Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren

ursi

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Das Interesse am Holocaust ist immer noch ungebrochen. Historikern wie Raul Hilberg ist es zu verdanken, dass dieses singuläre Verbrechen längst nicht mehr "unbegreiflich" ist. Man weiß heute sehr genau, wie sich die Verfolgung der Juden in den 30er- und 40er-Jahren bis zum Massenmord radikalisierte, wer die Mörder waren und warum sie ihre Taten begingen. Woher dieses Wissen stammt, zeigt Hilberg in seinem neuen Buch über Die Quellen des Holocaust. Es stellt gleichsam die Krönung eines langen Wissenschaftlerlebens dar.
In den letzten Jahrzehnten hat sich Hilberg, einer der Pioniere der Holocaust-Forschung, vor allem mit den Ereignissen selbst befasst -- in seinem Standardwerk Die Vernichtung der europäischen Juden etwa oder in dem Buch Täter, Opfer, Zuschauer. Nun unternimmt Hilberg eine Reise zu den Wurzeln unseres Wissens über den Nationalsozialismus. Er präsentiert keine neuen Erkenntnisse, sondern er analysiert, wie sich dieses Wissen ganz grundsätzlich gewinnen lässt: aus Quellen nämlich, dem Rohstoff des Historikers. "Ein Löffel, der einmal von einem Lagerhäftling benutzt wurde, ist ebenso eine Quelle wie ein Schreiben auf amtlichem Papier oder das auf Tonband aufgenommene Zeugnis eines Überlebenden", unterstreicht Hilberg. Er entwirft eine Typologie aller relevanten Quellen, von Gebäuden wie den Überresten der Vernichtungslager bis hin zu den Akten, in denen die Mörder ihr Tun mit deutscher Beamtengründlichkeit festhielten.

All diese Dinge verraten etwas über die Vergangenheit. Doch man muss sie erst zum Sprechen bringen. Darin liegt die Kunst des Historikers. Sein Handwerk gleicht einer Detektivarbeit: Welche Akten befassen sich mit den Entscheidungsabläufen? Wo lagern sie heute? Sagt der Verfasser die Wahrheit oder will er etwas vertuschen? Vieles wurde von den Tätern bewusst vernichtet. In anderen Dokumenten gilt es eine Tarnsprache zu knacken, mit deren Hilfe die Verbrechen verschleiert wurden. Und einige zentrale Befehle wurden nur mündlich erteilt.

Hilbergs Buch ist ein Werkstatt-Bericht aus einer langen Forschertätigkeit, ein Lehrstück darüber, wie mühsam und zugleich lohnend es ist, den Überresten der Vergangenheit ihr Geheimnis zu entlocken. Zu Recht hat Hilberg für dieses Buch den renommierten Geschwister-Scholl-Preis 2002 erhalten. Dem Urteil der Jury kann man nur zustimmen: "Die Quellen des Holocaust", heißt es da, sei ein "elementar aufklärendes Buch." Es "zeigt Fachleuten wie Laien, wie seriöse historische Forschung zur Judenvernichtung in allen ihren Aspekten heute auszusehen hat".
Raul Hilberg • Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren • Fischer Verlag • 2002 • 256 Seiten


Rezensionen:
Raul Hilberg - Die Quellen des Holocaust - Perlentaucher.de, Kultur und Literatur Online
Raul Hilberg - Die Quellen des Holocaust
Fritz Bauer Institut - Rezensionen
 

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