Das Haltern Kalkriese Dilemma

LEG XVII

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Münzfunde belegen, dass das Römerlager Haltern bis 9 n. Chr. genutzt wurde:

"Der Lagerkomplex bei Haltern wurde von den Römern nur bis zum Jahr 9 n. Chr. genutzt. Anhand von Münzstatistiken konnte Konrad Kraft diese Annahme 1956 erstmals plausibel belegen. Sie wurde in späteren Jahren von Bernard Korzus und anderen aufgrund des weiter gewachsenen Münzbestandes bestätigt."

Römerlager Haltern ? Wikipedia


Dies hält die LWL Historiker aber nicht davon ab, Aliso in Haltern zu lokalisieren:

"War Haltern Aliso? Vieles spricht dafür. Vor dem Süd- und Osttor des Hauptlagers fanden Archäologen Palisaden als zusätzliche Absperrungen sowie Reste von Verteidigungswaffen. Dies und das Massengrab in der Arbeitsgrube eines Töpferofens vor dem Lager deuten auf einen erfolgreich abgewehrten Angriff hin - und legen so die Vermutung nahe, dass es sich um das standhafte Aliso handelt."

LWL - Ist Haltern das berühmte Aliso? - LWL-Römermuseum Haltern


Von Aliso wird jedoch berichtet, dass es auch nach 9 n. Chr genutzt wurde:

"Tacitus schrieb im Hinblick auf das Jahr 16 über ein Lippe-Kastell und das Kastell Aliso (Tacitus II 7): „Germanicus stellte den Altar wieder her und führte zu Ehren des Vaters persönlich an der Spitze der Legionen eine feierliche Parade an; den Grabhügel zu erneuern schien nicht zweckmäßig. Schließlich wurde das ganze Gebiet zwischen dem Kastell Aliso und dem Rhein durch neue Heerstraßen und Dammwege erschlossen und gesichert.“

Aliso ? Wikipedia


Andererseits ist ein Hauptargument für die Lokaliserung der Varusschlacht in der Kalkrieser-Niewedder Senke, dass dort keine römischen Münzen gefunden worden, die später als 9 n. Chr. geprägt wurden (der sog. Varus-Horizont):

Fundregion Kalkriese ? Wikipedia


'Die Welt' fasst das Dilemma, dass entweder Haltern nicht Aliso sein kann oder oder die Fundregion kalkriese nicht mittels der Münzfunde datiert werden kann, wie folgt zusammen:

"Das aber hätte womöglich weitreichende Folgen für unsere Vorstellung von der Varusschlacht. Denn die Interpretation, das Schlachtfeld von Kalkriese nördlich von Osnabrück sei der Ort gewesen, an dem Arminius 9 n. Chr. drei Legionen vernichtete, hängt an den Münzen, die dort zu Tausenden gefunden wurden.

Keine stammt aus einer Prägeserie, die jünger ist als das Jahr 9 n. Chr. Das entspricht exakt den Funden in Haltern. War das dortige Lager aber bis 16, also bis zum Abschluss der Rachefeldzüge des Germanicus, in Gebrauch, ließe das den Schluss zu, dass für den Sold der römischen Armee keine neueren Münzserien in Gebrauch kamen.

Damit aber verschwände ein zentrales Datierungsmittel für den sogenannten "Varushorizont" Kalkrieses, der dann genauso gut ein "Germanicushorizont" sein könnte."

Geschichte: Funde nähren Zweifel am Ort der Varusschlacht - DIE WELT


Wer hat nun Recht, Haltern oder Kalkriese?
 
Das eigentliche Haltern(=Aliso?)-Kalkriese-Problem hat der Autor des Welt-Artikels gar nicht verstanden... Nämlich das Rätsel das uns Tacitus in Tac. ann. II, 7 stellt.

Aber dafür stehen in dem Artikel solche Klöppse:
Dabei zeigte sich, dass alle Getöteten ihre Kindheit und Jugend entweder im Umkreis von Haltern oder im Schwarzwald und Böhmen verbracht hatten und damit zu den örtlichen oder verbündeten Germanenstämmen des Arminius gehört haben müssen.

