befreiung durch ihre Landsleute oder den Reppressalien der Zivilbevölkerung sicher waren, hat man sie auf die Insel Cabrera bei den Balearen gebracht. Man schickte ihnen dann wöchentlich ein Boot mit Proviant. Als einige Gefangene versuchten, sich dieses Bootes mit Gewalt anzueignen um zu fliehen, wurden die Lieferungen eingestellt. Die meisten verhungerten dann elendig.

Der Krieg wurde jedenfalls mit äusserster Brutalität geführt und es heisst, dass die verrohten französischen Soldaten diese Brutalität dann auch ins restliche Europa brachten und damit die ihnen dort bislang freundlich gesinnte Bevölkerung gegen sich aufbrachten.
 

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Goya hat ja mehr als nur die Fusilamientos del 3 de Mayo geschaffen. Zu dem Zyklus gehören auch noch andere Gemälde, wie El 2 de Mayo en Madrid, auf dem zu sehen ist, wie Napoleons Mamluken mit gezogenen Säbeln die Madrilenen abschlachten bzw. ihrerseits von den Madrilenen angegriffen werden. Wobei natürlich - zurück bei den Fusilamientos - großartig komponiert ist, wie die französischen Soldaten - die uns den Rücken zugenwandt haben, die gesichtslos, also keine Individuen sind - die Aufklärung (span. Ilustración; frz. Lumières 'Erleuchtung'), repräsentiert durch das leuchtend weiße Hemd, erschießen, die sie doch eigentlich bringen sollen. Dabei galt Goya eigentlich als ein afranceado, also als ein geistiger Anhänger Napoleons. Das Bild - die Fusilamientos - wird bis heute gerne von verschiedenen politischen Gruppierungen in verschiedenen Kontexten gebraucht und auch sonst immer wieder zitiert. So wird z.B. in der Schlusszene des Films La hora de los valientes ein junger anarchistischer Museumsangestellter, der während des Krieges Goyas Selbstportrait bei sich zuhause aufbewahrte, von Falangisten erschossen - im weißen Hemd und eben der Position, wie die Personifizierung der Aufklärung auf dem Original - und vor einigen Jahren, noch vor Einführung des Euro, sah ich in Spanien den euroskeptischen Aufkleber einer unbedeutenden rechtsradikalen Splitterpartei, auf dem die gesichtslosen Soldaten den Euro als Hoheitssymbol auf ihren Tornistern trugen.

Außerdem hat Goya natürlich die Radierungen über die Desastres de la Guerra geschaffen, auf denen Grausamkeiten von Franzosen an Spaniern und vice versa gezeigt werden. Diese Bilder haben bis heute nichts von ihrer Unappetitlichkeit verloren: Vergewaltigungen, abgeschlagene Gliedmaßen, durchstoßene Körper, Torturen aller Art.
 
Vor kurzem habe ich das Buch von Zamoyski [1] zum Feldzug in Rußland gelesen und war wieder einmal erschüttert über die unsäglichen Leiden und Verbrechen, die ein solcher Krieg mit sich bringt.

So ist es, man liest solche Buecher und mag es kaum glauben...

Bezuegl. Jaffa habe ich mal bei div. Buechern/Autoren quergelesen.
Die Behandlung und Beurteilung ist vøllig unterschiedlich.
Einig ist man sich, dass es die Tøtung der Gefangenen gab. Bei der Art der Tøtung, Motivation und Rechtfertigung scheiden sich dann die Geister.

In einer "Volksausgabe" von G.Gramberg im Loewes Verlag Ferdinand Carl, Stuttgart, leider kein Erscheinungsjahr angegeben (1863 scheint wohl das Gruendungsjahr des Verlages zu sein) Titel: "Napoleon Bonaparte" liest man:

"Ein Augenzeuge berichtet darueber folgendes: "Es war Befehl gegeben worden, alle mit dem Bajonett niederzustossen, um Patronen zu sparen, die anfingen, knapp zu werden. [...]verteilte man die Ungluecklichen auf die Halbbrigaden. Es wurden Vierecke gebildet mit der Front nach innen. Dann gingen wir auf die lebenden Massen vor. Alle wurden getøtet. Die Soldaten gehorchten dem Befehle mit Abscheu und Schrecken"."

Das Buch læsst Napoleons Grund 1 -Mangel an Lebensmittel- nicht gelten, da in Jaffa genuegend vorhanden gewesen wære. Napoleons Grund 2 laut Buch war die Angst, die gleichen Gegner erneut bekæmpfen zu muessen.
Der Autor meint, Napoleon wollte mit dieser (und anderer Massnahmen) Schrecken verbreiten, s. auch Niederschlagung des Aufstandes in Kairo (Angebl. schriftl. Befehl: Køpfen von Aufruehrern, die mit der Waffe in der Hand aufgegriffen werden)

Anders dann bei Philipp Bouhler "Napoleon, Kometenbahn eines Genies", hier in der norweg. Uebersetzung (Erscheinungsjahr: 1943 (!) )

Demnach war das tyrkische Heer in Syrien unter Kommando von Achmed Pasja, der wegen seiner Grausamkeit "Djezzar" (der Schlæchter) genannt wurde. In Jaffa hatte man 2 Parlamentære geschickt, die die Uebergabe fordern sollten - Antwort war das Ausstellen der aufgespiessten Køpfe der beiden Parlamentære auf der Festungsmauer.
Auch hier wird die Tøtung der Gefangenen dann genannt und gleichsam begruendet (Versorgungsmangel und Angst vor erneutem Kampf gegen die selben Soldaten).
Der Auto hier hælt dies allerdings "zur Not verstehbar" und sagt, das nahezu alle Militærkritiker Napoleon "freisprechen" in dieser Situation.

