Wie läuft die Expansion einer Menschenpopulation ab?

Beral

Aktives Mitglied
Gemäß der Out-of-Africa Theorie gehen wir heute von einer Verbreitung des Menschen von Afrika über die gesamte Welt aus. Ich versuche mir das bildlich aus der Vogelperspektive vorzustellen.

Möglichkeit a) Eine hochmobile Truppe zieht weiter und weiter und weiter... bis sie irgendwann in Asien, Australien usw. ankommt. Der ersten Truppe folgt eine zweite usw.

Möglichkeit b) Die Wildbeuterpopulation vermehrt sich langsam. Um die Bevölkerungsdichte konstant zu halten, werden am Rande neue Gebiete besiedelt. Die Ausbreitung erfolgt in kleinen Schritten und braucht für jeden Schritt eine oder mehrere Generationen.

Ist euch etwas darüber bekannt, wie es abgelaufen ist? Ich meine mich zu erinnern, dass es Berechnungen gibt, wie groß die Geburtenrate sein muss, um entlang der Küste eine Strecke x in y Jahren nach der Methode b) zurückzulegen.

Zu b) habe ich dann auch eine weitere Frage.
Angenommen sei ein Streifen Küstengebiet, auf der einen Seite vom Meer begrenzt, auf der anderen Seite von einem unüberwindbaren Gebirgszug. Dieser "Schlauch" ist 50 km breit und 500 km lang. Gehen wir von einer durchschnittlichen Gleichverteilung der Ressourcen aus. In der Mitte haben wir eine Ausgangspopulation von 25 Personen - eine Sippe Wildbeuter. Sie besiedeln ein 20 km langes Areal im Schlauch. Bei 50 km Breite macht das eine Fläche von 1000 km². Dieses Siedlungsgebiet sei mit "A" gekennzeichnet.
Code:
Gebirge
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Küste                           A
Gehen wir von günstigen Bedingungen aus. Die Sterblichkeitsrate ist relativ gering, die Geburtenrate liegt bei durchschnittlich 3-4 Kindern pro Frau. Gehen wir davon aus, dass ein Ehepaar 3 Kinder durchbringt, von denen jeder ebenfalls 3 Kinder in seiner Ehe zeugt und durchbringt, dann haben wir pro Generation eine 1,5-fache Zunahme der Bevölkerungszahl.

In einer Generation wächst unsere Sippe von 25 auf 37 Köpfe. In der nächsten Generation sind es schon 56. Spätestens jetzt teilt sich die Gruppe in zwei neue Gruppen zu je 28 Mitgliedern. Die neue Gruppe besetzt ein benachbartes Gebiet. Es sei mit "B" gekennzeichnet. In zwei Generationen sind beide Gruppen wieder reif für die Teilung. Es werden neue Gebiete besiedelt, C, D, E usw.
Code:
Gebirge
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Küste                           A      B      C
Und jetzt meine Frage. Wir haben jetzt also 3 Gruppen A, B, C, die sich alle fleißig vermehren. A und C können ihre "Überschüsse" einfach nach außen abgeben, aber was macht B?

Wiederum gibt es mehrere Möglichkeiten.
1) Die B-Abwanderer ziehen so lange weiter, bis sie auf freies Gebiet stoßen. Dort lassen sie sich nieder. Problem: Irgendwann sind tausende Kilometer Küste durchgängig besiedelt, aus der Mitte müsste man jeweils extrem lange Strecken zurücklegen und sämtliche Verwandtschafts- und Freundschaftsbanden abreißen lassen. Klingt langfristig nicht praktikabel. Allerdings denkbar als Lösung speziell für die Randgebiete.

2) B teilt sich und drängt ein wenig in die Gebiete von A und C vor. Die müssen deshalb auch nach außen drängen und die dort Angesiedelten wegschieben. Da sich A und C aber ebenfalls vermehren, drängen sie noch zusätzlich nach außen weg. Schon bei D sind wir so weit, dass D das Stammesgebiet komplett verlassen muss und E, F (teilweise auch G) verdrängt. Solche Umwälzungen alle paar Generationen wirken auch irgendwie unpraktisch, zumal sich auch hier die Problematik zum Rand hin potentiert.

