Mediatisierung - Baden und Württemberg

Dieter

Premiummitglied
Ich lese gerade den dreibändigen Katalog zur Ausstellung "Adel im Wandel. 200 Jahre Mediatisierung in Oberschwaben", die im Jahr 2006 in Sigmaringen stattfand. Dabei ergeben sich für mich folgende Fragen:

1. Warum hat Napoleon nicht den gesamten Südwesten Deutschlands zum Mittelstaat Württemberg gemacht und ihm auch Baden eingegliedert?

2. Was hat Napoleon bewogen, gerade Baden zum Kern eines zweiten Mittelstaates im SW Deutschlands zu machen? Das Fürstentum Fürstenberg war Ende des 18. Jh. nicht kleiner als Baden, hätte also an der Stelle Badens stehen können? Warum also gerade Baden?
 
Die deutschen Staaten sind nicht meine Spezialstrecke, ich wage dennoch eine Antwort.

Der ganze Prozess der Mediatisierung und Säkularisierung ist in etlichen Jahren verlaufen und war nicht immer wesentlich vom Willen Napoleons beeinflusst/beeinflussbar:

Bei Wiki lese ich:
"Kaiser Franz II. hatte nach der Niederlage im Ersten Koalitionskrieg zwar in seiner Eigenschaft als König von Ungarn und Erzherzog von Österreich gehandelt und Territorien seiner Erblande an das revolutionäre Frankreich abgetreten. Er hatte allerdings auch die Zusage gegeben, linksrheinische Territorien, die zum Heiligen Römischen Reich gehörten, abzutreten.
Zur Entschädigung für die abzutretenden Gebiete sollten die weltlichen Herrscher auf Kosten kirchlicher Territorien entschädigt werden. Diese sollten säkularisiert werden."
Rastatter Kongress ? Wikipedia

Entscheidend dann wohl der Frieden von Lunéville:
"Im Frieden von Lunéville (Artikel 6) willigten Kaiser und Reich in die Abtretung des Linken Rheinufers an Frankreich ein. Zugleich war in Artikel 7 des Vertrages bestimmt, dass die deutschen Fürsten, welche auf dem Linken Rheinufer Gebiete verlieren, in Deutschland entschädigt werden sollten."
Reichsdeputationshauptschluss ? Wikipedia

Die dann entgültige Verteilung der Gebiete wurde dann mit dem Reichsdeputationshauptschluss vorgenommen.

Keine Frage, dass dabei 1000 Interessen, Verhandlungsgeschick, fam. Beziehungen ... eine Rolle spielten, natürlich auch Frankreich. Hier ist aber wohl zu vermuten, dass eher Außenminister Talleyrand die Fäden zog als Napoleon selbst:

„Oft änderte er (Bonaparte) durch einen Befehl überraschend territoriale Dispositionen des Außenministers, manchmal zuungunsten und manchmal zugunsten Bayerns. Bonaparte war, wenn er nicht gerade im Felde stand, voll beschäftigt mit der Regelung seiner Beziehungen zu den europäischen Großmächten und mit dem Ausbau des französischen Imperiums. Als der bayerische Gesandte Cetto einmal bei ihm erschien, um ihm klarzumachen, wie wichtig es für Frankreich sei, dass nicht Österreich, sondern Bayern das bisher freisingsche Werdenfelser Land (das Gebiet um Partenkirchen und Mittenwald) bekäme, musste er feststellen, dass der Erste Konsul von der Geografie dieser Gegend, in der er noch keinen Feldzug geführt hatte, keine Ahnung und auch weder Zeit noch Lust hatte, sich damit zu beschäftigen. Bayern solle seine Vorschläge schriftlich einreichen, sagte er verständlicherweise.
Cetto berichtete, Bonaparte habe einem Diplomaten, der mit ihm über deutsche Angelegenheiten sprechen wollte, gesagt: „C’est l’affaire de M. Talleyrand, il a refait l’Allemagne“ (Dies ist Sache von Herrn Talleyrand, er hat Deutschland neu geordnet).“ [1]

Details zu Baden wird Brissotin liefern können.

Grüße
excideuil

[1] Weis, Eberhard: Montgelas Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799-1838, C. H. Beck, München, 2005, Seiten 143/44 (Ber. Cetto 7.1.1802/25.7.1802)
 
Ich kann leider auch keine 100% zufriedenstellende Antwort vorweisen, das einzige, was ich finden konnte, war folgendes:

"Das Großherzogtum Baden kam in den großen historischen Umwälzungen in der Folge der Französischen Revolution und der ihr folgenden Koalitionskriege zuwege, vor allem dank der vorausschauenden Diplomatie des badischen Gesandeten Sigismund von Reitzenstein in Paris, der eine feste Bindung Badens an die junge Französische Republik befürwortete." von Wikipedia, dazu dann:


