Caligula und Wilhelm II. Geschichte als politische Waffe

Scorpio

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Die meisten werden den Begriff Caesarenwahn kennen. Man verbindet ihn gewöhnlich mit Kaisern wie Caligula, Nero, Commodus, Caracalla und Elagabal. Caligula war in dieser bizarren Voliere schräger Vögel zweifellos der bunteste und exzentrischste. Die Berichte über seine Extravaganzen hat vor allem Sueton überliefert, und Caligula ist der Kaiser, mit dem man den Begriff "Caesarenwahn vor allem verbindet. Geprägt hat diesen Begriff der Historiker Ludwig Quidde mit seiner Schrift "Caligula Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn". Weniger bekannt ist, daß diese Schrift gar nicht für ein althistorisches Publikum geschrieben wurde, sondern vielmehr eine Streitschrift war, mit der Quidde das persönliche Regiment Wilhelm II., seinen Hang zu Besserwisserei und Renomiersucht, seinen Hang zu exotischen Verkleidungen und Renomierbauten aufs Korn nahm. Wilhelm II. wird darin allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Der Text fängt so an: "Er war noch sehr jung, noch nicht zum Manne gereift, als er unerwartet zur Regierung berufen wurde. Dunkel und unheimlich waren die Vorgänge bei seiner Erhebung, wunderbar die früheren Geschicke bei seiner Erhebung. Fern von der heimat war sein Vater noch in der Blüte der Jahre einem tückischen Geschick erlegen, und im Volke sprach man viel von geheimnisvollen Umständen seines Todes.... Dem Volke war sein Liebling genommen; einer Popularität wie kein anderes Mitglied des Kaiserhauses hatte er sich erfreut. Die deutschen Lande, die Gegenden am Rhein, waren voll seines Namens....Von diesem Liebling des Volkes strahlte ein Schimmer auch auf den Sohn herüber, der freilich sonst ganz unähnlich seinem Vater heranwuchs, vielleicht der stolzen und leidenschaftlichen Mutter ähnlicher. ...Zur Regierung gelangt, war der junge Kaiser für alle eine rätselhafte Erscheinung. Von vielen der Dinge, die man erwartet hatte, traf das Gegenteil ein. Der leitende Staatsmann scheint sehr bald in Ungnade gefallen zu sein, sein Einfluß trat ganz zurück, und der Kaiser nahm selbst die Zügel in die Hand und begann ein eigenes Regiment. Das Volk jubelte ihm zu, denn wie eine Erlösung schien der Regierungswechsel eine Ära der Reformen zu bringen und liberalen Gedanken eine freie Bahn zu eröffnen. So vielversprechend waren die Anfänge des Caligula, der seinem Großonkel Tiberius 37 n. Chr nachfolgte und nun durch sein Auftreten die Welt erstaunte."

Quidde hatte 1889 als Sekretär des Preußischen Historischen Instituts in Rom erfahren, daß Wilhelm als Kronprinz handsignierte Fotografien verschenkt hatte, die Caligulas Motto "oderint dum metuant" (sollen sie mich doch hassen, solange sie mich fürchten) trugen.

Angeregt von peinlichen Auftritten des Kaisers veröffentlichte Quidde die Schrift zu Ostern 1894. Wochenlang kam kein Echo, doch als der Reichstag in Ferien ging, traf der Redakteur der Frankfurter Zeitung zwei Redakteure der konservativen Kreuzzeitung. "Haben Sie den Caligula gelesen?" "Caligula? was ist das? So´n oller römischer Kaiser? "Ach was, das ist ER!" "ER, ja wer denn?" "Na, ER, er der Kaiser, wie er leibt und lebt! Das Ding ist von einer Frechheit, unglaublich, aber von einer göttlichen Frechheit. Das muß er zu lesen bekommen. Hören Sie, das ist etwas für Sie, Sie müssen in der Frankfurter Alarm schlagen!" Der Redakteur der Frankfurter Zeitung kaufte sich den Caligula und dachte: "ich werde den Teufel tun".

