Die Schlacht an den pontes longi - Eine Erfindung des Tacitus?

tela

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Ich denke, es ist unstrittig, dass Tacitus die Schilderung der Schlacht an den pontes longi als Abbild der Varusschlacht gestaltet hat, um darzustellen, wie Varus vielleicht der Katastrophe hätte entkommen können (nämlich durch ein besonnenes Verhalten, wie es Caecina dort an den Tag gelegt hat).

Kann es sein, dass nicht nur die Schilderung der Schlacht ein literarisches Konstrukt ist, sondern die Schlacht an sich?

Tac. Ann. I., 60: Als Germanicus im Jahr 15 n. Chr. sein Heer an der Ems sammeln lässt, teilt er es in 3 Teile auf. Er selbst fuhr mit den Schiffen an die Ems, die Reiterei wurde durch den Präfekt Pedo durchs Land der Friesen herangeführt und Caecina zog mit 40 Kohorten (wohl von Xanten aus) quer durchs Land der Brukterer zum Sammelpunkt.

Tac. Ann. I., 63,3: Nach Ende des Feldzuges führt Germanicus das gesamte Heer wieder an die Ems zurück. Dann ließ er seinen Teil der Truppen wieder über die Flotte zurück an den Rhein bringen, die Reiterei zog wieder entlang des Ozeans (= Land der Friesen?), während Caecina wieder über Land an den Rhein ziehen soll.

Vermutungen:

1. Der Sammelpunkt am Anfang wie am Ende an der Ems ist der gleiche - vielleicht der Endpunkt der schiffbaren Ems (Greven?), wo man während des Feldzuges die Schiffe unter Bewachung zurückließ, da man wohl schon vorher geplant hat sie auf dem Rückweg zu verwenden.

2. Da sowohl Germanicus als auch die Reiterei offenbar genau den gleichen Weg zurück wählten wie hinzu, ist es nicht einzusehen, warum gerade Caecina einen anderen Weg genommen haben sollte.

Vermutung 2 würde aber bedeuten, dass die pontes longi eigentlich nicht mehr in dem erbärmlichen Zustand gewesen sein könnten, wie dies Tacitus schildert (die vom Alter geborstenen Dämme), sondern schon auf dem Hinweg wieder in Stand gesetzt worden waren.

Angesichts der klar erkennbaren Konstruktion der gesamten pontes longi Beschreibung durch Tacitus wäre es zumindest mal eine Überlegung wert, ob sich dahinter wirkliches Geschehen abgespielt hat oder vielleicht nur ein kleineres Gefecht ziemlich aufgebauscht wurde.
 
Heißt das, es gibt neben Tacitus und der Tactusrezeption keine stichhaltige Quelle für die Schlacht an der Pontes Longi?

Gewissermaßen hätte ich ja dann mit meinem Verdacht, dass es Überlappungen von beiden Schlachten geben könnte, dann ja nicht so Unrecht, würde sich Dein 2. Satz mit Ja beantworten lassen.
 
Heißt das, es gibt neben Tacitus und der Tactusrezeption keine stichhaltige Quelle für die Schlacht an der Pontes Longi?

Aus dem Stand kenn ich zumindest keine andere Quelle, die von dieser Schlacht berichtet.
Aber das ist nicht nachgeprüft, kann also durchaus falsch sein.

Unwahrscheinlich, weil...? (1) du das sagst? (2) die Idee von mir kommt?

Entstanden ist die Idee einfach aus der Tacitus-Lektüre heraus und der Frage, warum Caecina für wahrscheinlich/vielleicht zweimal den gleichen Weg zwei unterschiedliche Wege genommen haben soll bzw. aus der erkennbaren Konstruktion der gesamten Geschichte im Werk des Tacitus.

Immerhin erhöht Tacitus die Leistungen während der Feldzüge des Germanicus in vielfacher Art und Weise (so z.B. durch die Darstellung der Schlachten des Jahres 16 als Erfolg). Warum also nicht auch hier?
 
Zuletzt bearbeitet:
Heißt das, es gibt neben Tacitus und der Tacitusrezeption keine stichhaltige Quelle für die Schlacht an den Pontes Longi?

Wir müssen das von einer anderen Warte aus sehen. Im Prinzip ist jede Nachricht, die wir von einer Schlacht haben, ein Glücksfall.
Immerhin haben wir, z.B. durch Strabo, aber Nachricht davon, dass es 15/16 zu Aktionen gegen die Germanen kam.
 
