Wahl- und Losverfahren in der attischen Demokratie?

Papa_Leo

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Weiß jemand, welche Ämter genau in der attischen Demokratie durch Los und welche durch Wahl besetzt wurden?

Ich finde da sehr widersprüchliche Angaben, da es zu verschiedenen Zeiten wohl auch verschieden gehandhabt wurde.

Weiß jemand, ob und was gemäß Solon gewählt/gelost wurde?

Gemäß den Reformen von Kleisthenes?

Später dann nach Perikles war wohl bei fast allen Ämtern eine Loskomponente dabei ...
 
Moin,
soweit ich weiß, wurde nur das Strategenamt per Wahl vergeben. Der Stratege hatte den militärischen Oberbefehl über die athenischen Truppen, und da wollte man sich wohl nicht auf den Zufall des Loses verlassen.
Wale
 
Danke ... aber ab wann war das so, dass die anderen Ämter/Institutionen (Heliaia, Bule, Archonten) per Los besetzt wurden? Schon immer? Genau da widersprechen sich nämlich meine Unterlagen.
 
Mit Kleisthenes wurde Boule und das Geschworenengericht auf jeden Fall erlost. Letzteres imho 2mal. Zu Beginn des Jahres wurde ein großer Pool von 6000 erlsot aus denen dann für jede Verhandlung 501 (bin mir bei dieser Zahl nciht ganz sicher) erneut erlost wurden.
Der Rat der 400 von Solon hatte nicht allzuviel Bedeutung, daher gehe ich bei dem auch vom Losverfahren aus.
Welche Einrichtung war die Heliaia?
Ich bin morgen in der Bibliothek. Wenn ich es nicht vergesse, kann ich dort nochmal nachschlagen. Beim Ältestenrat (war das die Heliaia) gab es da einige Änderungen bezüglich der Klasse von Bewerbern, möglicherweise auch Einfuhr von Lossystemen (dass dann aber nach Kleisthenes, möglicherweise mit Ephialtes).
 
Dann hat sich der Teil ja eigentlich schon erledigt. Einkurzes Blättern in "Der Prozess des Sokrates" bestätigte mir nochmal die 6000 Richter pro Jahr, aus denen erneut erlost wurde. Das Volksgericht selbst hat schon Solon eingerichtet, vermutlich auch mit Losen (es war ja nur Unterstützung der Archonten), allerdings habe ich keinen Hinweis darauf entdeckt, dass es schon das gleiche System wie in der Demokratie zum Einsatz kam.
Für die Archonten fand ich in einem alten Vortrag den Vermerk, dass seit Kleisthenes erlost wurde (klar, die Macht des Adels sollte ja gebrochen werden), später durften auch Zeugeten Archonten werden und Ephialtes beschnitt die Kompetenzen des Areopag dann so massiv, dass man von der endgültigen Entmachtung redet.
 
Ich hab nochmal Solon bei Christian Meier nachgeschalgen und keine ANgabe zur Verwendung von Losen gefunden. Aber seit 478 v. Chr. wurden die Archonten gelost.
 
Wahrscheinlich, wie beim Ostrakismos. Alle haben eine Tonscherbe mit dem Namen des gewünschten Kandidaten in eine Urne geworfen undmanhat die Stimmen dann ausgezählt.
Ist abernur eine Vermutung.
 
Christian Meier hat in "Athen" einen Apparat beschrieben der dafür genutzt wurde. Hab aber weder das Buch noch einen Scanner zur Hand.

@Legat
das wäre ja Wählen und nicht Losen.
 
Ah stimmt Holzkopf ich. Dann halt alle in Frage kommenden Personen je eine Scherbe mit Namen in einen Topf und dann die entsprechende Anzahl an Namen für die Ämter ziehen.
 
Zu den Ämtern: In der Hochphase der Demokratie ab ca. 450 wurden mW nur noch die Strategen gewählt (ein Gremium aus 10 Personen, die unter anderem die Truppen führten). Selbst die Boule und die Archonten, die wohl wichtigsten Beamten nach den Strategen, wurden erlost. (Allerdings nicht unter allen Bürgern; der Archon basileus z.B., der "Königs-Beamte", der die kultischen handlungen durchführte, die frpher den Königen vorbehalten waren, wurde aus den Familien gelost, die von diesen früheren Königen abstammten).
Die meisten Losämter waren zweifelsohne die Volksgerichte mit ihren hunderten von Geschworenen.

