Der falsche Krieg

Schini

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Welche Faktoren haben 1914 den Zusammenbruch der europäischen Ordnung tatsächlich bewirkt? Wie wäre die Entwicklung verlaufen, wenn Großbritannien nicht in den Krieg eingetreten wäre? Nach Niall Fergusons provokanter Neuinterpretation, die zum Teil bislang unzugängliche Quellen auswertet, ist die häufig vorgebrachte These von der »Unvermeidbarkeit« des Ersten Weltkrieges so nicht länger haltbar. Indem er neben militärischen und machtpolitischen auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte in die Darstellung einbezieht, entwirft Ferguson ein weitgefaßtes Panorama des Krieges, verdeutlicht das komplexe Ursachengeflecht und rückt insbesondere die Kriegsschuldfrage in ein neues Licht. Er geht sowohl mit der deutschen als auch mit der britischen Politik jener Zeit scharf ins Gericht: Auf beiden Seiten haben politisches Unvermögen, unverantwortlicher Ehrgeiz, katastrophale Fehleinschätzungen und der skrupellose Bruch internationalen Rechts zur »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« geführt, die Millionen Menschen das Leben kostete und in fataler Weise auf die weitere Geschichte Europas gewirkt hat.

Rezension auf H-Soz-u-Kult

Niall Ferguson • Der falsche Krieg • dtv • 2001 • 512 Seiten
 

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Interessant an diesem neueren Werk über den 1. WK ist, dass der Autor - ein britischer Wirtschaftswissenschaftler und Historiker - mit seinem Land äußerst streng ins Gericht geht. Er wirft GB vor, am Ausbruch des 1. WK eine sehr große Mitschuld gehabt zu haben und begründet dies mit einer für britische Interessen "unnatürlichen Zuwendung an Frankreich", verbunden mit einer Abkehr des traditionell guten Verhältnisses zu Deutschland / Preußen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Gut geschrieben, Stoff zum Nachdenken.

Jacobum
 
An dem WKI dürften alle europäischen Großmächte Schuld haben. Die einen, weil sie eine Ausdehnung ihres Herrschaftsgebietes haben wollten, wie Russland. Die anderen wie die Deutschland, weil sie Ö-U nicht von einem Angriff auf Serbien abgehalten haben sondern es zu diesen Angriff noch ermutigt haben.:grübel:
 
heinz schrieb:
An dem WKI dürften alle europäischen Großmächte Schuld haben. Die einen, weil sie eine Ausdehnung ihres Herrschaftsgebietes haben wollten, wie Russland. Die anderen wie die Deutschland, weil sie Ö-U nicht von einem Angriff auf Serbien abgehalten haben sondern es zu diesen Angriff noch ermutigt haben.:grübel:

... und das französische Revanchestreben und der russische Panslawismus und und und...

Schon richtig. Am vorgestellten Buch fand ich jedoch den Umstand bemerkenswert, dass ein britischer Autor und Historiker seinem eigenen Land eine nicht geringe Mitschuld gibt. Jahrzehntelang waren in GB die Rollen beim Ausbruch des 1. WK klar verteilt gewesen: Auf der einen Seite die Hunnen, auf der anderen die guten Briten, die sich selbigen in den Weg gestellt haben. Dass dieses Klischee endlich mal kritisch - noch dazu von einem anerkannten Historiker - unter die Lupe genommen wurde, ist das besondere.

Grüße,

Jacobum
 
Trug nicht auch der Tod Königin Victoria zur Instabilen Lage bei? Immerhin hatte die "Mutter Europas" durch geschickte Verheiratungen und ihren Einfluss die lage in Europa in Gleichgewicht gehalten.

Zu Englands "Unnatürlichem guten Verhältniss zu Frankreich und schlechtem zu Deutschland, wie Jacobum schreibt, fällt mir nur ein, dass England mit dem Deutschen Reiche ja eine Art Flottenwettrüsten betrieb. Es war nahezu ein Kalter Krieg der Marine. England sah es gar nicht gern ihre Vormachtstellung als "Seemacht" durch die Deutschen bedroht zu sehen.

