Inquisition in Goa

Ilhuicamina

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Kurze Einleitung zu diesem Thread: ich hatte vor kurzem eine Diskussion mit einem ehemaligen Doktoranden (U.S.), mit dem ich noch in Kontakt bin. Der ist ein sehr gläubiger Hindu, Brahmane aus Gujarat. Er hat ziemlich ausgeprägte Aversionen gegen den Islam und das Christentum per se, nicht gegen Moslems oder Christen generell (sein bester Freund ist Moslem). Dabei sind diese Aversionen z.T. historisch bedingt (Timur Lenk und die Eroberung von Delhi), z.T., was vor allem den "Islam" betrifft, aber auch durch neuere Ereignisse, siehe Bombay/Mumbai 2011.

Der Grund für seine Aversion gegen das Christentum ist die Behandlung der Hindus in Goa während der portugiesischen Herrschaft, die nach seinen Erzählungen bestialisch war. Ich habe nach dem Treffen mit U.S. versucht herauszubekommen, was an seinen Erzählungen auf Fakten basiert, habe dabei aber eigentlich nur Wiki gefunden: Goa Inquisition - Wikipedia, the free encyclopedia

Wenn das stimmt, was da geschrieben ist, war das Treiben der Inquisition in Goa wirklich viehisch: "According to the historian, "the screams of agony of the victims (men, women, and children) could be heard in the streets, in the stillness of the night, as they were brutally interrogated, flogged, and slowly dismembered in front of their relatives.""Eyelids were sliced off and extremities were amputated carefully, a person could remain conscious even though the only thing that remained was his torso and head."

Nachdem ich mich hier schon mehrmals über Beiträge amüsiert habe, die ausschliesslich auf Wikipedia basierten (sorry Dieter), traue ich der Sache nicht so recht, vor allem auch, weil ElQ. erst vor kurzem in einem Beitrag geschrieben hat (glaube ich jedenfalls?), dass der schlechte Ruf der spanischen Inquisition z.T. auch auf negativer englischer Propaganda beruht. Ausserdem klingt das "... a person could remain conscious even though the only thing that remained was his torso and head." doch etwas bizarr. Schock durch Blutverlust sollte doch wenigstens zur Bewusstlosigkeit führen? Ausserdem entspricht das für meinen Geschmack etwas zu sehr den Erzählungen von U.S., der wie gesagt aus Gujarat stammt, was ja doch ein Stück von Goa entfernt ist.

War die Inquisition in Goa wirklich so verschieden zum Pendant in Spanien und Portugal und wenn ja, woran lag's? An einem prä-darwinistischen Rassismus, an einer positiven Selektion von Sadisten in den Kolonien? Gibt es vergleichbare Unterschiede zwischen der spanischen Inquisition in Spanien und in Mexico oder Peru?
 
traue ich der Sache nicht so recht, vor allem auch, weil ElQ. erst vor kurzem in einem Beitrag geschrieben hat (glaube ich jedenfalls?), dass der schlechte Ruf der spanischen Inquisition z.T. auch auf negativer englischer Propaganda beruht.

