Warum schloss sich Adel bei der Nationalversammlung unter Ludwig XVI den Bauern an?

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Aarok123

Gast
Schließlich hatten sie Im Absoultuismus nur Vorteile wie z.B. keine Steuern... Warum sollten sie sich dann dem armen Volk anschließen?

Danke im Voraus!
 
Schließlich hatten sie im Absolutismus nur Vorteile wie z.B. keine Steuern... Warum sollten sie sich dann dem armen Volk anschließen?
Danke im Voraus!
In der Tat ist die Einberufung der Generalstände für die Krone (Ludwig XVI.) etwas "ungeordnet" verlaufen, da die Verfahrensfragen nicht klar waren: Abstimmung nach Ständen oder nach Köpfen. Konsequenz war die Erklärung des dritten Standes - also des Bürgertums - zur Nationalversammlung. Daraus folgte, dass Vertreter des 1. Standes (Klerus), vor allem Pfarrer sich anschlossen. In der Folge auch einige Vertreter des liberalen Adels, die erkannten, dass Veränderungen notwendig waren.
Allerdings darf man den dritten Stand nicht mit den Bauern oder dem armen Volk gleichsetzen. Der dritte Stand - das Bürgertum - Kaufleute, Reeder, Bankiers ... - war bis dahin politisch rechtlos, wirtschaftlich hingegen durchaus dem Adel ebenbürtig.

Grüße
excideuil
 
In der Tat ist die Einberufung der Generalstände für die Krone (Ludwig XVI.) etwas "ungeordnet" verlaufen, da die Verfahrensfragen nicht klar waren: Abstimmung nach Ständen oder nach Köpfen. Konsequenz war die Erklärung des dritten Standes - also des Bürgertums - zur Nationalversammlung. Daraus folgte, dass Vertreter des 1. Standes (Klerus), vor allem Pfarrer sich anschlossen. In der Folge auch einige Vertreter des liberalen Adels, die erkannten, dass Veränderungen notwendig waren.
Allerdings darf man den dritten Stand nicht mit den Bauern oder dem armen Volk gleichsetzen. Der dritte Stand - das Bürgertum - Kaufleute, Reeder, Bankiers ... - war bis dahin politisch rechtlos, wirtschaftlich hingegen durchaus dem Adel ebenbürtig.

Grüße
excideuil

Ersteinmal vielen Dank für deine Antwort! Mir ist aber immernoch nicht ganz klar, warum sich Teile des Klerus dem dritten Stand angeschlossen haben, nur weil diese eine Nationversammlung wollten. Ich geh mal nicht davon aus, dass der erste Stand gleiches politisches Recht für alle haben wollten. Was hätten sie denn für Vorteile gehabt?
 
Was hätten sie denn für Vorteile gehabt?

Ich glaube hier liegt das Problem. Es ist nicht immer der "eigene Vorteil", der den Menschen antreibt.

In der berühmten Flugschrift "Was ist der Dritte Stand" schreibt Abbe Sieyes zur Jahreswende 1788/1789 dazu dies:

Die Menschen werden von dreierlei Interessen geleitet:
1. von dem, das alle Bürger miteinander gemeinsam haben. Es zeigt genau den Umfang des Gemeinwohls an;
2. von dem, das ein Individuum nur mit einigen anderen verbindet: dies ist das Standesinteresse; und schließlich
3. von dem, durch das sich jeder absondert und nur an sich denkt: dies ist das persönliche Interesse. Das Interesse, in dem ein Mensch mit allen seinen Mitmenschen übereinstimmt, ist offensichtlich der Wille aller [...]. Hier darf das persönliche Interesse keinen Einfluß haben.

(GES,P) Sieys : Was ist der Dritte Stand?

Der hier zum Ausdruck kommende Gedanke der Gleichheit ist daneben auch ein Kernstück des christlichen Glaubens, was den ein oder anderen Kleriker evtl. auch beeinflusst haben könnte. Menschenwürde ? Wikipedia
 
Ich geh mal nicht davon aus, dass der erste Stand gleiches politisches Recht für alle haben wollten. Was hätten sie denn für Vorteile gehabt?