Frankreich dürstete es nach Vergeltung für die Schmach von 1870/71, und spätestens seit diesem Krieg waren Deutsche und Franzosen ja eh "Erbfeinde".

Russland hat ebenfalls einen nicht zu vergessenden Anteil am Kriegsausbruch, immerhin deckt Russland ein öffentliches Verbrechen, einen Mord an einem Kronprinzenpaar.

Össterreich geht aber auch recht brutal vor, wenn es eine militärische intervention nach serbien für den Mord, der von einer Gruppe ausging, in betracht zog, ja sogar führen wollte.

Deutschland und Österreich, "Niebelungentreue", Deutschland wollte in erster Linie als Abschreckung, sprich im Hintergrund auf Russland wirken, doch als Frankreich ein Bündniss mit Russland schloss, sah das Deutsche Reich seine Chance dem "Erbfeind" mehr land ab zu gewinnen.

Es ist unbestreitbar, alle europäischen Nationen sind am Ausbruch des 1. WK mitverantwortlich. Es gilt ja auch als die schwerste Last, dass im Versailler Vertrag dem Deutschen Reiche, die alleinschuld am Krieg gegeben wurde, obwohl viele Nationen ihre Chance witterten. Beleg dafür dürfte auch sein, dass kaum einer von der Intervention Serbiens redet, es gibt die Ostfront, mit Tannenberg, es gibt die Westfront, mit Verdun, dem Argonner Wald und all den Abschnitten. Aber kaum jemand berichtet von Serbien, dies verdeutlicht, wie "unwichtig" dieses ereigniss war. Es war nur der funken, der das Pulverfass Europa entzündete.

Oben genanntes Buch habe ich noch nicht gelesen, werde es mir aber zulegen.

Gruß
euer White Wolf
 
Eine ganz gute Abhandlung zum Thema findet man unter

httploesch

Grüße,

Jacobum

EDIT: Irrtümlicher Link.
Mercy
 
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Mark Mallokent schrieb:
Das ist aber ziemlich braunes Zeug.

es muß nicht immer braunes zeug sein ,wen man eine andereSicht hat wie die Siegermächte . ich glaube schon das Deutschland den etablierten Großmächten nicht ins konzept passten.
 
Mark Mallokent schrieb:
Das ist aber ziemlich braunes Zeug.

Zuerst dachte ich, was soll das denn, ist doch von der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung. Aber war ein Fehler.

Also Mark, Du hast recht, es ist braunes Zeug. Warum? Weil ich versehentlich den falschen Link gesetzt habe. Beim Surfen zum Thema war mir so einiges ins Netz gegangen.

Also der richtige Link lautet:

http://www.km.bayern.de/blz/web/erster_weltkrieg/1.html

Als Beitrag 7 bitte ignorieren.

Grüße,

Jacobum
 
Ist schon Recht Jacobum. Generell bin ich sehr skeptisch, was so Behauptungen angeht, wie Frankreich (oder ein beliebiger anderer Staat) wollte dieses und jenes. Sowas sind doch bestenfalls Abstraktionen. Gerade die englische Politik, um die es hier doch geht, hat meines Erachtens am wenigsten konkret umrissene Ziele gehabt, sondern hat sich einfach von den Erfordernissen des Augenblicks leiten lassen. Das einzige langfristige Ziel, das ich erkennen kann, ist, daß man in England führende Seemacht bleiben wollte. Und das finde ich legitim, wenn man bedenkt, daß England dafür ja keine starke Armee hatte, also keine Kontinentalmacht direkt bedrohen konnte.
 
