Gemeinsames Sagengut der Indogermanen?

I

IndoGermane

Gast
Die Legende vom Weltenbaum stellt einen Teil des gemeinsame Sagenschatzes aller Indogermanischen Völker dar. Gibt es noch andere alte Geschichte, die bei allen Mitgliedern dieser Sprachgemeinschaft auftreten?
 
Die Legende vom Weltenbaum stellt einen Teil des gemeinsame Sagenschatzes aller Indogermanischen Völker dar.

Eine steile These. Es ist richtig, dass sich das Mythem vom "Weltenbaum", wenn wir ihn so einmal nennen wollen, zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Orten wiederfindet. Allerdings ist dieser Mythos nicht auf Völker indoeuropäischer Sprache beschränkt, sondern findet sich auch in vielen nichtindoeuropäischen Kulturen. Dafür, dass man das Mythem bei allen indoeuropäischen Völkern fände, wäre ein belastbarer Beleg angebracht (unter dem Zugeständnis, dass Völker, die nur über Trümmer überliefert sind, aus methodischen Gründen nicht in die Liste mit aufgenommen werden können).
Warum nun der Begriff Mythem? Weil der Mythos vom "Weltenbaum" durchaus unabhängig voneinander entstanden sein kann. Es können indoeuropäische Völker von nichtindoeuropäischen Völkern und nichtindoeuropäische Völker von indoeuropäischen Völkern den Mythos übernommen haben, er kann aber gleichzeitig auch unabhängig voneinander bei verschiedenen, sprachlich auch enger verwandten Völkern entstanden sein (mit gleichzeitig ist hier nicht zeitgleich gemeint). Das kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, die in der Umwelt der jeweiligen mythenbildenden Gesellschaft begründet sein können. Ein Baum ist gewissermaßen - als Lebensraum unterschiedlicher Tiere - eine Welt für sich; er verbindet das Erdreich mit dem Himmel und zugleich die sinnlich für den Menschen erfahrbare Welt mit dem, was unter der Erde ist und dem, was im Himmel ist. Aus winzigen Fürchten (Eckern, Eicheln, Kastanien, Nüssen etc.) können Urwaldriesen werden. Bäume können Schatten spenden, Bäume können Baumaterial liefern, aber auch auch Früchte, Bäume können Wasser anzeigen etc. Es kann also ganz unterschiedliche Gründe dafür geben, dass Bäume eine wichtige Rolle in der Mythenbildung unterschiedlichster Völker spielen. Bäume sind geradezu prädestiniert dazu.
Den Nachweis für einen gemeinsamen religiösen/mythologischen Ursprung vom Weltenbaum könnte man evtl. durch eine gemeinsame fossilisierte Floskel, die von späteren Sprechern nicht mehr als Phrase sondern nur noch als Sem erkannt wurde, feststellen (dies gälte aber nur für eng verwandte Sprachen und unter Einhaltung der entsprechenden Lautgesetze, ansonsten müsste man eher von einer Entlehnung ausgehen).
 
Archäologie: Chinesische Kaiser manipulierten Orakelsprüche - SPIEGEL ONLINE
Ausgegraben - Neues aus der Archäologie: Tod den Kindheitsgefährten

Von Angelika Franz

Wer im bronzezeitlichen Krasnosamarskoe vom Jungen zum Krieger werden wollte, musste seinen Hund töten. Archäologen fanden Spuren des grausigen Rituals an der Wolga und in indischen Gebeten.
...

auf die Knochen von mindestens 51 Hunden und sieben Wölfen in der bronzezeitlichen Siedlung Krasnosamarskoe in der russischen Wolga-Region konnten die Ausgräber sich zunächst keinen Reim machen.



Jemand hatte sie zunächst gehäutet, zerlegt, verbrannt und dann die Reste mit der Axt in kleine Stücke zerteilt. Doch das nicht etwa wahllos, sondern immer nach dem gleichen Muster: die Schnauze war in drei Teile gehackt und der Schädel in kleine geometrische Stücke von etwa zweieinhalb Zentimetern Durchmesser. Am Wachstumsmuster der Zähne konnten die Archäologen vom Hartwick College in Oneonta im US-Bundesstaat New York ablesen, dass dieses blutige Ritual immer im Winter stattgefunden haben muss.
...

