Die marschierende römische Legion im nordwesteuropäischen Urwald

LEG XVII

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Hallo, mich interessiert der Einfluss des nordwesteuropäischen Naturraums, der bei Ankunft der Römer in Nordwesteuropa ja noch zu großen Teilen aus Urwald bestand, auf die Fortbewegung einer römischen Legion, exemplarisch für jede andere römische Militäreinheit.
Normalerweise marschierte eine römische Legion wenn sie nicht gerade auf einem Eilmarsch war so um die 20 km, nehmen wir eine runde Zahle und sagen es waren mit 15 römischen Meilen ca. 22,2 km. Dann wurde ein Marschlager errichtet, mit Graben und Wall und den Stöcken obendrauf. In der Kultursteppe / Macchie des Mittelmeerraums, wo sich diese Marschweise entwickelt hatte, sicherlich kein Problem, es mussten dann eben noch ein paar Sträucher entfernt werden.
In Nordwesteuropa (nördliches Gallien, Germanien, Britannien) mussten die Römer aber oftmals auf großen Strecken durch Urwälder aus Laub- und Mischwald marschieren, wo abseits der Wege überall Bäume rumstanden und -lagen. Wenn da am Ende des Marschtages 6000 Legionäre nach und nach eingetroffen wären, wären ein Chaos zwischen all den Bäumen entstanden, die zuerst eintreffenden Kontingente der Legion hätten die z. B. Eichenbäume nämlich nicht so schnell entfernen können wie Sträucher der Macchie. Und es wäre ja nicht nur damit getan gewesen die Bäume zu fällen und zur Seite zu räumen, die Baumstümpfe mussten ja auch erst noch ausgegraben werden, da wollte ja nachts im Alarmfall auch keiner drüberstolpern.

M. E. wäre es daher beim Marsch einer römischen Legion durch Urwaldgebiete sinnvoll gewesen, eine Pioniereinheit einen Tag voraus marschieren zu lassen, um ein Areal für die Hauptkontingente der Legion zu roden, die dann beim Eintreffen ihre bestimmten Bereiche des Marschlagers beziehen konnten.
Weiter wäre es m. E. sinnvoll gewesen, den Pionieren Vorgaben zur Lokation des Lagers zu machen: da die Legion vorankommen wollte einen Mindestabstand zum vorherigen Lager (z. B. 14 Meilen, 20,7 km), und da der Kommandant ungefähr wissen musste wann das gerodete Areal erreicht würde einen Maximalabstand zum vorherigen Lager (z. B. 15 Meilen, 22,2 km). Innerhalb der Distanz von minimalem und maximalem Abstand hätten die Pioniere dann auf die Geländeform reagieren können. Da das Gelände aber meistens entweder leicht oder schwierig ist, wären die Lagerplätze m. E. oftmals auch genau den Minimalabstand oder Maximalabstand voneinander entfernt gewesen (hier gibt es also Parallelen zur Diskussion um die Divico aufgefallenen Peaks bei den 9 und 10 Leugen Abständen).

Soweit meine Überlegungen. Gibt es Literatur hierzu? Gefunden habe ich 'Die Römer und der Wald' von M. Nenninger, in der online Leseprobe steht zu dem Thema aber nichts.

Von Germanicus' Kommandounternehmen gegen die Marser berichtet Tacitus (Ann. I, 50), dass die Römer direkt auf dem Weg kampierten, aber das scheint hier wohl eher der Eile des Marsches geschuldet gewesen zu sein:

"Aber die Römer durchschneiden in Eile den Caesierwald, bis wo die von Tiberius begonnene Grenzscheide geht und schlagen auf der Grenze ihr Lager auf, indem sie Vorder- und Rückseite durch einen Wall, die Flanken durch Verhaue schützen."

In dem Fall scheinen die Römer also in Marschordnung einfach auf dem Weg stehengeblieben zu sein, sicherlich eine Ausnahme beim Marsch.
 
Die Römer hatten Exploratores, die eben etwas eher loszogen, wenn die Sicherheitslage es erlaubte. Sonst mussten die Legionen eben warten, bis das Lager eingemessen war. Da ein Lager immer ähnlich aussah, und der Aufbau mit Rekruten trainiert wurde, wusste auch jeder, was zu tun war.

