Siam - König Rama Khamhaeng

Wilfried Steven

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Betrachtet man die Geschichte Thailands, so begegnen wir einem großen Spektrum reichhaltiger Kultur. Obwohl so gut wie keine Kenntnisse über die geheimnisvolle Herkunft der Thai vorliegen und die Erforschung der Frühzeit des Landes noch in den Anfängen steht, wissen wir doch einiges über die beiden großen Epochen des alten Siams: der Sukhothai-Periode und der Ayuthaya-Periode. Mit der ersten der beiden beginnt das große Zeitalter der Thai im heutigen Thailand, das wohl von einem der größten und ersten Herrscher Siams geprägt wurde: Rama Khamhaeng.

Nach seiner 42jährigen Regentschaft von 1275 - 1317 nannte man ihn liebevoll den „Vater Thailands“. Seine ruhmreiche Herrschaft bezeugt die große Stele aus dem Jahre 1292, die nach ihm benannt wurde und die mit gebührender Begeisterung die Größe des Herrschers und den Reichtum seines Reiches preist:

Solange König Rama Khamhaeng lebt, ist die Stadt Sukhothai glücklich. In den Gewässern gibt es Fische; auf den Feldern gibt es Reis; der Landesherr fordert keine Steuern von seinen Untertanen; die Menschen gehen in Gruppen auf die Straße, führen Ochsen mit sich, um Geschäfte zu machen, und reiten mit ihren Pferden zum Verkauf. Wer auch immer Handel mit Elefanten oder Pferden betreiben will, tut es; wer auch immer Handel mit Gold und Silber betreiben will, tut es. Stirbt einer aus dem Volk, wird ein Adliger oder Häuptling krank, stirbt er oder verschwindet er, so gehen das Haus seiner Vorfahren, seine Kleidung, seine Elefanten, seine Familie, seine Reisvorräte, seine Sklaven, seine Areka- und Betelplantagen ganz und gar in den Besitz seiner Söhne über.

Haben Personen aus seinem Volk, Adlige oder Häuptlinge, eine Meinungsverschiedenheit, führt der König eine Untersuchung durch und löst völlig unvoreingenommen das Problem für seine Untertanen; er übt keine Nachsicht gegenüber Dieben oder Hehlern; wenn er den Reis anderer sieht, begehrt er ihn nicht; empfindet er keinen Neid.

Wer auch immer sich auf seinem Elefant zu ihm begibt, um von ihm Schutz für sein Land zu erbitten, erhält von ihm Hilfe und beistand; wenn ein Fremder keine Elefanten, Pferde, Bedienstete, Frauen, Gold und Silber hat, verschafft er ihm davon und lädt ihn dazu ein, sich wie daheim zu fühlen. Nimmt er feindliche Krieger oder Kämpfer gefangen, so tötet oder verletzt er sie nicht. In einem Tor hängt eine Glocke: Hat ein Besucher oder Bewohner des reiches eine Beschwerde oder ein Problem, das ihn quält und sein herz belastet und das er dem König darlegen möchte, so ist das nicht weiter schwierig: Er braucht nur die Glocke zu läuten. Immer wenn König Rama Khamhaeng diesen Ruf hört, befragt er den der die Beschwerde vorbringt, über sein Problem und urteilt unvoreingenommen.

Und der König ist auch berechtigt, Recht zu sprechen, denn sein Leben ist ein Vorbild für Werte und Nachsicht gegenüber den Landeskindern; im Kriege vernichtet er die feinde, aber solange mein Vater lebte, diente ich meinem Vater und meiner Mutter. Wenn ich jagen oder fischen ging, brachte ich die beute meinem Vater; wenn ich irgendeine Frucht hatte, süß oder sauer, wohlschmeckend oder begehrenswert, brachte ich sie meinem Vater. Wenn ich Elefanten jagen ging und einige Tiere fand, brachte ich sie meinem Vater. Wenn ich ein Dorf oder eine Stadt angriff und Elefanten, Jungen und Mädchen, Gold und Silber erbeutete, gab ich alles meinem Vater. Als mein Vater starb, blieb mir mein älterer Bruder, und ich diente fortan meinem älteren Bruder genauso, wie ich meinem Vater gedient hatte. Als mein älterer Bruder starb, wurde mir das ganze reich zuteil.



Der damals wie heute noch populäre Rama Khamhaeng (der Mutige), dritter Thai-König der Sukhothai-Dynastie und jüngster Sohn des Staatsgründers, hatte sich schon früh an der Seite seines Vaters in vielen Kämpfen als mutiger Krieger behauptet. Früh lernte der junge Prinz, dass das noch immer mächtige Reich der Khmer und das noch mächtigere Großreich im Norden die Zukunft eines freien Thai-Staates bestimmen würde.

