Loskauf vom Militärdienst

excideuil

unvergessen

J.F. Wittkop zitiert im Zusammenhang mit der Möglichkeit, sich vom Militärdienst loszukaufen, in seinem Buch [1] einen ganzen Vertrag dazu. Generell war es nur Begüterten möglich, sich vom Militärdienst loszukaufen und es waren bis zu 8000 Franc fällig. Der Maler Géricault fand für die Hälfte der Summe einen Stellvertreter. Da notarielle Verträge dieser Zeit wohl eher selten zu lesen sind, zitiere ich einmal vollständig, auch um zu zeigen, dass Advocaten und Notare schon damals ihr Geld nicht umsonst erhielten, wobei Ravenik dies sicher besser als ich beurteilen kann:

„Vereinbarung betreffs Ersatzleistung zwischen Herrn Géricault und Herrn Petit, 30.IV. (1810), vor Herrn Billeau, Notar zu Paris. – Vor mir erschienen sind Herr Jean Louis Théodore Géricault, wohnhaft Rue de la Michodière Nr. 8, Militärdienstpflichtigter in der stehenden Armee und zum aktiven Waffendienst einberufen, und dessen Vater Herr Georges Nicolas Géricault, wohnhaft am selben Ort, einerseits, und Herr Claude Petit, Militärdienstpflichtiger des Jahres 1806, mit entsprechend bereits abgeleisteter Dienstzeit, wie er versichert, ansässig in Baslière, Haute Saône, gegenwärtig wahnhaft in der Rue d’Argenteuil Nr. 3. – Die Parteien haben folgenden Vertrag geschlossen: Der genannte Herr Petit bestätigt die Verpflichtung, die er vor dem Präfekten des Seine-Départements eingegangen ist, nämlich für Herrn Géricault junior ersatzweise dessen Militärdienst zu leisten, und zwar während der ganzen Zeit, die jener eingezogen wäre, und infolgedessen allen Bedingungen Genüge zu leisten, die letzterem auferlegt werden könnten. – Das Entgelt für die Ersatzleistung ist auf 4000 Francs (ca. 48000 Euro nach Goldwert berechnet, exci) festgesetzt. Als Vorauszahlung hat Herr Géricault senior an Herrn Petit mit dessen Einwilligung einen Betrag von 1000 Francs entrichtet, der für den nachstehenden Bürgschaftsvertrag bestimmt ist. Bezüglich der restlichen 3000 Francs verpflichten sich die Herren Géricault senior und junior in wechselseitiger sowie persönlicher Haftung zur Zahlung der vollständigen Summe unter Ausschluß einer Teilzahlung oder eines Erbanspruchs. – Im Falle einer Ausmusterung des Herrn Petit wegen Krankheit oder im Falle seines Todes steht die Summe Herrn Petit beziehungsweise dessen Erben unter Vorlage einer rechtsgültigen Ausmusterungs- oder Sterbeurkunde zu, jedoch unter der Bedingung, dass Herr Géricault nicht die Folgen in Gestalt eines erneuten Gestellungsbefehls tragen muss. Dieser Vertrag tritt am Tage des Eintritts des Herrn Petit in die Armee in Kraft. – Letztgenannter Herr Petit hat keinerlei Anspruch auf die 3000 Francs im Falle seiner Desertation oder falls durch sein Verschulden Herr Géricault gezwungen ist, der Armee beizutreten oder wiederum einen Stellvertreter zu stellen; in eben diesem Fall hat Herr Petit den gesamten Betrag, Kapital nebst Zinsen, zurückzuerstatten. - Als Zahlungsgarantie für die Summe von 3000 Francs belastet Herr Géricault senior bis zum geschuldeten Betrag sein in der Gemeinde Saint-Cyr du Bailleul, Département Manche, gelegenes Pachtgut, Ackerland und Wissen, die einen Betrag von 5000 Francs abwerfen, woran Herr Petit seine Ansprüche an Herrn Géricault geltend machen könnte. – Der Vermittler dieses Vertrages, der Schankwirt Claude Laudet, wohnhaft in der Rue d’Argenteuil Nr. 3, hat sich durch die von ihm vorgebrachten Forderungen und auf Grund der an ihn geleisteten Zahlungen zum Bürgen des genannten Petit bestellt, wenn dieser seinen Verpflichtungen nicht nachkommen sollte. Infolgedessen verpflichtet er sich im genannten Falle, Herrn Géricault die Summe von 1000 Francs zurückzuerstatten. Dies Bürgschaft wird nach vollzogenem Heereseintritt des genannten Petit durch eine entsprechende schriftliche Bestätigung der Regimentsstube gegenstandslos.“ [1]

