Mythen über die Erfindung der Schrift

Meromero

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Hallo,

kennt jemand sumerische oder andere alt-orientalische Mythen, über die Erfindung der (Keil-)Shrift?


Ich habe bereits auf Wikipedia und

Sumerische Götter

nachgesehen, aber dort nur sehr wenig Informationen dahingehend gefunden.


Ein Fischwesen Namens OANNES soll den Menschen sumerischen Geschichten nach die Schrift gebracht haben, aber da stand nichts von Erfindung der Schrift. Zumal Zahlen und Schrift doch glaube ich auch in anderen Göttersagen eine Rolle spielen, oder?

Dann hatte ich noch etwas über NISABA gelesen. Dort wurde aber nur erwähnt, dass sie nach ihrer ursprünglichen Funktion als Getreide- oder Fruchtbarkeitsgöttin auch als Schutzgöttin von Wissenschaft und Schreibern angesehen wurde. Aber auch keine Erwähnung von der Erfindung der Schrift.


Ist eine Geschichte, in der die Erfindung der Schrift einem bestimmten Wesen zugeschrieben wird, überhaupt von den Sumerern bekannt?
Oder von anderen Kulturen, die die Keilschrift für ihre Sprache nutzten?


Bei den Hieroglyphen wird dies ja im Allgemeinen dem Gott Toth zugeschrieben und bei den Chinesen dem Kaiser Fu Xi. Nur in Sachen Keilschrift konnte ich bisher leider garnichts an Mythen und Geschichten finden.
 
Wenn in der sumerischen Mythologie ein Gott als „Erfinder“ der Schrift gelten kann, so ist das Enki (Ea).

1. Enki gilt nach dem sumerischen Schöpfungsmythos als „Erfinder“ der Menschen. Sein Haupkultort war Eridu, die wahrscheinlich älteste Stadt Sumers.

In dem Mythos „Inanna und Enki“ wird beschrieben, wie die Göttin Inanna Enki mit Hilfe des Bieres betrunken macht und ihm so die me, die Weisheitstafeln abschatzt und in ihre Stadt Uruk bringt. Die Me kann allgemein als „göttliche Idee, die allem innewohnt“, wörtlicher als „das, was etwas zu dem macht, was es ist“ übersetzt werden. In diesem Mythos erscheinen die „me“, die Weisheitstafeln, gleich als ein ganzes Bündel von Kulturtechniken und menschlichen Eigenschaften. „Darunter waren aber die Gesetze von das Königtum und das Priestertum, über Krone Zepter und Tempel, […] über Kunst und alle Wissenschaften, über Recht und Gesetz, [...] über Dichtung und Schreibkunst“ (a)
In dem Mythos spiegelt sich vor allem der Übergang der Vormachtstellung von Eridu auf Uruk wider. Dennoch erfahren wir von den Me-Tafeln allein in diesem Mythos genaueres. Und wir erfahren, dass Enki der Hüter der Weisheiten war. Das passt zu seiner Rolle als Schöpfer der Menschen (nach einer Überlieferung aus Lehm!). Die Menschen waren Enkis Lösung für das Problem der Götter, das darin bestand, dass sie weder Kleidung noch genug Nahrung hatten. Die Aufgabe der Menschen sollte sein, die Götter mit dem, was zu einem Leben als Gott halt nötig und angenehm ist, zu versorgen. Enki gab den Menschen nicht nur das Leben, sondern eben auch die notwendigen „Techniken“, die zur Erfüllung ihrer Aufgabe nötig waren. Darunter offenbar auch die Schreibkunst. Dann wundert es auch nicht, dass Enki als „Beschützer der Schreiber“ (b) galt.