Entstanden ist die Idee einfach aus der Tacitus-Lektüre heraus und der Frage, warum Caecina für wahrscheinlich/vielleicht zweimal den gleichen Weg zwei unterschiedliche Wege genommen haben soll bzw. aus der erkennbaren Konstruktion der gesamten Geschichte im Werk des Tacitus.

So unplausibel ist das ja nicht. Germanicus musste die Schiffe wieder abholen. Er konnte sie und ihre Waffen nicht einfach zurücklassen. Zudem war es natürlich sinnvoll, um Ressourcen zu schonen, genau wie auf dem Hinweg, drei verschiedene Routen zu nehmen. Bisher war es ja noch zu keinen Verlusten gekommen, da es keine Schlachten gegeben hatte, die Brukterer verbrannten ja ihr Hab und Gut selbst - wohl um keine Vorräte in römische Hände fallen zu lassen, und waren mit einer leichten Heeresabteilung zu schlagen.
Da man aber die Cherusker nach der Bestattungsaktion verfolgt hatte, war man natürlich nicht mehr am Ausgangspunkt, als die Schlacht zwischen Germanicus und den Cheruskern stattfand, bei der die römische Reiterei in kurzfristige Bedrängnis geriet (Tac. ann. I, 63). (Vielleicht ist ja auch diese Schlacht Kalkriese, sumpfig ist das Gelände ja auch hier, und "die Germanen hatten sich überall in dem Waldgebiet versteckt"). Von diesem uns unbekannten Ort aus, wurden die drei Marschsäulen nach Hause geschickt und Caecina erlitt schließlich seine Beinaheniederlage an den alten, durch den Sumpf geschlagenen römischen(!) Versorgungswegen.
 
Kannst du die Stelle zitieren? In deutsch:red: vielleicht?

Die Stelle ist sehr wage, aber neben Tacitus die einzige Stelle, die Thusnelda und Thumelicos erwähnt:

"Sie haben alle dafür gebüßt und dem jüngeren Germanicus den glänzenden Triumphzug bereitet, bei dem die angesehensten Personen, Männer und Frauen, vorgeführt wurden: Segimuntos, Segestes’ Sohn, Anführer der Cherusker, und seine Schwester - die Frau des Arminius, der bei dem Bruch des mit Quintilius Varus geschlossenen Vertrages Oberbefehlshaber der Cherusker gewesen war und noch jetzt den Krieg fortsetzt -, Thusnelda genannt, und ihr dreijähriger Sohn Thumelicos; ferner Sesithacos, Sohn des Cheruskerfürsten Segimeros, und seine Frau Ramis, Tochter des Chattenführers Veromeros, und Deudorix, Sohn von Mailons Bruder Baitorix, ein Sugambrer. Segestes, der Schwiegervater des Arminius, war von Anfang an nicht mit ihm einverstanden gewesen und bei der ersten Gelegenheit zu den Römern übergelaufen; jetzt wohnte er, hochgeehrt dem Triumphzug über seine nächsten Verwandten bei; an dem Zug nahm auch Libes, ein Priester der Chatten teil. Auch andere Personen aus den verheerten Völkern - den Kaulkern, Kampsanern, Brukterern, Usipern, Cheruskern, Chatten, Chattuariern, Landern und Tubantiern - wurden in dem Triumphzug mitgeführt.

Zu Thusnelda und Thumelicos vgl. Tac. ann. I, 58.
 
Wir müssen das von einer anderen Warte aus sehen. Im Prinzip ist jede Nachricht, die wir von einer Schlacht haben, ein Glücksfall.
Das ist mir bewusst.

Dabei dürften gravierende Niederlagen bspw. wie der Verlust ganzer Legionen unter Varus oder zuvor Crassus sich vielfältig widergespiegelt haben. Hingegen schlugen sich kleinere Gefechte oder Schlachten ohne tiefgreifendere Folgen sicherlich weniger merklich nieder, so dass man sie ohne Erwähnung übersehen könnte.
 
Als der gute Tacitus darüber berichtete, lag der Germanicus-Feldzug gut 80 Jahre zurück. Wie heutzutage bei uns die Weltkriege, dürften die Ereignisse also durchaus noch in den Familien-Döntjes der römischen Patrizier im Umlauf gewesen sein.

