Pergamon-Altar Deutungsfrage

tela

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Hallo zusammen,

Im Augenblick beschäftige ich mich ein wenig mit dem Pergamon-Altar und Fragen der Deutung des großen Fries.

Im Allgemeinen wird das ganze ja nur als Abbildung einer Gigantomachie gesehen, so z.B. im Buch der Staatlichen Museen Berlin von 2004 (Verlag Philip von Zabern).

Jetzt lese ich ein recht aktuelles Buch von Barbara Demandt - Die Wohltaten der Götter. König Eumenes II. und die Figuren am großen Fries des Pergamonaltars verrätselt - enträtselt.

Und sie ist der Meinung, dass dort nicht nur der Kampf der Götter mit den Giganten abgebildet ist, sondern auch die Feinde des Eumenes in mehr oder weniger deutlicher Form verschlüsselt dargestellt wurde.

Das macht sie vor allem daran fest, dass sie der Meinung ist, dass die menschlichen Figuren, die sicher keine olympischen Götter darstellen nicht, wie sonst, als jugendliche Giganten anzusehen sind, denen noch die typischen Schlangenbeine wachsen mussten, sondern in diesen Figuren eben die Feinde des Eumenes zu sehen sind.

Auf mehreren Platten sind anscheinend menschliche Gestalten, meist nackt, zu Boden gesunken, die damit offenbar als tot oder zumindest gerade sterbend angegeben sind. In diesen Leuten will Frau Demandt Galater - die Hauptfeinde Pergamons - sehen, die aufgrund ihres hohen Bedrohungspotentials für die Herrschaft der Attaliden entsprechend oft dargestellt wurden.

Ansonsten sind auf mehreren Platten einzelne oder manchmal auf Menschenpaare dargestellt, in denen sie bedeutende Einzelpersönlichkeiten, die allesamt Feinde des Eumenes waren, erkennen will:
Nabis von Sparta
Antiochos III
Seleukos IV
Hannibal
Prusias I
Prusias II
Ariarathes
Pharnakes
Antiochos IV
Philipp V
Perseus
Regulus Solovettius

Zum Verstehen ihrer Argumentation dies am Beispiel des Antiochos III.
Dieser starb nach der Niederlage gegen Rom, als er versuchte die hohen Kriegsentschädigungen durch Plünderungen von Tempelschätzen zusammenzubringen, bei der Plünderung eines Baal-Tempels. Dieser Gott wird anscheinend mit Zeus gleichgesetzt, der sich damit an Antiochos rächte.

https://www.google.com/search?q=Per...Fausstellung%2Fder-pergamonaltar.html;510;340

Jetzt findet sich am zentralen Platz des Ostfrieses eine Platte von Zeus im Kampf gegen Giganten. Eigentlich findet der Kampf in der rechten Bildhälfte statt, dort finden wir Zeus nach rechts gewendet, ganz rechts den gegnerischen Giganten, dazwischen einen zu Boden gesunkenen Nackten (Galater?) und links hinter Zeus einen am Boden sitzenden Mann. Diesem wurde von Zeus ein Blitzbündel ins linke Bein geschleudert.

Frau Demandt deutet diese Person nun als Antichos III., der gerade die göttliche Strafe von Zeus für die Tempelplünderung erlitten hat.

Im erwähnten Buch über den Pergamonaltar steht unter der Umzeichnung dagegen: Zeus, der höchste Olympier, der Wolken versammelt, den Regen sendet und Blitze schleudert, kämpft, begleitet vom Adler, gegen den Gigantenführer Porphyrion und zwei jugendliche Giganten.

Ähnliche Deutungen unternimmt Frau Demandt für die anderen namentlich bekannten Gegner des Eumenes. Dabei immer Bezug nehmend auf Überlieferungen aus der Literatur und eine dann mehr oder wenig stark verschlüsselte Darstellung am Altar.

Die Frage wäre: Ist das zu viel interpretiert? Oder doch halbwegs plausibel? Ist die Lösung mit den jugendlichen Figuren als jugendliche Giganten plausibler?
 