Jacobum schrieb:
... und das französische Revanchestreben und der russische Panslawismus und und und...
Grüße,
Jacobum


Lieber Jacobum,
mit dem französischen Revanchestreben hast Du wohl recht. Das russische Streben nach Gebietserweiterungen in Europa bis zum Bosporus wurde mit dem Panslawismus nur kaschiert. Mehr oder minder waren wohl alle an diesem Krieg schuld.:grübel:
 
heinz schrieb:
Lieber Jacobum,
mit dem französischen Revanchestreben hast Du wohl recht. Das russische Streben nach Gebietserweiterungen in Europa bis zum Bosporus wurde mit dem Panslawismus nur kaschiert. Mehr oder minder waren wohl alle an diesem Krieg schuld.:grübel:

So ähnlich hat sich ja auch Lloyd George nach dem Krieg geäußert, sinngemäß, dass die europäische Mächte gemeinsam in den Krieg hineingetaumelt sind.

Im Übrigen sollte man nicht vergessen, dass damals eine ganz andere Denkweise herrschte als heute, nach 2 Weltkriegen und dutzenden weiteren schmutzigen Kriegen weltweit. Bis 1914 waren Kriege eine in der Regel kurze Angelegenheit. Lange Kriege fanden entweder weit entfernt statt (z.B. Bürgerkrieg USA-CSA) oder hatten sich in früheren Jahrhunderten zugetragen (30-jähriger Krieg). Alle Erfahrungen der damaligen "Erlebnisgeneration" dachten eher in den Dimensionen eines Krieges 1870/71.

Krieg war auch etwas, was die Zivilbevölkerung nicht betraf. Vielleicht mal eine Einquartierung hie und da, aber ansonsten trugen das die dafür ausgebildeten Soldaten unter sich aus.

Deshalb war der Krieg nicht etwas, was man unbedingt vermeiden musste, sondern durchaus ein natürlicher, gottgegebener und unausweichlicher Zustand. Man sehe sich nur die Berichte und Fotos aus der Zeit des Kriegsausbruches 1914 an. In allen am Krieg beteiligten Ländern war die Begeisterung groß, jeder wollte zu den Waffen und am Sieg mitwirken, ehe in ein paar Monaten alles vorbei sein würde. Heute kann man darüber nur den Kopf schütteln.

Dieses Denken war deshalb auch dafür verantwortlich, dass die hohe Politik nicht wirklich alles unternommen hat, um den Krieg zu vermeiden. Keiner wusste, worauf er sich einließ, die Vorstellung "Irgendwann kracht es sowieso, warum nicht gleich?" war weitverbreitet.

Ich denke (und jetzt wird es spekulativ), dass die Herrscher von 1914 mit der Erfahrung von 1918 bis zum Äußersten gerungen hätten, um ihren Völkern den Weltkrieg zu ersparen.
 
heinz schrieb:
Lieber Jacobum,
mit dem französischen Revanchestreben hast Du wohl recht. Das russische Streben nach Gebietserweiterungen in Europa bis zum Bosporus wurde mit dem Panslawismus nur kaschiert. Mehr oder minder waren wohl alle an diesem Krieg schuld.:grübel:

Das ist sehr richtig. Ich glaube nach dem russisch-türkischen Krieg 1878, das war zwar 35 Jahre vor dem Krieg, hatte Russland demonstriert was sie unter einer Expansion in Richtung Süden verstehen. Nämlich das Osmanische Reich zerschlagen und unter den siegreichen Mächten aufteilen. Allen ernstes wurde hier angeboten, dass sich im Osten der Hegemonialbereich der Russen bis nach Vorderindien! einschliesslich Persien erstrecken sollte. Das stand natürlich im Gegensatz zu den Bestrebungen Englands. Also würde ich die expansive Politik Russlands, sowie die Politik Englands, welches stets das "Zünglein an der Waage" war und klare, offene Politik vermissen liess, auch in die Riege der Kriegstreiber einreihen wollen.

Das heisst also auch Russland wollte seinen Platz an der Sonne haben und zwar am Strand am Mittelmeer oder im Indischen Ozean.
 
