Seßhafte vs. umherziehende Jägergesellschaften

Beral

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Wenn von Jägern die Rede ist, werden oft implizit nomadisierende Jägerkulturen unterstellt. Spätestens, wenn die Jäger dann der Seßhaftigkeit gegenübergestellt werden, kommt der berechtigte Einwand, dass Jäger auch seßhaft sein können. Ich finde, dieses Thema ist interessant genug für eine eigene Diskussion, und mir fallen auf Anhieb viele Fragen dazu ein.

  • Wenn man Jägergesellschaften in nomadisierend und seßhaft einteilt, wie sieht dann die prozentuale Verteilung aus?
  • Unter welchen Umständen werden Jäger seßhaft? Welche Rahmenbedingungen müssen dafür erfüllt sein?
  • Gibt es seßhafte Wildbeuter, die über Jahrzehnte/Jahrhunderte einen einzigen Ort bewohnen?
  • Können wir bei steinzeitlichen Jägergemeinschaften feststellen, ob sie seßhaft oder nomadisierend waren? Wie stellt man sowas fest?
Ich habe keinerlei Fakten zur Verfügung, nehme aber an, dass seßhafte Jäger-und-Sammler Kulturen im Vergleich zur nomadischen Ausprägung eher die Ausnahme darstellen.
Um als Jäger seßhaft werden zu können, muss man schon sehr günstige Verhältnisse vorfinden. Das eigene Revier muss das ganze Jahr über genug Fraß für die Sippe hergeben und sich während der Ausbeutung regenerieren können. Ein weiterer Faktor ist die Besiedlungsdichte. Wenn es doch mal eine Krisenzeit gibt, kann ich einfach 50 km weiter zur besseren Stelle umziehen oder ist ringsum schon alles besetzt von anderen Stämmen?

Die Frage ist auch, wie genau wir Seßhaftigkeit definieren. Wenn irgendwo im Amazonasgebiet ein Stamm innerhalb seines Reviers jedes Jahr den Wohnort wechselt und dabei jeweils ein neues Dorf aus ein paar Hütten baut, würde ich persönlich das noch nicht als seßhaft bezeichnen.

Für die Besiedelung Europas durch Homo Sapiens liegen uns Funde mehrheitlich aus dem Landesinneren vor, und wir nehmen an, dass die frühen Wildbeuter mehr oder weniger den Tierherden hinterhergezogen sind. Damalige Küstengebiete liegen allesamt unter Wasser und sind archäologisch praktisch unerschlossen. Wenn wir ganzjährig bestehende Nahrungsquellen an den Küsten unterstellen, wie z.b. Muscheln und Algen, könnten wir spekulieren, dass die Wildbeuter an den Küstengebieten seßhaft waren oder zumindest länger an einem Ort verweilten als ihre Kollegen im Landesinneren.
 
kleine Korrektur

@ Beral: Interessante Fragestellung!

Vorab nur ein kleiner Hinweis. Das Wort "nomadisierend" setzt voraus, das die mit diesem Wort gekennzeichneten humanen Populationen mindestens bereits Hirten waren. Im Zusammenhang von paläolithischen und mesolithischen Wildbeutern, also Jägern, Fischern und Sammlern der Alt- und Mittelsteinzeit, sprechen wir Urgeschichtler von "Wildbeutern mit einer schweifenden oder mobilen Lebensweise". Die Paläolithiker und Mesolithiker lebten nicht als Nomaden; das ist schlichtweg falsch ausgedrückt.

Liebe Grüße, Galgenpapst
 
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Ok. Weitere begriffliche Schwammigkeit meinerseits: "Jäger". Ich meine eigentlich Jäger und Sammler, also Wildbeuter.
 
Damalige Küstengebiete liegen allesamt unter Wasser und sind archäologisch praktisch unerschlossen. Wenn wir ganzjährig bestehende Nahrungsquellen an den Küsten unterstellen, wie z.b. Muscheln und Algen, könnten wir spekulieren, dass die Wildbeuter an den Küstengebieten seßhaft waren oder zumindest länger an einem Ort verweilten als ihre Kollegen im Landesinneren.