Deshalb halte ich es für unwahrscheinlich, dass er sich das komplett aus den Fingern gesogen hat. Übertreibungen und sonstige "künstlerische Freiheiten" (angebliche Dialoge und Caecinas Vision vom toten Varus) sind freilich eine andere Sache.
 
Deshalb halte ich es für unwahrscheinlich, dass er sich das komplett aus den Fingern gesogen hat. Übertreibungen und sonstige "künstlerische Freiheiten" (angebliche Dialoge und Caecinas Vision vom toten Varus) sind freilich eine andere Sache.

Deswegen ja auch die Option in der Theorie, dass ein kleines Gefecht aufgebauscht wurde. Damit wären wir bei der Möglichkeit 'Übertreibung'. Vielleicht sollte man den Titel ändern? Aber dann ist er nicht mehr so reißerisch... :still:

Aber noch eine grundsätzliche Frage zur Überlieferung (hat jemand einen guten Tacitus Kommentar zur Hand?):

Auf vielen Seiten über die Schlacht bei den pontes longi steht, dass sich Germanicus an der Weser aufgehalten habe, als Caecina über die pontes longi zurückkehrte. Bei mir steht aber eindeutig: Mox reducto ad Amisiam exercitu legiones classe...

Ist das Amisiam absolut gesichert oder wie kann da jemand auf die Idee kommen und die Weser draus machen?
 
Deswegen ja auch die Option in der Theorie, dass ein kleines Gefecht aufgebauscht wurde. Damit wären wir bei der Möglichkeit 'Übertreibung'. Vielleicht sollte man den Titel ändern? Aber dann ist er nicht mehr so reißerisch...
Welche Auflage hatte denn Tacitus? Wie verbreitet war seine Schrift?
 
Ich denke, es ist unstrittig, dass Tacitus die Schilderung der Schlacht an den pontes longi als Abbild der Varusschlacht gestaltet hat, um darzustellen, wie Varus vielleicht der Katastrophe hätte entkommen können (nämlich durch ein besonnenes Verhalten, wie es Caecina dort an den Tag gelegt hat).

Kann es sein, dass nicht nur die Schilderung der Schlacht ein literarisches Konstrukt ist, sondern die Schlacht an sich?
(...)
Angesichts der klar erkennbaren Konstruktion der gesamten pontes longi Beschreibung durch Tacitus wäre es zumindest mal eine Überlegung wert, ob sich dahinter wirkliches Geschehen abgespielt hat oder vielleicht nur ein kleineres Gefecht ziemlich aufgebauscht wurde.

Dass Tacitus die Sache nur erfunden hat, kann ich mir nicht vorstellen. Die Historiker gehen meiner Ansicht nach zu Recht davon aus, dass nicht die Varus-Niederlage selbst sondern die Wirkungslosigkeit und der Verlustreichtum der folgenden "Rachefeldzüge" des Germanicus Rom zu der Entscheidung bewogen haben, den Plan zur Eroberung Germaniens aufzugeben. Das spricht dafür, dass die Schlacht an den Pontes longi stattgefunden hat und dass sie mit herben Verlusten für die Caecina-Truppen verbunden war - eine Beinaheniederlage eben.

Dass Tacitus diese Schlacht wie ein "Abziehbild" der Varusniederlage schildert, hängt meiner Ansicht nach damit zusammen, dass die römischen Geschichtsschreiber jener Epoche krampfhaft nach Erklärungen für einen verlorenen Krieg der römischen Supermacht gegen einen verächtlich wirkenden Gegner gesucht haben. Zwischen den Zeilen nicht nur bei Tacitus lese ich Frustration darüber, dass es den eigentlich unbesiegbaren Legionen nicht gelungen ist, diesen Feind in den Griff zu bekommen. Um dafür rational wirkende Begründungen zu liefern, wurden alle möglichen Stereotypen bemüht - von der Feindseligkeit des Landes selbst über die barbarische Wildheit der Germanen, ihre "Feigheit" und ihre "verräterische" Natur bis hin zu einer antiken Version der "Dolchstoßlegende" (Tacitus unterstellt ja im Grunde, dass Tiberius aus Eifersucht auf Germanicus den möglichen Sieg aus der Hand gegeben hat).

