Sunghir: Ockergefüllter (Neandertaler-)Knochen?

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Ardwulf hat in dem Thread http://www.geschichtsforum.de/f22/reichtum-der-fr-hzeit-des-menschen-51872/ auf den Fundplatz Sunghir aufmerksam gemacht.
Zu den bemerkenswerten Grabbeigaben gehörte unter anderem auch ein von Otto Bader ausgegrabener, relativ massiver Oberschenkelknochen mit abgeschlagenen Gelenken, der möglicherweise von einem Neandertaler stammt. Die Markhöhle dieses Knochens war mit Ockerpulver ausgefüllt.
Der englische Wikipedia-Artikel, der ausführlicher ist, nennt keine besondere Herkunft des Knochens:
The adult male was buried in what is called Grave 1 and the two adolescent children in Grave 2, placed head-to-head, together with an adult femur filled with red ochre.[2]
Der niederländische Wikipedia-Artikel hat den Neandertalerknochen wieder:
Onder zijn linker schouder een figuurtje van een mammoet, en ernaast een uitgehold dijbeen, mogelijk van een neanderthaler, gevuld met oker.
Müssen/dürfen/sollen wir davon ausgehen, dass es sich bei dem Knochenfund um ein Nahrungsmittel handelt, dass den Toten mit auf den Weg gegeben wurde? Dass der in den Knochen gefüllte Ocker das Mark symbolisieren sollte, das der Tote aus dem Knochen schlürfen sollte? Müssen/dürfen/sollen wir dann davon ausgehen, dass Neandertaler von dieser Gruppe als Jagdbeute angesehen wurden bzw., sollte es sich um keinen Neandertalerknochen handeln, müssen/dürfen/sollen wir davon ausgehen, dass diese Gruppe kannibalische Lebensweisen pflegte?

Otto Bader war im Übrigen ein russischer (wolgadeutscher?) Archäologe, geboren 1903 in Perm. Sein voller Name Otto Nikolayevitsch Bader. Ich nehme an, dass der Autor, der in einigen Wikipediaartikeln geführt wird mit Namen Nikolai Bader, sein Sohn ist.
 
Das habe ich nicht so recht beachtet, du hast Recht. Wobei du sogar schon eine der Datierungen genommen hast, die Sunghir noch einigermaßen nahe kommt. Manche Paläanthropologen setzen das Aussterben des Neandertalers noch viel früher an.

Damit können wir also den Neandertalerknochen als fehlinterpretiert ad acta legen. Trotzdem scheint es sich ja um den Oberschenkelknochen eines Hominiden zu handeln, der da mit Ocker befüllt wurde und als Hominide kommen nur HSS vom Typ Cro Magnon in Frage kommen, muss man die Frage nach dem Kannibalismus stellen. Kannibalismus hat es ja bis in die jüngere Geschichte gegeben (ich spreche jetzt vorwiegend von rituellem Kannibalismus, nicht von Kannibalismus aus Not, wie er vereinzelt aus dem belagerten Leningrad oder vom Flugzeugabsturz in den Anden 1972 bekannt ist). Insofern: Können wir den beigegebenen Knochen als Hinweis auf Kannibalismus werten? Ist der in die Knochenröhre gefüllte Ocker ein Substitut für das Knochenmark? Sicher, eine definitive Antwort wird es nicht geben. aber Meinungen nebst Argumenten dafür/dagegen kann man ja äußern.
 
IMO kann man nicht wirklich verstehen was Menschen vor so langer Zeit gedacht haben, kann sein dass es sich um symbolisches Knochenmark gehandelt hat, mag aber auch sein, dass damals Oberschenkelknochen als Schminkkoffer modern gewesen sind.

Was werden sich Archäologen in 25.000 Jahren denken wenn sie eine Skiflugschanze ausgraben? Rituelle Opferstätte? Primitives Observatorium? Dass da freiwillig einer runterhupft wird ihnen vermutlich nicht in den Sinn kommen.^^
 
Zumindest gibt es bei Sunghir ein paar Argumente für eine rituelle Bedeutung. Beide Kinder wurden reich bestattet, mit Waffen welche zum Teil offenbar eher zeremonieller Natur waren (zu schwer für einen echten Einsatz) und seltsamen Platten die scheinbar zu diesen Waffen dazu gehörten.

Gegen die Theorie des Knochens als Nahrungsmittel spricht meiner Meinung nach der Punkt, dass der Ocker zumindest den Mann einst bedeckte - scheinbar also zumindest für die damaligen Leute eher eine andere Bedeutung hatte als Nahrung. Auch meine ich gelesen zu haben, dass der Knochen älter als die Leute ist. Einen alten, ausgegrabenen Knochen werden die wohl kaum als Nahrungsmittel verstanden haben.
 
Wenn der ockerbefüllte Knochen tatsächlich einem anderen Zeithorizont entnommen als Grabbeigabe benutzt worden ist, dann mag das natürlich die Interpretationsspielräume verändern.

Was nun den Ocker angeht: Ich würde den Ocker, semiotisch betrachtet, nicht unbedingt als per se festgelegtes Zeichen ansehen. Wenn ich die Überlegung anstelle, dass man die Knochenröhre mit Ocker ausgefüllt hat, um den Verstorbenen symbolisch das nahrhafte Knochenmark mit den Weg zu geben, dann meine ich nicht, dass der Ocker in anderen Kontexten - selbst in demselben Grab nicht, für Nahrung steht. Das eine ist es eben, einen Röhrenknochen mit Ocker zu befüllen und das andere ist es, die Verstorbenen mit Ocker zu bedecken.
 
IMO kann man nicht wirklich verstehen was Menschen vor so langer Zeit gedacht haben, kann sein dass es sich um symbolisches Knochenmark gehandelt hat, mag aber auch sein, dass damals Oberschenkelknochen als Schminkkoffer modern gewesen sind.

Was werden sich Archäologen in 25.000 Jahren denken wenn sie eine Skiflugschanze ausgraben? Rituelle Opferstätte? Primitives Observatorium? Dass da freiwillig einer runterhupft wird ihnen vermutlich nicht in den Sinn kommen.^^

So eine ähnliche Form habe ich als Kind mal der NASA als Startrampe für Raumfähren vorgeschlagen - und eine freundliche und ausführliche Antwort mit vielen Bildern bekommen. :D Aber eine Opfervorrichtung würde schon Sinn machen. Mit Zzzzt und Bummm ins Verderben.
 
Zurück
Oben