Die weitere Geschichte ist lt. Autor auch bekannt:
„Mit anderen Worten: Herr Petit scheint bei dem Kneipenwirt ein bisschen zu tief in der Kreide gestanden zu haben und will, um seine Zeche zu zahlen zu können, sein Leben für den anderen in die Schanze zu schlagen. Man weiß auch, wie dem armen Schlucker der Handel bekommen ist, nämlich ziemlich schlecht: schon ein Jahr später war er tot. Er starb in einem Lazarett irgendwo im Königreich Westphalen an einer Krankheit, die er sich beim Biwakieren zugezogen hatte. Die lachenden Erben kassierten bei den Géricaults die restlichen 3000 Francs.“[1]
Tja, Abhängigkeit vom Alkohol führt zu weiteren Abhängigkeiten und zu frühem Tod, könnte die Moral lauten.

Die Sätze des Autors:
„Die Parole der Revolution „ Liberté, Egalité, Fraternité“ war also recht fragwürdig geworden, wenn Freiheit darin bestand, sich für Bonapartes Machtträume zu schlagen, die Gleichheit darin, dass der Arme den Tod für den Reichen stirbt, die Brüderlichkeit, dass der Gläubiger den Schuldner an den erstbesten Zahlenden verschachert.“ [1]
lasse ich unkommentiert.

Soweit der für die Zeit sicherlich normale Fall. Im gleichen Buch zitiert der Autor den Vicomte de Chateaubriand:

„Hat man einen verkrüppelten, beinlosen, dienstuntauglichen Sohn, so verpflichtet einen ein Aushebungsgesetz, 1500 Francs zu zahlen, um einen über dieses Malheur zu trösten. Manchmal starb der Einberufene während der Untersuchung durch den Rekrutierungshauptmann. Meinen Sie, dass dem Vater dann etwa die Zahlung der 1500 Francs erlassen worden sei? Keineswegs. Wenn die Infirmität vor dem zum Tode führenden Unfall bereits deklariert worden war, befand sich der Rekrut ja bei der Erklärung noch am Leben; folglich war der Vater verpflichtet, auf dem Grab seines Sohnes die Summe zu zahlen.“ [1]

Nun ist Chateaubriand als sehr eifriger Royalist bekannt, der in seinen Schilderungen durchaus kein Vorurteil auslässt.
Daher meine Frage, ist an seiner Aussage etwas dran?

Grüße
excideuil

[1] Wittkop, Justus Franz: Die Welt des Empire – Directoire, Empire, Klassizismus, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1968, Seiten 78-81
 
@exci: interessante Darstellung, vielen Dank!

Ich meine, mal in einem Aufsatz zu Spanien etwas über die rabiate französische Rekrutierungspraxis gelesen zu haben, es ging dort um den Rekrutennachschub. Von Abstandszahlungen für Diestuntaugliche hab ich aber noch nichts gehört.
 
Ich meine, mal in einem Aufsatz zu Spanien etwas über die rabiate französische Rekrutierungspraxis gelesen zu haben, es ging dort um den Rekrutennachschub. Von Abstandszahlungen für Diestuntaugliche hab ich aber noch nichts gehört.

Ja in Spanien ging es wirklich nicht fein zu; mich interessiert in diesem Thread aber nur Frankreich selbst.