Und wenn in passender Entfernung kein passendes Gelände lag, wurde eben etwas länger oder etwas kürzer marschiert.

Hauptsächlich Marschordnung und Lager hat Kate Gilliver, Auf dem Weg zum Imperium - Die Geschichte der römischen Armee, Stuttgart 2003 im Blick. Ein guter Teil jenes Werks beschäftigt sich allerdings mit der Erfassung von Grundlagen, wobei es nicht immer eine gute Figur macht. Aber das Hauptthema sind, wie gesagt, Marsch und Lager. Die durchwachsene Qualität des Rests mag damit zusammenhängen, dass eine Doktorarbeit zur Veröffentlichung für ein breiteres Publikum erweitert und in der Übersetzung mit einem irreführenden Titel versehen wurde. (Der Englische Titel, 'The Roman Art of War', geht noch, da das Lager - vereinfacht gesagt - als wichtigstes Bestandteil dieser Kriegführung herausgestellt wird.)
 
Und wenn in passender Entfernung kein passendes Gelände lag, wurde eben etwas länger oder etwas kürzer marschiert.

So war es in den Steppen Südeuropas. Aber in den zusammenhängenden Urwaldgebieten Nordwesteuropas? Da waren nach 15 km Bäume, nach 18 km Bäume, nach 20 km Bäume, und nach 25 km immer noch Bäume. Irgendwann musste sich die Legion ja der Bäume und vor allen Dingen der Baumstümpfe (wer ein Grundstück hat weiß dass die der eigentliche Gegner sind) entledigen.
 
Das war die Römische Propaganda. Es handelte sich keineswegs um einen dichten Wald mit undurchdringlichem Unterholz, wie gewisse tropische Regenwälder. Schon lange vor der Zeitenwende wurde die Landschaft Mitteleuropas vom Menschen geprägt. Die Wälder waren, natürlich mit Ausnahmen, sehr locker mit Bäumen bestanden, es gab Heidegebiete, Sanddünen und da man nach etwa einer Generation die Hofflächen wegen Erschöpfung derselben und neuen Hausbaus wechselte, gab es genügend eingestreute Freiflächen.

Die Angabe, dass Varus in Gelände geriet, in dem nicht gelagert werden konnte, ergibt nur Sinn, wenn es eine Ausnahme war.

Dann muss man auch berücksichtigen, dass eine Legion eine sehr erfahrene Baukolonne darstellte.

Die berühmte Karte Deutschland in römischer Zeit von Stade im Putzger zeigt auch zuviel grün. Damals ging man eben auch von vereinzelten Pollenfunden aus. Es gab auch große Flächen, an denen keine Bäume gediehen, bzw. nur vereinzelt wuchsen, so dass man eher von baumbestandener Ebene sprechen würde. Zum Teil hat man auch ganz einfach nicht berücksichtigt, dass auf Gebieten mit starker Ortsteinschicht keine Bäume der entsprechenden Landschaft wachsen. Im 19.Jh. wurden dann an solchen Stellen oft Fichten angepflanzt.

Wie man an der Karte sieht, ging man auch davon aus, dass die Römer von Siedlungsraum zu Siedlungsraum marschierten. Doch diese Siedlungsräume waren größer, als zum Entstehungszeitraum der Karte angenommen. Sprich: man hat u.a. die damals bekannten Siedlungsfunde der Zeit in Beziehung gesetzt. Heute gibt es da mehr. Auf der Karte ist z.B. Kalkriese als bewaldet eingezeichnet. Heute wissen wir, dass es dort eine Siedlungskammer gab.

Schließlich darf man nicht vergessen, dass die Römer einheimische Führer beschäftigten und auch selbst Erkundigungen einholten.

Tja, und dann gibt es noch das unschlagbare Argument, dass die Römer lagerbauend durch Germanien zogen. Bestätigt von Schriftquellen und Befunden. Wer von dichtem Wald ausgeht, muss konstatieren, dass dieser somit kein Hindernis darstellte.

Ich habe mich auch lange darüber gewundert, bis mir ein Biologe näherbrachte, dass wir in Mitteleuropa auch schon in Römischer Zeit von einer Kulturlandschaft, d.h. von einer durch den Menschen geprägten und somit aufgelockerten Landschaft, sprechen müssen.
 