Archäologisch konnten die Forscher den Hintergrund dieser Riten nicht erklären. Also suchten sie in den frühen Mythen und Geschichten Eurasiens. Einen Hinweis fanden sie schließlich in indischen Gebeten, in denen beschrieben ist, wie Jungen zu Kriegern gemacht werden. Zu dem Ritual am Ende ihrer Ausbildung gehört, dass die jungen Krieger einen Mantel aus Hundefell anziehen, wenn sie das Elternhaus verlassen und sich den Kriegern anschließen. Die Hunde von Krasnosamarskoe waren alle zwischen sieben und zwölf Jahren alt, als sie starben. Die Ausgräber spekulieren, dass es die Hunde der Jungen gewesen sein könnten, mit denen sie von Geburt an aufgewachsen waren. Um zu einem Krieger zu werden, vermuten sie, mussten die Kinder die eigenen Hunde - ihre treuen Kindheitsgefährten - töten.
faszinierend, dass die Erklärung von archäologischen Funden durch indische (!) Mythen erfolgt. Meines Erachtens könnte das ein Indiz dafür sein, dass die Mythen mit den Menschen von der Wolga bis Indien gewandert sind. Es wäre jetzt interessant, ob es auch anderswo solche Mythen gibt.
 
Der Titel des Spiegel Online-Artikels ist total daneben: Da wird die Hundetötung als Initiationsritual als Faktum hingestellt, obwohl aus dem eigentlichen Text hervorgeht, dass es sich lediglich um eine Spekulation der Archäologen handelt.

Für meinen Geschmack ist diese Spekulation aber auch etwas gewagt. Man hat doch nichts weiter gefunden als Knochen von offenbar im Winter rituell getöteten Hunden. Das kann alle möglichen Hintergründe haben. Genauso gut könnte es sich um ein Ritual zur Vertreibung des Winters gehandelt haben oder was auch immer ...
 
Vor allem scheinen jene indischen Gebete lediglich von der Einkleidung in ein Hundefell zu sprechen, nicht aber von einer rituellen Tötung/ Opferung der Hunde. Da ist der Bogen in dem Artikel dann doch sehr weit gespannt worden.

Habe übrigens eben noch in Plutarch (moralia 21, 51 u. 68) gelesen, dass sich auch die Römer im Zusammenhang mit dem Larenkult in Hundefelle kleideten und dass sowohl Römer als auch Griechen zu bestimmten Anlässen Hunde opferten. Die Römer übrigens am Fest der Lupercalien, also auch immer im Winter (Februar). Da käme ja auch keiner auf den Gedanken nach Verbindungen zu dem bronzezeitlichen Hundegrab zu suchen.

Edit: Das einzige (allerdings immerhin ein) Indiz dafür, dass jenes Hundegrab mit der Initiation zum Krieger in Zusammenhang stehen könnte, ist das Lebensalter der ausgegrabenen Hunde zw. 7 u. 12 Jahren.
 
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Die Legende vom Weltenbaum stellt einen Teil des gemeinsame Sagenschatzes aller Indogermanischen Völker dar. Gibt es noch andere alte Geschichte, die bei allen Mitgliedern dieser Sprachgemeinschaft auftreten?

Ich weiß nicht, ob wissenschaftliche Untersuchungen Aufschluss darüber geben, ob und welche Mythen bei allen - oder den meisten - indogermanischen Völkern verbreitet sind. Ich habe im Net keine entsprechenden Publikationen gefunden, sodass ein solcher Nachweis anscheinend schwer zu erbringen ist. Ob z.B. der germanische Mythos vom Weltuntergang - altnordisch "Ragnarök - oder auch andere Mythen Gemeingut indogermanischer Völker sind, scheint kaum oder gar nicht erforscht. Insofern lässt sich deine Frage nicht beantworten.
 