"R. studierte seit 1781 in Göttingen und beendete seine kameralist. und jur. Studien in Erlangen, ehe er der Familientradition entsprechend in mgfl.-bayreuth. Dienste trat. 1788 erhielt er in Karlsruhe eine Staatsstelle; in der Mgfsch. Baden gelang ihm ein schneller Aufstieg zum Mitglied des adeligen Geh. Hofrats, 1790 zum Kammerherrn und 1792 zum Landvogt der Herrschaft Rötteln in Lörrach, deren Lage im fast selbständigen Bereich der „oberen Markgrafschaft“, in der Nähe zur Stadt Basel und im militärischen Operationsbereich österr. und franz. Truppen außergewöhnliches diplomatisches Verhandlungsgeschick verlangte. Der Separatfrieden zu Basel im Aug. 1796, den Baden mit der franz. Republik abschloß und mit dem es sich faktisch aus dem Reichsverband löste, ist ebenso R.s Werk wie die konsequente Annäherung der Markgrafschaft an Frankreich. R. führte die Verhandlungen als bad. Gesandter 1797-1803 von Paris aus"

Deutsche Biographie

Salopp gesagt, gehe ich davon aus, dass es an der sehr frühen Anbindung an Frankreich lag, dass Baden von der Gesamtentwicklung so profitiert hat.
 
Die dann entgültige Verteilung der Gebiete wurde dann mit dem Reichsdeputationshauptschluss vorgenommen

Wie die Mediatisierung im einzelnen erfolgte, ist mir schon klar. Übrigens war der Reichsdeputationshaoptschluss nur der erste Schritt dazu, denn mit ihm wurden vorest nur die Reichsritterschaften und zahlreiche Reichsstädte mediatisiert. Die Vielzahl der kleinen Grafschaften traf es erst 1806 auf der Grundlage der Rheinbundakte (so z.B. Solms, Erbach, Königsegg, Hohenlohe, Oettingen, Waldburg, Fugger usw.).

Die Frage, warum gerade Baden und nicht z.B. Fürstenberg den Kern eines neuen Mittelstaates von Napoleons Gnaden bildete und warum Württemberg nicht den gesamten SW Deutschlands schlucken durfte, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.
 
.... Das Fürstentum Fürstenberg war Ende des 18. Jh. nicht kleiner als Baden, hätte also an der Stelle Badens stehen können? Warum also gerade Baden?

Baden war eine der neun altfürstlichen Dynastien, zudem war dem Markgrafen von Baden erst 1803 die Kurwürde verliehen worden, das alles kann auch ein Napoleon nicht so einfach übergehen.

Fürstenberg hingegen zählt zu den neufürstlichen Dynastien. Altfürstliche Häuser gelten darüberhinaus als ranghöher als neufürstliche Häuser.
 
Details zu Baden wird Brissotin liefern können.
Nö, tut mir leid.

Mir stellte sich einfach nie diese Frage. Warum gewisse Reichsstände erhalten blieben und warum nicht, hing ja oft damit zusammen wie sie sich gegenüber Bonaparte verhielten. Der Herzog von Württemberg war nicht gerade ein Anhänger Napoleons. Warum hätte man ihm also einen noch bedeutenderen Staat zugedenken sollen? Gerade wenn die Staaten zwar funktionsfähig, aber nicht zu stark wurden, auch eine eigene Außenpolitik zu verfolgen, war das Ziel Napoleons doch erreicht.
Die Gründe, warum Baden und Württemberg so begünstigt wurden, würde ich in der nähen zeitlichen Umgebung suchen. Württemberg soll sich außenpolitisch ab 1801 zusehends Frankreich angenähert haben. Die hohen Verluste des schwäbischen Kreises in den vorrangegangenen Reichskriegen gegen Frankreich werden wohl auch eine Abwehrhaltung erlahmt haben. Schon 1796 hatte ja Württemberg, damals noch unter Herzog Friedrich Eugen, in einen Frieden einknicken müssen, der nicht vom Kaiser gutgeheißen worden war.

Vielleicht findet man etwas in Biographien zu Ludwig (I.), der 1802 nach Paris geschickt wurde, um für Baden zu verhandeln(?). Da Ludwig auch bei der Kaiserkrönung Napoleons anwesend war, dürfte er eine gewisse Nähe zu Napoleon gehabt haben.
 
Die Frage, warum gerade Baden und nicht z.B. Fürstenberg den Kern eines neuen Mittelstaates von Napoleons Gnaden bildete und warum Württemberg nicht den gesamten SW Deutschlands schlucken durfte, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.
Zu Fürstenberg sagt Wiki:

"Obwohl Karl Joachim Sympathien für das neue Frankreich zeigte und versuchte, sich von den Habsburgern abzusetzen, galt das Haus Fürstenberg als Parteigänger Österreichs. Die weitläufigen Besitzungen der Familie in Österreich und Böhmen bestärkten Frankreich in dieser Auffassung. Das Haus Fürstenberg hatte zudem keine Kinder im heiratsfähigen Alter, wodurch es für Napoleons Pläne seine Familie mit dem europäischen Hochadel zu verbinden nicht in Frage kamen. Dies war eine gegenüber den Nachbarn aus den Häusern Bayern, Württemberg und Baden deutlich schlechtere Ausgangslage als es um die Neuordnung Süddeutschlands ging. Kleisers Bemühungen, sich mit anderen reichsfreien Ständen auf einen neuen gemeinsamen Staat zu einigen und dieses Konzept bei Napoleon und seinen Diplomaten durchzusetzen, schlugen fehl. Letztlich verfolgte die fürstenbergische Diplomatie nur noch das Ziel möglichst geschlossen an Baden zu kommen und die ungeliebte württembergische Herrschaft zu vermeiden."
Fürstentum Fürstenberg ? Wikipedia

Dass Baden nicht von der Landkarte verschwand, lag wohl auch daran, dass festgelegt war, dass alle Fürsten, die linksrheinische Besitzungen verloren hatten, rechtsrheinisch entschädigt werden sollten. Siehe den Artikel 7 des Friedens von Lunéville:
"Und da durch die Abtretungen des Reiches an die RF zahlreiche Fürsten und Stände des Reiches ganz oder teilweise enteignet sind, ist das Reich insgesamt verpflichtet, die durch diesen Friedensvertrag entstehenden Verluste ausgleichend zu entschädigen. S.k.u.k. Majestät ist deshalb für sich und das Reich mit der RF übereingekommen, dass nach den Grundsätzen des Rastatteer Kongresses das Reich gehalten ist, den auf dem linken Rheinufer depossedierten Erbfürsten eine Entschädigung zu geben, die aus der Mitte [= dem gesamten Restbestand] des Reiches genommen werden muss, gemäß Vereinbarungen, die auf dieser Basis noch zu treffen sind." [1]

Grüße
excideuil

[1] Demel, Walter; Puschner, Uwe (Hrsg.): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Bd. 6, Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongress 1789 -1815, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1995, Seite 43
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich denke, in deinem Post oben hast du die entscheidenden Punkte genannt,

Danke exci! :winke:
 
@ excideuil

Generell hatten desöfteren die Fürstenbergs imn 18.Jh. eine Rolle als Vermittler oder Gesandte des Kaisers in Schwaben übernommen. Zum Teil haben sie freilich wegen ihrer eigenen Staatsinteressen die Aufträge des Kaiserhauses nicht ganz wortgetreu ausgeführt, sondern abgewandelt, so wie es ihnen dienlich schien. Ihre dennoch erkennbare Treue in der Hinsicht wurde dann mit dem Reichsfürstentitel unter Karl VI. honoriert (den eher französischfreundlichen Teil der Familie, vergaß da das Kaiserhaus offenbar großzügig (z.B. Franz Egon von Fürstenberg, Bischof von Straßburg)).
 
@ Brissotin,

Ich habe noch etwas gefunden, was den Wiki-Artikel w.o. stützt: "Fürstenberg hatte keine Kinder im heiratsfähigen Alter"

Dieser Umstand muss schon länger gegolten haben, denn einen Mitspieler (Rußland) haben wir noch nicht betrachtet. Dazu Erbe:

"... in Paris [verfolgte man] das Ziel, die mittleren deutschen Staaten möglichst zu stärken, um sie enger an die franz. Politik zu binden. Mit Rußland, der anderen Garantiemacht der Reichsverfassung, kam es darüber hinaus am 10. Oktober 1801 zu einem Geheimabkommen, in dem der neue Zar Alexander I. seine Interessen durchsetzte, die mit seinem Haus verwandten Dynastien Hessen-Darmstadt, Württemberg und Baden zu stärken. Nachdem bereits Preußen, Bayern, Württemberg, Baden und Mainz sich vertraglich mit Paris über die ihnen zukommenden Entschädigungen geeinigt hatten, wurde dort am 3. Juni 1802 ein franz.-russ. Interventionsplan unterzeichnet und der bereits am 2. Okt. 1801 vom Reichstag mit der Ausarbeitung des Entschädigungswerks betrauten neuen Reichsdeputation zur Annahme vorgelegt." [1]

Hier zeigt sich wohl der Vorteil fam.-dyn. Verbindungen, gerade zu einer Großmacht.
Fürstenberg hingegen wird von Erbe nicht einmal erwähnt.

Der franz.-russ. Interventionsplan bildete dann " die Grundlage der Beratungen für den Reichsdeputationshauptschluss." [2], die dann zum "Länderschacher" gerieten:
"Während der Verhandlungen buhlten zahlreiche deutsche Territorialherren um die Gunst Rußlands und Frankreichs und wandten Bestechungsgelder in beträchtlicher Höhe auf, um möglichst große Brocken aus der Verteilungsmasse zu erhalten." [2]

Grüße
excideuil

[1] Erbe, Michael: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht – Internationale Beziehungen 1785 – 1830, Ferdinand Schöningh, Paderborn – München – Wien – Zürich, 2004, Seite 126
[2] Möller, Horst: Fürstenstaat oder Bürgernation Deutschland 1763-1815, Siedler Verlag, Berlin, 1989, Seite 577
 
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