Anders gefragt, was hatte sich seit der "Fronde" geändert?

Fronde ? Wikipedia

Durch den Absolutismus der Ludwigs wurde eine Zentralisierung des politischen Lebens am Hofe erzwungen. Das hängt unter anderem auch mit der Vänderung der staatlichen Funktionen in Europa und der Art der Kriegsführung zusammen. Mit der Konsequenz, dass der Adel an politischer Macht verloren hat.

In diesem Sinne war die Einberufung der Generalstände, vereinfacht, ein Akt des Auflehnens des Adels gegen die dominate Rolle des absolutistischen Königtums in Frankreich.

M.E. folgt die Motivation für die Einberufung der Generalstände sehr handfesten machtpolitischen Überlegungen und ist nicht ganz so "altruistisch", wie floxx78 es in Anlehnung an Abbe Sieyes darstellt, wenngleich diese Motivation natürlich eine Rolle gespielt hat. Wie beispielsweise auch bei Mirabeau oder La Fayette.

Interessant ist dabei die Rolle von Marie Antoinette, die am Hofe als eine der Vertreterin einer Monarchie in Richtung "Konstitutionelle Monarchie" galt. Und sie, neben ihrer Herkunft, am Hof noch zusätzlich isolierte.

Nur um die Bandbreite des damaligen Meinungsspektrums noch ein wenig anzureichern.
 
Ersteinmal vielen Dank für deine Antwort! Mir ist aber immernoch nicht ganz klar, warum sich Teile des Klerus dem dritten Stand angeschlossen haben, nur weil diese eine Nationversammlung wollten. Ich geh mal nicht davon aus, dass der erste Stand gleiches politisches Recht für alle haben wollten. Was hätten sie denn für Vorteile gehabt?
Betracht man den Klerus (weit über 100000 Personen, 0,5 % der Gesamtbevölkerung) vor der Revolution, dann wird klar, dass der 1. Stand zum Risikofaktor für die Krone wurde.
Im Klerus selbst sah es nicht anders aus als in der gesamten Gesellschaft. Den großen Reichtum der Einnahmen der Kirche teilten sich die Bischöfe, die Kapitel der Kathedralen, Abteien und Spitäler. Die Bischöfe stammten zudem immer aus den (hoch)adligen Familien Frankreichs. Ein kleiner Pfarrer hatte keine Chance, Bischof zu werden.
Der niedere Klerus erhielt seit 1768 ein Gehalt von 500 Livre pro Jahr und Pfarrer, ein Almosen bezogen auf Preissteigerungen und der Verschlecherung des Silbergeldes. Die Folge war, dass die Pfarrer sich organisierten und gegen den hohen Klerus aufbegehrten.
Um diesen innerkirchlichen "Klassenkampf" zu beenden wurden durch den Generalbevöllmächtigten des Klerus, Abbé de Périgord, zwei Dinge durchgesetzt: Erhöhung der Bezüge auf 700 Livre (1786 vom König durch Edikt bestätigt)(aber immer noch zu wenig!) und ein Koalitionsverbot für die niedrige Geistlichkeit.
Deutlich wird, dass die Klugheit einiger Kirchenoberen nicht ausreichte, um deutliche Verbesserungen zu erreichen.

Betrachtet man die Zusammensetzung des 1. Standes: 291 Abgeordnete, davon nur knapp 50 Bischöfe aber 208 einfache Pfarrer, dann wird deutlich, welch Risikofaktor der 1. Stand für die Krone war, denn die weitere Entwicklung zeigte, wo angesichts der schreienden Ungerechtigkeiten im Land und in der Kirche Teile des niedrigen Klerus ihre Interessenvertretung sahen, während nur einzelne liberal denkende Bischöfe sich der Nationalversammlung anschlossen.