Ich weiß nicht, ob wissenschaftliche Untersuchungen Aufschluss darüber geben, ob und welche Mythen bei allen - oder den meisten - indogermanischen Völkern verbreitet sind. Ich habe im Net keine entsprechenden Publikationen gefunden, sodass ein solcher Nachweis anscheinend schwer zu erbringen ist. Ob z.B. der germanische Mythos vom Weltuntergang - altnordisch "Ragnarök - oder auch andere Mythen Gemeingut indogermanischer Völker sind, scheint kaum oder gar nicht erforscht. Insofern lässt sich deine Frage nicht beantworten.

Ist Dumézil noch nicht übersetzt?


Georges Dumézil - Wikipédia
 

Danke für den Hinweis! :winke:

Wie ich sehe, hat Georges Dumézil eine ganzue Reihe von Werken über die Mythologie, Religion und gesellschaftliche Struktur der Indoeuropäer veröffentlicht. Dort düften sich sicher zahlreiche konkrete Hinweise über mythologisches Gemeingut der indoeuropäischen Völker finden.

Hier der deutsche Link zu Dumézil, wo auch die übersetzten Werke aufgelistet sind: https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Dumézil

Dumézil sah Mythen, die er nicht historisch, sondern strukturalistisch behandelte, als soziale Muster an. Er entwickelte dafür eine Methode der komparativen Mythologie, nach der zwei Götter identisch waren, wenn sie in ihrem jeweiligen Pantheon analoge Funktionen wahrnahmen. Er unternahm es, in vergleichender Methode bislang unerkannte, aber schlagende Strukturparallelen indischer, persischer, ossetischer, griechischer, römischer und germanischer Götter- und Heldensagen aufzudecken. Dumézil erkannte darin eine Analogie zwischen indogermanischer Sprachentwicklung zu indogermanischer Religionsentwicklung.
Seine strukturelle Theorie baut auf der These auf, dass der Götterhimmel ein Abbild der Gesellschaft ist. Viele indogermanischen Kulturen bestanden aus den drei freien Ständen Lehrstand, Wehrstand und Nährstand. Darauf folgerte Dumézil folgendes Schema:
 
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Danke für den Hinweis! :winke:

Wie ich sehe, hat Georges Dumézil eine ganzue Reihe von Werken über die Mythologie, Religion und gesellschaftliche Struktur der Indoeuropäer veröffentlicht. Dort düften sich sicher zahlreiche konkrete Hinweise über mythologisches Gemeingut der indoeuropäischen Völker finden.

Hier der deutsche Link zu Dumézil, wo auch die übersetzten Werke aufgelistet sind: https://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Dumézil


Da haben wir auch den etwas schwierigen aber unverzichtbaren

Mircea Eliade ? Wikipedia
 
schwierig wird es halt für die vergleichende Mythenerforschung, wenn ihre Quellen aus sehr verschiedenen Epochen stammen - z.B. fällt bzgl. Stoff und Motiv eine Ähnlichkeit zw. dem russ. Brautwerbermärchen und der altnordischen Brunhild-Sigurd Geschichte auf, aber sehr viel mehr als die Vermutung, dass dieses Motiv evtl. älter ist, lässt sich damit nicht anfangen.
 
schwierig wird es halt für die vergleichende Mythenerforschung, wenn ihre Quellen aus sehr verschiedenen Epochen stammen - z.B. fällt bzgl. Stoff und Motiv eine Ähnlichkeit zw. dem russ. Brautwerbermärchen und der altnordischen Brunhild-Sigurd Geschichte auf, aber sehr viel mehr als die Vermutung, dass dieses Motiv evtl. älter ist, lässt sich damit nicht anfangen.

Deshalb benutzte Dumézil ja die Methoden des

Strukturalismus ? Wikipedia
 
nur dass sich rein strukturell nicht feststellen lässt, wann ein Motiv irgendwohin gewandert ist usw. - so mag strukturell das genannte Brautwerbermotiv indogermanisch sein, nur weiß keiner zu sagen, wann und warum es in Russland auftauchte

Lies den Beitrag zu Lévi-Strauss.Da ist die Denkschule am besten erklärt.
 
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