Da wohl die Militärs alle Urlaub haben (und der sei ihnen von Herzen gegönnt!) dennoch eine andere zum Thema passende Frage:

"In Paris kommt es schon 1802 bei der Mairie des 6. Arrondissements ( dem Viertel des ehemaligen Klubs der Cordeliers!) zu einem Aufruhr, als dort die Militärpflichtigen ausgelost wurden. Junge Leute raufen sich mit den Dragonern, die von der Waffe Gebrauch machen. Es gab mehr als zwanzig Tote und fünfzig verletzte, auch unter den bloßen Gaffern. Unter anderem wurde einem zwölfjährigen Jungen der Bauch aufgeschlitzt; er starb auf der Stelle. Auch in den Provinzen kam es zu ähnlichen Auftritten, namentlich im Westen." [1]

Allein die Führung des Begriffes Provinz läßt leise Zweifel aufkommen, da es zu dieser Zeit keine Provinzen mehr gab, sondern Frankreich bereits während der Revolution in Dépardements gegliedert wurde.
Wie auch immer, wenn es Auslosungen gab, dann läßt das für 1802 den Schluß zu, dass es noch mehr waffentaugliche Männer gab als tatsächlich benötigt wurden, so dass gelost werden konnte/musste. Wie lief das ab, wer hatte das sagen und ging es, wie ein Losverfahren vermuten lassen könnte, gerecht zu?

Grüße
excideuil

[1] Wittkop, Justus Franz: Die Welt des Empire – Directoire, Empire, Klassizismus, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1968, Seite 191
 
Hallo excideuil,
ich erinnere mich gelesen zu haben das es anlässlich der franz. Rekrutierungspraxis in Ostfriesland bei einem Losverfahren zum Aufstand kam.
Die Recherche unter Rekrutierung/Ostfriesland/Losverfahren
brachte zwar nicht den gesuchten Hinweis aber doch folgendes zu Tage:


von Gerhard Canzler, Norden

(aus: Ostfreesland Kalender 1986, S.140f.)​



,,Nach Überlieferung kaufte Jan Claasen für seinen Sohn einen Rampel-... ."
So beginnt ein Kapitel einer Dorfchronik über die sogenannte Franzosenzeit. - Was ist hier gemeint?
Bekanntlich erhielt Ostfriesland nach der Niederlage Preußens eine holländische Besatzung und unterstand ab 1. Januar 1811 dem französischen Kaiserreich. Von da an hatten auch Ostfriesen in der französischen Armee Militärdienst zu leisten. Bereits am 11. Februar 1811 begann die erste ,,Aushebung" der Rekruten. Von 1049 jungen diensttauglichen Leuten des Jahrgangs 1788 sollten nach französischem Muster 228 durch Los ermittelt werden. Zog jemand eine Zahl bis 228, so traf ihn das Schicksal, für Napoleon kämpfen zu müssen.
Der französische Begriff für dieses Verfahren lautet bezeichnenderweise ,,tirage au sort", zu deutsch "Schicksals-Ziehung". Um dem verhaßten Militärdienst unter Napoleon zu entgehen, konnte sich jemand freikaufen, indem er gegen Geldzahlungen einen Ersatzmann stellte. Der bekannte Geschichtsschreiber Tileman D. Wiarda berichtet als Zeitgenosse über dieses Losverfahren: ,,übrigens waren sowohl Stellvertretungen (remplacements) als Umtauschungen der Lose (Substitutions) erlaubt."1) Der Ersatzmann durfte nicht älter als dreißig Jahre sein und mußte die Körpergröße von mindestens 1,65 m besitzen. Für den Ersatzdienst erhielt er zwischen 1500 bis 3000 Reichtsthaler. Von 1811 bis 1813 kauften sich laut Wiarda 358 Ostfriesen frei. 2)

Zu diesem Thema noch ein Verweis:
In der ARD Produktion "Napoleon und die Deutschen" Folge 2
wird von einem Philip Chrisian Fresenius berichtet der 1806 in Mainz Musterungsbetrug als lukratives Geschäft genutzt haben soll.
Möglich das die Rekrutierungspraxis in Frankreich auf vielerlei Arten ausgehebelt wurde.
Grüsse, Geschichteleser
 
sehr schöner Beitrag! Vielen Dank!

Dass es auch möglich war, sich in anderen Ländern loszukaufen, wußte ich nicht. Gut, das mag daran gelegen haben, dass das Losverfahren möglich war, da noch genügend Männer zur Verfügung standen, um die geforderten Kontingente zu erfüllen.

Sicherlich sah das in Frakreich anders aus, wo gerade in ab den 1810 Jahren die Männer knapp wurden, was sich auch in der zunehmenden Anzahl von Deserteuren und Refraktären (1811-100000, 1813-250000 [1]) zeigte.