Dass ich etwas ähnliches geschrieben habe, kann schon sein, so wie hier allerdings wiedergegeben, sicher nicht.
Unser Bild von den Verbrechen im Namen "der Kirche" ist verzerrt durch alle möglichen Faktoren: Zunächst einmal gibt es eine Tendenz einen Schuldigen zu finden, bei den dezentralen protestantischen Kirchen ist das nicht so einfach, aber die katholische Kirche hat ein Oberhaupt, nämlich den Papst (dabei bleibt häufig unberücksichtigt, dass es sich um ein Amt handelt, welches im Laufe der Jahrhunderte von einer Menge Individuen besetzt wurde, die teilweise in ihrem Denken und Handeln unterschiedlicher nicht hätten sein können).
In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, dass dem (katholischen) Psychologen Manfred Lütz zufolge viele ehemalige Protestanten, die nach ihrem Ausscheiden aus der Kirche nach den Gründen befragt worden sind, Gründe wie Ablehnung des Zölibats oder der zentralen Stellung des Papstes angegeben haben. Kein Freudscher Verschreiber: Protestanten!
Hinzu kommt die antikatholische Polemik von Seiten protestantischer und anglikanischer Autoren, zunächst in der Frühen Neuzeit; gerade bei den anglikanischen Autoren spielte da neben dem konfessionellen Gegensatz auch die immer wieder aufflammende politische Gegnerschaft Englands und Spaniens mit rein. Später übernahmen dann religionskritische bzw. religionsfeindliche Ideologen gerne das Material, welches von den antikatholischen Autoren der FNZ schon aufbereitet worden war, wieder auf, etwa aus marxistischer Ecke, aber auch aus der deutschnationalen und nationalsozialistischen Ecke, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
Was an Quellenmaterial genutzt wurde, waren eben die Quellen, an die man einfach herankam: Publizierte Schriften. Also Polemiken der Gegner der katholischen Kirche, als auch kritische Schriften aus dem inneren der katholischen Kirche, die auf Missstände aufmerksam machten. Also im Prinzip Sekundärquellen. Die Primärquellen dagegen, also Archivalien, wurden dagegen aus verschiedensten Gründen kaum berücksichtigt. Das liegt zum einen daran, dass es ungleich schwieriger ist, an eine Archivalie zu kommen (die im Regelfall nur einmal, vielleicht als Abschrift in einem juristischen oder administrativen Vorgang auch ein zweites Mal existiert), als an eine publizierte Schrift (die ja i.d.R. als Druck vorliegt und daher häufiger produziert wurde, vielleicht sogar in mehreren Auflagen).
Zum anderen lag es aber auch daran, dass die Archivalien immer nur als Rechtsakten galten und die Geschichts"wissenschaft" erst allmählich, gegen Ende des 19. Jhdts./Anfang des 20. Jhdts. anfing, sich mit Archivalien zu beschäftigen. Davon, dass Archive häufig gar nicht zugänglich waren, und es auch niemanden gab, der tatsächlich eine Ahnung hatte, was in den Holztruhen der Archive vergammelte, brauchen wir nicht zu reden. Neben dem propagandistischen Element war also auch die Quellenlage schief (und bis heute ist es ja schwieriger Archivalien zu finden, als historiographische Quellen).

Also: wir müssen die Schilderungen älterer Historiker über die Verbrechen "der Kirche" immer mit Vorsicht genießen und leider müssen wir auch festhalten, dass es eine gewisse Kontinuität insbesondere in der populären Literatur gibt. Das Publikum will halt Sex and Crime und nicht Aufklärung und es ist nach wie vor einfacher abzuschreiben, als in den Archiven zu forschen. Um ein Bonmot des Historikers Hermann Heimpel zu zitieren:
"Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen in Archiven."
Ein häufiger Irrglaube lautet in etwa so: "Wer einmal in die Fänge der Inquisition geriet, kam nicht mehr heraus und das bedeutete die Todesstrafe."
Wenn wir dagegen die etwa 900 erhaltenen Inquisitionsakten von Bernardo Gui (das ist der Fiesling aus dem Namen der Rose, meines Wissens die einzige historische Figur in dem Buch) anschauen, werden wir feststellen, dass es nur etwa 40 Todesurteile gab, also etwa 5 % der behandelten Fälle.
Die römische Inquisition schaffte in einem Zeitraum von etwas mehr als 100 Jahren etwa 130 Todesopfer, deren Verbrechen meist eine Verbindung aus Kapitalverbrechen mit einem Sakrileg waren, z.B. eines Mordes in der Kirche, oder der Vergewaltigung einer Nonne. Wegen der Schwere der Verbrechen wurde das Todesurteil ausgesprochen und nur, weil das Verbrechen in einer Kirche oder gegen oder durch eine Amtsperson der Kirche ausgeübt wurde, wurde das ganze vor einem Inquisitionsgericht und nicht einem weltlichen Verhandelt. Zu relativieren sind also die Inquisition des Mittelalters und die römische Inquisition, zumal die Inquisition des Mittelalters gegenüber den vorherigen Rechtsbräuchen sogar fortschrittlich war (ein Faktum, welches häufig übersehen wird).