Zum Verfahren: Wichtig ist, das Beamten- und Ratsposten (vielleicht auch die Geschworenen an den Volksgerichten, bin ich mir nicht sicher) nicht unter allen Bürgern ausgelost wurden; die Phylen trafen eine Vorauswahl durch Wahl, um zu verhindern, das das Schicksal der Stadt in die Hände von völlig ungeeigneten Personen fiel. Man hat sich das wohl ungefähr so vorzustellen: Jede Phyle entsandte 50 Personen in den Rat, also wurden durch Wahl, Vorschlag etc. eine größere Gruppe bestimmt, unter denen dann das Los die Entscheidung traf.

Es gab so genannte Losapparate. Ich weiß nicht genau, wie diese verwandt wurden, kann aber aus mathematischer Sicht sagen, dass es eine nicht geringzuschätzende Geistesleitung ist, ein solches Verfahren zu ersinnen. Aus vielen hundert (oder tausend) Personen z.B. die 501 Geschworenen zu bestimmen, die ein großes Volksgericht umfasste, und dabei dafür zu Sorgen, dass alle genau die gleichen Chancen haben, ist schwierig; besonders wenn man noch Phylen etc. zu berücksichtigen hat.

Diese Apparate (ich find leider kein Bild im großen, großen Internet) bestanden aus einem Marmorblock mit viele Schlitze an der Vorderseite, angeordnet nach Reihen und Gliedern. In diese wurden wohl Namenstäfelchen gesteckt bzw. daraus gezogen, um den Überblick bei den dutzenden nötigen Auslosungs-Vorgängen zu behalten.

EDIT: Sobald ich meine Athenaion Politeia wiedergefunden habe kann ich nachschlagen, ab wann welches Amt gelost wurde. Kann sich nur noch um Jahre handeln...
 
Wer es ganz genau wissen will, hier ist der relevante Auszug aus Aristoteles Staat der Athener, §§63-66. Wirklich schlau werde ich daraus aber nicht, vielleicht kann einer die Prozedur mit einfachen Worten erklären?