Grüße
excideuil
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant ist dabei die Rolle von Marie Antoinette, die am Hofe als eine der Vertreterin einer Monarchie in Richtung "Konstitutionelle Monarchie" galt. Und sie, neben ihrer Herkunft, am Hof noch zusätzlich isolierte.
Es ist schon etwas länger her, dass ich die Biografien von Zweig, Lever und Hasslip zu Marie Antoinette gelesen habe - dennoch die Aussage, dass sie so etwas wie ein politisches Programm hatte, überrascht mich dann doch. Daher meine Frage: Bezieht sich diese Aussage auf ihren politischen Protegé Baron de Breteuil, dem wohl tatsächlich eine konstitutionelle Monarchie unter der Bedingung der (Vor)Herrschaft des Adels - so bei Malettke zu lesen - vorschwebte oder auf eigene Überlegungen? Und wo finde ich näheres dazu?

Sorry, wenn meine Frage OT sein sollte :rotwerd:

Grüße
excideuil
 
Betracht man den Klerus (weit über 100000 Personen, 0,5 % der Gesamtbevölkerung) vor der Revolution, dann wird klar, dass der 1. Stand zum Risikofaktor für die Krone wurde.
Im Klerus selbst sah es nicht anders aus als in der gesamten Gesellschaft. Den großen Reichtum der Einnahmen der Kirche teilten sich die Bischöfe, die Kapitel der Kathedralen, Abteien und Spitäler. Die Bischöfe stammten zudem immer aus den (hoch)adligen Familien Frankreichs. Ein kleiner Pfarrer hatte keine Chance, Bischof zu werden.
Der niedere Klerus erhielt seit 1768 ein Gehalt von 500 Livre pro Jahr und Pfarrer, ein Almosen bezogen auf Preissteigerungen und der Verschlecherung des Silbergeldes. Die Folge war, dass die Pfarrer sich organisierten und gegen den hohen Klerus aufbegehrten.
Um diesen innerkirchlichen "Klassenkampf" zu beenden wurden durch den Generalbevöllmächtigten des Klerus, Abbé de Périgord, zwei Dinge durchgesetzt: Erhöhung der Bezüge auf 700 Livre (1786 vom König durch Edikt bestätigt)(aber immer noch zu wenig!) und ein Koalitionsverbot für die niedrige Geistlichkeit.
Deutlich wird, dass die Klugheit einiger Kirchenoberen nicht ausreichte, um deutliche Verbesserungen zu erreichen.

Betrachtet man die Zusammensetzung des 1. Standes: 291 Abgeordnete, davon nur knapp 50 Bischöfe aber 208 einfache Pfarrer, dann wird deutlich, welch Risikofaktor der 1. Stand für die Krone war, denn die weitere Entwicklung zeigte, wo angesichts der schreienden Ungerechtigkeiten im Land und in der Kirche Teile des niedrigen Klerus ihre Interessenvertretung sahen, während nur einzelne liberal denkende Bischöfe sich der Nationalversammlung anschlossen.

Grüße
excideuil

Eine perfekte Antwort! Vielen herzlichen Dank! :D
 
Gute Frage. Ich weiss es ehrlich nicht mehr, in einem meiner Bücher zu dem Thema.

Ich fand aber diese Information so interessant, weil neu, dass ich es mir gemerkt habe. Wie dabei die Urheberschaft zu beurteilen ist, kann ich nicht sagen.
Das finde ich auch interessant, aber kein Grund - weil so wichtig ist Marie Antoinette dann doch nicht -, dass du dir den Stress antust, zu suchen. Irgendwann läuft dir das Buch wieder über den Weg.

Grüße
excideuil
 
Schließlich hatten sie Im Absoultuismus nur Vorteile wie z.B. keine Steuern... Warum sollten sie sich dann dem armen Volk anschließen?

