Vollendete attische Demokratie nach Perikles - Muster unserer heutigen Demokratie?

Dilly

Neues Mitglied
Hallooooo liebe Community. Morgen wird in meinem Geschichtsleistungskurs eine Diskussion stattfinden, die sich mit der Frage befasst, ob die damalige attische Demokratie (nach Perikles) als ein Vorbild der heutigen Demokratie dient...
Wer auf welcher Seite ist, durften wir nicht entscheiden; manche wurden zu Pro eingeteilt, manche wiederum zu Contra (ich selbst bin eigentlich für Pro :nono:). Das Problem ist, dass in meinen Augen die Pro Argumente weitaus aussagekräftiger sind als die Contra Argumente, da es sich ja schließlich um die Zeiten nach Perikles' Reformen handelt, und nicht irgendwie um die Zeit Solons..

Ich werde einfach mal meine Contra Argumente hier aufzählen:

1. Frauen, Sklaven und Metöken waren vom politischen Leben ausgeschlossen und besaßen überhaupt keine Rechte.
2. Nur schätzungsweise 30k von 200k Leuten hatten politische Rechte, also ungefähr ein Siebtel der gesamten Bevölkerung, und nur ein Fünftel des Bürgertums (6000~) nahm überhaupt an der Demokratie teil.. Kann man, wenn solche Verhältnisse vorliegen, überhaupt noch von einer Demokratie reden? Als Vergleich: Von rund 80 Millionen waren 60 Millionen~ 2009 in Deutschland wahlberechtigt...
3. Das Bürgerrecht konnte man nur unter bestimmten Kriterien erlangen, einerseits mussten beide Eltern aus Attika stammen, andererseits muss man Kriegsdienst geleistet haben und zudem gab es eine Mindestanforderung an Land, welches man besitzen musste.. Heute können vergleichsweise Leute aus aller Welt in Deutschland Bürgerrechte erlangen, egal ob Asylbewerber, Migrant usw.
4. Es herrschte in Athen das Losverfahren, die meisten Ämter wurden ausgelost, wobei nur wenige Ämter (z.B. Stratege) gewählt wurden. Dies führte dazu, dass selbst unqualifizierte Bürger beispielsweise in die Gerichtsfunktion konnten. Heute könnte man sich das ja kaum vorstellen.
5. Eine Gewaltenteilung war in Athen nicht vorhanden, zwar gab es die ersten Ansätze, aber letzten Endes keine Gewaltenteilung, da man zum Beispiel in der Volksversammlung tätig sein konnte, und zugleich mit Glück in die Gerichtsfunktion ausgelost werden konnte, also Legislative UND Judikative. Und Sinn und Zweck der Gewaltenteilung ist ja eben, die Macht der einzelnen Organe gleichmäßig zu verteilen.
6. Das Volk konnte auch leicht beeinflusst werden, von Leuten, also Demagogen, die eine gute Rhetorik an den Tag legen konnten. Ist ja zum Teil wie heute, manche Politiker versprechen einem was, und im Nachhinein behandeln sie dich wie ein Stück Dreck.

Sooo.. das waren meine Argumente die mir zu Contra eingefallen sind.. Was mir auch irgendwie auf die Nerven geht ist das ständige Gelaber von ''Jaaa, kannst du eh nicht mit den heutigen Maßstäben vergleichen, damals vor 2000 Jahren war es total anders pipapo..'' Ist ein ziemlich starkes Argument wie ich finde.. :weinen:


Könntet ihr ggf. mir weitere Contra Argumente vorschlagen? Wäre echt nett. Ich bedanke mich schon mal im Voraus. :winke:

Dilly
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn du doch eigentlich für Pro bist: Welche Argumente würdest du da vorbringen? Wie würdest du auf diese Pro-Argumente reagieren?

Wie sieht's denn bei uns mit dem Losverfahren aus? Was sind dien Vort- bzw. Nachteile des Losverfahrens?

Im Übrigen, zum Thema Demagogie/Populismus: Es ist weniger so, dass die Politiker "dich" wie Dreck behandeln... Es geht um haltbare oder nicht haltbare Versprechen etc.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, also zu den Pro Argumenten..