3) Wenn obige Möglichkeiten nicht mehr praktikabel ist, müssen die Gruppen im Zentrum Bevölkerungskontrolle betreiben, also Abtreibung, Infantizid, sexuelle Tabus usw. nutzen, um konstant bei 25 Personen zu verbleiben. Die Bevölkerungsvermehrung findet also nur an den Rändern statt. Ein paar Stammesgebiete hinter dem jeweiligen Rand erfolgt die Umstellung von fröhlicher Vermehrung auf Bevölkerungskontrolle.

Was meint ihr?
Was sagt die Wissenschaft dazu?
 
Was die Wissenschaft dazu sagt, würde mich auch interessieren.
Ich halte das Modell b für realistischer, weil es dem menschlichen Verhalten eher entspricht. Bei den Rechenmodellen muß mE berücksichtigt werden, dass es
1. Beziehungen zwischen den 3 Streifen gibt
2. in jeder Gruppe Individuen gibt, die wanderfreudiger sind. Traditionell wandern nachgeborene Jugendliche nach der Pubertät
3. dadurch der Unterschied der Vermehrungsraten in den Streifen in der Praxis nicht so groß ist. Nachgeborene heiraten in Randstreifen ein etc.
 
In der Bibel ist so eine Wanderung am Beispiel des Volkes Israel beschrieben. Das legt ganz schön weite Strecken über lange Zeit zurück, durchquert Wüsten, wird über Jahrzehnte versklavt, zieht dann so lange weiter, bis es eine Stadt findet, die es erobern kann und das auch schafft. Also schon damals, nicht erst bei der Völkerwanderung, war die (erreichbare) Welt so dicht besiedelt, dass erst eine andere Population mit Gewalt verdrängt werden musste, um überhaupt einen festen Siedlungsplatz zu bekommen.
 
das ist auch eine Frage der geltenden Rechtsordung der jeweiligen Gesellschaft. Meistens war es üblich, dass der älteste Sohn alles erben kann (Hof und Boden), mit der Ausnahme des Kantons Bern, wo es Tradition war, dass der jüngste Sohn Hof und Boden erbte. Die anderen gingen leer aus, mussten sich irgendwie durchschlagen (als Taglöhner?) oder wurden rekrutiert für weitere Gebietseroberungen (mit Erfolgsbeteiligung, ev. durch Zuteilung eines neuen Grundstückes innerhalb des neu eroberten Gebietes oder allenfalls soger einer Berufsmilitärkarriere mit entsprechendem Sold). Anmerkung: Berufsmilitär war insbesondere eine Spezialität der Römer und deren Professionalität hat dann auch die entsprecheden militärischen Erfolge begründet, welche die enorme Grösse des römischen Reiches seinerzeit ermöglichten.
 
Zuletzt bearbeitet:
das ist auch eine Frage der geltenden Rechtsordung der jeweiligen Gesellschaft.
Ich sehe es eher umgekehrt, dass die Rechtsordnung eine Folge der demographischen Notwendigkeit ist. Die Phase, die Du beschreibst, ist eine Zeit mit hoher (potenziellen) Bevölkerungsdynamik bei stagnierender Landwirtschaft. Hier mussten zahlreiche Tools ersonnen werden, um die Leute an unkontrollierter Fortpflanzung zu hindern.

Die Möglichkeiten der Bevölkerungskontrolle via Rechtsordnung bzw. gesellschaftlichem Druck sind aber von der Art der Gesellschaftsform abhängig. Eine Jäger- und Sammlerkultur kann niemanden ins Kloster schicken oder zum Mostköpfchen*) machen.

*) durch Alkoholgabe im Kleinkindalter verblödeter Nachgeborener, dient als Knecht beim Hoferbennt.
 
Wenn obige Möglichkeiten nicht mehr praktikabel ist, müssen die Gruppen im Zentrum Bevölkerungskontrolle betreiben, also Abtreibung, Infantizid, sexuelle Tabus usw. nutzen, um konstant bei 25 Personen zu verbleiben. Die Bevölkerungsvermehrung findet also nur an den Rändern statt. Ein paar Stammesgebiete hinter dem jeweiligen Rand erfolgt die Umstellung von fröhlicher Vermehrung auf Bevölkerungskontrolle.