Etwas OT, aber zur Verdeutlichung:

Steuern können auf die zufließenden Einkünfte, die Rückflüsse aus Vermögensgegenständen und/oder die Einkünfteverwendung erhoben werden.
Desweiteren gibt es u.a. die Einteilung in direkte und indirekte Steuern - und alles nicht erst seit gestern.
Baptiste Colbert, der Fuchs :D, Finanzminister unter Ludwig XIV., führte eine Akzise ein, die auf Güter, die von den Vornehmen und Gutbetuchten konsumiert wurden, zugriff.
Also eine Steuer im Bereich der Einkünfteverwendung (Einkünfte beim Adel waren eben die Rückflüsse aus ihren Vermögensgegenständen = Ländereien und Rechten, u.a. später auch stille Beteiligungen ect.) in indirekter Form. (Musste der Händler oder Kaufmann dann abführen.)
Also so ganz richtig ist das mit der Steuerfreiheit nicht.

Nachgelesen werden kann der Gegenstand bspw. in Homburg, Stefan "Allgemeine Steuerlehre".

(Wenn wir - bei Betrachtung von nur 2 Steuerarten, ESt und MwSt - die ESt streichen würden, würde doch auch keiner feiern, dass wir keine Steuern zahlen müssten.)
 
Durch den Absolutismus der Ludwigs wurde eine Zentralisierung des politischen Lebens am Hofe erzwungen. Das hängt unter anderem auch mit der Vänderung der staatlichen Funktionen in Europa und der Art der Kriegsführung zusammen. Mit der Konsequenz, dass der Adel an politischer Macht verloren hat.

In diesem Sinne war die Einberufung der Generalstände, vereinfacht, ein Akt des Auflehnens des Adels gegen die dominate Rolle des absolutistischen Königtums in Frankreich.
Das ist alles richtig. Dennoch frage ich mich, ob der Adel (im Grunde) bereits bei der Einberufung der Generalstände verloren hatte (Verdopplung der Stimmen des 3. Standes). Stand er damit nicht zwei Gegnern - König und 3. Stand - gegenüber?

Grüße
excideuil
 
Sie hatten zwar Vorteile aber keine Macht. Sie witterten ihre Chance und beschlossen sich dem Volk anzuschließen!
 
Ich glaube, man muss auch beim Adel und Klerus differenzieren. Liest man die "Beschwerdeheften", die vor der Versammlung geschrieben wurden, sieht man, dass es auch im Adel und im Klerus Leute gab, denen es wirtschaftlich nicht gut ging. Briefe von Dorfgeistlichen beklagen, dass sie nicht besser leben als die armen Bauern, da der Großteil der Abgaben beim hohen Klerus landet.
Von daher wundert es mich nicht, wenn sich hier einige Mitglieder des niederen Adels und des Klerus dem 3. Stand anschließen.

Schließlich befahl Ludwig ja sogar den Adligen und Geistlichen, die das bis dahin noch nicht getan hatten, sich der Nationalversammlung anzuschließen (27. Juni).
 
Ich würde mal tippen, dass die Vertreter des Adels, durch gruppendynamische Prozesse angeheizt sowie von der "allgemeinen Atmosphäre" so beeinflusst waren,dass sie sich zT selbst vergaßen. Außerdem, und das erscheint mir als DAS zentrale Moment aller Handlungen aller Akteure in der Zeit 1789-ca.1791, hatten die Vertreter des 1. und 2. Standes (und natürlich auch die des 3.) wenig bis keine Vorstellung, wo die Sache enden würde. Im Nachhinein, aus fast 220 Jahren Entfernung, lässt sich natürlich gut und relativ sauber ein roter Faden oder zumindest eine Tendenz im Revolutionsgeschehen konstruieren - bloß, in der Wirklichkeit damals ging es wahrscheinlich nur Schrittchen für Schrittchen, trial and error, vor sich. Im Englischen gibts einen guten Audruck dafür: muddling through. Durchwursteln. So addier(t)en sich winzige oder eben weniger winzige Handlungen und erzeugten am Ende ein Resultat, über das alle Beteiligten nur (erfreut oder ängstlich) den Kopf schütteln konnten.
 
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