Hellenisierung Judäas bis zum Makkabäeraufstand

Chan

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(Ich wollte den Thread eigentlich unter der Rubrik ´Religionsgeschichte´ eröffnen, was aber wiederholt nicht funktioniert hat, weil ´zu viel Text´ angezeigt wird, selbst bei nur drei Buchstaben... Also habe ich ihn hier eröffnet, da es hier bereits einen Makkabäer-Thread von 2012 gibt.)

Ich möchte die Vorgeschichte zum Makkabäeraufstand zur Diskussion stellen. Als provisorische Diskussionsbasis habe ich einen Überblick über die Entwicklung ab 323 BCE zusammengestellt. Im besonderen geht es mir um die Abklärung der in der Primär- und Sekundärliteratur unterschiedlich dargestellten Rollen von Antiochus IV., den Hohepriestern Jason und Menelaus sowie der Gruppe der Chassidim.

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Das Alexanderreich wird nach 323 BCE in drei separate Reiche, die Diadochenreiche, aufgeteilt. Die Antigoniden herrschen über Makedonien und Griechenland, die Ptolemäer über Ägypten und die Küste der Levante und die Seleukiden über Syrien, Mesopotamien und den Iran. Judäa, zunächst Teil des ptolemäischen Reichs, liegt im Einflussbereich des seleukidischen Teils von Syrien und wird von dort aus nach und nach von einer hellenistischen Bevölkerung besiedelt, die an der Küste neue Städte baut, von wo aus hellenistische Kultur auf die jüdische Bevölkerung übergreift. Vor allem in deren Oberschicht, darunter die aristokratischen Priester, zeigen sich viele den neuen Impulsen gegenüber offen. Zu einem offenen Konflikt zwischen Pro-Hellenisten und jüdisch Konservativen kommt es (noch) nicht, da die Institutionen und Praktiken der jüdischen Religion durch die hellenisierenden Tendenzen nicht tangiert werden.

Politisch ist Judäa teilautonom mit der Tora als gesetzliche Basis und hierarchisch wie folgt organisiert: (1) Hohepriester, (2) Ältestenrat, (3) Volksversammlung (unbedeutend außer später in der Zeit der makkabäischen Herrschaft). Einen Statthalter gibt es unter den Ptolemäern nicht, seine Rolle übernimmt der Hohepriester, der nicht nur die Priester, sondern auch den Ältestenrat leitet und somit der wichtigste politische Funktionsträger ist. Diese neue Machtkonzentration ruft den Widerstand aristokratischer Familien hervor, die ihren durch ökonomische Macht erlangten politischen Einfluss dadurch gefährdet sehen (siehe übernächster Absatz). Wirtschaftlich prosperiert das Land unter den Ptolemäern, vorwiegend aber zugunsten der Aristokraten, die das Recht, Steuern einzutreiben, vom Staat für eine hohe Summe ´pachten´ können und alles, was sie darüber hinaus eintreiben, für sich behalten. Das führt zwangsläufig zu einem Anstieg der Schuldsklaverei und zahlreichen Verkäufen von Schuldnern als Sklaven ins hellenistische Ausland.

Durch den gegen die Ptolemäer siegreichen Antiochus III. gerät Judäa um das Jahr 200 BCE (201 / 198?) unter seleukidische Herrschaft. Schon im Vorfeld der militärischen Entscheidung hatte Hohepriester Simon II. mit Antiochus III. Verhandlungen über den rechtlichen Status der jüdischen Religion im Fall einer Machtübernahme geführt. Mit seinem Anliegen, die jüdische Religion zu stabilisieren, repräsentiert Simon II. eine konservative Strömung (die Chassidim, siehe übernächster Absatz) innerhalb der Priesterschaft, die sich unter dem neuen Herrscher in den nächsten Jahrzehnten (bis 175 BCE) als dominierender theologisch-politischer Faktor in Judäa behaupten kann, ohne dass die Hellenenisierungstendenz dadurch aber zurückgedrängt würde. Antiochus III. hält seine Zusagen ein, gewährt freie Religionsausübung sowie eine Steuerbefreiung aller Juden für drei Jahre und fördert den Ausbau von Tempel und Stadt sogar finanziell.

