Über die Deutschen

Themistokles

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Berlin steht voller Denkmäler. Sie konzentrieren sich freilich auf eine relativ kurze Epoche der mehr als 2000-jährigen deutschen Geschichte, auf die Zeit der beiden deutschen Partei- und Militärdiktaturen, der braunen von 1933 bis 1945, und der roten von 1945 bis 1989. Denk- oder Mahnmale, die an die Zeit des Dritten Reichs erinnern, finden sich an jeder zweiten Straßenecke, die von der Roten Armee errichteten Siegeszeichen an jeder dritten; was vorher war, verliert sich schnell im Dunkel der Geschichte. An wen die Siegessäule auf dem Großen Stern erinnern soll, wer da gesiegt hat über wen und wann, wissen auch deutsche Bundeskanzler nicht auf Anhieb zu sagen. Sofern sie vor dem ominösen Jahre 33 spielt, wird die Geschichte als Vorgeschichte behandelt, mit der sich näher zu beschäftigen kaum lohnt.


Die Deutschen haben sich daran gewöhnt, die Vergangenheit aus dem Blickwinkel der Gegenwart zu beurteilen, nicht umgekehrt die Gegenwart aus der Perspektive der Vergangenheit. Und beurteilen heißt hier wie meistens nicht viel anderes als verurteilen. Das Gewesene und Gewordene wird vor den Richtstuhl der Moderne gezerrt; und wehe, wenn es da nicht bestehen kann! Dann wird aus Vorläufigem Rückständiges, Eigenheiten werden zu Sonderwegen, Befangenheíten zu Dummheiten und Unwissenheit zum verräterischen Zeichen einer bösen Absicht. Odo Marquardt hat dies Verfahren die Tribunalisierung der Geschichte genannt: Sie wird nicht eigentlich erzählt, erforscht oder gedeutet, ihr wird nur noch der Prozess gemacht.

Von all dem ist in der gar nicht so kleinen, weil immerhin gut 400 Seiten starken Kulturgeschichte, die der Berliner Althistoriker Alexander Demandt vorgelegt hat, glücklicherweise nicht viel zu bemerken. Sie verzichtet auf volkspädagogische Ertüchtigung in dieser oder jener Absicht und erzählt Geschichte und Geschichten im ihrer selbst willen. Ihr Gegenstand, die Kultur, zu der die Deutschen mehr und Besseres beigetragen haben dürften als zu den anderen Bereichen des Geschehens, kommt ihm dabei entgegen. Schließlich pflegt die Kultur von der Parteien Hass und Gunst nicht - oder nicht ganz so stark - verzerrt zu werden wie die politische Geschichte - um hier vom Militär und dem, was es geleistet oder verbrochen hat, zu schweigen. (...)

Demandt greift weit aus und weit zurück: chronologisch bis in die Zeit, als die Germanen unter Hermann dem Cherusker der römischen Eroberungslust Grenzen zogen, thematisch dadurch, dass er den alten, bis zum Überdruss strapazierten Gegensatz von Kultur und Zivilisation auf sich beruhen lässt und Sport und Spiele, Technik und Wissenschaft, Feste und Feiern in seine Darstellung mit einbezieht. (...)
Der Autor hält mit seinem reichen Wissen nicht zurück und illustriert seine Ausführungen mit einer Fülle von Daten und Beobachtungen, Anekdoten und zeitgenössischen Berichten, darunter immer wieder lehrreichen Beispielen aus der Etymologie, die eine Art Paradedisziplin des Autors zu sein scheint. Als Horaz in seinem Lehrgedicht über die Dichtkunst seinen Mitschriftstellern empfahl, in ihren Werken das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, dachte er gewiss nicht an das moderne Sachbuch. Demandt ist aber gerade hier dasselbe geglückt: Sein Buch ist ein Muster an belehrender Unterhaltung und unterhaltsamer Belehrung. (...)
(vollständige Rezension von Konrad Adam)

Alexander Demandt • Über die Deutschen • Propyläent • 2007 • 496 Seiten

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