Jetzt findet sich am zentralen Platz des Ostfrieses eine Platte von Zeus im Kampf gegen Giganten. Eigentlich findet der Kampf in der rechten Bildhälfte statt, dort finden wir Zeus nach rechts gewendet, ganz rechts den gegnerischen Giganten, dazwischen einen zu Boden gesunkenen Nackten (Galater?) und links hinter Zeus einen am Boden sitzenden Mann. Diesem wurde von Zeus ein Blitzbündel ins linke Bein geschleudert.

Ich schätze, dieses Fries ist damit gemeint.
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zeus_contra_Poryphion_Pergamonaltar.JPG

tela schrieb:
Frau Demandt deutet diese Person nun als Antichos III., der gerade die göttliche Strafe von Zeus für die Tempelplünderung erlitten hat.

Ähnliche Deutungen unternimmt Frau Demandt für die anderen namentlich bekannten Gegner des Eumenes. Dabei immer Bezug nehmend auf Überlieferungen aus der Literatur und eine dann mehr oder wenig stark verschlüsselte Darstellung am Altar.

Die Frage wäre: Ist das zu viel interpretiert? Oder doch halbwegs plausibel? Ist die Lösung mit den jugendlichen Figuren als jugendliche Giganten plausibler?

Ich denke, solange keine inschriftlichen Hinweise oder Beschreibungen zu den Darstellungen vorliegen, wird es wohl immer eine Interpretationsfrage bleiben. Der Ansatz von Frau Demandt hört sich zumindest plausibel an, bleibt jedoch unsicher. Allerdings spricht für mich auch etwas dagegen. Mir mutet es "etwas zuviel der Ehre" an, wenn die Attaliden ihre ärgsten Feinde im Streit wider die Götter fallen sehen. Würden die Attaliden damit ihren Feinden nicht eine Teilhabe am Göttlichen oder zumindet eine gewisse Gottnähe zuerkennen? So das diese nicht von Menschenhand (oder den Attaliden selbst) zu Falle gebracht werden konnten, sondern das dafür erst göttliches Eingreifen, darunter vom Göttervater höchstpersönlich, notwendig war?

Mir ist das so bei keinen anderen hellenistischen Beispiel bekannt.
 
Allerdings spricht für mich auch etwas dagegen. Mir mutet es "etwas zuviel der Ehre" an, wenn die Attaliden ihre ärgsten Feinde im Streit wider die Götter fallen sehen. Würden die Attaliden damit ihren Feinden nicht eine Teilhabe am Göttlichen oder zumindet eine gewisse Gottnähe zuerkennen? So das diese nicht von Menschenhand (oder den Attaliden selbst) zu Falle gebracht werden konnten, sondern das dafür erst göttliches Eingreifen, darunter vom Göttervater höchstpersönlich, notwendig war?

Die Teilnahme der nationalen Götter an Feldzügen gehörte zum festen Bestand des altorientalischen und davon beeinflussten griechischen religiösen Denkens. Zwei Beispiele:

1) Ein ugaritischer Text über die syrische Kriegsgöttin Anat, die von den Ägyptern übernommen wurde und deren Züge in Griechenland auf Pallas Athene übergingen:

Es metzelt und freut sich Anat/.../ Das Innere Anats jubelt, als sie ihre Knie eintaucht in das Blut der Soldaten.

2) Viel früher noch findet sich auf der sumerischen Geierstele, welche die Taten des Königs von Lagasch preist, auf der Rückseite eine Darstellung des Stadtgottes von Lagasch, Ningirsu, der in einem Netz Feinde von Lagasch gefangen hält und im Begriff ist, sie mit einer Keule zu erschlagen (siehe angehängtes Bild).

Mir ist das so bei keinen anderen hellenistischen Beispiel bekannt.

In Griechenland gibt es für das Motiv ´Kampf zwischen Göttern und Menschen´ einen Präzedenzfall an prominenter Stelle, nämlich in der Ilias, 5. Gesang.