Für diese Möglichkeit wird vielfach die exogame Heiratsregel genutzt.
D.h. das ein "Überschuss" an Bevölkerung dazu führt , dass entweder junger Männer oder Frauen, in manchen Fällen auch beide Geschlechter, in die anderen Gruppen verheiratet werden. Aber genauso gut gilt dein Punkt 3 zumeist.

In der Bibel ist so eine Wanderung am Beispiel des Volkes Israel beschrieben. Das legt ganz schön weite Strecken über lange Zeit zurück, durchquert Wüsten, wird über Jahrzehnte versklavt, zieht dann so lange weiter, bis es eine Stadt findet, die es erobern kann und das auch schafft. Also schon damals, nicht erst bei der Völkerwanderung, war die (erreichbare) Welt so dicht besiedelt, dass erst eine andere Population mit Gewalt verdrängt werden musste, um überhaupt einen festen Siedlungsplatz zu bekommen.
Es geht hierbei um Jäger/Sammler Gesellschaften, aus diesem Grund halte das Bsp. der Wanderung des "Volkes Israel" für nicht geeignet für die Diskussion in diesem Thread.
 
Für diese Möglichkeit wird vielfach die exogame Heiratsregel genutzt.
Da muss man aber zunächst einmal entscheiden, ob man die Bevölkerungszahl begrenzen oder ob man wandern bzw. expandieren will.

Wenn die Bewohner jedes Gebietes ihre Bevölkerungszahlen konstant halten bzw. kontinuierlich der Kapazität ihres Gebietes anpassen würden, gäbe es keine Expansion und keine Konflikte zwischen den Bewohnern der verschiedenen Territorien.

Die Geschichte der Menschheit ist aber anders verlaufen. Ansonsten wäre der Homo Sapiens eine lokale Spezies in Ostafrika.
 
Ich verfolge amüsiert mit, werde mich aber erst später konkret melden. H. sapiens war ursprünglich ein "beachcomber", der den Küsten Südasiens folgte. Daher auch die frühe Besiedelung Australiens über das damals fast trockene Sundaschelf. Ins Innere der Kontinente drang er erst viel später.

Was die Zahl betrifft, das Maximum ist schnell erreicht, rechnet mal mit 2% per annum.
 
Zuletzt bearbeitet:
H. sapiens war ursprünglich ein "beachcomber", der den Küsten Südasiens folgte.
Genau darauf bezieht sich die Ausgangsfrage : Ist da ein Trupp Leute in einem Gewaltmarsch bis Australien vorgestoßen oder ist die Population gewachsen und immer weiter der Küste entlang expandiert ?

Ich glaube nicht, dass man die Frage "gewandert oder expandiert" abschließend beantworten kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Küstengebiete zwischen Afrika & Australien versunken sind (der Meeresspiegel ist seitdem um 140 Meter gestiegen) und dass die Küstengebiete inzwischen mehrfach von anderen Menschen hin- und hererobert worden sind. Die meisten Spuren sind dabei verwischt worden (bis auf ein paar "verdächtige" Restpopulationen am Wegesrand, wie Andamanen, Orang Asli oder Drawiden sowie in Australien selbst).

Ich favorisiere die Expansionsthese. Mit einem An-der-Küste-entlang-expandieren müsste man es bevölkerungsmäßig in wenigen Jahrhunderten von Afrika bis Australien schaffen, schließlich brauchen Jäger & Sammler ein recht großes Territorium, in der Größenordnung von 1 km²/Nase. Die Frage der "eingeklemmten" Territorien in der Eingangsfrage dürfte bei Jägern und Sammlern kein so großes Problem sein, da kann eine "neue" (= wg. Wachstums abgespaltene) Gruppe ja erst mal so weit wandern kann, bis sie ein unbeanspruchtes Gebiet erreicht, d. h., bis sie nicht mehr attakiert wird.

Die Frage, warum sie dabei immer an der Küste geblieben sind, lässt sich leicht beantworten : Sie sind es nicht. Andere Zweige sind ins Landesinnere gewandert/ expandiert und eben nicht bis Australien gekommen. Die haben sich woanders weiterentwickelt und später ihre Vettern an der Küste niedergemacht.