Ich finde beispielsweise viel plausibler, dass die im Ofen verscharrten Personen persönliche Sklaven des Varus oder eines Offiziers der 19. waren. Denn Varus befehligte die 19. Legion beim Alpenfeldzug 15 v. Chr. Im Lager Dangstetten im Südschwarzwald ist die Anwesenheit der von Varus befehligten 19. Legion, zumindestens ihrer ersten Kohorte nachgewiesen.

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Vielleicht waren es auch rätische oder markommannische Auxiliarkräfte.

Aus derselben Zeit stammen drei Geschossbolzen der 19. Legion im Oberammergau (Döttenbichl).
 
Das eigentliche Haltern(=Aliso?)-Kalkriese-Problem hat der Autor des Welt-Artikels gar nicht verstanden... Nämlich das Rätsel das uns Tacitus in Tac. ann. II, 7 stellt.

Aber dafür stehen in dem Artikel solche Klöppse:


Ich finde beispielsweise viel plausibler, dass die im Ofen verscharrten Personen persönliche Sklaven des Varus oder eines Offiziers der 19. waren. Denn Varus befehligte die 19. Legion beim Alpenfeldzug 15 v. Chr. Im Lager Dangstetten im Südschwarzwald ist die Anwesenheit der von Varus befehligten 19. Legion, zumindestens ihrer ersten Kohorte nachgewiesen.

Anhang anzeigen 15011 Anhang anzeigen 15012



Vielleicht waren es auch rätische oder markommannische Auxiliarkräfte.

Aus derselben Zeit stammen drei Geschossbolzen der 19. Legion im Oberammergau (Döttenbichl).

Zu den Skeletten im Töpferofen:

Im Töpferofen wurden 24 Skelette von Menschen und ein weiteres eines Hundes befunden. Bei 10 Individuen wurden die Zähne untersucht: sechs stammten aus der näheren Umgebung und vier aus dem Schwarzwald und / oder. Böhmer Wald.

Natürlich erlaubt die Analyse der Zähne nur ein Aussage darüber, wo die Individuen aufgewachsen sind, und nicht ob sie Römer /Germanen oder in wessen Diensten sie standen.

Aber die Fundumstände lassen die Vermutung zu, dass es sich um feindliche Germanen handelt.


Wissenschaftler schließen aus der respektlosen Art der Niederlegung, dass Gegner bestattet wurden. Mehrere Faktoren machten es außerdem wahrscheinlich, dass Römer diese Gruppe bestattet haben, wie der Leiter des LWL-Römermuseums Dr. Rudolf Aßkamp berichtet: "Die Leichen wurden ohne erkennbare Sorgfalt in den Ofen geworfen, und es fehlt jede Art von Beigaben."

Die zeitliche Einordnung des Fundes sei zwar nicht ganz sicher, aber die Indizien deuteten darauf hin, dass die Germanen nach einem erfolglosen Überraschungsangriff dort hastig vergraben wurden, so Aßkamp. Das wiederum lasse den Schluss zu, dass die Römer das Lager in Haltern nicht wie bisher angenommen im Jahr der verlorenen Varusschlacht 9 nach Christus aufgegeben haben, sondern erst später. Aßkamp: "Denn keine Germanengruppe wäre so verrückt gewesen, diese mindestens bis 9 nach Christus von mehreren tausend römischen Berufssoldaten besetzte Militäranlage anzugreifen."

LWL-Presse-Info - Funde in Haltern untersucht: - Mitteilung 06.05.09
 
Vor sechs Jahren habe ich zu dem Fall folgendes schon mal geschrieben:

Wieso greifen Leute aus Böhmen und dem Schwarzwald an der Lippe ein Römerlager an? Daher auch mein obiges Zitat: Ist es nicht eher so sehen, dass hier Auxiliarier oder Kriegsgefangene - vielleicht in einer Belagerungssituation - plötzlich als Gefahr angesehen wurden und deshalb ermordet wurden? Das erschiene jedenfalls plausibler, als ein Angriff auf ein Römerlager, welches so weit weg von der Heimat ist. Ja, ja, schon Cäsar hatte in Gallien Probleme mit plündernden Elbgermanen, aber hier ist die Sachlage einer andere: Diese Angreifer hätten die plünderungswerten Gebiete mit Pannonien oder Südgallien direkt vor der Haustür gehabt, da ist der Angriff auf ein Lippelager äußerst seltsam.
 