Z.B. verletzt der Krieger Diomedes mit seinem Speer die Göttin Aphrodite an der Hand. Vorher wird er von Pallas Athene auf die Verwundbarkeit der Göttin hingewiesen:

125
Denn dir goß ich ins Herz die Kraft und Stärke des Vaters,
Unverzagt, wie sie trug der geschildete reisige Tydeus.
Auch das Dunkel entnahm ich den Augen dir, welches sie deckte;
Daß du wohl erkennest den Gott und den sterblichen Menschen.
Drum so etwa ein Gott herannaht, dich zu versuchen;
130
Hüte dich, seligen Göttern im Kampf entgegen zu wandeln,
Allen sonst: doch käme die Tochter Zeus Aphrodite
Her in den Streit, die magst du mit spitzigem Erze verwunden.
Also sprach und enteilte die Herrscherin Pallas Athene.


Später schreitet Diomedes zur Tat:

330
(...)
Weil er erkannte, sie erschein' unkriegerisch, keine der andern
Göttinnen, welche der sterblichen Schlacht obwaltend durchwandeln,
Weder Athenens Macht, noch der Städt' Unholdin Enyo.
Als er nunmehr sie erreicht, durch Schlachtgetümmel verfolgend;
335
Jetzo die Lanze gestreckt, der Sohn des erhabenen Tydeus,
Traf er daher sich schwingend mit eherner Spitze die Hand ihr,
Zart und weich; und sofort in die Haut ihr stürmte die Lanze
Durch die ambrosische Hülle, die ihr Charitinnen gewebet,
Nah am Gelenk in der Fläche: da rann ihr unsterbliches Blut hin,
340
Klarer Saft, wie den Wunden der seligen Götter entfließet;
Denn nicht essen sie Brot, noch trinken sie funkelndes Weines;
Blutlos sind sie daher, und heißen unsterbliche Götter.
Laut nun schrie die Göttin, und warf zur Erde den Sohn hin.
Aber ihn in den Händen errettete Phöbos Apollon...


Auch Kriegsgott Ares nimmt aktiv ("rastlos wütend") am Schlachtgeschehen teil und wird, nachdem er den Krieger Periphas tötet, seinerseits von einem Speer des Diomedes, den die Göttin Pallas Athene auf ihn lenkt, verletzt, so dass er zum Himmel aufsteigt, um sich bei Zeus über die Göttin zu beschweren.

Ares versus Periphas:

840
(...)
Jener entwaffnete dort der Ätolier tapfersten Krieger,
Periphas, groß und gewaltig, Ochesios edlen Erzeugten:
Diesen entwaffnete Ares, der blutige. Aber Athene
845
Barg sich in Aïdes Helm, damit nicht Ares sie sähe.
Als nun der mordende Ares ersah Diomedes den Edlen;
Ließ er Periphas schnell, den Gewaltigen, dort in dem Staube
Liegen, allwo er zuerst des Erschlagenen Seele geraubet;
Eilte dann grade daher auf den reisigen Held Diomedes.


Diomedes (mit Pallas Athene) versus Apollon:

850
Als sie nunmehr sich genaht, die Eilenden gegeneinander;
Vor dann streckte der Gott (= Ares) sich über das Joch und die Zügel
Mit erzblinkender Lanz', in Begier ihm die Seele zu rauben.
Doch mit der Hand sie ergreifend, die Herrscherin Pallas Athene
Stieß sie hinweg vom Sessel, daß nichtiges Schwungs sie vorbeiflog.
855
Jetzo erhub sich auch jener, der Rufer im Streit Diomedes,
Mit erzblinkender Lanz'; und es drängte sie Pallas Athene
Gegen die Weiche des Bauchs, wo die eherne Binde sich anschloß:
Dorthin traf und zerriß ihm die schöne Haut Diomedes;
Zog darin die Lanze zurück. Da brüllte der eherne Ares:
860
Wie wenn zugleich neuntausend daherschrien, ja zehntausend
Rüstige Männer im Streit, zu schrecklichem Kampf sich begegnend.
Rings nun erbebte das Volk der Troer umher und Achaier,
Voll von Angst: so brüllte der rastlos wütende Ares.
Jetzo wie hoch aus Wolken umnachtetes Dunkel erscheinet,
865
Wenn nach drückender Schwül' ein Donnersturm sich erhebet:
Also dem Held Diomedes erschien der eherne Ares,
Als er in Wolken gehüllt auffuhr zum erhabenen Himmel.
Eilendes Schwungs erreicht' er die seligen Höhn des Olympos.
Dort nun saß er bei Zeus dem Donnerer, trauriges Herzens...


