Die Romanisierung - gescheitert ?

Mittelwalter

Mitglied
Hallo zusammen,

Wenn wir heute ueber die Kultur der Roemer sprechen, nennen wir in einem Atemzug auch die "Romanisierung" der eroberten Provinzen. Und ohne Zweifel fand ja auch viel römische Kultur Einzug in die eroberten Provinzen, wenn wir uns ansehen wie viele Zeugnisse roemischer Herrschaft wir in Mitteleuropa finden. Doch wenn es die Roemer schafften eroberte Bevölkerungen kulturell zu assimilieren, kann ich nicht verstehen, wie es nach dem Fall des weströmischen Reiches zu einem so schnellen Kulturverlust in Mitteleuropa kommen konnte. Wie war es denn möglich, dass sich eine Bevölkerung, die ja eigentlich längst ein römisches Identitaetsgefuehl haette entwickeln müssen, sich so schnell "zurückentwickeln" konnte? Der römischen Bevölkerung in Gallien muss doch viel daran gelegen haben, ihren "Roman way of life" aufrechtzuerhalten, wieso brach dieser nach der Landnahme der germanischen Stämme so schnell zusammen? Diese Fragen lassen für mich folgende Theorie zu: Die Romanisierung Mittel Europas durch die Römer gelang nur teilweise. Zwar wurden die Provinzen vor allem architektonisch römisch gepraegt, doch eine tiefgehende kulturelle Assimillation gelang nicht.
 
Diese Fragen lassen für mich folgende Theorie zu: Die Romanisierung Mittel Europas durch die Römer gelang nur teilweise. Zwar wurden die Provinzen vor allem architektonisch römisch gepraegt, doch eine tiefgehende kulturelle Assimillation gelang nicht.
und wie denkst du über die Verbreitung romanischer Sprachen in Europa?

nebenbei: die "römische Zivilisation" ging auch in Italien den Bach runter, man baute keine Aquaedukte mehr usw. - will sagen, dass kostspielige Architektur nicht das einzige kulturelle Kriterium ist.
 
Doch wenn es die Roemer schafften eroberte Bevölkerungen kulturell zu assimilieren, kann ich nicht verstehen, wie es nach dem Fall des weströmischen Reiches zu einem so schnellen Kulturverlust in Mitteleuropa kommen konnte. Wie war es denn möglich, dass sich eine Bevölkerung, die ja eigentlich längst ein römisches Identitaetsgefuehl haette entwickeln müssen, sich so schnell "zurückentwickeln" konnte?

Mit dem Untergang des Weströmischen Reichs im 5. Jh. verließen die meisten Römer - so z.B. Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen und kehrten in ihre Heimat zurück. Die Römerstädte verödeten, römische Gutshöfe verschwanden, Straßen und Brücken zerfielen. Der Untergang der römischen Zivilisation führte besonders bei den germanischen Völkern zu einem Niedergang des Wissens und der Kultur und bewirkte einen Rückfall in barbarische Verhältnisse. Das lässt sich besonders gut beobachten im romanisierten Rhienland, in Britannien und vielfach auch in Gallien.

Eine bescheidene Wende zeichnete sich erst seit der so genannten "karolingischen Renaissance" ab, mit der Karl der Große und die Berater seiner Hofkapelle versuchten, die Bildung im Frankenreich zu heben und alle Bereiche des Wissens und der Kunst zu erneuern oder vor dem Untergang zu bewahren.

Der römischen Bevölkerung in Gallien muss doch viel daran gelegen haben, ihren "Roman way of life" aufrechtzuerhalten, wieso brach dieser nach der Landnahme der germanischen Stämme so schnell zusammen? Diese Fragen lassen für mich folgende Theorie zu: Die Romanisierung Mittel Europas durch die Römer gelang nur teilweise. Zwar wurden die Provinzen vor allem architektonisch römisch gepraegt, doch eine tiefgehende kulturelle Assimillation gelang nicht.

Die gallo-romanische Senatsaristokratie behielt zumeist nicht nur ihren Besitz und ihre Ämter, sondern wurde von beginn an in das germanische Frankenreich und dessen politisch-administrative Führung integriert. Die frühe Eingliederung der Senatsaristokratie in die kirchliche und weltliche Führungsschicht bewirkte eine sachliche und personelle Kontinuität, besonders in den Regionen südlich der Loire. Diese römisch inspirierte aristokratische personelle Basis trug entscheidend zum Aufstieg des Frankenreichs bei. Die "Historien" des Gregor von Tours vom Ende des 6. Jh. belegen das deutlich und zeigen das aristokratische Selbstbewusstsein dieser einstigen römischen Führungsschicht, die überwiegend im Süden Galliens ansässig war.