Zuletzt bearbeitet:
Seldschuk schrieb:
Das ist sehr richtig. Ich glaube nach dem russisch-türkischen Krieg 1878, das war zwar 35 Jahre vor dem Krieg, hatte Russland demonstriert was sie unter einer Expansion in Richtung Süden verstehen. Nämlich das Osmanische Reich zerschlagen und unter den siegreichen Mächten aufteilen. Allen ernstes wurde hier angeboten, dass sich im Osten der Hegemonialbereich der Russen bis nach Vorderindien! einschliesslich Persien erstrecken sollte. Das stand natürlich im Gegensatz zu den Bestrebungen Englands. Also würde ich die expansive Politik Russlands, sowie die Politik Englands, welches stets das "Zünglein an der Waage" war und klare, offene Politik vermissen liess, auch in die Riege der Kriegstreiber einreihen wollen.

Das heisst also auch Russland wollte seinen Platz an der Sonne haben und zwar am Strand am Mittelmeer oder im Indischen Ozean.

moment! russland und großbritannien hatten sich 1907 über die aufteilung ihrer interessesphären geeinigt (auf kosten persiens, von dem große gebiet unter britischen oder russischen einfluss kamen); das war also kein konfliktsstoff mehr.

was das OR betrifft hat auch nicht russland den krieg erklärt, sondern die hohe pforte (im November, nach der beschießung russischer küstenstädte am schwarzen meer). Die allierten haben dann in einem geheimabkommen 1915 russland die meerengen zugesichert.

wesenlich für den russischen kriegseintritt gegen deutschland waren eher die verpflichtungen gegenüber frankreich (sichtbar auch an der änderung der ursprünglichen strategie, nur über die karpaten vorzudringen, und stattdessen auch in ostpreußen eine offensive zu starten).
 
Saint-Just schrieb:
moment! russland und großbritannien hatten sich 1907 über die aufteilung ihrer interessesphären geeinigt (auf kosten persiens, von dem große gebiet unter britischen oder russischen einfluss kamen); das war also kein konfliktsstoff mehr.

Richtig! Aber konfliktstoff war es trotzdem!

Saint-Just schrieb:
was das OR betrifft hat auch nicht russland den krieg erklärt, sondern die hohe pforte (im November, nach der beschießung russischer küstenstädte am schwarzen meer). Die allierten haben dann in einem geheimabkommen 1915 russland die meerengen zugesichert.

Auch das ist richtig! "Rechtlich" waren die Osmanen die Kriegstreiber, wobei ich stark bezweifle, ob GB seine Versprechen in Hinsicht der russischen Kontrolle der Dardanellen und des Bosporus, aufrecht erhalten hätte. Ich denke eher es wäre eine Art "Syces-Picot-Abkommen" geworden.

Saint-Just schrieb:
wesenlich für den russischen kriegseintritt gegen deutschland waren eher die verpflichtungen gegenüber frankreich (sichtbar auch an der änderung der ursprünglichen strategie, nur über die karpaten vorzudringen, und stattdessen auch in ostpreußen eine offensive zu starten).

Das hat auch niemand bestritten. Die Osmanen wollten durch den Krieg an der Seite des DR, mehr Freiheiten gegenüber den Entente-Mächten erzielen.
 
Niall Fergusons Buch "Der falsche Krieg" wurde bereits 1999 in der Deutschen-Verlagsanstalt veröffentlicht. Zu dieser Veröffentlichung schrieb Klaus Hildebrand in der FAZ eine aufschlussreiche Buchbesprechung mit folgendem Fazit:
Klaus Hildebrand in der Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb:
Alles in allem: Fergusons Buch bietet manche verblüffenden Erkenntnisse, die den Leser ins Nachdenken versetzen, präsentiert aber kaum Einsichten, die zu überzeugen vermögen. So manches, was als neu ausgegeben wird, ist bekannt, und so manches, was prima vista erstaunt, hält der Überprüfung nicht stand.
Quelle: http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C1...348BCDED71641C7469~ATpl~Ecommon~Scontent.html
 
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