Wäre es möglich, dass die Leichen während (irgend)einer Belagerung in den Ofen gelegt wurden ? Sonst hätte man sie doch sicher eher draußen vergraben oder zumindest nach draußen geschleift. Der Geruch muss mörderisch gewesen sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Von Aliso sind zwei Belagerungen bekannt, eine im direkten Zusammenhang mit der Varusschacht, die bei Velleius Paterculus (mit Namensnennung) und Frontinus (ohne Namensnennung des Lagers) erwähnt wird und eine im Jahre 16 n. Chr., die bei Tacitus erwähnt wird.
1.) Velleius Paterculus - "L. etiam Caedicii praefecti castrorum eorumque, qui una circumdati Alisone immensis Germanorum copiis obsidebaniur, laudanda virtus est, qui omnibus difficultatibus superatis, quas inopia rerum intolerabilis, vis hostium faciebat inexsuperabilis, nec temerario consilio nec segni providentia usi speculatique opportunitatem ferro sibi ad suos peperere reditum."
2.) Frontinus - "Reliqui ex Variana clade, cum obsiderentur, quia defici frumento videbantur, horrea tota nocte circumduxerunt captivos, deinde praecisis manibus dimiserunt: hi circumsedentibus suis persuaserunt, ne spem maturae expugnationis reponerent in fame Romanorum, quibus ingens alimentorum copia superesset."
3.) Frontinus - "Caedi<ci>us primipilaris, qui in Germania post Varianam cladem obsessisnostris pro duce fuit, veritus, ne barbari ligna, quae congesta erant, vallo admoverent et castra eius incenderent, simulata lignorum inopia, missis undique, qui ea furarentur, effecit, ut Germani universos truncos amolirentur"
4.) Tacitus - "ipse audito castellum Lupiae flumini adpositum obsideri, sex legiones eo duxit. neque Silio ob subitos imbris aliud actum quam ut modicam praedam et Arpi principis Chattorum coniagem filiamque raperet, neque Caesari copiam pugnae opsessores fecere, ad famam adventus eius dilapsi: tumulum tamen nuper Varianis legionibus structum et veterem aram Druso sitam disiecerant. restituit aram honorique patris princeps ipse cum legionibus decucurrit; tumulum iterare haud visum. et cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque permunita."
 
Wäre möglich, dass die Leichen während einer Belagerung in den Ofen gelegt wurden ? Sonst hätte man sie doch sicher eher draußen vergraben oder zumindest nach draußen geschleift. Der Geruch muss mörderisch gewesen sein.


Die Grube war außerhalb des Lagers.

Vor dem Süd- und Osttor des Hauptlagers fanden Archäologen Palisaden als zusätzliche Absperrungen sowie Reste von Verteidigungswaffen. Dies und das Massengrab in der Arbeitsgrube eines Töpferofens vor dem Lager deuten auf einen erfolgreich abgewehrten Angriff hin

LWL - Ist Haltern das berühmte Aliso? - LWL-Römermuseum Haltern
 
Also sind wir uns einig, dass - wenn man Münzfunde als Datierungsmittel ernst nimmt - Haltern ungleich Aliso ist?
 
Zumindest wirft die Gleichsetzung Probleme auf. Anderseits ist Haltern für Aliso der geeignetste aller Kandidaten: Haltern war nach derzeitigem Forschungsstand das wichtigste aller Lippelager, Aliso ist das einzig namentlich bekannte Lippelager, was zumindest ein Indiz dafür ist, dass Aliso besonders wichtig war. Die Beschreibung seiner Lage - an einem Zufluss zur Lippe gelegen - entspricht der Lage Halterns, besser als alle anderen Lager an der Lippe.

Es gibt Momente die für und Momente die gegen die Gleichsetzung Halterns mit Aliso sprechen. Ich halte das nach derzeitigem Stand für nicht entscheidbar. Das muss man einfach akzeptieren, dass definitive Antworten manchmal nicht zu erzwingen sind, einfach weil die Datenbasis zu schlecht ist.
 
Das finde ich nicht. Entweder sind Münzen ein präzises und vor allen Dingen auch absolutes Datierungsmittel, oder sie sind es nicht. Und wenn es Zweifel an der Eignung als Datierungsmittel gibt, müssen diese auch für Kalkriese gelten. Ansonsten kommt das ganze doch irgendwie recht rosinenpickerisch rüber.