Beide Szenarien (Wandern vs. Expandieren) kommen ohne Bevölkerungskontrolle aus. Letztere muss als Reaktion auf eine neue Notwendigkeit später entstanden sein.

Unter heutigen Jäger- und Sammlerkulturen ist offenbar Expansion kein Thema (die könnten allerdings auch nicht, selbst wenn sie wollten).

Die Khoi-San sind extrem ortsfest, vielleicht schon seit dem "Beginn der Zeit". Alle ihre sozialen Regeln sind auf Konstanz ausgerichtet. Den Begriff eines "Fortschritts" (man beachte die doppelte Bedeutung dieses Begriffs) gibt es nicht.

In Papua-Neuguinea wird viel gegeneinander Krieg geführt, ein Frieden muss überaus aufwendig organisiert werden. Er bedeutet dann aber nicht, dass alle glücklich sind, sondern dass jeder akzeptiert, lieber sein eigenes Kind umzubringen als einem Angehörigen des Nachbarstamms etwas wegzunehmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe es eher umgekehrt, dass die Rechtsordnung eine Folge der demographischen Notwendigkeit ist. Die Phase, die Du beschreibst, ist eine Zeit mit hoher (potenziellen) Bevölkerungsdynamik bei stagnierender Landwirtschaft. Hier mussten zahlreiche Tools ersonnen werden, um die Leute an unkontrollierter Fortpflanzung zu hindern.

Die Möglichkeiten der Bevölkerungskontrolle via Rechtsordnung bzw. gesellschaftlichem Druck sind aber von der Art der Gesellschaftsform abhängig.

Das sehe ich anders: in der Antike galt Kinderreichtum als Segen. Sogar in der Bibel steht: "seid fruchtbar und vermehret Euch". Dies ist nichts anderes als eine Widerspiegelung des damaligen Zeitgeistes. Kommt hinzu, dass es damals eine grosse Kindersterblichkeit gab, auch war es nicht selbstverständlich, dass ein Mensch das Erwachsenenalter erreichte.

Kommt hinzu, dass Sexualität und Nacktheit in der Vorchristlichen Zeit deutlich weniger tabuisiert waren, wenn man von Einzelfällen wie den keuschen Vestalinnen (Tempeldienerinnen) absieht.

Möglichkeiten (oder wie Du sagst: Tools), Nachwuchs zu verhüten oder gar Abzutreiben waren damals nur sehr wenige oder gar keine verfügbar.

Hingegen gab es in der Antike noch recht viele unbesiedelte Gebiete, welche man durch Rodung besiedeln konnte.
Als Beispiel könnte man die Völkerwanderung in Europa nehmen: die aufgrund eines kältermachenden Klimawandels südwärts ziehenden Germanen besiedelten in erster Linie dasjenige Land, das noch von niemanden beansprucht war. Somit war eine Ausdehnung möglich. Kommt hinzu, dass die damaligen Herrscher darauf erpicht waren, dass ihr Herrschaftsgebiet
a) möglichst gross war
b) möglichst viel Ertrag abwarf, was wiederum Steuern/Abgaben/den Zehnten (oder wie man es auch nennen mag) generierte
Um Punkt b) zu verbessern, bedarf es einer Bevölkerungszunahme und einer weiteren Landnahme (wenn man vom technischen Fortschritt absieht)

Auch dürfte es schwierig sein, sexuelle Handlungen der "einfachen Bevölkerung" zu kontrollieren: wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch; damals gab es noch viele Büsche...

Die (zwar mögliche, aber natürlich brutale) Massnahme der Kindstötung bei Ueberbevölkerung dürfte vermutlich gesellschaftlich fast unmöglich durchzusetzen gewesen sein: dies hätte wohl meist zu einem Volksaufstand geführt. Es hat vermutlich damals schon Fälle von Opferungen von Kindern oder des jüngsten Kindes gegeben, aber das war meist mehr religiös begründet und nicht als Bevölkerungsstabilisierungsmassnahme.
 
Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Thread sich auf die Zeit vor > 10.000 Jahren beziehen soll (zumindest hat DerGeist mich darauf hingewiesen). Glücklicherweise laufen gerade 1-2 Threads über die Völkerwanderungszeit.
 