63. Die Gerichte besetzen die neun Archonten, von denen jeder für eine Phyle zuständig ist, für die zehnte Phyle aber der Sekretär der Thesmotheten. (2) Es gibt zehn Eingänge zu den Gerichten, einen für jede Phyle; zwanzig Losautomaten (kleroteria), zwei für jede Phyle; hundert Kästen, zehn für jede Phyle; weitere Kästen, in welche die Namenstäfelchen der ausgelosten Richter gelegt werden; außerdem zwei Krüge. Stäbe werden neben jeden Eingang gestellt, so viele, wie es Richter gibt, und Eicheln werden in die Krüge gelegt, in gleicher Anzahl wie die Stäbe. Auf die Eicheln werden, beginnend mit dem elften, dem Lambda, so viele Buchstaben eingeritzt, wie Gerichte zu besetzen sind.
(3) Die Tätigkeit als Richter steht den über Dreißigjährigen offen, sofern sie gegenüber dem Staat keine Schulden und ihre Rechte nicht verloren haben. Wenn ein Unbefugter als Richter tätig wird, wird er angezeigt, und sein Fall wird bei Gericht eingeführt. Wird er verurteilt, legen die Richter nach ihrem Ermessen als zusätzliche Strafe fest, was er zu erleiden oder zu bezahlen verdient hat. Wenn er mit einer Geldbuße belegt wird, muß man ihn festnehmen, bis er sowohl die frühere Schuld, aufgrund derer er angezeigt wurde, als auch die Buße, die das Gericht ihm zusätzlich auferlegte, bezahlt hat. (4) Jeder Richter besitzt ein Täfelchen aus Buchsbaurnholz, auf dem sein Name, der seines Vaters und seines Demos sowie ein Buchstabe des Alphabets bis zum Kappa stehen; die Richter sind nämlich innerhalb ihrer Phylen in zehn Gruppen eingeteilt, annähernd gleich viele unter jedem Buchstaben. (5) Wenn der Thesmothet die Buchstaben, die den Gerichtshöfen zugeordnet werden müssen, ausgelost hat, bringt sie der Gehilfe zum jeweiligen Gericht und befestigt dort den dafür erlosten Buchstaben.
64. Die zehn Kästen stehen vor dem Eingang jeder Phyle und tragen jeweils einen Buchstaben bis zum Kappa. Wenn die Richter ihre Namenstäfelchen in den Kasten gelegt haben, auf dem derselbe Buchstabe steht wie auf ihrem Täfelchen, schüttelt der Gehilfe die Kästen, und der Thesmothet zieht aus jedem Kasten ein Täfelchen heraus. (2) Wessen Täfelchen gezogen wird, heißt Einstecker und steckt die Namenstäfelchen aus seinem Kasten in diejenige senkrechte Reihe von Schlitzen in dem Losautomaten ein, über der derselbe Buchstabe steht wie auf dem Kasten. Dieser wird ausgelost, damit nicht immer derselbe die Täfelchen einsteckt und dabei betrügen kann. Jeder Losautomat hat fünf Reihen von Schlitzen. (3) Wenn der Archon die Würfel hineingeworfen hat, führt er die Auslosung für seine Phyle durch, indem er die Losautomaten nacheinander einsetzt. Es sind Würfel aus Bronze, schwarze und weiße; es werden so viele weiße Würfel hineingeworfen, wie man Richter auslosen muß, und zwar ein Würfel für fünf Namenstäfelchen; die schwarzen werden nach dem gleichen Prinzip hineingeworfen. Wenn der Archon die Würfel herausnimmt, ruft der Herold die Ausgelosten auf. Auch der Einstecker gehört zu der Gruppe der Ausgelosten. (4) Der Aufgerufene meldet sich, nimmt eine Eichel aus dem Krug, hält sie, mit dem Buchstaben nach oben, hoch und zeigt sie zunächst dem Archonten, der die Auslosung leitet. Wenn der Archon sie gesehen hat, legt er das Namenstäfelchen des Betreffenden in den Kasten, auf dem derselbe Buchstabe steht wie auf der Eichel, damit der Richter zu dem Gericht geht, dem er zugelost wurde, und nicht zu dem, das ihm beliebt; außerdem soll es dadurch niemandem möglich sein, die Richter, die er haben will, in einem Gericht zusammenzuziehen. (5) Neben dem Archonten stehen so viele Kästen, wie Gerichte zu besetzen sind; sie tragen jeweils den Buchstaben, der für eines der Gerichte ausgelost worden ist.
65. Der Richter zeigt wiederum die Eichel vor, diesmal dem Gehilfen, und geht dann durch das Tor hinein. Der Gehilfe gibt ihm einen Stab in der Farbe des Gerichts, das denselben Buchstaben trägt wie die Eichel, damit der Richter gezwungen ist, in das Gericht zu gehen, das er ausgelost hat; denn wenn er in ein anderes geht, wird er wegen der Farbe seines Stabes zurückgewiesen. (2) Für jedes Gericht ist nämlich auf dem Balken über dem Eingang eine Farbe aufgetragen. Der Richter nimmt also seinen Stab und geht in das Gericht, das dieselbe Farbe wie sein Stab und denselben Buchstaben wie seine Eichel hat. Wenn er eintritt, erhält er von Staats wegen eine Kennmarke von dem, der für dieses Amt erlost worden ist. (3) Dann legen die, die auf diese Weise hineingegangen sind, im Gericht die Eichel und den Stab ab. Denen aber, die bei der Auslosung nicht zum Zug gekommen sind, geben die Einstecker ihre Namenstäfelchen zurück. (4) Die Staatssklaven, die als Gehilfen tätig sind, überbringen von jeder Phyle die Kästen, je einen an jedes Gericht; darin befinden sich die Namen der Phylenmitglieder, die in dem jeweiligen Gericht sitzen. Sie übergeben die Kästen den Männern, fünf an der Zahl, die dazu erlost worden sind, den Richtern in dem jeweiligen Gericht ihre Namenstäfelchen wieder zurückzugeben. Sie sollen die Namen der Richter von den Täfelchen aufrufen und ihnen den Lohn auszahlen.
66. Wenn alle Gerichte besetzt sind, werden im ersten der Gerichte zwei Losautomaten bereitgestellt sowie bronzene Würfel, auf denen die Farben der Gerichte angebracht sind, und weitere Würfel, auf denen die Namen der Amtsträger stehen. Zwei dafür ausgeloste Thesmotheten werfen getrennt voneinander die Würfel ein. Der eine wirft die farbigen in den einen Losautomaten, der andere die mit den Namen der Amtsträger in die andere. Der Amtsträger, der als erster gelost wird, übernimmt - und der Herold ruft es so aus - das Gericht, das als erstes ausgelost wird; der zweite übernimmt das zweite Gericht, und in derselben Weise die übrigen Amtsträger, damit keiner vorher weiß, welches der Gerichte er übernehmen wird; vielmehr wird jeder das übernehmen, das er erlost hat. (2) Wenn die Richter hineingegangen und auf die Abteilungen aufgeteilt sind, zieht der vorsitzende Amtsträger in jedem Gericht ein Namenstäfelchen aus jedem Kasten, damit es zehn sind, ein Richter nämlich aus jeder Phyle, und legt diese Namenstäfelchen in einen anderen, leeren Kasten hinein. Von diesen Richtern lost er die ersten fünf, die das Los trifft, aus, und zwar einen für die Wasseruhr, die übrigen vier für die Stimmsteine (psephoi), damit niemand den für die Wasseruhr oder einen für die Stimmsteine Zuständigen beeinflussen kann und in dieser Hinsicht kein Betrug vorkommt. (3) Die fünf Richter, die das Los nicht getroffen hat, erhalten von diesen ... (die Regelungen?), auf welche Weise und wo in dem Gericht selbst die Richter jeder Phyle ihren Sold erhalten, nachdem sie ihr Urteil gesprochen haben, damit sie das Geld jeweils in kleinen, voneinander getrennten Gruppen entgegennehmen und sich nicht, in großer Zahl , am selben Platz zusammengedrängt, gegenseitig im Weg sind.
 
