Aber etwas Lesevermögen vorausgesetzt, kann man bemerken, dass es laut Überschrift und #1 hier - innerhalb der Rubrik Antikes Griechenland - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte - nicht um assyrische Spezialitäten oder noch ältere Angelegenheiten geht. Sondern?
Ich muss eine Begriffsklärung nachreichen. "Assyriologie" (du spielst dabei auf den Namen des von mir zitierten Lexikons an) meint nicht nur die Beschäftigung mit assyrischer Kultur usw., sondern bezieht sich auf das Altorientalische im Allgemeinen. Ein synonymer Begriff ist Altorientalistik.
Altorientalistik ? Wikipedia
Die Altorientalistik ist die Wissenschaft von Sprachen, Geschichte und Kulturen des Alten Orients vom Auftreten der ersten Keilschrifttexte im späten 4. Jahrtausend v. u. Z. bis zum Erlöschen der Keilschrift um die Zeitenwende. Da die ersten größeren Ausgrabungen im antiken Assyrien stattfanden, wurde die Altorientalistik früher und traditionell bisweilen bis heute als Assyriologie bezeichnet.
Religionen sind ja nicht plötzlich da und werden geglaubt. Sie entwickeln sich. Ich stelle mir das recht primitiv vor. Am Anfang beindruckt die Menschen die Sonne oder sie benötigen Regen oder es erschreckt sie ein Vulkan oder ein Gewitter. Sie sehen einen Geist in den Dingen. Um etwas zu bekommen, muss man etwas geben. Und so entwickelt sich ganz allmählich und fortschreitend eine Religion, erst dinglich, dann ganz allmählich eine zugehörige Mythologie. Bis man dann irgendwann bei den Geschichten sind, die wir von ägyptischen, griechischen, römischen und anderen Göttern überliefert haben. Wir reden hier von Gesellschaften die in Personenverbänden agieren und sich erst ganz allmählich zu komplexen Zivilisationen entwickeln.
Daraus ersehe ich aber nicht, wie du dir das Verhältnis zwischen religiösem System und Herrscherelite vorstellst, das ich - angeregt durch Erik Eriksons von Dieter kritisierte Bemerkung - thematisiert habe. Meine Auffassung von der Entwicklung des religiösen Denkens habe ich in diversen Artikeln öfters dargelegt. Ich fasse es nochmals grob zusammen: Religiöses Denken entstand im Paläolithikum als Glaube an eine mit der Natur verschmolzenen parthenogenetischen ´Urmutter´ und wurde im Neolithikum um die Kategorie eines Sohn-Geliebten dieser Urmutter (ab dann die anthropomorphe Große Göttin) erweitert, der zunächst als fruchtbarer Stier symbolisiert wurde, was auch noch in späterer Zeit oft ein Merkmal männlicher Götter war (z.B. Zeus, Baal, Apis, Enlil und deutlich auf die archaische Mutterbeziehung hinweisend der Sonnengott Re = Kamutef = Stier seiner Mutter).
(siehe dazu auch: "The Cult of the Mother-Goddess" von Prof. E.O. James / Universität London)
Im Zuge der Ausdifferenzierung der Sozialsysteme kamen weitere "spezialisierte" Gottheiten hinzu. Die männlichen Gottheiten gewannen im Zuge der Patriarchalisierung ab dem 5. Jt. im Verhältnis zu den Göttinnen immer mehr Bedeutung und dominierten die Panthea schließlich ab dem 3. Jt., in Mesopotamien Enlil (der in Assyrien zu ´Assur´ wurde) und in Ägypten Horus und Re (in differenten Funktionen).
(Zur Dominanz weiblicher Gottheiten in den sumerischen Panthea des 4. Jt. siehe die Arbeiten von P. Steinkeller und P. Espak, zwei international renommierte Altorientalisten, letzterer ein Follower meiner academia.edu-Seite)
Die Strukturierung der Panthea, immer ein dynamischer Prozess, wurde ausschließlich durch die herrschende Elite (Könige und Priester) vorgenommen, und zwar im machtpolitischen Kontext. Der sumerische Himmelsgott An z.B. wurde im Zuge stark patriarchalisierender Tendenzen gegen Mitte des 3. Jt. (siehe auch Gesetzgebung von Urukagina) ´erfunden´, um die Macht der dahin den Himmel allein ´beherrschenden´ Inanna (=Herrin des Himmels) zu brechen, und in Götterlisten als deren ´Großvater´ gekennzeichnet, um seine Überlegenheit auch genealogisch zum Ausdruck zu bringen. Das schwächte indirekt, aber effektiv, auch die soziale Stellung der Frauen. Dass An schon um 3000 in Uruk verehrt wurde, ist zwar eine verbreitete Meinung, aber durch nichts belegt (siehe dazu auch G. Selz, "Religiöse Praktiken im Alten Orient der Frühzeit").