Zudem beschreibt Tacitus hier die "typischen" Probleme, die ein hochgerüstetes konventionelles Militär in einem "asymmetrischen" Krieg bekommt - im Kampf gegen einen Gegner also, der zerstreut und ohne zentrale Führung operiert und dabei Kleinkriegstaktiken einsetzt. Da ist es schon fast witzig, wie Tacitus die Legionäre jubeln lässt, als sie den Gegner endlich mal zu ihren Bedingungen zu fassen kriegen.

MfG
 
Uups,
ich hatte erst kürzlich einen ähnlichen Gedanken und wollte dazu einen (ironischen) Beitrag verfassen. Von wegen: Wir machen uns hier Gedanken und nehmen einzelne Textpassagen auseinander und der Herr Tacitus sitzt irgendwo auf Wolke 7 und lacht sich ins Fäustchen, weil alles nur ein Roman und frei erfunden ist.:devil:

Aber ich denke das geht dann wohl doch etwas zu weit. Dennoch gibt es einige fragwürdige Dinge:
Es gibt diverse antike Quellen, in denen die Varusschlacht zumindest erwähnt wird (Paterculus, Tacitus, Strabon, Ovid etc.). Und diese Schlacht war eine sehr empfindliche Niederlage.
Und die diese gigantischen Feldzüge des Germanicus finden doch eigentlich nur beim Tacitus statt-oder berichten noch andere Quellen darüber? Auch archäologisch sind diese Feldzüge nicht eindeutig nachzuweisen. Und eigentlich waren diese Feldzüge jedenfalls offiziell sehr erfolgreich für die Römer.

Jetzt zu den pontes longi:

Tacitus, ann. I, 63,3-4:
...Caecina, der eine eigene Heeresabteilung führte, erhielt die Weisung, obgleich die Wege auf denen er den Rückmarsch antreten wollte, bekannt waren, so rasch wie möglich die pontes longi hinter sich zu bringen.

Bedeutet dies, daß er eigentlich einen anderen Rückweg nehmen wollte?:confused:

Weiter:
Dies ist ein schmaler Fußpfad durch ausgedehntes Sumpfgelände, der einst von L. Domitius als Damm aufgeführt worden war. Das übrige Gelände ist morastig. Man bleibt dort im schweren Lehmboden hängen, oder Bachläufe machen es nur schwer begehbar.

Dort lang? Auf schwierigem Gelände, auf einem schmalen Fußpfad, in einem Gelände, welches den Germanen geradezu in die Hände spielt? Und das alles mit vier Legionen - auf einem schmalen Fußpfad?

Ich will jetzt nicht so weit gehen, daß das alles erfunden ist, aber das klingt ein wenig unlogisch. Oder geschah das alles mangels Alternativen? Oder sollte er wohlmöglich als Auftrag die pontes longi wieder in Stand setzen um sie für den nächsten Feldzug begehbar zu machen.

Fragen über Fragen!:confused:
 
Und die diese gigantischen Feldzüge des Germanicus finden doch eigentlich nur beim Tacitus statt-oder berichten noch andere Quellen darüber?

Allgemein über die Feldzüge des Germanicus haben wir zumindest die tabula Siarensis, wo es u.a. heißt:

... als Andenken des Germanicus Caesar geweiht hätten, weil dieser, nachdem er die Germanen im Krieg überwunden und hierauf von Gallien entfernt, die Feldzeichen zurückerhalten und die durch Verrat herbeigeführte Niederlage eines Heeres des römischen Volkes gerächt, sowie die Verhältnisse in den Gallischen Provinzen geregelt habe, ...
 
Allgemein über die Feldzüge des Germanicus haben wir zumindest die tabula Siarensis, wo es u.a. heißt:

... als Andenken des Germanicus Caesar geweiht hätten, weil dieser, nachdem er die Germanen im Krieg überwunden und hierauf von Gallien entfernt, die Feldzeichen zurückerhalten und die durch Verrat herbeigeführte Niederlage eines Heeres des römischen Volkes gerächt, sowie die Verhältnisse in den Gallischen Provinzen geregelt habe, ...

Richtig!

Auch ist der Triumphzug überliefert.
Aber eine Beschreibung der Feldzüge wie beim Tacitus findet sich sonst eigentlich nicht.

Gerade im Hinblick auf die (offiziellen) Erfolge des Germanicus:

-Rückeroberung der Feldzeichen
-Gefangennahme von Thusnelda
-Bestattung der Toten der Varusschlacht
-Aufnahme diverser Sippenführer der Cherusker ins römische Reich
 
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