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Dass es große zusammenhängende Kulturlandschaften gab ist unbestritten (auf https://www.freidok.uni-freiburg.de/data/7327 habe ich schon einmal verwiesen), ebenso dass nicht auf allen Böden Bäume wachsen können. Nichtsdestotrotz würde die Vegetation in den gemäßigten Breiten Mitteleuropas ohne menschlichen Einfluss hauptsächlich aus Wald bestehen (https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschland#Flora).
Dein Post hört sich aber so an dass es in Nordwesteuropa/Mitteleuropa beim Eintreffen der Römer keine großen zusammenhängenden Urwaldgebiete mehr gab, und man definitiv alle 20 km einen baumlosen Lagerplatz vorfand?
Und irgendwie stelle ich mir Urwälder auch immer so vor wie die (Ur?)Wälder im Norden von Quebec, welche definitiv nicht locker mit Bäumen bestanden sind, da sieht es eher chaotisch aus. Es kann natürlich sein dass da Schneebruch eine wesentlich größere Rolle spielt als dass er das in den Urwäldern Mitteleuropas während des Klimaoptimums der Römerzeit getan hat.
 
Sogar, ob man überhaupt noch von Urwald sprechen kann, ist wohl nicht ganz sicher. In Mitteleuropa wurde schon lange Landwirtschaft betrieben. Mit regelmäßiger Verlegung von Feldern und Hausbau. Da mag der Urwald nur noch in entlegenen Gebieten zu finden gewesen sein. Der von Tacitus benutzte Römische Begriff 'saltus' z.B. bezeichnet ein zur Weide genutztes Waldgebirge. Und zur Weide genutzte Wälder sind durch den Verbiss recht licht. Auch die Alternativbedeutung 'Pass' bezieht sich auf menschliche Nutzung. Und das 'Winfeld' nördlich der Dörenschlucht im Teutoburger Wald, über welches so viel spekuliert wurde, bezieht sich auf die Weide des Viehs. Wahrscheinlich stammt dieser Name aber erst aus dem Frühmittelalter. Er illustriert aber, was ich meine.

Das heißt nicht, dass es keine Wälder gab, aber eben nicht so dicht und alles bedeckend, wie man es sich vorstellt. Wenn es stimmt, dass Varus in ungeeignetes Gelände geführt wurde, aus dem er 3 Tage nicht herausfand, muss es noch große zusammenhängende Waldgebiete gegeben haben. Die können aber auch recht schmal gewesen sein, und Varus wurde einfach in die falsche Richtung gelockt.

Wie komme ich darauf? Man geht doch davon aus, dass die Stammesgebiete durch unbesiedelte Streifen Landes getrennt waren, wie sie bis in das 1.Jh. v. Chr. wegen der Fundlücken wahrscheinlich gemacht werden können. Später verschwinden sie. Da hatten die Römer genug Wälder, sich zu fürchten. Aber sie waren, wenn ich die Karten richtig lese, doch meist an 1 Tag zu durchqueren. In den Gebieten der Ethnien gab es natürlich ebenfalls Wald. Aber der wurde, wie gesagt genutzt. Dazu gab es dann die Rodungsflächen und ungünstige Flächen für Wald. Da wird man mehrmals am Tag an geeigneten Lagerflächen vorbeimarschiert sein.

Dann haben die Legionen selbst in recht kurzer Zeit "limites"/"Grenzwege" angelegt. Dabei wurde zu beiden Seiten auf eine gewisse Entfernung die Sicht freigeschlagen. Wer dazu in der Lage ist, kann wahrscheinlich auch in einem Wald schnell ein Lager errichten. Doch sehe ich die Schnelligkeit eher als Beleg, dass es auch günstigere Landschaften gab.

Die Tatsache, dass bestimmte Wälder benannt wurden, wie der von Dir erwähnte Caesierwald, zeigt ja auch, dass man sie abgrenzen konnte. Germanicus musste nicht hindurch marschieren, es gab ja Straßen, die sicher auch über Straßen zu erreichen waren. Er nutzte ihn, um unbemerkt vorzudringen.