Es gab auf jeden Fall damals Wahlen, aber nur im begrenzten Ausmaß, durch das Losverfahren eben
----In diesem Argument wird ja das Contra Argument schon deutlich. Drauf würde ich antworten, dass es zwar Wahlen gab, aber nur bedingt.. Also so wie ich es gelernt habe, wurde von allen wichtigen Ämtern nur das Strategenamt gewählt. Sonst zum größten Teil alles gelost, Archonten, Rat der 500, Gerichtsfunktion usw.

Es herrschte ein Mehrheitsprinzip
----Aber ich denke nicht wie im heutigen Maße, wo man je nach Stimmenanzahl so und so viele Sitze im Parlament bekommt.. Sonst kann ich nix dagegen einwenden.

Es herrschte ebenso ein gleiches formales Gewicht der Stimmen, also hatte jeder Bürger 1 Stimme, und nicht anders. Dagegen kann ich ebenso nichts einwenden.

Freiheit und Gleichheit waren die zentralen Grundsätze in Athen.
----Aber wenn schon, dann nur aufs Bürgertum beschränkt, welches ja ein Siebtel der gesamten Bevölkerung ausmachte. Sonst wären die Begriffe Gleichheit und Freiheit meines Erachtens nach total fehl am Platz.

Auch konnte man öffentlich über politische Fragen in der ekklesia diskutieren, es gab ja auch ebenso eine Redefreiheit und ein Initiativrecht für alle Bürger innerhalb der Versammlung. Kann man auch nix viel zu sagen finde ich.

Und eine Art Verrechtlichung lag auch vor, bei Verstößen konnte man anklagen, es gab dafür Gesetzesbestimmungen, Geschäftsordnungen usw.
----Dazu kann ich nur sagen, dass das Gericht ja von gelosten Leuten ständig bekleidet wurde. Ich denke nicht, dass alle ausgelosten unbedingt qualifiziert sein mussten. Kann ja auch gut möglich sein, dass oft unfair bzw. mit geringen Fachkenntnissen gehandelt wurde.

Sonst fallen mir keine Argumente mehr ein :grübel:
Aber im Endeffekt kommt immer das selbe verdammte Argument von den Pro-Leuten raus, dass man die damalige Demokratie nicht mit heutigen Maßstäben vergleichen soll. Es fällt mir ziemlich schwer contra zu argumentieren, um ehrlich zu sein. :pfeif:
 
Es fällt mir ziemlich schwer contra zu argumentieren, um ehrlich zu sein. :pfeif:
Dabei finde ich deine Contra-Argumente viel überzeugender vorgetragen als deine Pro-Argumente.

Aber im Endeffekt kommt immer dasselbe verdammte Argument von den Pro-Leuten raus, dass man die damalige Demokratie nicht mit heutigen Maßstäben vergleichen soll.
Aber das ist ja nicht die Frage. Die Frage lautet:

ob die damalige attische Demokratie (nach Perikles) als ein Vorbild der heutigen Demokratie dient...

Ist sie ein Vorbild oder ist sie es nicht? Was war damals besser - und sollte deiner Meinung nach auch heute eingeführt werden - was ist heute besser?
 
Hallooooo liebe Community.

Ich versuche mal, im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen.

1. Frauen, Sklaven und Metöken waren vom politischen Leben ausgeschlossen und besaßen überhaupt keine Rechte.

Gegenargument: Auch in unserer Demokratie hatten lange Zeit Frauen, Sklaven und materiell schlecht gestellte Personen keine direkte politische Beteiligung.
Man sehe sich zum Beispiel die frühen USA oder England/Großbritannien an. Historisch gesehen sieht man damit unserer Demokratie sehr wohl die Einflüsse des Vorbildes sehen, auch wenn es inzwischen überflügelt wurde.

4. Es herrschte in Athen das Losverfahren, die meisten Ämter wurden ausgelost, wobei nur wenige Ämter (z.B. Stratege) gewählt wurden. Dies führte dazu, dass selbst unqualifizierte Bürger beispielsweise in die Gerichtsfunktion konnten. Heute könnte man sich das ja kaum vorstellen.