Bis zum 10. Jh. wurden die germanischen Franken von der romanisierten gallischen Bevölkerung assimiliert und vollzogen einen Sprachwechsel zum romanisch-französischen Idiom. Die zweisprachig abgefassten Straßburger Eide von 842 belegen diese Entwicklung. Sie sind auf westfränkischer Seite bereits in Altfranzösisch und auf ostfränkischer in Althochdeutsch abgefasst. Auch in Spanien und Portugal setzten sich romanische Idiome durch, was das Ergebnis einer tief greifenden Romanisierung ist.

In Britannien oder dem römischen Germanien hingegen war die Macht der Romanisierung geringer, sodass sich dort die autochthonen Sprachen durchsetzten. Das gilt auch für den Balkan, wo die seit dem 6. Jh. einströmenden Slawen die balkanromanische Bevölkerung teils verdrängte, teils assimilierte. Nur in Rumänien ergab sich eine erstaunliche Entwicklung, indem sich dort eine romanische Sprache weitab vom römischen Zentrum durchsetzen konnte.
 
Mit dem Untergang des Weströmischen Reichs im 5. Jh. verließen die meisten Römer - so z.B. Beamte, Kaufleute, Gutsbesitzer, Soldaten - die Provinzen und kehrten in ihre Heimat zurück.
ich stimme deinem Beitrag insgesamt zu, ganz besonders bzgl. des galloromanischen Senatorenadels - aber dass überall eine solche Wanderbewegung der "Römer" stattgefunden habe, ist unwahrscheinlich (wer seit etlichen Generationen irgendwo sitzt, der hat doch keine "Heimat" in Italien mehr). In den gallischen und hispanischen Provinzen wanderte wohl kaum wer, egal ob die polit.-militär. Macht zwischen weström. Generälen und barbarischen Warlords wechselte. Fluchtartige Wanderbewegungen von großen Teilen der rominisierten Provinzbevölkerung sind für Britannien überliefert, sodann auch teilweise auf dem Südbalkan (und wohl Dacien und agri decumates, die ja eher kurz unter römischer Herrschaft waren) ; in Raetien wohl nicht, mit Ausnahme der von Odoakar angeordneten Umsiedlung. Wie du ja über die Assimilierung durch die Slawen auf dem Balkan schreibst, wird es sich in anderen Provinzen ähnlich abgespielt haben.
 
Aus Africa flohen auch Viele nach Italien. Aber von Gallien wäre mir dazu nix bekannt. Das waren wohl vorwiegend nur die, die es sich leisten konnten, sprich weltweit Besitz hatten.

Für viele war auch Alles besser als der verhasste römische Staat und seine korrupten Steuereintreiber. Wer sich mit den neuen Herren arrangieren konnte, machte sicher nicht den schlechtesten Schnitt.

Einiges an Technologie ging wohl auch schon vorher verschütt. Ich würde da die Schuld nicht nur bei Invasion und Flucht suchen.
 
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Einiges an Technologie ging wohl auch schon vorher verschütt. Ich würde da die Schuld nicht nur bei Invasion und Flucht suchen.

Es ging mir eigentlich nur darum zu erklären, warum beispielsweise an Rhein und Doanu die römischen Städte verödeten, römische Gutshöfe verlassen wurden, römische Straßen zerfielen und das kulturelle Niveau absank - sicher nicht überall und nicht überall in gleichem Ausmaß.

Zur Zeit des Römischen Reichs gab es in Gallien, Britannien, dem römischen Germanien und Spanien eine geordnete Verwaltung und Rechtsprechung, ein Städtewesen, eine instandgehaltene Infrastruktur und ein Netz von Gutshöfen, die Agrarprodukte in großem Umfang zur Versorgung der Zivilbevölkerung und des Militärs produzierten.

Mi dem Zusammenbruch des Weströmischen Reichs und dem Rückzug der römischen Beamten, Kaufleute und des Militärs setzte kein Wandel, sondern ein Niedergang ein. Die Zeugnisse einer hohen Zivilisation lösten sich auf: die Römerstädte verödeten, die geordnete Zivilverwaltung und mit ihr die für Verwaltungsakte nötwendige Schriftlichkeit verschwanden, die Infrastruktur und mit ihr Brücken, Aquädukte und Straßen zerfielen, in Gallien und im ehemals römischen Germanien kehrte man zur Naturalwirtschaft zurück. In Gallien entstanden riesige autarke Domänen mit hörigen Bauern, da das Verschwinden der Städte und des Handels diese Form hervorbrachten.
 