Es mag noch vieles unter Wasser liegen aber manches hat man auch gefunden. An den Küsten gab es eine seßhaftere Lebensweise von Muschelsuchern, deren Muschelschalenabfallhaufen man gefunden hat.
Køkkenmøddinger ? Wikipedia

Wahrscheinlich waren die Küsten dichter besiedelt als manche Teile des Landesinneren, eben weil eine kontinuierliche Ernährung dort gesichert war.
Das schließt Jagd- und Sammelzüge ins Landesinnere oder auf Inseln nicht aus. Man hat Reste von Jagdlagern gefunden, die z.B. nur im Sommer besucht wurden. Ob ein Lager ganzjährig oder nur einige Monate bewohnt wurde, kann man an der Zusammensetzung der Abfälle erkennen.
 
Ok. Weitere begriffliche Schwammigkeit meinerseits: "Jäger". Ich meine eigentlich Jäger und Sammler, also Wildbeuter.

Wie im anderen Fred schon erwähnt handelt es sich bei Wildbeutern und Jägern/Sammlern um unterschiedliche Wirtschaftsformen.



Die Frage ist auch, wie genau wir Seßhaftigkeit definieren. Wenn irgendwo im Amazonasgebiet ein Stamm innerhalb seines Reviers jedes Jahr den Wohnort wechselt und dabei jeweils ein neues Dorf aus ein paar Hütten baut, würde ich persönlich das noch nicht als seßhaft bezeichnen.

Dazu ist zu bemerken, daß es durchaus nicht sein muß, menschliche Kulturformen mit einem Vokabular zu belegen, daß üblicherweise auf Tiere bezogen ist (Revier) - dies würdigt die betroffenen Menschen nicht nur herab, sondern entmenschlicht sie sogar. Nach mehreren hundert Jahren, in denen dies gang und gäbe war, dürfen wir derzeit Lebenden jedoch etwas aus der Geschichte gelernt haben.

Im übrigen wechseln auch die Ethnien im Amazonasgebiet nicht jährlich die Wohnorte, sondern bearbeiten die angelegten Felder mehrere Jahre, bis die Böden in der Umgebung erschöpft sind. Dann erfolgt der Umzug innerhalb der von der Ethnie bewohnten Region. Da an einem Standort auch Felder an wechselnden Orten angelegt werden, sind diese Umzüge lange nicht so häufig nötig, als daß sie jährlich erfolgen müßten.
 
Wie im anderen Fred schon erwähnt handelt es sich bei Wildbeutern und Jägern/Sammlern um unterschiedliche Wirtschaftsformen.
:vermoebeln:
Es wäre hilfreich, wenn du die Unterschiede auch erläutern würdest. Bei den mir bekannten Definitionen werden "Wildbeuter" und "Jäger/Sammler" synonym verwendet.
 
Echtes Nomadentum ist relativ jung, vielleicht bronzezeitlich. Dazu bedurfte es erst einmal in den Haustierstand überführte Herden, denen man quasi folgte. Selbst in der Steppe gab es primär Ackerbau, der dann oft zugunsten einer mobilen Lebensweise aufgegeben wurde. Manche Tierarten (z.B. Schweine oder Geflügel) taugen für diese Wirtschaftsform, fast ständig auf Achse, allerdings nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ingeborgs Antwort hierauf würde mich auch interessieren! Galgenpapst

Mich auch. Denn der Begriff Wildbeuter ist für mich relativ neu, und hört sich für mich an, als würde überwiegend von der Jagd (also von Fleisch) gelebt werden.
Dagegen leben Jäger und Sammler meines Wissens zu 70 - 80% von der Sammeltätigkeit.
Wobei die Nahrung natürlich von dem was die Umgebung hergibt abhängig ist, und somit eine Differenzierung angebracht wäre.
 