Bald darauf schrieb dann die Kreuzzeitung selbst über den "Caligula" und beschwor einen öffentlichen Skandal herauf. Daß die erzstockkonservative Kreuzzeitung einen Artikel brachte, lag daran, daß viele preußische Aristokraten dem Kaiser wegen seiner Extravaganzen und seines eigenwilligen Führungsstils verärgert waren. "Caligula" sorgte für Furore im In- und Ausland. Die interessanteste Anekdote ereigtnete sich in Haiti. Die deutsche Regierung forderte Genugtuung für Unbill, das einem Deutschen wiederfahren war. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, schickte die Marine zwei Schulschiffe nach Port au Prince. Die Regierung mußte sich fügen, der Minister Solon Menes revanchierte sich aber, indem er den Caligula übersetzen und in der Bevölkerung verbreiten ließ.

Quidde bekam dann bald Ärger mit dem Staatsanwalt, doch konnte man ihn zunächst nicht wegen Majestätsbeleidigung belangen. Erst Jahre später ist er, letztlich wegen des "Caligula" wegen Majestätsbeleidigung zu drei Jahren verurteilt worden, die er in München Stadelheim absaß.

Literatur: Ludwig Quidde Caligula Eine Studie über Caesarenwahnsinn 1894, Caligula, 31. Auflage ergänzt durch Erinnerungen des Autors "Im Kampf gegen Cesarismus und Byzantinismus" Berlin 1926
 
Quidde bekam dann bald Ärger mit dem Staatsanwalt, doch konnte man ihn zunächst nicht wegen Majestätsbeleidigung belangen. Erst Jahre später ist er, letztlich wegen des "Caligula" wegen Majestätsbeleidigung zu drei Jahren verurteilt worden, die er in München Stadelheim absaß.

Meines Wissens waren es "nur" drei Monate, das wird auch hier bestätigt:
http://webdoc.gwdg.de/ebook/a/2002/nobelcd/html/quidde3.htm

Wenn ich das richtig interpretiere, erfolgte die Anklage nicht direkt wegen der Veröffentlichung des "Caligula":

Nach einer politischen Rede am 20. Januar wird Quidde der versuchten Majestätsbeleidigung beschuldigt und zu drei Monaten Haft im Münchner Gefängnis Stadelheim verurteilt.

Da Quidde in seiner Schrift Kaiser Wilhelm II. nirgends erwähnt, konnte man ihm daraus schlecht einen Strick wegen Majestätsbeleidigung drehen. Die Staatsanwaltschaft hätte ja zugeben müssen, daß es offensichtliche Parallelen zwischen Caligula und Wilhelm II. gab.
 
Das war ein Versehen von mir, drei Monate ist korrekt. Quidde hat diese drei Monate auch tapfer abgesessen und sich nicht, wie ihm Bekannte geraten hatten, in die Schweiz abgesetzt. Quidde hat sich mit dem Personal gut verstanden und dachte rückblickend amüsiert an seinen Haftaufenthalt zurück. Er sagte:"ich war im Gefängnis wegen einer Majestätsbeleidigung, die ich nicht begangen habe. Das schmerzt mich, wenn ich daran denke, eine wie schöne Majestätsbeleidigung man für drei Monate Gefängnis hätte verüben können."

Was Quidde schließlich zum Verhängnis wurde, war sein Engagement gegen Wilhelm II. Bestrebungen, seinem Großvater das Prädikat Wilhelm der Große anzuhängen. Quidde sagte bei einer Versammlung: Von einem Wilhelm dem Großen, könne man nur sprechen, wenn man ihn mit einem zukünftigen Wilhelm dem Kleinen vergleicht." Nach seinen Erinnerungen hatte Quidde diesmal gar keine sarkastische Anspielung machen wollen, aber dafür war er dann dran, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft lange schon auf de Fersen war, ohne ihm am zeug flicken zu können.
 
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Die Paralellen zwischen Tiberius und Friedrich III. sowie Caligula und Wilhelm II. sind schon frappierend. Beim ersten Lesen habe ich auch erstmal an Wilhelm II. gedacht. Der Text zeigt auf geschickte Weise, wie man im 2. Deutschen Kaiserreich den Kaiser aufs Korn nehmen konnte, ohne sofort wegen Majestätsbeleidigung angeklagt zu werden. Und er zeigt auch, dass die gebildeten Kreise der damaligen Zeit sich noch sehr wohl mit der Römischen Geschichte auskannten. Sonst wäre die Zweideutigkeit der Einleitung am Leser spurlos vorbei gegangen.:D
 
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