2. Die Erfindung der Schrift wird auch dem mythischen König Enmerkar zugeschrieben, dem in der sumerischen Königsliste Lugalbanda und Gilgamesch als Könige von Uruk folgen. Der Mythos „Enmerkar and the Lord of Aratta“ berichtet von dem Vorhaben Enmerkars, Inannas Tempel in Uruk und Enkis Tempel in Eridu mit wertvollen Edelsteinen etc. auszuschmücken. Womöglich besteht hier ein Zusammenang zu dem Mythos „Enki und Inanna“. Enki war erzürnt über Inannas Betrug, konnte die Me-Tafeln aber nicht zurückerlangen. Dass gerade diese beiden Götter bedacht werden sollten, mag als Dank Enmerkars an Inanna (Stadtgöttin von Uruk) für das Beschaffen der Kulturtechniken und als Besänftigung des Enki, dessen Zorn über den Verlust sicher nicht Enmerkar oder Uruk treffen sollte, verstanden werden.

3. Der von Dir erwähnte Oannes wird bei Berossos erwähnt, der ca. 300 v. Chr lebte. Er steht also ganz am Ende der Tradition. Außerdem ist das Publikum, an das seine Werke sich richten, zu beachten. Das waren eben Griechen. „Durch seine geschickte Anordnung wird der Schöpfungsmythos in einer auch kritischen Geistern einigermaßen akzeptablen Weise verwertet. […] zeigen das Bestreben, den gebildeten Hellenen sich gleichzustellen.“ (c)
Außerdem ist zu bedenken, dass Berossos als Mitglied der babylonischen Priesterschaft kein allgemeines Bild der sumerischen Mythologie abgebildet hat, sondern die Überlieferungen, die ihm ohnehin nur noch bruchstückhaft vorgelegen haben können, nach den Vorstellungen seiner Priesterschaft gefiltert und umgedeutet hat. Bei der Schilderung des Berossos handelt es sich also um eine für die Griechen aufgearbeitete und mundgerecht gemachte Version der ursprünglichen Schöpfungsmythen.
Die von ihm geschilderten Mischwesen gehören zu den „seven sages“, die wahrscheinlich mit den Annunaki identisch sind und auch den Genien nahe standen. Es handelt sich grob gesagt um niedere Götter oder Dämonen, die als Diener oder Boten der Götter auftreten. Der „fish-garbed-man“ ist in der Bildkunst seit der Kassitenherrschaft bekannt. Sie erscheinen in der neuassyrischen Kunst wie die Genien als Hüter des Lebensbaumes (siehe die Abbildung).
Ich persönlich sehe Enki bei Berossos durchaus noch durchschimmern. So waren Fische und fischgestaltige Mischwesen (etwa der Ziegenfisch in der Ur III-Zeit) Attribute Enkis. Ein möglicher Ursprung des Lebensbaumes liegt in den Berichten eines „Heiligen Baumes“ des Enki in Eridu. Und Eridu lag damals am Meer, am persischen Golf. (Die Küstenlinie hat sich inzwischen verändert.)

(a) Beltz: Das Tor der Götter

(b) Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie / begr. von E. Ebeling und B. Meissner. Fortgef. von E. Weidner ... Hrsg. von M. P. Streck 12 bde.

(c) Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie / begr. von E. Ebeling und B. Meissner. Fortgef. von E. Weidner ... Hrsg. von M. P. Streck 12 bde.

Helmut Freydank : Lexikon Alter Orient, Sondereinband, Vma-Vertriebsgesellschaft 1997
Farber Flügge: Der Mythos «Inanna und Enki»
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Ist es nicht aber so, dass Zahlen (Zahlzeichen) und geschriebene Worte bei den Geschichten um die Götter schon vor der Erschaffung der Menschen eine Rolle spielen?
zB. die erwähnten Schicksalstafeln. Muss man die sich nicht als etwas Geschriebenes vorstellen?
 
Mir ist da jedenfalls nichts bekannt.