Unter den Pro-Hellenisten gibt es in dieser Zeit zwei Lager, die Tobiaden und die Oniaden, welche um die politische Macht in Judäa rivalisieren. Die Tobiaden, d.h. die Mitglieder und Anhänger einer reichen nicht-priesterlichen Familie, die seit ca. 400 BCE die Politik Judäas mitgestaltet, waren schon in Zeiten ptolemäischer Herrschaft entschieden pro-hellenistisch. Die Oniaden sind Mitglieder und Anhänger einer einflussreichen Hohepriester-Dynastie, die auch 175 BCE, als Antiochus IV. Epiphanes seine Herrschaft antritt, den Hohepriester stellt, Onias III. Was beide Parteien abgesehen von ihren Machtinteressen unterscheidet, ist das Ausmaß der Hellenisierung Judäas, die sich die Tobiaden noch tiefgreifender wünschen als die Oniaden.

Die Konservativen unter den Juden sind ebenfalls gespalten in eine ´realpolitische´ Gruppe, welche die Hellenisierung bis zu einem gewissen Grade toleriert, und eine ´fundamentalistische´ Gruppen, die sie vollständig ablehnt - die Chassidim (die ´Frommen´), die in den Jahrzehnten vor 175 BCE in Judäa die Hohepriester stellt, darunter, wie schon erwähnt, Simon II. zur Zeit der seleukidischen Machtübernahme. Entstanden ist die Gruppe evtl. aus den Kreisen der Tempelschreiber (zu denen in der persischen Zeit auch Esra zählt, der Begründer des eigentlichen Judentums). Zu den Aufgaben der theologisch einflussreichen Schreiber gehört die Interpretation bereits kanonisierter Texte. Möglicherweise sind das Danielbuch und das 1. Henoch-Buch, zwei Klassiker der apokalyptischen Literatur, von Chassidim verfasst worden. Die anti-hellenistischen Chassidim können nicht nur als Vorläufer der makkabäischen Aufstandsbewegung, sondern auch - langfristiger - der Pharisäer betrachtet werden, während aus den Reihen der pro-hellenistischen Priesterschaft die späteren Sadduzäer hervorgehen.

Einem Bruder von Onias III., Jason (angenommener griechischer Name), gelingt es, sich von Antiochus IV. noch im Jahr seines Herrschaftsantritts (175 BCE) als neuer Hohepriester einsetzen zu lassen, indem er ihm höhere Tribute verspricht. Der König geht darauf ein, weil er das Geld für die jährlichen Tributzahlungen braucht, die das seleukidische Königshaus seit 190 BCE an Rom zur Kriegsentschädigung zu leisten hat. Der abgesetzte Onias III. zieht sich in ein Exil im Heiligtum in Daphne zurück. Von Antiochus IV. als politisch-religiöser Führer Judäas installiert, geht Jason in seiner Begeisterung für den Hellenismus und im Bestreben, Judäa in den Welthandel zu integrieren, so weit, Jerusalem hellenistisch umzubenennen ("Antiochia"), die städtischen Einrichtungen nach hellenistischem Vorbild zu strukturieren und viele griechische Sitten einzuführen, kurz: Jerusalem in eine Polis umzugestalten. Die Chassidim werden durch die neue Entwicklung aus teilautonomen Entscheidungsgremien gedrängt. Das ermöglicht die Aufweichung des wirtschaftsschädlichen Handelsverbots am Sabbat und des Mischehenverbots, das der Heirat der im Zuge des Bevölkerungsanstiegs ausgewanderten Juden und Jüdinnen mit hellenistischen Männern und Frauen bisher im Wege steht. In diesem ´kulturrevolutionären´ Klima wird auch die urjüdische Sitte des Beschneidens in weiten Kreisen der Oberschicht als veraltet abgetan und abgelehnt. Bei Josephus und in anderen jüdischen Quellen (z.B. 1 Makk) ist nachzulesen, dass manche Pro-Hellenisten ihre Beschneidung durch ´transplantierte´ Tierhäute kaschieren, um sich nackt nicht von Griechen zu unterscheiden.