Zumal 4 Goldmünzen, 309 Silbermünzen und 2561 Kupfermünzen m. E. auch keine so schlechte Datenbasis sind.

Römerlager Haltern ? Wikipedia
 
Wobei Münzen nur einen Zeitraum angeben. Die jüngste Münze kann schon einige Jahre vorher geprägt worden sein, bevor sie verloren wurde. Sie gibt also kein präzises Datum an. Guck mal in Dein Portmonee, welche Prägedaten auf den Münzen sind.

Apvar
 
Wobei Münzen nur einen Zeitraum angeben. Die jüngste Münze kann schon einige Jahre vorher geprägt worden sein, bevor sie verloren wurde. Sie gibt also kein präzises Datum an. Guck mal in Dein Portmonee, welche Prägedaten auf den Münzen sind.

Das bedeutet aber auch, dass die Tatsache dass in Kalkriese keine Münzen gefunden wurden die später als 9 n. Chr. geprägt wurden, eben nicht unbedingt auf Varus hindeutet?
 
Das finde ich nicht. Entweder sind Münzen ein präzises und vor allen Dingen auch absolutes Datierungsmittel, oder sie sind es nicht. Und wenn es Zweifel an der Eignung als Datierungsmittel gibt, müssen diese auch für Kalkriese gelten. Ansonsten kommt das ganze doch irgendwie recht rosinenpickerisch rüber.

Zumal 4 Goldmünzen, 309 Silbermünzen und 2561 Kupfermünzen m. E. auch keine so schlechte Datenbasis sind.

Römerlager Haltern ? Wikipedia

Wir müssen für Aliso einen nachvarianischen Münzanteil von 1/7+ ansetzen. Den hat Haltern nicht. Die Münzen deuten darauf hin - wenn wir den Kölner Münzhorizont von 14 heranziehen -, dass Haltern 9 n. Chr. aufgelassen wurde. Insofern spricht der Münzhorizont gegen die Gleichsetzung Halterns mit Aliso. Andere Daten sprechen aber dafür (Bedeutung, Lage). Deshalb bleibe ich dabei: Es gibt Momente die für und solche die gegen die Gleichsetzung sprechen.
 
Wir müssen für Aliso einen nachvarianischen Münzanteil von 1/7+ ansetzen.

Rein statistisch wäre doch die Frage, ob der nachvarianische Münzanteil von 1/7 für 5 Jahre zwischen 9 und 14, der aus dem einen (?) Fund ersichtlich ist, nach Kriterien regional, nach der "Umlaufgeschwindigkeit" und für militärische Kassen, sowie nach den Fundgrößen repräsentativ ist.
 
Das 14 n. Chr abgebrannte Stadtviertel in Köln lag direkt neben dem Lager der ersten Legion.

Wäre die Beurteilung der Häufigkeitsverteilung anders, wenn in dem Stadtviertel als Beispiel gerade die Händler ansässig waren, die regen Austausch überregionalen Austausch mit Gallien pflegten? Wenn man mal das Siebtel für 5 Jahre unterstellt, gäbe es also einen "Zustrom" neuer Münzen durchschnittlich von etwa (nur?!) 3 % pro Jahr? Kann man den so gleichverteilt über die Jahre unterstellen, oder ist das Siebtel eher für ein Jahr anzusetzen?
 
Das weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, dass die Soldaten frisches Geld bekamen. Ihnen war ja nach Augustus' Tod (19. August 14) im Winter 14/15 ein "Erbe" ausgezahlt worden (Tac. ann. I, 35: fuere etiam qui legatam a divo Augusto pecuniam reposcerent, faustis in Germanicum ominibus; Tac. ann. I, 37: pecunia et missio quamvis non flagitantibus oblata est.). Insofern würde ich davon ausgehen, dass nicht die Händler sondern die Soldaten über das prägefrischeste Geld verfügten und es erst allmählich über die Händler in die restliche Bevölkerung diffundierte.
 
Ok, verstanden.

Dann hängt aber die Auflösung des Problems an solchen Verteilungshypothesen. Wie diffundierten die "frischen" Münzen?
 
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