Es wäre hilfreich, wenn du die Unterschiede auch erläutern würdest. Bei den mir bekannten Definitionen werden "Wildbeuter" und "Jäger/Sammler" synonym verwendet.

Da sind sie auch, beides meint genau die gleiche Art seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wildbeuter ist meines Wissens nach ein Begriff der vor allem durch Ethnologen nachhaltig geprägt wurden und damit den wohl älteren Begriff der Jäger und Sammler ein wenig abgelöst hat.
 
Dagegen leben Jäger und Sammler meines Wissens zu 70 - 80% von der Sammeltätigkeit..

... und wie wir längst wissen, müsste es eigentlich Jäger und Sammlerinnen heißen, ganz abgesehen davon, dass sie in erster Linie das Überleben einer altsteinzeitlichen Horde sicherten. Die Herren der Schöpfung hatten beileibe nicht immer Erfolg bei der Jagd, lagen aber vermutlich öfter auf der Bärenhaut, während die fleißigen Gemahlinnen Wurzeln, Früchte, Beeren, Knollen, Schnecken, Muscheln, Vogeleier, Termiten und anderes sammelten, wofür sich die Herren der Jagd vermutlich zu schade waren.

Ob allerdings, wie oben angeklungen, das Nomadentum stets aus einer sesshaften Lebensweise hervorging, ist unsicher und kaum beantwortbar. Viele historisch bekannte Völker waren Halbnomaden, d.h. sie verbanden die nomadische Viehzucht mit einem rudimentären Ackerbau, ohne deshalb das umherziehende Nomadentum aufzugeben. Daneben gibt es aber auch Vollnomaden wie die Hunnen oder Mongolen, heute noch die Pygmäen, Beduinen oder Massai.

Von den Beduinen oder Pygmäen wissen wir, dass sie seit es archäologische oder schriftliche Quellen gibt, Nomaden gewesen sind. Warum sollten sie also nicht direkt aus steinzeitlich-nomadischen Stämmen hervorgegangen sein und somit diese Lebensweise von Anfang an bewahrt haben?
 
Ob allerdings, wie oben angeklungen, das Nomadentum stets aus einer sesshaften Lebensweise hervorging, ist unsicher und kaum beantwortbar. Viele historisch bekannte Völker waren Halbnomaden, d.h. sie verbanden die nomadische Viehzucht mit einem rudimentären Ackerbau, ohne deshalb das umherziehende Nomadentum aufzugeben. Daneben gibt es aber auch Vollnomaden wie die Hunnen oder Mongolen, heute noch die Pygmäen, Beduinen oder Massai.
Das ist ein Mißverständnis. Mir ging es darum, daß die Viehzucht als Grundlage des Nomadismus aus der Landwirtschaft heraus entstanden ist und nicht aus einer Jäger-und-Sammler-Kultur. Die Menschen mußten erst seßhaft werden, um Viehzeug erfolgreich zu domestizieren. Wie mobil sie dann mit ihren Herden später waren, ist dabei völlig unerheblich.
 
Da hat der liebe Gott einen Fehler bei uns Menschen gemacht.
Pflanzen leben nur vom Wasser und gedeihen. Da kommt der Mensch und frisst sie auf.
Ich glaube, der würde das rückgängig machen, wenn er könnte.:D
 
Von den Beduinen oder Pygmäen wissen wir, dass sie seit es archäologische oder schriftliche Quellen gibt, Nomaden gewesen sind. Warum sollten sie also nicht direkt aus steinzeitlich-nomadischen Stämmen hervorgegangen sein und somit diese Lebensweise von Anfang an bewahrt haben?
Noch mal der Hinweis: man muß ganz genau unterscheiden zwischen mobilen Jägern und Sammlern und Nomaden. Die Pygmäen sind _keine_ Nomaden sondern Jäger und Sammler. Nomaden sind immer mobile Viehzüchter.
Die Beduinen sind auch erst Beduinen, seit es domestiziertes Herdenvieh, v.a. Kamele gibt. Daß die Entwicklung der Viehzucht aus seßhaften Kulturen heraus entstanden ist, ist in der modernen Nomadenforschung Konsens. Ich schau mal, ob ich einen Beleg dafür finde.
 
