Frage zu einem Zitat von Herman Bengtson

Ria1990

Neues Mitglied
hallo,

ich soll derzeit dieses zitat diskutieren, aber ich weiß einfach nicht wie ich anfangen soll. =(

vielleicht kann mir ja jemand einen denkanstoß geben. damit ich weiß in welche richtung ich gehen muss. danke :)



„die Güter, für die einst die Griechen ihr Leben einsetzten,
seien auch heute noch die höchsten Werte im Leben der abendländischen Menschheit“.



das zitat ist aus dem text "Bedeutung des Freiheitskampfes der Griechen für Europa".
 
Bin da zwar kein Experte, aber ich würde mich da etwas mit Aristoteles (Politik), ggf. mit Herodot (Verfassungsdebatte) beschäftigen. Im Netz steht dies recht ausführlich.
Zum Beispiel:

Demokratie als ein wichtiges Gut.
Freiheit als ein weiteres wichtiges Gut.
Verfassung als ein weiteres wichtiges Gut.
Eigentum als ein weiters wichtiges Gut u.a.

Also alles Werte, die u.a. als die höchsten abendländischen Werte gelten.
Vielleicht meldet sich noch ein paar Experten.
 
Zuletzt bearbeitet:
In diesem Zitat geht es um die Perserkriege.

Es geht einfach darum, dass - weniger von den Griechen selbst, sondern vor allem von ihren Verehrern in der Neuzeit - der Kampf der Griechen gegen die Perser zu einem Kampf der Griechen für Freiheit gegen orientalische Despotie hochstilisiert wurde. Dabei wurden (und werden teilweise noch heute) die Perserkriege als Abwehrkampf Europas interpretiert und die Perser als Verkörperung all dessen gesehen, was in Europa abgelehnt wird (die Griechen selbst haben die Perser gar nicht so negativ gesehen!), die Griechen hingegen als Verkörperung all dessen, was Europa (positiv) ausmachen soll.

Die "Güter", die die Griechen verteidigt haben sollen, sind daher diejenigen Güter, die in der Neuzeit in Europa geschätzt wurden und werden und deren Anfänge man gerne bei den Griechen sieht. Diese "Güter" sind allerdings reichlich diffus und interpretationsfähig. Das sieht man schon bei den von Bengtson genannten Beispielen: "politische Freiheit", "geistige Unabhängigkeit", "Individualität", "Europa als Idee und Wirklichkeit" etc. All das soll typisch europäisch sein, während die Perser für Knechtschaft, Despotie, geistlose Prunkliebe statt echter Kultur, und ein System, in dem der Einzelne nichts zählt, sondern nur Teil der Masse ist, stehen sollen, ein System, das unfähig ist, individuelle Begabungen hervorzubringen, oder sie zumindest unterdrückt.

Anzumerken bleibt, dass diese Interpretation des griechischen Freiheitskampfes ahistorisch ist. Die Griechen kämpften nicht für irgendwelche Güter, sondern schlicht dagegen, unter persische Herrschaft zu geraten - wobei überdies anzumerken ist, dass nicht "die Griechen" schlechthin gegen die Perser kämpften, sondern hauptsächlich die des Peloponnes und Athen. Viele Griechenstädte in Mittel- und Nordgriechenland blieben neutral oder unterstützten die Perser sogar aktiv - oft unfreiwillig, weil ihnen keine andere Wahl blieb, teilweise aber auch freiwillig (z. B. weil die in vielen Städten herrschenden Oligarchen von den Persern Unterstützung gegen demokratische Bestrebungen ihrer Mitbürger erhofften).
Als Vorkämpfer der Demokratie kann man die Griechen schon deswegen nicht sehen, weil zur Zeit der Perserkriege noch die wenigsten griechischen Städte Demokratien waren. "Europa als Idee und Wirklichkeit" gab es in der Antike auch noch nicht, im Gegenteil: Aus griechischer Sicht war ein Großteil Europas von geist- und kulturlosen Barbaren bewohnt, die Griechen interessierten sich mehr für den Mittelmeerraum, wo es außer den Griechen und ihren Kolonien noch andere (aus griechischer Sicht zumindest halbwegs zivilisierte) Kulturen gab. (Übrigens war Europa noch nicht einmal als geographischer Begriff im heutigen Sinne fixiert: Z. B. zählte noch im 1. Jhdt. v. Chr. der griechische Historiker Diodor Karthago zu Europa.) Und was die Sache mit der Individualität anbelangt: In Sparta (das in der Antike auch von vielen nichtspartanischen Griechen bewundert wurde) wurde gnadenlos auf das Kollektiv gesetzt, dessen Interessen sich der Einzelne in seinem ganzen Leben unterzuordnen hatte. Aber auch in den meisten anderen griechischen Städten zur Zeit der Perserkriege waren politische und geistige Entfaltungsmöglichkeiten nur für die Angehörigen der aristokratischen Oberschicht erwünscht; die Masse des Volkes hatte zu arbeiten und sich unterzuordnen.
 