Die Frage ist nur, war das Umtauschen von Losen auch in Frankreich erlaubt/möglich?

Grüße
excideuil

[1] Wittkop, Justus Franz: Die Welt des Empire – Directoire, Empire, Klassizismus, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1968, Seiten 193-194
 
"Die Frage ist nur, war das Umtauschen von Losen auch in Frankreich erlaubt/möglich?"

In dem von mir kopierten Text wird ausgesagt das Ostfriesland zu jener Zeit zu Frankreich gehörte.
Ebenso Mainz 1806 Departement Mont Tonnere war.
Mir ist nicht bekannt das unter Departements Unterschiede gemacht wurden. Man sollte davon ausgehen das in allen franz. Recht galt.

Da die Einwohner sehr genau erfasst wurden war sicher bekannt wie viele waffenfähige Männer in den Departements zur Verfügung standen.
Es galt nun die angestrebte Truppenstärke umzurechnen auf den Anteil
den die einzelnen Regionen zu stellen hatten.
Wenn also nicht alle Männer eingezogen werden was liegt näher als die
zu Rekrutierenden per Losverfahren zu ermitteln?
Um empfundene Ungerechtigkeit zu kompensieren- einer möchte möglicherweise ins Feld ziehen erhält aber kein passendes Los, der andere "Losgewinner" möchte eher nicht, schuf man eine Tauschmöglichkeit.

Dann ist da noch der dem seine Gebrechen keinen Kriegsdienst erlauben.
Auch hier mussten Modi geschaffen werden.

Möglicherweise fand man es damals auch gerecht das sich Untaugliche zumindest finanziell dann an der Verteidigung beteiligen?
Ein Nebeneffekt kann möglicherweise sein die Leute abzuhalten sich zu verstümmeln.
(Ein Erbe dieses Gedankens mag die dt. Nachkriegs-Portemonaie-Politik gewesen sein. Wir geben alles, nur keine Soldaten...)
 
@ Geschichteleser

Mit Mainz hast du natürlich recht. Mir entfällt doch immer wieder, was die "natürlichen Grenzen" Frankreichs eigentlich bedeuten. :winke:

Sicherlich stellt sich die Situation in den abhängigen Staaten etwas anders dar. (Die Militärs dürfen mich gern berichtigen)
Wenn ich nur Preußen nehme, da wäre das Krümperssystem wohl nicht möglich gewesen, wenn die Friedensbedingungen (Tilsit) eine größere Armee erlaubt hätten und das zu stellende Kontingent z.B. gegen Rußland größer gewesen wäre.

Ähnliches gilt wohl für die Reinbundstaaten, die zudem ihre Kontingente selbst aufstellten.

Aber sicherlich können wir davon ausgehen, dass die Bedingungen bei einem Losverfahren ähnlich waren und Möglichkeiten der Beeinflussung bestanden.

Dein letzter Absatz ist wohl Spekulation? Napoleons Kriege finanzierten sich bis 1808 selbst, warum sollte man die von Geburt an Krüppel finanziell beteiligen? Weiß ich nicht, habe ich noch nie gehört. (Was ja nichts heißt!) Auch ist mir nicht bekannt, dass das Thema Selbstverstümmelung so gravierend gewesen wäre, als dass sich daraus konkrete Verordnungen ergaben, die sich auch gegen die von Geburt an Krüppel richteten.

Grüße
excideuil
 
Auch ist mir nicht bekannt, dass das Thema Selbstverstümmelung so gravierend gewesen wäre, als dass sich daraus konkrete Verordnungen ergaben, die sich auch gegen die von Geburt an Krüppel richteten.

Das sollte man sich nochmal genauer anschauen, Selbstverstuemmelung war ein grosses Thema in Frankreich, jedenfalls wohl ab 1813.
(Leider weiss ich nicht mehr, in welchem Buch ich suchen muss, aber da haben sich wohl die potentiellen Rekruten zu Hauf Finger und Fusszehen abgeschnitten u.æ., um ausgemustert zu werden.)
U.U. hængen damit die Strafzahlungen zusammen.

Gruss, muheijo
 
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