Doch, das sind sie über Jahrzehntausende lang.
Das kann man nicht durch Ausgrabungen beweisen, weil die ehemalige Küste nicht mehr existiert.

Die Abwesenheit von Funden im Binnenland kann auch heißen, dass man die Funde nicht gefunden hat. Die Abwesenheit von "australischen" Genen in Küstenferne kann auch bedeuten, dass sie später restlos untergebuttert wurden - was den Aborigenes nur deshalb erspart blieb, weil hinter ihnen der Meeresspiegel stieg.

Die Frage wäre, warum sie die Küste nicht verlassen haben sollten. Das haben sie in Afrika doch auch gemacht, und später Menschen haben auch das eurasische Binnenland besiedelt.

Gleichzeitig führt die Küstenthese zu der Konsequenz, dass nachfolgende Populationen auch nur wieder aus Afrika gekommen sein können. Die hätten sich dann allerdings - gemäß dem Eingangsbeitrag - durch bereits besiedeltes Gebiet hindurchwursteln müssen.
 
Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Thread sich auf die Zeit vor > 10.000 Jahren beziehen soll (zumindest hat DerGeist mich darauf hingewiesen). Glücklicherweise laufen gerade 1-2 Threads über die Völkerwanderungszeit.

je nachdem, welche Zeitperiode man nimmt, ergeben sich unterschiedliche Situationen, welche ihre eigene Logik haben:

- zur Zeiten vor der agrarischen Revolution (vor 10'000 v.Chr.,) war der Mensch in erster Linie Sammler und Jäger: hier war eine Ueberbevölkerung kein Thema, da die Welt damals noch sehr dünn besiedelt war. Höchstens denkbar sind Engpässe nach Klimaeinbrüchen
- zu Zeiten der agrarischen Revolution (ab 10'000 v.Chr.) breitete sich der Mensch über Westeuropa aus und betrieb Landwirtschaft in grossem Stil
- zu Zeiten des Auftauchens von Germanen, Römern, Griechen und Kelten ergaben sich wiederum andere Situationen: es wurden andere Gebiete erobert und Völker wurden unterjocht.

Jede dieser Epochen müsste man gesondert betrachten und jeweils vermutlich unterschiedliche Schlussfolgerungen schliessen. Somit hätten wir insgesamt drei Threads.
 
- zur Zeiten vor der agrarischen Revolution (vor 10'000 v.Chr.,) war der Mensch in erster Linie Sammler und Jäger: hier war eine Ueberbevölkerung kein Thema, da die Welt damals noch sehr dünn besiedelt war. Höchstens denkbar sind Engpässe nach Klimaeinbrüchen
Wenn Überbevolkerung kein Thema war, warum ist dann die Ausbreitung erfolgt?

- zu Zeiten der agrarischen Revolution (ab 10'000 v.Chr.) breitete sich der Mensch über Westeuropa aus und betrieb Landwirtschaft in grossem Stil
- zu Zeiten des Auftauchens von Germanen, Römern, Griechen und Kelten ergaben sich wiederum andere Situationen: es wurden andere Gebiete erobert und Völker wurden unterjocht.

Jede dieser Epochen müsste man gesondert betrachten und jeweils vermutlich unterschiedliche Schlussfolgerungen schliessen. Somit hätten wir insgesamt drei Threads.

Beim "Gesondert betrachten" stimme ich Dir zu aber ich vermute eher ähnliche Schlußfolgerungen.
Muß man sich bei der Ausbreitung "Out of Africa" des Sapiens nicht fragen, auf wessen Kosten das geschah, d.h. wer lebte vorher von der biologischen Nische, die Sapiens begann, für sich zu beanspruchen?
 
Es ist unglaublich, wie schnell dieses Forum ein Thema verlässt und sich in Nebendiskussionen verliert. Ich bin frustriert und ratlos.
 
Verlässliche Antworten kann ich keine beisteuern, da diese Epoche der Geschichte mich nicht besonders tangiert.
Ich kann mich aber durchaus bei den systematischen Überlegungen mit einklinken.