Eine Leseprobe aus dem Buch von Fr. Demandt:

https://www.zabern.de/media/2/4599_Leseprobe_Die Wohltaten der Götter.pdf

Zitat:

Es sollte ein Altar der Dankbarkeit für die Wohltaten aller Götter werden mit einem langen und großen Fries, der neben Göttern, Giganten, Galatern, Gegnern und Attentätern auch alle königlichen und erschlagenen Tempelräuber brandmarken sollte. Dazu wurde als Letzter der 164 von der Göttin Artemis als Tempelräuber vertriebene König Antiochos IV als jung und früh Verstorbener in den Entwurf des Gigantenfrieses
übernommen.
 

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Daß die Darstellung der Gigantomachia nicht nur um der mythologischen Erzählung willens erfolgte, ist bereits seit langem bekannt und meines Wissens auch unbestritten. Dazu kann man auch Vorgänger zählen, bereits die Athener nutzen im 5. Jh. v. Chr. den Mythos der Gigantenschlacht, um die Siege über die Perser zu schildern.
Wenn ein solcher Kampf symbolisch zu interpretieren ist, muß man fragen, welcher seiner Adressaten zu welcher Interpretation fähig ist. Man kann eine ganze Reihe von Deutungsebenen finden, ohne zu wissen, welcher antike Betrachter wann und welche Ebene davon ebenfalls sah. Es steht die kosmologische Ebene des Kampfes Ordnung gegen Chaos genauso drin wie auch eine historische Ebene. Da die griechische Kunst reale Ereignisse nicht so abbildete wie es die römische Kunst zum Beispiel auf der Trajanssäule tat, wurde gern zu dem mythologischen Gewand gegriffen. Insofern kann man sagen: ja, in der Gestalt der Gegner sind sowohl die Galater als auch griechische Konkurrenten subsumiert, ohne daß diese gleich selbst persönlich dargestellt sind.
Ich habe bisher nur flüchtig in das Buch geschaut, halte aber das, was ich gesehen und gelesen habe, für nicht sehr überzeugend, auch weiß ich von keinem Kollegen, der dies täte. Gerade die Bezüge zu portraithaften Darstellungen wie es zum Beispiel bei Hannibal am Nordfries sein sollen sind sehr fraglich. Wenn es mir gestattet sei, derart zu argumentieren - Frau Demandt ist keine Archäologin, sondern Historikerin, Portraitforschung scheint nicht unbedingt ihre Stärke zu sein. Die Ankündigung des Verlags, daß nun die Rätsel des Altares gelüftet seien, finde ich zu vollmundig.

Vielleicht noch zu den Gigantenfiguren. Es finden sich sehr unterschiedliche Giganten am Fries, die Mehrzahl hat menschliche Beine, die schlangenbeinigen sind zwar meist augenfälliger, aber nicht so viele. Die Schlangen sind keine Frage des Alters, es ist nicht so, daß den jungen Giganten irgendwann die Schlangen noch wachsen - was würde dann mit den menschlichen Beinen geschehen? -, der Altersunterschied wird in der Regel durch Bärte und Muskulatur dargestellt, und wir haben jugendliche, also bartlose Giganten mit Schlangenbeinen, aber auch bärtige Giganten mit Menschenbeinen. Das hängt vom Kompositionsschema ab - also wieviel Raum läßt die Gottheit, die gegen den Giganten kämpft.
Die Giganten waren übrigens genauso benannt wie die Götter, es stand unter jedem Giganten ein Name darunter. Leider sind davon zumeist nur wenige Buchstabenreste übrig.
 
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