Er studierte unter der Anleitung seines weisen Vaters nicht nur altindische Weisheiten und Wissenschaften, sondern auch Politik, Diplomatie, militärische Strategie und insbesondere die Kulturen Altindiens, Ceylons, der Khmer und Chinesen, was ihn später sicherlich inspirierte. Nicht umsonst bezeichnete man den dritten Thai-Herrscher auch als „Salomon Südostasiens“. Es waren vor allem Jahre der Eroberungen und geschickter Politik, als der junge Prinz Rama Khamhaeng die Nachfolge seines Vaters antrat. Während die stark expandierenden Mongolen aus China dem antiken Thai-Staat Thali ein schnelles Ende bereiteten, knüpfte der neue, junge Thai-Staat Sukhothai Beziehungen zu den mächtigen nördlichen Nachbarn, die bereits 1287 die Riesenstadt Pagan mit ihrer perfekten Kriegsmaschinerie eroberten. Überhaupt war es der junge König Rama Khamhaeng, de die Grundlagen für die Stabilität seines jungen Reiches schuf. Verträge sicherten die grenzen im Norden, wirtschaftliche Beziehungen festigten und sicherten die Kontakte an den Westgrenzen mit Birma und Indien. Die Heirat mit Prinzessinnen der verbündeten Staaten war sicher in der Diplomatie ein vorteilhafter Schachzug.

Rama Khamhaeng knüpfte enge Verbindungen zu Ceylon, dem Mutterland des Theravada-Buddhismus, um die von den Khmer geprägte Religion seines Volkes auf ihre Ursprünge zurückzuführen. Dies waren alles politische Schachzüge, denn im selben Zeitraum schloß der junge Thai-Staat ein Bündnis mit anderen Thai-Fürstentümern, so dass die Kleinstaatenpolitik durch die Sukhothai-Dynastie unter Rama Khamhaeng endgültig aufgelöst wurde.

Man schwächte die Macht des starken, aber angegriffenen Mon-Reiches von Lamphun und gründete im Norden den zweiten Thai-Staat Chiang Mai, der die Sukhothai-Dynastie weiter stärkte. Es folgten viele Eroberungen. Die durchtrainierten Streitkräfte und die geniale Strategie des Herrschers überrannten im Osten das heutige Vientiane, im Norden Luang Prabang und im Westen die Stadt Pegu im südlichen Birma. Binnen kurzer Zeit wurde aus vielen Kleinstaaten und kleinen Machtzentren das mächtige Königreich Sukhothai, der Grundstein für das spätere Siam.

Obwohl zu diesem Zeitpunkt die politische Stabilität innen wie außen gesichert war und eine große, erfahrende Armee die Grenzen sicherte, dachte Rama Khamhaeng an die Zukunft seines noch jungen Reiches und entwickelte eine modern anmutende, stabile Diplomatie. So bewies er besonders Geschick im Umgang mit China, dem stärksten nördlichen Nachbarn. Er schickte nicht nur Gesandte zum chinesischen Kaiserhof, sondern unternahm selbst zwei beschwerliche Reisen zu Kublai Khan (1282) und dessen Nachfolger (1300). Von seiner zweiten reise brachte er auch chinesische Künstler mit, die in Sukhothai Keramik produzierten und neue Stile in die Töpferkunst einbrachten. Die Sukhothai-Keramik kann man heute in den verschiedenen Museen Thailands bewundern.

Diese künstlerischen Neuerungen ließen Rama Khamhaeng zusammen mit der kulturellen Entwicklung so ruhmreich werden. Ihm wird auch der Verdienst zugesprochen, 1283 das erste Schreibsystem für seine Sprache gefunden zu haben.

So erhielt das ursprüngliche, nur gesprochene Thai (eine chinesische Sprache mit Mon, Khmer und vielleicht auch indonesischen, strukturellen Elementen) eine eigene Schrift durch Abänderung der Thai-Schrift. Das war für den jungen Thai-Staat eine weitere nationale Identität.

In der Gold-, Silber- und Schmiedekunst gab es ebenfalls Bereicherungen durch chinesische Einflüsse. Weitreichende Verbesserungen fanden auch in Handel, Straßenbau, Kanalisation, Brückenbau und der Architektur statt. Neuen Anpflanzmethoden und Viehwirtschaft sicherten eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung.

Als Rama Khamhaeng 1317 starb, hinterließ er ein reiches und mächtiges Reich, das unter seinen Nachfolgern große Eroberungen machte, aber auch Niederlagen einstecken musste, bis Sukhothai eines Tages Glanz, Reichtümer und Bedeutung verlort. Schon im Jahre 1347 wurde Ayuthaya die neue Hauptstadt des Königreiches.

© Wilfried Stevens
 
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