Gegenargumente:
1. So etwas wie Gerichtsämter, die durch Los erlangt werden, gibt es auch heute: Schöffen vor dem Schöffengericht. In den USA ist diese Tradition im Form von Jurys sogar noch weit verbreitet.
2. Auch in unser Demokratie kann das Losverfahren theoreitsch zum Einsatz kommen, in Deutschland beispielsweise beim Stechen mehrerer Bewerber um ein Direktmandat.

6. Das Volk konnte auch leicht beeinflusst werden, von Leuten, also Demagogen, die eine gute Rhetorik an den Tag legen konnten. Ist ja zum Teil wie heute, manche Politiker versprechen einem was, und im Nachhinein behandeln sie dich wie ein Stück Dreck.

Das ist eine immanente Gefahr der Demokratie: Man kann die Falschen wählen.
Wobei "Demagoge" für die alten Griechen noch nicht diesen negativen Klang hatte, es waren einfach Leute, die einen besonderen Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Demos hatten.

Könntet ihr ggf. mir weitere Contra Argumente vorschlagen? Wäre echt nett. Ich bedanke mich schon mal im Voraus. :winke:

Ich hätte eines: Keine historische Kontinuität.
Es gibt keine direkte Verbindung zwischen dem Staat der ollen Athener und den heutigen Demokratien in der westlichen Welt. Darauf hat zum Beispiel der Hanseforscher Professor Jenks in einem Vortrag hingewiesen. Vielmehr gibt es eine Verbindungen zwischen der mittelalterlichen Ständevertretung (beim Parlament in England sogar sehr gut zu sehen!) und dem germanisch-feudalistischen Verhältnis den Herren mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und den modernen Parlamentarismus, den Konzielen der mittelalterlichen Kirchen usw.
Da scheint mir tatsächlich was dran zu sein.

Das ist natürlich die Frage, wie man diese Frage nach dem Vorbild auffast. Der eigene Vater kann ein Vorbild sein, ohne ihn in jeder Beziehung nacheifern zu wollen...
 
Gegenargument: Auch in unserer Demokratie hatten lange Zeit Frauen, Sklaven und materiell schlecht gestellte Personen keine direkte politische Beteiligung.
In der ersten Deutschen Demokratie hatten die Frauen von ANfang an das Wahlrecht und Sklaverei gab es ebenso nicht. "Unsere Demokratie" gilt hier wohl eher für die der anderen europäischen Staaten.
 
Irgendwie kann man das überhaupt nicht vergleichen, bin grad darüber gestolpert wie der Herr Lykidas als Miglied des Rats der 500 von diesem Rat an Ort und Stelle gesteinigt worden ist, weil er die Idee geäußert hat die Vorschläge des Mardonios der Volksversammlung bekannt zu machen.
 
@balkanese, ja, ein wichtiger Unterschied:
Die damalige "Demokratie" hatte einen ganz anderen Begriff von Verantwortung, der für uns heute fast absurd wirkt.
Sicher strebte damals niemand nach "organisierter Unverantwortlichkeit".

Ein weiteres schönes Beispiel aus einer "beispielhafteren" Phase der athenischen Demokratie: Miltiades, der Stratege von Marathon.

Erst "rettet" er Athen vor den Persischen Truppen, dann kündigt er den Sieg über die wichtigsten Gegner in einer Seeschlacht vor Paros an. Das er dabei religiöse Gebote verletzt, führt zu seiner Verurteilung zum Tode in Abwesenheit.
So hart war damals das Urteil.
Schließlich wurde sein Tod gegen eine mittlere Geldsumme aufgehoben, aber der Ruf war ruiniert.

Spätere Historiker werden über ihn schreiben:
"Von Miltiades nun, der oftmals hohe Befehlshaberposten bekleidet hatte, glaubten sie, es sei unmöglich, als Privatmann zu leben, zumal da es schien, als ob ihn die Gewohnheit des Herrschens verlocken müsse, danach zu streben."