In anderen Mythen mutiert Inanna zur Enkelin des Enlil, obwohl auch dieser Gott später in das sumerische Pantheon eintrat als Inanna. Das waren alles bewusste Modifikationen des theologischen Systems mit dem Zweck, bestimmte sozialpolitische Ziele durchzusetzen, in diesem Fall in Bezug auf die soziale Stellung der Frau. Ähnliches geschah in Griechenland, als die Indoeuropäer ihren Himmelsgott in eine Region mitbrachten (siehe auch Antwort an Dieter), in deren Kult bis dahin die Große Göttin Hera bzw. deren archaische Frühform im Zentrum stand, welche später aufgrund priesterlicher Mythenumschreibung zur untergeordneten Ehefrau dieses Himmelsgottes (Zeus) mutierte. Auch diese theologische Neuerung hatte macht- bzw. sozialpolitische Motive.
Es ist also reduktionistisch zu behaupten, dass die Herrscherelite nur ein "Teil des Systems" war. Die Realität war komplexer und dialektischer: Die Elite wurde zwar in Systeme hineingeboren, hatte aber immer auch die Macht, das System zu verändern, wenn sie das aus meistens machtpolitischen Gründen für opportun hielt. Diese Dynamik war von dem Moment an wirksam, als der Übergang von flachen zu "steilen" machtorientierten Hierarchien stattfand (so wird das Gegenteil von flacher Hierarchie genannt). Diesen Übergang kann man im 5. Jt. ansetzen, erkennbar vor allem an den zunehmenden Statusdifferenzen bei der Bestattung.
Man sollte bei der Betrachtung dieses Themas übrigens Fallbeispiele liefern (wie ich es tue), statt, wie du, nur allgemeine Thesen zu präsentieren ohne Bezug zu konkreten religionshistorischen Phänomenen.
Ich will das Thema an dieser Stelle aber nun wirklich
nicht mehr weiter verfolgen, vielleicht kann man irgendwann einen separaten Thread daraus machen.
"Wie bei keinem anderen olympischen Gott sind bei Zeus die indogermanische Etymologie und Bedeutung und damit bereits vormediterrane, aus indogermanischer Religion stammende Ursprungs- und Wesensmerkmale zweifelsfrei."
Zu einer Verehrung des Zeus auf Kreta kam es erst in griechischer Zeit, d.h. mach der Besetzung Kretas durch mykenische Griechen etwa ab 1450 v. Chr.
Mir fehlt leider die Zeit, um in dieses Thema vertieft einzusteigen. Soweit ich das überblicke, gibt es zwei Ursprungstheorien - indogermanisch und kretisch -, welche triftige Argumente für sich haben, wobei auch eine Synthese denkbar ist. Auch der syrische Wettergott Baal hat Wichtiges zur klassischen Zeusvorstellung beigesteuert (Blitzeschleudern). Dass auf Kreta Zeus in minoischer Zeit nie verehrt wurde, wäre mir neu. Ich habe wiederholt gelesen, dass Zeus dort in Form eines jugendlichen Sohngeliebten der Großen Göttin verehrt wurde, z.B. in einer Arbeit von Prof. Robert Koehl: "Sacred Marriage in Minoan Religion and Ritual"...
Zitat:
The form and significance of the worship of Zeus on Crete is best characterized by the so-called Diktaian Hymn, also from the Eteocretan town of Palaikastro.
(bezogen auf die spätminoische Zeit)
... und dass das minoische Kreta, worauf die Zeusmythologie deutlich hinweist, der historische Ursprungsort der Zeusvorstellung war, freilich eines noch, wie gesagt, jugendlichen Zeus, der erst in Griechenland zum Vatergott transformiert wurde.
Dazu Wiki:
https://en.wikipedia.org/wiki/Zeus#Zeus_Velchanos
With one exception, Greeks were unanimous (=stimmten darin überein) in recognizing the birthplace of Zeus as Crete. Minoan culture contributed many essentials of ancient Greek religion: "by a hundred channels the old civilization emptied itself into the new", Will Durant observed,[32] and Cretan Zeus retained his youthful Minoan features. The local child of the Great Mother, "a small and inferior deity who took the roles of son and consort",[33] whose Minoan name the Greeks Hellenized as Velchanos, was in time assumed as an epithet by Zeus, as transpired at many other sites, and he came to be venerated in Crete as Zeus Velchanos ("boy-Zeus") often simply the Kouros.
Ein anderes Beispiel für die Beziehung zwischen einer Muttergöttin und ihrem parthenogenetisch empfangenen Sohngeliebten ist Gaia / Uranos.
Wenn du darüber Fragen an Koehl hast, schreib ihm doch; erfahrungsgemäß dauert es aber einige Zeit, bis dieser vielbeschäftigte Archäologe - einer der weltbesten Experten für ägäische Kulturen - antwortet.
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Auf
Dekumatlands Antwort gehe ich aus Zeitgründen erst morgen ein.