Es ging mir eigentlich nur darum zu erklären, warum beispielsweise an Rhein und Doanu die römischen Städte verödeten, römische Gutshöfe verlassen wurden, römische Straßen zerfielen und das kulturelle Niveau absank - sicher nicht überall und nicht überall in gleichem Ausmaß.
das gilt sogar für die Stadt Rom selber, die großflächig verödete (zur Zeit der Goten bot sie nur noch einen schwachen Abglanz der früheren Zeiten) - sagen wir so: dieses absinken, dieser Niedergang bedurfte keiner Abwanderung der Bevölkerung (die allerdings infolge von Kriegswirren und Hungersnöten ohnedies geringer wurde)
 
Zeitgenössische Quellen wie die des hl. Severin für Bayern (Vita Sancti Severini) geben ein anschauliches Bild davon, wie die Gebiete des römischen Germanien nach Abzug der Römer und der Eroberung durch Franken links des Rheins oder der Markomannen u.a. südlich der Donau völlig barbarisiert wurden, da die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen.

Dass dieser Vorgang ein Prozess war, der in den ehemaligen Provinzen Westroms mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ablief, versteht sich von selbst.
 
das gilt sogar für die Stadt Rom selber, die großflächig verödete (zur Zeit der Goten bot sie nur noch einen schwachen Abglanz der früheren Zeiten) - sagen wir so: dieses absinken, dieser Niedergang bedurfte keiner Abwanderung der Bevölkerung (die allerdings infolge von Kriegswirren und Hungersnöten ohnedies geringer wurde)

Nachdem die Vandalen die Aquaedukte zerstört hatten und wohl Keiner mehr wusste, wie die zu reparieren waren, war der Bevölkerungsrückgang eine Notwendigkeit. Erschreckend ist, daß die nicht repariert wurden oder werden konnten, mitten im Italien des 5ten Jhdts.

Dazu kam sicher noch, daß die Getreideversorgung zusammenbrach und die Stadt ihre Rolle im weltweiten Handel verloren hatte und damit keine Existenz mehr für Hunderttausende bot.

Erstaunlich ist dieser flächendeckende Technologieverlust im Westen schon. Die Germanen wollten eigentlich nur in diesem wohlhabenden Reich leben, und zwar an der Spitze der Hackordnung. Die Römer wollten sich mit den Germanen gut stellen und dennoch ging Alles verloren, was dieses antike Leben lebenswert machte.

Und warum passierte es im arbaischen Herrschaftsbereich nicht oder in weit geringerem Maße? Das ist die spannende Frage.
 
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Danke für eure Ausführungen, ich hatte da wohl die kulturelle Kraft der Romanisierung unterschätzt.

Wenn man Dieters Standpunkt weiterverfolgt - Stichpunkt Abwanderung wichtiger Spezialisten in das römische Kern Land- , dann sind diese wohl weiter in die Gebiete des Ostreiches ausgewandert, sonst wäre der Verfall Roms/Italiens zu Zeiten Alarichs wohl langsamer von Statten gegangen.
 
Dazu kam sicher noch, daß die Getreideversorgung zusammenbrach und die Stadt ihre Rolle im weltweiten Handel verloren hatte und damit keine Existenz mehr für Hunderttausende bot.

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Rom wurde schon immer Quersubventioniert und ohne großes Reich war klar das Rom nicht mehr Hunderttausende Einwohner haben konnte.

Rom das Berlin des römischen Reiches.:devil:
 
Nachdem die Vandalen die Aquaedukte zerstört hatten und wohl Keiner mehr wusste, wie die zu reparieren waren, war der Bevölkerungsrückgang eine Notwendigkeit. Erschreckend ist, daß die nicht repariert wurden oder werden konnten, mitten im Italien des 5ten Jhdts.
so weit ich weiß, ließ Theoderich einige wiederherstellen, ja in Ravenna (?) sogar einen neuen bauen - der arge Bevölkerungsrückgang in Italien setzte wohl erst mit den mörderischen, lang andauernden Gotenkriegen ein (und danach war alles zu ausgepresst für byzantinische Steuern)
 
Erstaunlich ist dieser flächendeckende Technologieverlust im Westen schon. Die Germanen wollten eigentlich nur in diesem wohlhabenden Reich leben, und zwar an der Spitze der Hackordnung. Die Römer wollten sich mit den Germanen gut stellen und dennoch ging Alles verloren, was dieses antike Leben lebenswert machte.