Und ich stelle mir die Schicksalstafeln eigentlich gar nicht vor. Beltz spricht von Tafeln. Dieser Begriff taucht auch an anderen Stellen auf. Allerdings steht im Originaltext "me" und Farber-Flügge lässt diesen Begriff unübersetzt. Vielleicht kann über den Mythos vom Raub der Tafeln durch den Sturmvogel Zu auf die "Gestalt" der "Me" geschlossen werden. Wenn man sich die Liste der 100 Me des Enki anschaut, fällt einem vor allem die Heterogenität des Genannten auf (...Rechtschaffenheit...Schreibkunst...Schafstall...Wissen...). Ich weiß nicht, wie abstrakt oder bildlich die Vorstellung der Menschen von den Me damals war.
Entscheidend ist der Wissen- und Kulturtransfer von Eridu nach Uruk.
 
Meromero schrieb:
Hallo,

ich habe in einem fragwürdigen Esoterikforum etwas gelesen, worin die Rede davon war, dass es eine alte akkadische Geschichte gibt, in der erzählt wird, wie NABU die Me "aufschreibt".

Ist Dir da eine konkrete Überlieferung bekannt?

Und gehört das Thema NABU noch zu alten sumerischen Sagen, oder ist diese Gestalt eine rein akkadische Vorstellung?

Habe dazu versucht über Google etwas zu finden, aber ausser dieser Seite finde ich immer nur Infos, die fast mehr nach Si-Fi klingen.


Nabu war ein babylonischer Gott, der zuerst gesichert im 16. Jahr der Regierungszeit des Hammurabi erwähnt wird. Er gehörte zunächst in die Reihe der Götterboten (Wesire) wie Isimud (Enkis „minister“), Nusku (Enlils „minister“) und Ninschubura (Inannas „minister“).

In altbabylonischen Texten wird Nabu als „Lord of writing“ und „scribe“ bezeichnet. Seine Funktion war zunächst die eines Mittlers zwischen Göttern und Menschen. Im 26. Regierungsjahr Samsu-ilunas wird er auf einem Siegel das erste Mal als „Erstgeborener“ Anus bezeichnet. Die einzigartige Karriere Nabus führte dazu, dass er in neubabylonischer Zeit Marduk als obersten babylonischen Gott an Bedeutung verdrängt hatte.
„Als Schreiber der Schicksalstafeln ereichte er im babylonischen Pantheon einen hohen Rang.“ (a)
Das Reallexikon erwähnt „associations of N. with the tablet of destinies“ (b) und führt dies auf die frühere Funktion Nabus als Schreiber des Marduk zurück. Es werden aber keine Texte namentlich genannt.
Aber sowohl das Reallexikon als auch Walter Beltz schildern ein babylonisches Fest, bei dem Nabu aus Borsippa, seinem „Wohnort“ nach Babylon zum „shrine of destinies“ reist, um dort von Marduk die „Bestimmmungen für das neue Jahr zu hören“ (c) und auf den Schicksalstafeln niederzuschreiben. „Deshalb dachten einige, Nabu sei derjenige welcher das Königtum und die Herrschaft verleiht“ (d) Offenbar eine Erklärungsversuch für die steigende Bedeutung Nabus.
Die Geschichte um das Neujahrsfest schildert eine typische Göttereise. Das bekannteste Beispiel ist die Reis des Mondgottes Nanna nach Nippur. Die Götter reisen natürlich bequem mit dem Boot. Nabu nimmt den „Borsippa-Kanal“.
Laut Reallexikon wird Nabus Beteiliging an diesem Fest erstmals in altbabylonischen Briefen der altbabylonischen Zeit aus Nippur erwähnt. Beltz gibt als Quelle unter anderem ein assyrisches Gebet an Nabu an. Ich schicke Dir die bei Lurker und Beltz in den Fußnoten angegebene Literatur noch per PN.