1.
Es geht ja um eine Kultur von Jägern und Sammlern. Andererseits wird hier unbewusst von einem (festen) Siedlungsgebiet der jeweiligen Generationen ausgegangen. Inwieweit das angebracht ist, weiß ich nicht, wage aber, Bedenken zu äußern. J&S kommen ohnehin schon weit rum, wenn die Beutesituation es erfordert. Von daher sind größere Wanderungen nicht auszuschließen und können, wenn auch nicht unbedingt systematisch und regelmäßig, wohl durchaus zwischendurch ein festes Element der Ausbreitung gewesen sein. Insbesondere bei klimatischen Veränderungen nebst damit einhergehender Veränderung der Nahrungssituation sind weitere Wanderungen durchaus plausibel, zumal J&S auch mental nicht so ortsgebunden sind wie etwa sesshafte Bauern mit Landbesitz. Ihnen fällt der Entschluss, wegzuziehen, mit Sicherheit viel leichter, so dass es nicht ganz so dicke kommen muss, sie zum Umzug zu bewegen.

2.
Kommt es zu einer Überbevölkerung innerhalb eines Gebietes, dann tritt eine intraspezifische Habitatkonkurrenz auf. Soll heißen: die Angehörigen einer (der übervölkerten) Art nehmen sich gegenseitig nicht nur Nahrung und Lebensraum weg (letzteres in der J&S-Kultur wohl vernachlässigbar), es kommt zusätzlich zu Stress aufgrund ungewohnter Nähe der Individuumsgruppen - hier: Stämme/Clans.
Dieser Stress kann sich sehr wohl darin äußern, dass die Fruchtbarkeit zurückgeht; das ist ein Regulierungsmechanismus der Natur, der nicht nur auf bestimmte Arten beschränkt ist.
Ebenso kann sich dieser Stress in kriegerischen Auseinandersetzungen äußern, was eine vergleichsweise dünne Population sehr wohl merklich schwächen kann.

4.
Eine Population dürfte sich - wenn keine speziellen Einflüsse wirken - diffus ausbreiten. Also die hier schon angesprochene Expansionstheorie. Wenn keine objektiven (da kommt man nicht drüber) oder subjektiven (da will man aus welchen Gründen auch immer nicht drüber) Hindernisse im Weg sind, lässt sich das gar nicht vermeiden. Dabei darf man den langen Zeitraum nicht vergessen. Wenn jede Generation sich nur lumpige 20 km weiter ausbreitet, hat man nach 1000 Jahren auch schon um die 1000 km geschafft. Also im Schnitt 1 km pro Jahr. Wir sprechen hier aber von 10.000en von Jahren.

5.
Klaus:
In Papua-Neuguinea wird viel gegeneinander Krieg geführt, ein Frieden muss überaus aufwendig organisiert werden. Er bedeutet dann aber nicht, dass alle glücklich sind, sondern dass jeder akzeptiert, lieber sein eigenes Kind umzubringen als einem Angehörigen des Nachbarstamms etwas wegzunehmen.
Ich hatte das Vergnügen, dort mal eine Zeit lang zu arbeiten. Daher erlaube ich mir, darauf näher einzugehen.
Die Ureinwohner von PNG werden hier als Beispiel für eine traditionale Kultur genommen. Das ist nicht unpassend und daher möchte ich das aufgreifen, muss allerdings darauf hinweisen, dass die Niuginis an aller Regel keine typischen J&S sind, sondern sesshaft. Sie betreiben auch durchaus Ackerbau, wenngleich aus Gründen der teils extremen Landschaftsform auf sehr kleinen Feldern (die daher dort passenderweise auch "Garten" genannt werden. Ein Wort mit der uns geläufigen Bedeutung von "Feld" haben die Niuginis nicht)

Eins vorweg: In PNG leben, wenn man nach den Sprachen geht, Hunderte von Völkern. Daher ist es heikel, die Sitten und Gebräuche dort zu verallgemeinern. Es gibt teilweise sehr große Unterschiede.