Die Menschen mußten erst seßhaft werden, um Viehzeug erfolgreich zu domestizieren. Wie mobil sie dann mit ihren Herden später waren, ist dabei völlig unerheblich.

Mussten sie das wirklich?

Es gibt bei den Nomaden Sommer-und Winterlager, was den Status des Nomadismus nicht berührt. In solchen Lagern könnte durchaus z.B. die Züchtung von Pferden durch Nomadenvölker erfolgt sein, wie man das vielfach annimtt.

Ferner ist es denkbar, dass während des Neolithikums die Nomaden Tiere aus jungsteinzeitlichen Siedlungen raubten und so zu zu einem Viehbestand kamen.
 
@Dieter: Wer gejagt hat und wer gesammelt hat und wer in den prähistorischen Epochen gefischt hat, wissen wir Archäologen nicht. Unsere Funde und Befunde sind in ihrer Aussage begrenzt: Gefühle, Denken, Glauben usw, aber auch die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern lehren sie uns (leider) nicht.

Und seit längerem sprechen wir nicht mehr von "Horden" im Kontext mit paläolithischen und mesolithischen oder auch anderen Humanpopulationen. Der Begriff "Sippe" ist noch üblich.

Galgenpapst
 
Mussten sie das wirklich?

Es gibt bei den Nomaden Sommer-und Winterlager, was den Status des Nomadismus nicht berührt. In solchen Lagern könnte durchaus z.B. die Züchtung von Pferden durch Nomadenvölker erfolgt sein, wie man das vielfach annimtt.
Äh, ja? Nomaden züchten Tiere. Und?
Ferner ist es denkbar, dass während des Neolithikums die Nomaden Tiere aus jungsteinzeitlichen Siedlungen raubten und so zu zu einem Viehbestand kamen.
Du verwechselst, glaube ich, immer noch mobile Jäger mit Nomaden. :fs:
Viehzucht ist keine einfache Sache. Eine Gruppe, die sonst nur jagt und sammelt, kann nicht automatisch auch mit einer Viehherde umgehen, außer sie zu schlachten und aufzuessen.
 
@Dieter: Wer gejagt hat und wer gesammelt hat und wer in den prähistorischen Epochen gefischt hat, wissen wir Archäologen nicht.

Dass wir das nicht wissen, habe ich bereits weiter oben gesagt:

Dieter schrieb:
Ob allerdings, wie oben angeklungen, das Nomadentum stets aus einer sesshaften Lebensweise hervorging, ist unsicher und kaum beantwortbar.

Hier geht es somit - was jedem Diskutanten klar ist - lediglich um Spekualtionen und Hypothesen, die mehr oder weniger begründbar oder einsichtig sind.
 
Viehzucht ist keine einfache Sache. Eine Gruppe, die sonst nur jagt und sammelt, kann nicht automatisch auch mit einer Viehherde umgehen, außer sie zu schlachten und aufzuessen.

Ich rede hier nicht von Nomaden oder Jägern des Paläolithikums, sondern von deren Fortsetzung im Neolithikum.

Wir sprechen hier von einer Kontinuität nomadisierender Gruppen, die auch im Neolithikum ihre Lebensweise nicht aufgaben. Denen muss man allerdings zubilligen, dass sie ebenfalls kulturelle Fortschritte machten und ihr Nomaden- und Jägerdasein perfektionierten.

Wie schon oben gesagt ist es denkbar, dass diese aus paläolithischen Gruppen hervorgegangenen nomadisch lebenden Populationen in ihren Sommer- und Winterlagern z.B. Pferde züchteten - vielleicht auch raubten.
 
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