Und damit man eine Vorstellung eines solchen Automaten hat, hier eine Rekonstruktion.
 

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Zum Verfahren: Wichtig ist, das Beamten- und Ratsposten (vielleicht auch die Geschworenen an den Volksgerichten, bin ich mir nicht sicher) nicht unter allen Bürgern ausgelost wurden; die Phylen trafen eine Vorauswahl durch Wahl, um zu verhindern, das das Schicksal der Stadt in die Hände von völlig ungeeigneten Personen fiel. Man hat sich das wohl ungefähr so vorzustellen: Jede Phyle entsandte 50 Personen in den Rat, also wurden durch Wahl, Vorschlag etc. eine größere Gruppe bestimmt, unter denen dann das Los die Entscheidung traf.
Die Vorauswahl durch die Phylen sollte mWn nicht qualifizierte Beamte sichern, sondern nur garantieren, dass aus allen Gegenden Attikas Ratsmitglieder kamen (je ein Drittel aus Binnenland, Küstenregion und Athen). Ich würde es deshalb auch nicht Vorauswahl nennen, sondern eher regionale Teillosungen.
 
Noch ein kurzer Nachtrag zu den Losautomaten: im Athenischen Nationalmuseum habe ich einen solchen gefunden, in echt gewissermaßen.
 

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....Losautomaten bereitgestellt sowie bronzene Würfel, auf denen die Farben der Gerichte angebracht sind, und weitere Würfel, auf denen die Namen der Amtsträger stehen.
Wie muss man sich diese Würfel vorstellen? Die berühmten "Schafssprunggelenke" werden es ja wohl nicht gewesen sein...
Im Tread "Was spielten die Römer?" stehen einige Hinweise, leider sind die Links dort inzwischen kaputt...
 
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