Meine 15-jährige Tochter hatte sich das Buch gekauft und mir empfohlen. Ich habe es dann in mehreren Etappen durchgelesen. Mehrere Etappen deshalb, weil es verschiedene Erlebnisberichte enthält, von denen jeder einzigartig ist und mit gesonderter Aufmerksamkeit gelesen werden sollte.
Es geht um ein Kapitel deutscher und britischer Geschichte, das wenig bekannt ist. Nämlich die Versendung von etwa 10.000 jüdischen Kindern aus Nazideutschland ins sichere England. Es war nur ein kleines Zeitfenster, von Dezember 1938 bis zum Kriegsaubruch 1. September 1939. Nicht mal ein Jahr. Und dennoch bedeutete es das sichere Überleben für viele junge Menschen.
Die meisten Staaten hatten in den 30er Jahren eine strikte Politik der Nicht-Aufnahme von Juden betrieben. Der Zionistenführer Chaim Weitzmann sagte damals: “Die Welt scheint nur zwei Arten von Ländern zu haben: die, in denen die Juden nicht leben können und die, in die sie nicht einreisen können.”
Erst nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 raffte sich ein Land - Großbritannien - auf, eine unbegrenzte Anzahl von jüdischen Kindern aus Deutschland aufzunehmen. Voraussetzungen waren, dass die Kinder unter 17 Jahre alt waren und pro Kind eine Garantiesumme von 50 Pfund hinterlegt wurde.
Am 1. Dezember 1938 ging der erste Transport ab, dem weitere folgten.
Was die Kinder und Jugendlichen, die von ihren Eltern getrennt wurden und von denen viele die einzigen Überlebenden ihrer Familien werden sollten, vor, während und nach dem Transport erlebten, wird in dem Buch “Der olle Hitler soll sterben!” beschrieben.
Jede Geschichte ist - ich sagte es bereits - einzigartig. Je nach Alter, Herkunft und Geschlecht der Zeitzeugen und je nachdem, wohin es sie verschlagen hat, sind die Erlebnisse recht unterschiedlich. Für manche Kinder war es ein großes Abenteuer, andere gingen an der abrupten Trennung von ihren Eltern fast zugrunde. Die einen wurden in hochherrschaftlichen Villen einquartiert, die anderen wurden als billige Arbeitskräfte oder Zimmermädchen ausgenützt oder sahen sich sexuellen Nachstellungen gegenüber.
Die Autorin, Jahrgang 1966, hatte mit einer Rundfunksendung namens “Once I was a Münchner Kindl” erstmals das Thema verarbeitet. Der Erfolg dieser Sendung hat sie bewogen, weiter zu recherchieren und die Ergebnisse schließlich in Buchform zu veröffentlichen.
Das Buch enthält neben den persönlichen Schilderungen viel Wissenswertes über die damalige Zeit, über den heimlichen, dann offenen Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft bis hin zur “Endlösung”. Es ist ein wichtiges Buch, sehr gut geeignet für Jugendliche, die wissen wollen, wie es damals war, aber natürlich auch für Erwachsene, die sich für dieses viel zu wenig bekannte Thema interessieren.
Jacobum