Was man bei den Griechen vielleicht stärker findet als in Persien ist eine Art "Gemeinschaft der Nationen". Die Poleis waren zwar frei und eigenständig und unterschieden sich in "Verfassung" und Regierungssystem oft ziemlich stark, hatten aber einige gemeinsame Fixpunkte wie bestimmte Spiele und Heiligtümer. Das wäre möglicherweise etwas, das dem heutigen Europa nähersteht als ein Großreich unter einem Herrscher.
Allerdings wird man fragen müssen, welchen historischen Erkenntnisgewinn man dann aus einem solchen recht ungeschichtlichen Vergleich ziehen kann. Es gibt aber auch einige Historiker, die solche Vergleiche recht gern ziehen (und dafür auch Kritik einstecken müssen). Ein Beispiel dafür ist Michael Salewski.
 
Aus der Rückschau betrachtet spielt der Freiheitskampf der Griechen gegen die Perser für "die abendländische Menschheit" sicher eine große Rolle. Es kann vermutet werden, daß einiges anders gedacht oder daß einiges nicht gedacht und versucht worden wäre, wenn ganz Griechenland und das griechische Kleinasien dauerhaft unter persische Herrschaft geraten wären. Ein Teil des griechisch-römisch-christlich-germanischen Erbes, auf dem die mittelalterliche Vorgeschichte des genuin abendländischen Freiheitsbegriffs und Menschenbilds beruht, wäre dann wahrscheinlich anders gewesen. Trotzdem ist das Zitat insofern falsch, als es den Griechen unhistorisch Motive unterstellt, welche zu einem großen Teil nicht vorhanden waren. Ravenik hat dazu ausführlich Stellung genommen, wozu man wenig hinzufügen kann.
 
Wie die Geschichte im Falle eines persischen Sieges verlaufen wäre und wie groß die kulturellen und geistigen Auswirkungen auf Griechenland und Europa gewesen wären, kann nur spekuliert werden. Viel würde wohl auch davon abhängen, ob die Römer irgendwann trotzdem Griechenland "befreit"/erobert hätten und in weiterer Folge auch die Levante als Geburtsstätte des Christentums. Dann wäre wiederum die Frage, ob dann die Perserherrschaft über Griechenland Episode geblieben wäre oder die Entwicklung Griechenlands doch nachhaltig geprägt/beeinträchtigt hätte.

Aber wir haben schon einen interessanten Thread dazu: http://www.geschichtsforum.de/f26/wie-w-rde-die-heutige-welt-aussehen-40137/
 
Richtig, das ist reine Spekulation, etwas, was ich eigentlich nicht für sonderlich sinnvoll erachte ("was wäre passiert, wenn Otto der Kurze auf einer Banane ausgerutscht wäre und ..."). Ich glaube, die Aufteilung der Griechen in viele kleine, recht überschaubare, konkurrierende kriegerische Staaten bei gewisserweise ähnlicher Kultur hat eine geistige Freiheit beflügelt, die es bei Einordnung in das Großreich nicht gegeben hätte. Dem kann man entgegenhalten, daß ein guter Teil der intellektuellen Beiträge aus Ionien kam, welches ja längere Zeit unter persischer Herrschaft war. Ich denke trotzdem, die Situation ohne ein "freies" "Griechenland" (viele Anführungszeichen) wäre eine andere gewesen.
 
Ich glaube, die Aufteilung der Griechen in viele kleine, recht überschaubare, konkurrierende kriegerische Staaten bei gewisserweise ähnlicher Kultur hat eine geistige Freiheit beflügelt, die es bei Einordnung in das Großreich nicht gegeben hätte.
Schwer zu sagen. Jedenfalls ist es nicht generell so, dass eine derartige Struktur das Geistesleben beflügelt, zumindest ist von den Stadtstaaten Latiums nichts derartiges bekannt. Außerdem brachten auch die hellenistischen Großreiche zahlreiche Künstler und Gelehrte hervor bzw. zogen sie an, vor allem das ptolemaische Ägypten.

Dem kann man entgegenhalten, daß ein guter Teil der intellektuellen Beiträge aus Ionien kam, welches ja längere Zeit unter persischer Herrschaft war.
Allerdings stammte ein Großteil dieser intellektuellen Beiträge aus der Zeit vor der persischen Unterwerfung. Daraus könnte man schließen, dass sich die persische Herrschaft negativ auf das geistige und kulturelle Leben ausgewirkt hat. Allerdings sind viele Künstler und Intellektuelle aus dem persischen Kleinasien ins "freie" Griechenland emigriert. Demnach wäre die persische Herrschaft nur indirekt schuld am kulturellen Niedergang Ioniens gewesen. Umgekehrt profitierte das freie Griechenland durch die Zuwanderung von Kleinasiaten wie Herodot oder Anaxagoras.
In weiterer Folge stellt sich dann die unbeantwortbare Frage, ob die Künstler und Gelehrten des "eigentlichen" Griechenlands im Falle einer Perserherrschaft auch ausgewandert wären, diesfalls nach Magna Graecia.
 
Man könnte vielleicht auch überlegen, ob Bengtson eher eine Aussage zum klassischen Griechenland oder zum zeitgeschichtlichen Europa machen möchte. Ich hatte in den Semesterferien Saliewskis Geschichte Europas gelesen und mich mehrmals dasselbe gefragt...
 
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