Aber: Gerade was die Spanische Inquisition anbelangt, so müssen wir diese schon als besonders grausam ansehen, wenn auch die Zahlen in den letzten Jahrzehnten nach unten korrigiert wurden. Bei der spanischen Inquisition ging es vorwiegend um die Reinigung der iberischen Halbinsel von nichtspanischen Elementen (bzw. das, was von den Herrschenden als nichtspanisch definiert wurde, Limpieza de Sangre). Die Inquisition wurde auch in die Kolonien und nach Portugal getragen (ohne das jetzt recherchiert zu haben: Goa müsste eine portugiesische Kolonie gewesen sein, oder?), dort natürlich nicht so sehr gegen Mauren und Juden gerichtet, aber auch.

In wie weit die Schilderungen aus dem Artikel der tatsächlichen Wahrnehmung von Ohren- (und Augen-?)zeugen entsprechen oder polemische Effekthascherei sind, darüber kann ich mir kein Urteil erlauben.

Recherchiere mal zu den Begriffen Leyenda Negra und Leyenda Rosa.
 
Dieses Zitat von dem "Historiker" scheint mir eher auf Edgar Allan Poe als auf historischen Fakten zu basieren.

Die spanische Inquisition und ihr portugiesischer Ableger waren garantiert ein fieser und grausamer Verein und haben sich vieles zu schulden kommen lassen, aber bei den beschriebenen Verstümmelungen ist es erstens medizinisch sehr unwahrscheinlich was dort behauptet wird und zweitens hatte die Inquisition m.W. sehr strenge Regeln für die Folterung von Verdächtigen, die Verstümmelungen ausdrücklich ausschlossen und auch möglichst ein vorzeitiges Ableben des Verdächtigen vermeiden sollte.

Nicht unbedingt aus Humanität, aber was nützt dem Tribunal ein geständiger Ketzer wenn man nicht mehr genügend hat das man auf den Scheiterhaufen stellen kann. Das Exempel ist schliesslich das wichtigste.

Ich halte zumindest diesen Teil für plumpe Propaganda.
 
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Nicht unbedingt aus Humanität, aber was nützt dem Tribunal ein geständiger Ketzer wenn man nicht mehr genügend hat das man auf den Scheiterhaufen stellen kann. Das Exempel ist schliesslich das wichtigste.


Jein. Der Gefolterte musste an Langzeitfolgen schadlos aus der Folter wieder herauskommen (von psychischen Schäden wusste man damals noch nichts), schon für den Fall, dass er unschuldig war. Idealiter konnte man die Delinquenten wieder zurück in den Schoß von Mutter Kirche führen, die Verbrennung war - eigentlich - den "Unverbesserlichen" vorbehalten. Zumindest war das die Idee der Inquisition im Mittelalter und in Rom. In der Praxis wird das häufig anders ausgesehen haben. In Spanien selbst wie gesagt, waren die Motive mehr politisch als religiös (obwohl dies in Teilen auch für die Albingenserverfolgung gilt).
Aus dem Spätmittelalter sind im Übrigen Klagen von Heilern und Badern gegen die Scharfrichter überliefert, die sich beschweren, dass die Leute, wenn sie ein Leiden haben, zu den - unehrlichen - Scharfrichtern gehen, statt zu ihnen. Die Schrafrichter waren aufgrund ihrer Praxis und ihrer Verantwortung gegenüber denen die sie folterten, medizinisch einfach auf Zack.
 
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@ Bdaian

Ich habe diesen "Historiker" mental auch mit den "" versehen!

ABER: Teotonio R. de Souza ist durchaus ein anerkannter Historiker (Teotonio de Souza - Wikipedia, the free encyclopedia), nur wurde sein Name von einer militanten Hindugruppe hier missbraucht. Ich hatte ihm eine e-mail mit dem Wiki-link zur Goa Inquisition geschickt, worauf er ziemlich sauer reagiert hat und die absolut bizarren Aussagen wie "Eyelids were sliced off and extremities were amputated carefully, a person could remain conscious even though the only thing that remained was his torso and head." sind jetzt nicht mehr vorhanden. Scheinbar wird sein Name von dieser Gruppe schon seit Jahren immer wieder missbräuchlich verwendet und für ihn ist das ein Kampf gegen Windmühlen.

Goa Inquisition - Wikipedia, the free encyclopedia

Davon sind die realen Grausamkeiten der Inquisition und die Verfolgung der Hindus während der Zeit der portugiesischen Herrschaft nicht betroffen.
 
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