Haben die Griechen eine eigenständige Kultur?

ibo1

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Ich zitiere Tatians Rede an die Bekenner des Griechentums 1. (1)

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Seid nicht so feindselig gegen die „Barbaren“, ihr Bekenner des Griechentums, und beurteilt ihre Lehren nicht so mißgünstig! Denn welche euerer Einrichtungen verdankt nicht Barbaren ihren Ursprung? 2 (2) Die [S. 196] angesehensten Männer von Telmissos erfanden die Traumdeutung, Karier die Weissagung aus den Sternen, den Vogelflug beobachteten zuerst Phrygier und die ältesten Isaurier, Kyprier begründeten die Eingeweideschau, Babylonier die Astronomie, Perser die Magie, Ägypter die Geometrie, Phönikier die Buchstabenkunde. (3)Also hört doch auf, euere Nachahmungen Erfindungen zu nennen!

Denn Dichtkunst und Gesang ehrte euch Orpheus, der auch die Mysterien aufbrachte; die Tuskaner erfanden die Plastik; zur Geschichtsschreibung führten die chronologischen Aufzeichnungen bei den Ägyptern. Von Marsyas und Olympos habt ihr euch das Flötenspiel geholt, aber Phrygier waren sie beide und haben trotz ihrer „Unbildung“ aus der Pfeife den Wohlklang zu locken gewußt. 3 Tyrrhener erfanden die Trompete, die Schmiedekunst Kykopen, und auf die Kunst, Briefe zu schreiben, verfiel, wie Hellanikos erzählt, 4 eine Frau, die einst über die Perser herrschte: Atossa war ihr Name. 5 (4) So laßt denn eueren Dünkel fahren und bläht euch nicht mit prunkenden Phrasen! Euer Selbstlob findet doch nur die Zustimmung euerer eigenen Leute, wer aber Verstand hat, muß abwarten, bis ihr andere Zeugen beibringt und euch einigt in der Art, wie ihr sprecht!

(5) So aber ist euch widerfahren, daß ihr nicht einmal untereinander die gleiche Sprache redet. 6 Denn die Dorier sprechen anders als die Attiker, und die Äolier nicht so wie die Jonier. Da also bei euch ein so großer Zwiespalt in Dingen herrscht, in denen es keinen geben sollte, weiß ich nicht, wen ich einen Helenen nennen so.


[...]

Anders formuliert; die alten Griechen waren nicht mehr Hochkultur als die Mongolen des 13. Jh. und in beiden Fällen waren die Umstände ganz ähnlich (dünne halbnomadische Herrschaftschicht vs. überlegene einheimische Hochkultur).
 
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Anders formuliert; die alten Griechen waren nicht mehr Hochkultur als die Mongolen des 13. Jh. und in beiden Fällen waren die Umstände ganz ähnlich (dünne halbnomadische Herrschaftschicht vs. überlegene einheimische Hochkultur).
man fragt sich, wer der Aristoteles, wer der Platon, wer der Euklid der Mongolen war... :winke:;)

in diesem Abschnitt der Phillipika des Asketen wird ein pseudokulturhistorischer Nebenkriegsschauplatz rhetorisch eröffnet, wohlweislich nicht nur den erwähnten Bereich (Philosophie etc) auslassend - kurzum, die späthellenische Kultur wird vom Gewetter des Asketen nicht schwer erschüttert gewesen sein.
 
Anders formuliert; die alten Griechen waren nicht mehr Hochkultur als die Mongolen des 13. Jh. und in beiden Fällen waren die Umstände ganz ähnlich (dünne halbnomadische Herrschaftschicht vs. überlegene einheimische Hochkultur).

Ich weiß jetzt nicht, wie du auf Halbnomaden kommst oder auf einheimische/nichteinheimische Kultur. Tatian hat insofern Recht, dass es im antiken Griechenland eine Arroganz gegenüber "den Barbaren" gab, die sicher nicht gerechtfertigt war. Als Hellenisierter wird er sich dadurch zu Recht angegriffen gefühlt haben und schlägt nun zurück, indem er schreibt, dass eigentlich alles, was die Griechen für griechisch hielten, nicht griechisch sei. Ob er in allen Punkten Recht hat, sei dahingestellt, aber im nachalexandrinisschen Zeitalter, also nach der Hellenisierung des Ostmittelmeerraumes war die griechische Kultur nun mal vorherrschend, bis auf die Levante, wo sich die griechische und die aramäische Koiné trafen und es wird sicherlich ein Interesse der nichtgriechischen Kulturen gegeben haben sich gegen diese hellenische Vorherrschaft zu wehren, ob im militärisch-politischen Bereich, wie es in der Diadochenzeit etwa unter den Makkabaiern geschah, oder im kulturellen Bereich unter der Römerherrschaft, wie im Falle Tatians.

Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass er hier auch in Teilen Griechentum mit Heidentum gleichsetzt und dass er vermutlich einer radikalen christlichen Splittergruppe angehörte, die aus der Sicht der damaligen Hauptströmung des Christentums als häretisch zu bezeichnen war. Insofern wird hier auf der Folie "Griechen" auch ein Glaubenskampf ausgetragen, mit Heiden, mit anderen christlichen Gruppierungen etc.

Bemerkenswert bei all seinem Gezeter über die Griechen ist dabei, dass er seine Schriften in griechischer und nicht etwa in aramäischer Sprache verfasste.
 
Ich kann meine beiden Vorredner nur unterstützen. Ansonsten, wenn man den Kulturbegriff mal im nichtkantischen Sinn benutzt, hatten die Griechen sicher eine eigenständige Kultur mit eigener Formensprache, eigenen Bräuchen, Sitten, Regeln. Wenn man dazu forderte, daß jeder Teil einer Kultur auch völlig eigenständig entwickelt worden wäre, käme man nicht besonders weit.
 
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