Dass man, wenn es ging, Lagerplätze mehrfach benutzte, liegt in der Natur der Sache: Man musste z.B. nicht jedesmal dicke Wurzeln durchtrennen. Und wenn man die Gräben nur so weit verfüllte, dass sie nicht zur Verteidigung taugten, sparte man sich eine Menge Zeit, wenn man den Platz neu aufsuchte. Deine Grundthese will ich also gar nicht angreifen. Nur das Bild der kaum berührten Wildnis, in der kaum ein Lager errichtet werden konnte.

(In der Renaissance wurde ein auf dem Winfeld entdecktes Schlachtfeld als Römisch eingestuft, welches zwischenzeitlich als mittelalterlich galt, und heute wegen der verlorenen Funde nicht datiert werden kann.)

(Ich hätte im Vorpost fast die Wälder am Amazonas als Urwald bezeichnet. Aber menschenleer und ungenutzt wurden diese Wälder erst durch die Inbesitznahme der Portugiesen, was natürlich wesentlich zu milde ausgedrückt ist.)
 
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Das Sauer- und Siegerland sind in der vorrömischen Eisenzeit relativ siedlungsfreie Räume, wohl auch deswegen, weil hier wenig Ackerflächen lagen. Die Gebiete nördlich der Ruhr dagegen waren hauptsächlich Kulturlandschaft.
 
Dann haben die Legionen selbst in recht kurzer Zeit "limites"/"Grenzwege" angelegt.

Wobei ein "limes" nicht unbedingt eine Grenze sein muss, gerade auch Schneisen durch den Wald zum Zweck des Vormarschs werden als "limites" bezeichnet


"Betrachtet man den Begriff limites unter milit. Gesichtspunkt, so umschreibt er die zur Erschließung unzugänglicher Gebiete von röm. Seite aus in Feindesland geschlagenen Bahnen, bes. in Wälder und Gebirgsgegenden..."


Reallexikon der germanischen Altertumskunde



Auch an der zitierten Stelle wären die Wörter "Grenze" und "Grenzscheide" besser durch "Schneise" zu ersetzen:

"Aber die Römer durchschneiden in Eile den Caesierwald, bis wo die von Tiberius begonnene Grenzscheide geht und schlagen auf der Grenze ihr Lager auf, indem sie Vorder- und Rückseite durch einen Wall, die Flanken durch Verhaue schützen."

(at Romanus agmine propero silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum scindit, castra in limite locat, frontem ac tergum vallo, latera concaedibus munitus.)


Als Domitian 83 n. Chr. gegen die Chatten zog, ließ er die Wälder großräumig mit Schneisen durchziehen:

"Imperator Caesar Domitianus Augustus, cum Germani more suo e saltibus et obscuris latebris subinde impugnarent nostros tutumque regressum in profunda silvarum haberent, limitibus per centum viginti milia passum actis non mutavit tantum statum belli, sed et subiecit dicioni suae hostes, quorum refugia nudaverat."
=
"Als die Germanen nach ihrer Gewohnheit aus Waldschluchten und dunklen Verstecken heraus die Unseren immer wieder überfielen und dabei einen sicherien Rückzug in die Tiefen der Wälder hatten, ließ Kaiser Domitian mehrere Schneisen über 120 Meilen hinweg anlegen, und hierdurch veränderte er nicht nur den Zustand des Krieges, sondern er unterwarf auch die Feinde unter seinen Befehl, deren Schlupfwinkel er bloßgelegt hatte."
(Frontin. strateg. 1.3.10, zitiert nach: Marcus Nenninger, Die Römer und der Wald, S. 148)
 
Das war die Römische Propaganda. Es handelte sich keineswegs um einen dichten Wald mit undurchdringlichem Unterholz, wie gewisse tropische Regenwälder. Schon lange vor der Zeitenwende wurde die Landschaft Mitteleuropas vom Menschen geprägt.
gewiß - aber trotzdem kann man davon ausgehen, dass der Einheimische sich in "seínem Wald" weitaus besser auskannte und folglich besser bewegen konnte, als der Ortsfremde - - und Karten oder Luftbilder von den germanischen Waldgebieten hatten die Römer wohl nicht (woher auch)
 
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