Das Reallexikon begründet die Funktion Nabus als Gott der Weisheit übrigens damit, dass er ein Nachkomme Enkis/Eas sei.
Um meine These aus Beitrag #2 noch einmal zu präzisieren. Die Schreibkunst wird im Mythos von der Erschaffung des Menschen meines Wissens nicht erwähnt. Aber andere Kulturerrungenschaften wie den Getreideanbau „erfindet“ Enki indem er die entsprechende Göttin wörtlich ins Leben „ruft“. Beltz stell in diesem Zusammenhang eine Verbindung zur Genisis in der Bibel her! Neben dem Mythos von Enki und Inanna, in dem Enki als erster, als der Gott erwähnt wird, der die Verfügungsgewalt über die „Me“ und nur hier explizit aufgeführt über die Schreibkunst hat, sollte diese These von Enki als „Kulturbringer“ seine Rolle als „Erfinder der Schreibkunst“ stützen. Selbst in der babylonischen Version des Mythos erhält Marduk zwar die Macht von den anderen Göttern für den Kampf gegen Tiamat verliehen (und die „Me“ symbolisieren ja diese Macht) und hat die „Idee“, so etwas wie die Menschen zu erschaffen, Ausführender und „Designer“ bleibt Enki/Ea, was für seine Bedeutung spricht.

Nabus Göttersymbol war der Griffel. Dasselbe Symbol steht für Nisaba, die sumerische Göttin der Schreibkunst, die in der altbabylonischen Götterliste direkt vor Nabu genannt wird. Einige Darstellungen Nabus sind als Bilder an den Beitrag angehängt.
Erwähnenswert ist auch dass Nabu mit „Nebo“ aus Jesaja 46 gleichgesetzt wird.

(a) Lurker, S. 283
(b) Reallexikon, Bd.9, S. 21
(c) Beltz, S. 152
(d) Beltz, S. 152

Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie / begr. von E. Ebeling und B. Meissner. Fortgef. von E. Weidner ... Hrsg. von M. P. Streck 12 bde.
Helmut Freydank : Lexikon Alter Orient, Sondereinband, Vma-Vertriebsgesellschaft 1997
Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen, Verlag Kröner, 1984.
Walter Beltz: Das Tor der Götter, Buchverlag Der Morgen, 1978
 
Zuletzt bearbeitet:
Nabu-Artikel aus dem Reallexikon

Für alle Interessierten: Ich stelle den Nabu-Artikel aus dem Reallexikon für kurze Zeit auf meine Profilseite zur Verfügung.
Zu finden in der Rubrik Bilder und Alben, Albumtitel "Nabu"
 
Nisaba ist die Göttin der Weisheit der Sumerer gewesen.

Die Schrift war vom Verständnis der Sumerer her eine Erfindung der Menschen, die Sprache dagegen war ein Geschenk der Götter.

Der Mythos dazu ist "Enmerkar und der Herr von Aratta"
Siehe auch The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature
ich kann auf Wunsch eine deutsche Übersetzung schicken.

Die Story ganz kurz:
Es gibt einen Streit zwischen den Stadtstaaten Arrata und Uruk, welcher der bessere sei, um die Wohnstätte für die Göttin Inanna zu sein.
Eigentlich hatte Inanna schon entschieden von Aratta nach Uruk zu ziehen, aber die "großen Persönlichkeiten" (lu-gal gerne mit "König" übersetzt) streiten trotzdem darüber. (Es müssen ja auch die entsprechenden Heiligtümer transportiert werden etc.)
Nach einem Magier-Duel und anderen Profilierungsgetue zeigt Enmerka mit einem Schriftstück, dass Uruk überlegen ist.
Auf dem Schriftstück steht "Der Keil ist eingeschlagen", das bedeutet die Sache ist erledigt, ähnlich wie alea-jacta-est "Der Würfel ist geworfen" etc.
Bei Hausverkäufen wurde ein Keil mit dem Namen des besitzers in die Wand geschlagen .. wie ein Grenzstein, daher der Spruch.
 
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