Bei Eugen Tarle "Napoleon", ebenfalls in der norwegischen Uebersetzung, wird erwæhnt, dass Napoleon die Uebergabe Jaffas gefordert habe, andernfalls bei einer Erstuermung niemand geschont wuerde.
Vielleicht war er deshalb uneinig mit seinen Offizieren, die den 4.000 Tuerken und Albanern, die zu den besten Soldaten des osmanischen Reiches gehørten, das Versprechen gegeben hatten, sie leben zu lassen.
Die Gruende hier fuer die Erschiessung sind Mangel an Lebensmittel, Wasser, Transport.
Fuer Napoleon schien es, trotz 3 tægiger Zweifel, alternativlos.

Insgesamt gesehen war der Ægypten-Feldzug sicher einer der grausamsten der napoleonischen Zeit, die Beispiele (beider Seiten) lassen sich beliebig fortsetzen, hinzu kommt Versorgungsmangel und Pest.

Auch wenn man keine Gefangenen erschiesst, ist das Ergebnis Tod und Verderben:
Desaix hat wæhrend des Syrien-Feldzuges Ober-Agypten erobert. Der Gegner Hassan Bey wurde besiegt und mit seinem Heer in die Wueste getrieben, wo sie elendig zu Grunde gingen.
Bei der Landschlacht von Aboukir hat nicht ein Mann des tuerkischen Heeres ueberlebt - sie wurden "ins Meer getrieben".

Gruss, muheijo
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für die gemachte Mühe!
So ist es, man liest solche Buecher und mag es kaum glauben...

In der Tat, das Buch hat mich sehr beeindruckt. Entsetzlich, was in Rußland passiert ist, entsetzlich die Leiden, die Verrohung der Menschen... Aber, und das darf nicht unerwähnt bleiben, es wird auch von menschlicher Größe berichtet.

Auch wenn man keine Gefangenen erschiesst, ist das Ergebnis Tod und Verderben:
Desaix hat wæhrend des Syrien-Feldzuges Ober-Agypten erobert. Der Gegner Hassan Bey wurde besiegt und mit seinem Heer in die Wueste getrieben, wo sie elendig zu Grunde gingen.
Bei der Landschlacht von Aboukir hat nicht ein Mann des tuerkischen Heeres ueberlebt - sie wurden "ins Meer getrieben".

Das ist nur grundsätzlich richtig und daher sehe ich es ein wenig anders. Wenn es bei einer regulären Schlacht Tode und Verletzte gibt, dann ist das der kriegerischen Handlung geschuldet, wenn also bei Aboukir ein Heer, das sich nicht ergibt ins Meer getrieben wurde, ist dies aus meiner Sicht eine andere Qualität als die Erschießung von tausenden Menschen, die sich ergeben haben!
"Es war Befehl gegeben worden, alle mit dem Bajonett niederzustossen, um Patronen zu sparen, die anfingen, knapp zu werden.
Der Autor meint, Napoleon wollte mit dieser (und anderer Massnahmen) Schrecken verbreiten, s. auch Niederschlagung des Aufstandes in Kairo (Angebl. schriftl. Befehl: Køpfen von Aufruehrern, die mit der Waffe in der Hand aufgegriffen werden)
Es fällt mir schwer, nicht polemisch zu werden!
Wenn selbst Patronen knapp waren, - und dies, obwohl sich die Zitadelle mit allen Soldaten, Vorräten, Waffen und Munition ergeben hatte - welche Vorräte führte Bonaparte denn überhaupt mit sich, um einen erfolgreichen Feldzug zu führen? Anders gefragt, wie knapp wären denn die Patronen geworden, wenn Bonaparte die Zitadelle hätte erobern müssen?

Auch von dem Argument "Schrecken verbreiten" habe ich schon gelesen. Aber dies bedeutet wohl, dass Bonaparte die Lage nicht (mehr) "im Griff" hatte! Damit taugt dieses Argument nicht, einen Mord zu rechtfertigen, sondern zeigt nur die Abenteuerlichkeit des ganzen Unternehmens.

Grüße
excideuil
 
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In Spanien hat nicht Napoleon Gefangene am dos de Mayo erschiessen lassen, sondern Murat. Hinsichtlich des Ägyptenfeldzuges und dem Ausflug nach Syrien muss man ergänzen, dass viele der Gefangenen an der Pest erkrankt waren. Das gab Napoelon natürlich nicht das Recht Gefangene erschiessen zu lassen. Zumal den Gefangenen vorher versichert wurde, dass sie bei einer Kapitulation nicht getötet werden. Wir sehen das heute aus unserer Sicht, die Genfer Konvention gab es damals noch nicht. Napoleon war ein Mörder, aber damals hatte er das Recht auf seiner Seite. Er hat den Aufstand in Paris mit Kartätschen beendet. Er hat den Herzog von Enghien aus neutralem Gebiet entführen lassen und hingerichtet, Der Buchhändler Palm, dessen einziges Verbrechen es war, ein kritisches Pamphlet gegen Napoleon zu veröffentlichen, wurde auf Anweisung Napoleons erschossen. Während der Kontinentalsperre wurden hunderte hingerichtet, weil sie geschmuggelt haben. Ich suche im Moment nach einem Buch, eine fiktive Geschichte, Napoleon vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg 1945. Für einen Tipp wäre ich dankbar.
 
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