Und warum passierte es im arbaischen Herrschaftsbereich nicht oder in weit geringerem Maße? Das ist die spannende Frage.

Die Erklärung, die ich dafür finde, ist, dass es im Westen zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert enorme Bevölkerungsverluste gab, die es unmöglich machten, die Infrastruktur einer Stadt römischen Zuschnitts aufrecht zu erhalten. So zeigt etwa die Bevölkerungsschätzung von Trier, dass um 300 dort etwa 80000 Menschen lebten, um 1250 aber nur 12500 (als die Bevölkerung schon wieder gestiegen war).

Das römische Bauwesen basierte bereits auf komplexen Produktionszusammenhängen. Um Straßen, Wasserleitungen, Stadtmauern zu bauen, waren viele Leute nötig. Doch schon die Bereitstellung von Baumaterialien setzte die Existenz von Steinbrüchen, Kalk- und Ziegelbrennereien voraus. Diesen "Betrieb" aufrecht zu erhalten, war in einer Welt, wo möglicherweise nur noch zehn Prozent der ursprünglichen Bevölkerung lebten, nicht mehr möglich.
 
Daß es in den Städten zu einem großen Bevölkerungsrückgang kam ist unbestritten. Aber die Gesamtbevölkerung ging sicher nicht um 90% zurück.
 
Nun, bei einem solchen Einbruch muß man sich fragen, wer nutze diese kulturellen Errungenschaften und wer unterhielt sie (jetzt durch seine Arbeit/sein direktes Handeln)
Und dann die nächste Frage, was hatten die davon, die diesen Betrieb aufrecht erhielten?
 
Nun, bei einem solchen Einbruch muß man sich fragen, wer nutze diese kulturellen Errungenschaften und wer unterhielt sie (jetzt durch seine Arbeit/sein direktes Handeln)
Sie waren ja nicht plötzlich, nicht von einem Tag auf den anderen weg, diese zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften. Die Vorstellung, dass "die Römer" sich in der Therme suhlten bis "die Barbaren" da waren, dürfte falsch sein.
Mit Unterhalt und Finanzierung der großen und teuren und dazu beschäftigungsintensiven Bäder haperte es schon im 4. Jh., Demandt nennt in seiner Geschichte der Spätantike das Kurialenproblem. Verkürzt gesagt verödeten schon viele zivilisatorische Errungenschaften noch bevor der erste Barbar irgendwas kaputt machen konnte.

Und dann die nächste Frage, was hatten die davon, die diesen Betrieb aufrecht erhielten?
Sowohl die italischen Goten als auch die Merowinger (sic) waren bestrebt, aus Prestigegründen überlieferte römische Standards aufrecht zu halten: man ließ gelegentlich, trotz des Verbots seitens der Kirche, Spiele abhalten. Aber wie schon gesagt wurde, war einiges in Sachen Arbeitsteiligkeit und Finanzierung schon zuvor zusammen gebrochen, sodass für die merowingischen Nachfolger der gallischen Provinzverwaltung sowohl die Mittel als auch die Infrastruktur fehlte, um den zivilisatorischen Standard der frühen Kaiserzeit wiederherzustellen.

Ein Bevölkerungsrückgang um satte 90% ist sicher übertrieben, aber insgesamt dürfte die Bevölkerung der Spätantike und des Frühmittelalters im Vergleich zur Blütezeit des röm. Imperiums stark dezimiert gewesen sein (Kriege, Seuchen, Hungersnöte) - bedenkt man, wie klein ein merowingisches Heeresaufgebot des 6. Jh. im Vergleich zu röm. Heeren der frühen Kaiserzeit ist, hat man ein Indiz für diesen Bevölkerungsrückgang.
 
Nachdem die Vandalen die Aquaedukte zerstört hatten und wohl Keiner mehr wusste, wie die zu reparieren waren, war der Bevölkerungsrückgang eine Notwendigkeit. Erschreckend ist, daß die nicht repariert wurden oder werden konnten, mitten im Italien des 5ten Jhdts.

Entsprechende Berichte, dass Theoderich der Große ein großes Bauprogramm auflegte und Aquädukte errichten ließ, gibt es allerdings.
Ich weiß leider nicht, welche Auffassung die Spatenwissenschaft zu diesen Berichten vertritt.