Der nächste, von Antiochus IV. 172 BCE installierte Hohepriester Menelaus (angenommener griechischer Name), erhält sein Amt, weil er den Seleukiden besticht und ihm noch höhere Tribute als sein Vorgänger garantiert. Von Jason zu Antiochus IV. geschickt, um den jährlichen Tribut abzuliefern, hat Menelaus die Gelegenheit genutzt, den König von den Vorteilen einer Amtsübertragung zu überzeugen. Von Josephus wird Menelaus wohl irrtümlich als dritter Bruder von Onias III. und Jason, also als Oniade angegeben, jedenfalls gilt er heute als Repräsentant der Tobiaden-Partei, der die hellenisierenden Aktivitäten des Oniaden Jason nicht weit genug gegangen waren. Die erste ´Amtshandlung´ des neuen Hohepriesters besteht darin, im Zuge seiner dem König gegebenen Versprechungen Teile des Jerusalemer Tempelschatzes an Antiochus IV. auszuhändigen, wobei ihm ein königlicher Offizier namens Andronicus hilft, der einen Anteil erhält. Als der frühere Hohepriester und Bruder von Jason, Onias III., von seinem Exil aus den ihm zu Ohren gekommenen Tempelraub öffentlich anklagt, wird er unter einem Vorwand aus seinem Versteck gelockt und von Andronicus getötet (171 BCE). Menelaus fährt fort, sich am Tempelschatz zu bedienen, was wieder nicht geheim bleibt und zur Tötung seines involvierten Bruders Lysimachus führt. Daraufhin lässt der Hohepriester einige Juden, die den Tempelraub nachweisen können, vor ein Gericht stellen und als von den Ägyptern aufgehetzte Aufrührer zum Tode verurteilen.

Jason hat in dieser Zeit auf seine Chance gewartet, an die Macht zurückzukehren. Veranlasst durch die Falschmeldung, Antiochus IV. sei bei seinem Ägyptenfeldzug gefallen, zieht er 170 BCE nach Jerusalem, um Menelaus aus dem Amt zu jagen, der in der Zitadelle Zuflucht sucht, während Jason alter und neuer Herr von Jerusalem ist und die Mehrheit des Volkes hinter sich weiß. Überraschend kehrt der Seleukidenkönig, von den Römern aus Ägypten vertrieben, 168 BCE aber wohlbehalten zurück, gerät über den Aufstand, den er als Majestätsbeleidigung ansieht, in äußerste Verärgerung, veranstaltet ein Massaker in der vorwiegend pro-jasonischen Bevölkerung und eignet sich, assistiert von Menelaus, den kompletten Tempelschatz an. Zur Absicherung seiner Herrschaft stationiert er seleukidische Truppen in der Umgebung von Jerusalem.

Die Kompromisslosesten unter den Pro-Hellenisten sehen die Gelegenheit für die erwünschte Abschaffung der jüdischen Religion nun gekommen und legen dem König nahe, sie samt und sonders zu verbieten. Antiochus IV. ist einverstanden und erlässt im Dezember 167 BCE ein Verbot aller jüdischen Kulte und Sitten - auch der Beschneidung - unter Androhung der Todesstrafe bei Missachtung. Die Juden haben nun Zeus Olympios zu opfern, für den - was historisch aber nicht gesichert ist - eine Statue sowie ein Altar für Schweineopfer im Tempel auf dem Zionsberg errichtet wird. Das ist nicht so zu verstehen, dass - in der Sicht von Antiochus IV. - Zeus an die Stelle des jüdischen Jahwe tritt, sondern beide Götter, die der Seleukide, typisch hellenistisch, als Manifestation ein und derselben Gottesvorstellung interpretiert, werden gleichgesetzt, analog beispielsweise zur hellenistischen Gleichsetzung der anatolischen Kybele mit griechischen Göttinnen wie Artemis und Demeter. Dass die Konservativen unter den Juden eine Interpretatio graeca ihres Gottes unmöglich akzeptieren können, hat Antiochus IV. wohl nicht vorausgesehen. Mit Sicherheit vorauszusehen war aber die Empörung dieser Juden über das Verbot ihrer Kultpraktiken. Hinzu kommt, dass der König im Stile hellenistischer Herrscher auch rituelle Opfer für sich selbst verlangt, was möglicherweise - ähnlich wie später in der Provinz Asia unter Augustus - nicht seine eigene Idee war, sondern ihm von loyalen Pro-Hellenisten angetragen wurde.


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