Auch sonst war die Athener Demokratie in vielem wehrhafter: Was ist denn mit Scherbengerichten und anderen Verfahren zur Sicherstellung der unabhängigen Entwicklung der Demokratie?

Und, mal rein rhetorisch:
Warum antwortest du auf das "letzte" Argument der Pro-Seite nicht einfach mit:
"Ich würde es gerne vermeiden, aber das scheint ganz allgemein so gesehen zu werden. Wer die heutigen Demokratien in die Fußstapfen der Vorgänger stellt, macht sich selten die Mühe genauer hin zu sehen.
Ich selbst hätte es ja auch liebend gerne vermieden, aber ... (Hier Name der Geschichtslehrerin/des Geschichtslehrers einfügen) hat darauf bestanden.
Die Probleme der Menschen damals sind überwiegend für uns heute noch immer die gleichen. Leben, Lieben, Sterben.
Schlussendlich scheinen wir irgendwie alle nur Zwerge zu sein, die auf den Schultern von Riesen stehen, oder?"

Du gewinnst das Publikum und hast einen entscheidenden Trumpf - pro contra.
Nicht, das ich das für die richtige Position halte, aber ... siehe oben ;)
 
Hallo Dilly,

nun ist Deine Diskussion zwar schon vorbei, aber falls Dich das Thema noch interessiert - Du scheinst ja doch einiges an Gedanken investiert zu haben - oder falls ihr noch nicht fertig seid im Unterricht, könntest Du ja noch folgendes mit einbringen:

Hätte eine antike direkte Demokratie, also auf der Grundlage der Entscheidungsfindung unter Beteiligung aller Bürger in der VV, auch in einem Flächenstaat funktioniert? Und wie war die Begeisterung in Griechenland dafür? Athen hat die Demokratie innerhalb des Seebundes zum Teil mit Gewalt exportiert, und "Intellektuelle" wie Platon oder Aristoteles waren überhaupt keine Freunde dieser Gesellschaftsform.
 
Erst "rettet" er Athen vor den Persischen Truppen, dann kündigt er den Sieg über die wichtigsten Gegner in einer Seeschlacht vor Paros an. Das er dabei religiöse Gebote verletzt,
Hinsichtlich des Religionsfrevels weichen die Darstellungen bei Herodot und Cornelius Nepos voneinander ab.
Herodot erwähnt zwar den Religionsfrevel, stellt es aber so dar, als hätte Miltiades die Belagerung wegen seiner Verwundung abgebrochen.
Cornelius Nepos erwähnt davon nichts, schildert es aber so, als habe Miltiades die Belagerung abgebrochen, weil er das Herankommen einer persischen Flotte vermutete.

Verurteilt wurde er wegen des Vorwurfs, er habe den Angriff auf Paros abgebrochen, weil er sich vom Perserkönig bestechen lassen habe. (Herodot deutet das nur an, Cornelius Nepos schreibt es ausführlicher.)

führt zu seiner Verurteilung zum Tode in Abwesenheit.
"In Abwesenheit" nur insofern als er sich wegen einer Kriegsverletzung nicht persönlich vor Gericht verteidigen konnte. Er war aber in Athen und beim Prozess anwesend, die Behörden hatten also Zugriff auf ihn.

Spätere Historiker werden über ihn schreiben:
"Von Miltiades nun, der oftmals hohe Befehlshaberposten bekleidet hatte, glaubten sie, es sei unmöglich, als Privatmann zu leben, zumal da es schien, als ob ihn die Gewohnheit des Herrschens verlocken müsse, danach zu streben."
Allerdings hat Cornelius Nepos, von dem dieses Zitat stammt, den Marathonsieger Miltiades mit seinem gleichnamigen Onkel, der sich eine eigene Herrschaft aufgebaut hatte, "fusioniert". Insofern in das von ihm wiedergegebene Urteil der Athener sein eigenes hineinspielt, nahm er Miltiades somit vermutlich als noch herrschgewohnter wahr, als es sich aus den historischen Fakten tatsächlich ableiten ließ.
 
Zurück
Oben