Erstaunlich ist dieser flächendeckende Technologieverlust im Westen schon. Die Germanen wollten eigentlich nur in diesem wohlhabenden Reich leben, und zwar an der Spitze der Hackordnung. Die Römer wollten sich mit den Germanen gut stellen und dennoch ging Alles verloren, was dieses antike Leben lebenswert machte.

Den Effekt, den die instabile Situation schon vor der Völkerwanderung hatte war im Prinzip ein Ausweichen der Bevölkerung in die befestigten Städte, die außerdem enger zusammenrückten. Es ist in der Spätantike durchaus so, dass Städte sich flächenmäßig verkleinerten, obwohl die Einwohnerzahlen sich nicht in dem entsprechenden Maße veränderten.

Und warum passierte es im arabischen Herrschaftsbereich nicht oder in weit geringerem Maße? Das ist die spannende Frage.

Gerade im Bereich der Bewässerungssysteme gibt es aus Südarabien, aber eben auch aus den Gebieten, mit denen die islamischen Eroberer früh in Kontakt kamen, wie Persien oder Ägypten, auch nichtrömische Irrigationssysteme, die einfach für das Überleben wichtig waren. In der spanischen Stadt Valencia tagt noch heute wöchentlich (ganz sicher bin ich mir darüber nicht, es hat sich in den letzten Jahrzehnten in Spanien ja doch recht viel verändert) das Tribunal de las Aguas ('Wässergericht'), bei dem jeweils verhandelt wird, wer wie lange welches Aquädukt für die Bewässerung seiner Felder nutzen darf. In islamischer Zeit, als das Kalifat von Córdoba zusammenbrach und die einzelnen Provinzen zu unabhängigen Königreichen wurde, war Valencia für einige Jahre Schauplatz eines Doppelkönigtums, welches allerdings keine Dynastie ausbilden konnte, da die beiden Könige Eunuchen waren, Beamte des Kalifen, die für die Wasserverteilung wichtig waren. Dass hierfür Eunuchen eingesetzt wurden einerseits, und dass diese Eunuchen sich schließlich zu Königen aufschwingen konnten andererseits, zeigt, wie wichtig das Amt war.
Man setzte die Eunuchen ein, um die lokalen Eliten zu entmachten und man nutzte Eunuchen, damit diese eben keine Funktionselite bilden könnten.
 
Wir hatten ja bereits vorher Abwanderung aus den Städten, aufgrund von Steuerbelastung und Rückgang der Wirtschaftsleistung. Teilweise hat man den Beginn dieser Entwicklung schon im 2ten Jhdt. verortet. Viele Städte hatten massive Probleme, die bestehenden Bauten noch in Stand zu halten, geschweige denn neue zu bauen. Das stellt sich aber in den einzelnen Regionen recht unterschiedlich dar.

Daß spätantike Städte kleiner waren, mag teilweise auch an den neuen Stadtmauern gelegen haben und somit eine Kostenfrage.

Auch der "feudale Grundherr" mit leibeigenen Bauern ist keine rein germanische Erfindung. Die römischen Wurzeln sind unverkennbar.
 
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Daß spätantike Städte kleiner waren, mag teilweise auch an den neuen Stadtmauern gelegen haben und somit eine Kostenfrage.
die Mauergürtel waren eine Reaktion auf die unsicheren Zeiten (gehäufte Barbareneinfälle) es hatte sich gezeigt, dass die eindringenden Gegner nur selten über Belagerungsgerät verfügten, sodass massive Mauergürtel oftmals einen ordentlichen Schutz bedeuteten.

Übrigens glaube ich nicht, dass in der Spätantike aus dem gesamten zerbröselnden weströmischen Reich die Experten für Architektur und Verwaltung retour nach Italien zogen: die Vorstellung, dass Theoderich nach seinem Sieg über Odoakar eine Bevölkerung weitgereister Architekten, Techniker und Verwaltungskräfte regierte, ist irgendwie unfreiwillig komisch :)

Ebenso dürfte die Vorstellung, dass alle römischen Bürger überall und ständig die legendären Jaguarohrläppchen (siehe "Life of Brian") verzehrten und sich in luxuriösesten Caracalla-Thermen ahlten, daheim ihre Bude per Hypocaustum heizten und fließendes Wasser aus bleiernen Druckleitungen hatten, gar zu ieal sein - es war nur ein sehr kleiner Bevölkerungsanteil, welcher am städtischen Luxus teilhaftig war bzw. der überwiegende Großteil der Bevölkerung konnte keinen senatorischen Lebensstil pflegen. Auch scheint gesichert zu sein, dass das zivilisatorisch hohe Lebensniveau (Frischwasser, Bäder, Heizung, pralle Märkte etc.) lediglich in den größeren Städten umfangreich vorhanden war, auf dem Lande und in den Dörfern eher nicht so sehr (sieht man ab von den größeren "Herrenhäusern" betuchter Großgrundbesitzer)

Kurz gesagt: "Romanisierung" der Provinzen bedeutet nicht den Lebensstil der oberen Zehntausend der Hauptstadt.