Für das Hochland, ein recht unwirtlicher Lebensraum, gilt weitgehend das, was Klaus bezüglich der Kriegs- und Friedensverteilung angemerkt hat. Die Völker dort lebten mehr oder weniger in einer Art Dauerkriegszustand. Die Kriege dort waren weniger rituell oder ehrenhaft bedingt, sondern drehten sich tatsächlich um die Eroberung von Lebensraum, Frauen und Beute sowie die Schwächung des Nachbarn. Man könnte die Gründe für diesen Dauerkrieg also möglicherweise auf die oben erwähnte Habitatkonkurrenz zurückführen, was als Indiz für eine natürliche Selbstregulation der Population durch Stress gelten könnte.

Allerdings hat der Dauerkrieg noch eine weitere Ursache, die auch das Schließen von Frieden so schwer macht (und jetzt muss ich mich ein wenig OT begeben): Im Glauben der Niuginis stirbt ein Mensch nicht natürlichen Todes, sondern wird von jemand anderem umgebracht, ob direkt oder durch Zauberei. Daher muss, wann immer ein Familienangehöriger stirbt, ein Anderer schuld sein. Jetzt greift die Blutrache. Die Angehörigen des Racheopfers wiederum müssen natürlich Blutrache üben usw...

Nun sind aber selbst die kriegsgewohnten harten Hunde der Chimbu-Provinz auch Pragmatiker. Dass Inzest nicht gut ist, wissen auch sie und so gibt es in manchen Tälern einen netten Brauch:
Wenn sich zu viele unverheiratete Mädchen angesammelt haben, rufen diese eine Art Jungesellenparty aus, zu der die jungen Männer und Frauen der anderen Stämme eingeladen sind, auch wenn sie eigentlich im Augenblick verfeindet sind. Während dieses Treffens herrscht Waffenruhe.
(Bei dem Treffen gilt übrigens weitgehend Damenwahl, das aber nur nebenbei)

Wie gesagt: in PNG leben sehr viele verschiedene Völker, so dass man auch viele durchaus recht verschiedene Ausbildungen der übergeordneten Kultur findet. In anderen Gegenden als den Hochlanden, die nicht so unwirtlich sind, wie etwa an der Küste, die mit ihrem Palmen- und Fischreichtum sowie den geeigneten, ebenen Flächen zum Anlegen von größeren Gärten eine weit höhere Population zulässt, ist die Kriegssituation erheblich entspannter.

Zurück zum Thema:
Man kann anhand der Ureinwohner von PNG sehen, dass eine steinzeitliche Population, abhängig von der Qualität des Lebensraums, unterschiedlichem Stress ausgesetzt ist, was durchaus zu automatischen Regulationsmechanismen führen kann. In der Folge wird das Bevölkerungswachstum, ob durch erhöhte Sterblichkeit, verringerte Fruchtbarkeit oder kriegerische Auseinandersetzungen, gebremst und die Notwendigkeit zur Ausbreitung schwächt sich ab.
Das gilt vornehmlich für die Zentralpopulation des Eingangsmodells von Beral, die ja nicht so ohne weiteres expandieren kann.
Die "Randpopulation" des Modells hat weit weniger Stress, da sie sich bei Bedarf (zuindest in eine Richtung und natürlich unter Berücksichtiugng von o.g. Barrieren) ungehindert ausbreiten kann. Gleichwohl dürften Teile einer solchen Population auch zurückwandern, sei es diffus über normale Vermischung (was dann statistisch gesehen nicht ins Gewicht fällt, da die "Heiratsverluste" ja auch durch entsprechende Gegenstücke wieder ersetzt werden), aber auch in Stößen, wenn "hinten" Gebiete frei werden. Dies kann etwa durch außergewöhnlich vernichtende Kriege, Krankheiten oder Katastrophen geschehen.

Meine eigene Einschätzung:
Ich bin für eine Kombination aus der "normalen" Expansionstheorie und schubweisen Wanderungen.
Weshalb sollte eine Population übermäßig lange Strecken wandern? Ein solcher Entschluss kann eigentlich nur aufgrund des katastrophalen Wegfalls des bisherigen Lebensraumes gefasst werden. Solche Katastrophen - vornehmlich wohl klimatisch bedingt - fanden mit Sicherheit im Lauf der Jahrtausende mehrmals statt und beschleunigten die Ausbreitung. Aber es dürften Einzelfälle gewesen sein, die, wenngleich natürlich bedeutend, nicht das grundsätzliche Prinzip der Ausbreitung der Homo-Population darstellen dürften.


Ich reduziere meine Überlegungen mit Blick auf Berals Eingangsfrage:

1.
Die Grundvoraussetzungen sind m.E. zu modellhaft. Eine Gleichverteilung der Ressourcen über das gesamte theoretische Ausbreitungsgebiet kann genausowenig angenommen werden wie eine konstante Vermehrungsrate über den gesamten Verlauf und das gesamte Gebiet. Wollte man das Modell tatsächlich derart homogenisieren, dann bleibe nur eine Expansion wie in einer chemischen Diffusion, wo ebenfalls für alle Teilchen exakt die gleichen Grundvoraussetzungen bestehen.

2.
Es kommt im Verlauf der Entwicklung zu Rückkopplungen, welche nach einigen Generationen überaus komplexe Wirkung zeigen. Mit Hinweis auf natürlich Schwankungen in Bezug auf biotische wie abiotische Faktoren halte ich das Modell ab der - sagen wir - 6. oder 7. Generation für nicht mehr seriös berechenbar. Spätestens ab hier ist das Modell m.E. untauglich, um die tatsächliche Entwicklung zu erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Panzerreiter. Gute Punkte.

Das dumme an dem Thema ist, dass hier die Faktenlage recht dünn ist. Tatsächlich sind ja die vermuteten „Wanderpfade“ fast überall untergegangen.
Tatsächlich finden wir ja keine harten Fakten, sprich Gräber etc., welche die Annahme eines Bevölkerungsdruckes stützen könnten. Eigentlich sprechen die Überlegungen in Sachen Bevölkerungsanzahl zu bestimmten Zeit an bestimmten Orten des Paläolithikums sogar dagegen.

Tatsächlich leiden Modellrechnungen einfach unter zu wenig Fakten und zu vielen Variablen.
Tatsächlich ist das Thema insgesamt kultur- und chronologieabhängig, sodass Analogschlüsse schwer fallen.

Man wundert sich natürlich schon über etwaige Gründe und den evtl. Antrieb, warum Migrationen stattfanden, klar.
Meine Erklärung war bisher immer nur einfach die, dass Migrationen stattfinden. Immer, dauernd. Vor allem in der Tierwelt. In vielen Fällen ist die (periodische) Änderung der Umwelt wohl der Ursache, bestimmte biologische Konstanten (Lachse) oder eben auch mal Stress und Überbevölkerung.
Die größte Korrelation (und wohl auch eine Kausalität) besteht wohl aber zwischen den Anforderungen der Biologie einer Tierart und der evtl. Änderung des Habitats.
Daher wohl auch die Überlegung der Migration von Menschen (vor allem Richtung Asien und Ozeanien) entlang der Küstenlinien, da hier das Habitat relativ gleich bleibt, die Ernährungsmöglichkeiten relativ gleichbleibend gut waren.

Menschen verstärken aber unter Umständen noch die eigene Motivation von Migration:

- sie sind anpassungsfähig in Sachen Habitat
- sie sind neugierig und haben einen, nicht unbedingt rein rationalen, Forschungsdrang.
(wir kennen alle Situationen, bei denen der Weg das Ziel ist.)
- sie verfügen über eine gute Sprachfähigkeit und sind deshalb in der Lage, Wege, Beschreibungen und Erlebnisse gut und schnell weiterzugeben. (Oder Märchen über das gelobte Land zu erfinden....:) )

Wege werden oft einfach beschritten, weil sie da sind.
Wege werden oft einfach zufällig gefunden und stückweise ausgedehnt, wenn man. z.b dem Wild folgt.
Öffnen sich neue Wege aufgrund der Veränderung des Habitats, werden diese über kurz oder lang auch begangen.

Kurz: Was ich bei solchen Überlegungen oft vermisse, ist die Berücksichtigung dessen, dass der H. erectus/neanderthalensis/sapiens sapiens primär erst mal Teil der Natur ist.
Er/Sie handelt erstmal „natürlich“, dann erst „rational“. Oder irrational.
Deshalb, denke ich, entziehen sich bestimmte Verhaltungsmuster oder Gründe einer sicheren Rekonstruktion.

Thomas
 
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