Aber nach dem Zusammenbruch, z.B. im expandierenden merowingischen Reich, welches sich auf provinzialrömischem und barbarischem Boden (jenseits des ehemaligen Limes) befand, da waren die "Eroberer" durchaus darauf bedacht, die römische Verwaltung wiederherzustellen. Um jetzt einen etwas schiefen Vergleich zu wagen: der "Betrieb" gallische Provinzen war insolvent geworden, die merowingischen Insolvenzverwalter fanden keine komplette Belegschaft mehr vor (die hatten sie teilweise selber per Schwert und Axt entlassen) und mussten "aufstocken". Das allerdings fanden ausgerechnet diejenigen Fachkräfte, die an der feindlichen Übernahme beteiligt waren - die fränkischen Krieger und Wehrbauern - nicht sonderlich erbaulich: sie fühlten sich als Eroberer und lehnten sich gegen die Besteuerung auf, sie wollten lieber die romanische Bevölkerung schikanieren bzw. auspressen, als selber in die Pficht genommen werden und sie wollten nicht in den Städten leben sondern lieber auf dem Land (da sie anfangs Heiden waren, wundert "paganus" für Heide nicht) (vgl. Wolfram, Geary, Scheibelreiter) ((man steinigte gelegentlich die vom König bestallten Steuerbeamten)) --- na kein Wunder, dass sich diese "Insolvenzverwaltung" als schwierig erwies und der "Betrieb" nicht mehr so richtig ins laufen kam, die Produktion zurückging und vereinfachte... :):)
 
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Aber nach dem Zusammenbruch, z.B. im expandierenden merowingischen Reich, welches sich auf provinzialrömischem und barbarischem Boden (jenseits des ehemaligen Limes) befand, da waren die "Eroberer" durchaus darauf bedacht, die römische Verwaltung wiederherzustellen.

Allerdings gelang es den germanischen Usurpatoren nicht oder nur notdürftig, eine funktionierende Verwaltung nach römischem Vorbild aufzubauen, da die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen.

Die Zeugnisse einer hohen Zivilisation lösten sich auf: die Römerstädte verödeten, die geordnete Zivilverwaltung und mit ihr die für Verwaltungsakte nötwendige Schriftlichkeit verschwanden, die Infrastruktur und mit ihr Brücken, Aquädukte und Straßen zerfielen.

In Gallien kehrte man zur Naturalwirtschaft zurück und es entstanden riesige autarke Domänen mit hörigen Bauern, da die Verödung der Städte und der Rückgang - ja das teilweise Verschwinden - des Handels und des produzierenden Gewerbes diese Struktur hervorbrachten. Der französische Historiker Henri Pirenne sagt in einem auch heute noch lesenswerten Werk:

Vom sozialen Standpunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel, die schnelle Verminderung und das fast völlige Verschwinden der städtischen Bevölkerung. Im Römischen Reich hatten von Anfang an die Städte die Grundlage des Staates gebildet und die politische Struktur war im wesentlichen städtisch ... Die soziale und verwaltungsmäßige Struktur verlor nun ihren dem städtischen Charakter des römischen Staates entsprechenden Charakter: ein Phänomen, das in Westeuropa ganz neu war. Das Ende des städtischen Typus im frühen Mittelalter ergab sich ... daraus, dass die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen ...

Daraus aber musste sich ein fast vollkommener Stillstand des Handels ergeben; auch das Gewerbe verschwand fast ganz, wenn man von einigen lokalen Erscheinungenwie der in Flandern noch aufrechterhaltenen Tuchweberei absieht. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf ...

In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten; denn der vollkommene Mangel eines Handelsverkehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel zum Unterhalt ihres Hofs zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf ihren Domänen und zogen von einer zur anderen ...

(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 81, 83)
Allerdings schreibt Pirenne den Niedergang des frühmittelalterlichen Europas vor allem der Expansion des Islam zu, weniger der Völkerwanderung. http://de.wikipedia.org/wiki/Pirenne-These
 
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