Divisierung

digitalis

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Ich besuche zur Zeit eine Vorlesung über das Römische Reich. Dort wurde gesagt, dass einige Kaiser divisiert wurden.

Wie kann ich mir das vorstellen, wurden sie in der Vorstellung der Leute wirklich zu Göttern? Wie wurden sie verehrt und wie lane dauerte das an?
 
Es gab den sogenannten Kaiserkult, an dem alle Bürger teilnehmen mussten. Ausgenommen waren (meistens) die Juden als alte Religion mit deren Monotheismus sich der Kaiserkult nicht vereinbaren ließ. Den Christen als neuer Religion wurde dagegen vorgeworfen, dass sie am Kaiserkult nicht teilnahmen und daher Staatsfeinde waren. Das war also immer wieder Anlass für Christenverfolgungen. Wobei es auch immer wieder Übergriffe etwa auf den Tempel in Jerusalem gab, was wiederum zu Aufständen führte.
Die Kaiser wurden allerdings keine Götter sondern "nur" vergöttlicht.
 
Es ist oft nicht einfach, sich ein Bild vom Denken antiker Menschen zu machen, wenn unsere Zeugnisse nur einen begrenzten Raum abbilden. Für die Masse der Menschen, die auf dem Land und in kleinen Siedlungen lebten und keine höhere, gar philosophische Bildung hatten, stellte sich die Frage wohl gar nicht. Der Kaiser wurde vergöttlicht, und man glaubte dran.
Es gibt entsprechende Traditionen, Romulus wurde zu Quirinus und damit zu einem Schutzgott. Würde man das Ganze theologisch durchleuchten, kämen einige Widersprüche zu Tage, die auch gebildeten Leuten in der Antike bewußt waren, aber nicht dazu führten, das System zu negieren.
Was heißt das? In der römischen Vorstellung sind die Götter eher Numen - Wirkkräfte - als reale Wesen, wie sie aus der griechischen Welt bekannt sind, und auch dort waren sich Leute, die die Religion intellektuell reflektiert haben, klar, daß die Götter Ideen der Menschen sind. Platons Ideenlehre ist dabei allerdings ein eigenes Feld.

Zurück zu den Römern. Der Kaiser ist deswegen Kaiser, weil sein Genius, der in ihm existierende "Funke", den eigentlich jeder Mensch hat, besondere Kräfte hat. Stirbt der Kaiser, ist natürlich jedem Römer klar, daß der Körper des Kaisers weg ist - es gab eine öffentliche Verbrennung und Beisetzung der Asche, und die Kaisermausoleen waren in der Stadt präsent, und sind es noch heute (ich war jüngst über den katastrophalen Zustand des Augustusmausoleums erschüttert).
Aber der Genius des Kaisers erlischt nicht, sondern wirkt als Numen, als göttliche Wirkkraft weiter. Nun kommen die Punkte, die, soweit ich weiß, in der römischen Geisteswelt auch nicht weiter diskutiert wurden, soweit es der Stand der Überlieferung aussagt (wobei da Spezialisten wie Ravenik sich viel besser in den Quellen auskennen als ich). Woher kommt der Genius? Entsteht er erst bei der Geburt eines Menschen, reift er heran, oder ist er gleich fertig, war er gar schon vorher da? Dann wäre er natürlich nicht an den Körper gebunden und eventuell unsterblich. Das ist aber religiös gar nicht bedeutend, wichtig ist, daß er verehrt wird, und zwar unter ganz bestimmten und exakt einzuhaltenden Regeln. Die römische Religion beruht auf der strikten Einhaltung stets wiederkehrender Formeln. Wenn also der Kaiser vergöttlicht wurde, dann ist es wichtig, daß sein Genius verehrt wurde, um seine Wirkkraft zu entfalten. Der Kaiser, der dagegen verdammt wurde, hat wahrscheinlich auch einen weiterexistierenden Genius, der aber mit Vergessen bestraft wird und nicht verehrt.

Diese Basis werden aber die meisten Leute gar nicht gehabt haben. Für die "normalen" Römer gilt, daß einfach die Traditionen gewahrt bleiben, daß gesellschaftliche Regeln beachtet werden, und daß die Teilnahme am Kult eines Kaisers, in Rom der verstorbenen Kaiser, in den Provinzen auch des lebenden Kaisers, eine völlig diesseitige Handlung ist, nämlich die Loyalitätsbekundung den Reich gegenüber.

Es heißt übrigens "divinisiert", und die Verehrung läßt sich mindestens bis ins dritte Jahrhundert hinein nachweisen. Aus praktischen Gründen wurden aber die verstorbenen Kaiser oft subsumiert.
 
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Nun kommen die Punkte, die, soweit ich weiß, in der römischen Geisteswelt auch nicht weiter diskutiert wurden, soweit es der Stand der Überlieferung aussagt (wobei da Spezialisten wie Ravenik sich viel besser in den Quellen auskennen als ich). Woher kommt der Genius? Entsteht er erst bei der Geburt eines Menschen, reift er heran, oder ist er gleich fertig, war er gar schon vorher da? Dann wäre er natürlich nicht an den Körper gebunden und eventuell unsterblich.
Tja, das alles wussten schon die Römer nicht so genau. Censorinus, ein Autor des 3. Jhdts. n. Chr., der im 3. Kap. seines Buches "Über den Geburtstag" über den Genius schrieb, ließ offen, ob der Genius zusammen mit dem Menschen gezeugt wird oder die Zeugung des Menschen bewirkt (was bedeuten würde, dass er schon da ist) oder sich eines bereits Gezeugten annimmt und beschützt. Etymologisch wurde das Wort "genius" von "genere" ("zeugen") abgeleitet.
Ebenso unklar war, was mit dem Genius eigentlich nach dem Tod des Menschen geschieht: Manche Autoren wie Granius Flaccus aus der Zeit Caesars meinten, Genien seien mit den Laren identisch, d. h. nach dem Tod des Menschen würde sein Genius als Lar fortwirken. Censorinus ließ das auch offen.

Das Problem, das wir bei literarischen Darstellungen über die Götter haben, nämlich dass oft nicht klar ist, inwieweit das Geschriebene den gelebten Glauben oder bloß Dichtung wiedergibt, stellt sich auch bei Quellen zu den Genien. Z. B. schrieb der spätantike Vergil-Kommentator Servius, wir würden bei unserer Geburt gleich zwei Genien erhalten, von denen uns einer zum Guten und der andere zum Bösen verleiten würde. (Also so ähnlich wie das Teufelchen auf der einen und das Engelchen auf der anderen Schulter.) Damit scheint er aber ziemlich allein dagestanden zu haben. Nach dem Tod des Menschen würden sie zu den Manen.
 
Das Unbestimmte gerade solcher "Göttlichkeiten" zeigt sich meines Erachtens schon in der Pluralform, egal, ob es die Dis Manibus sind, wie sie auf Grabsteinen angerufen werden, oder auch die Laren oder Penaten. Warum sind es mehrere? Reicht einer nicht? Wieviele sind es? Gibt es innerhalb der Gruppe Unterschiede, Rangstufen oder Aufgaben?
Das hat ja auch nie jemand genau definieren können.
 
Zumindest die Manen waren definitiv die Geister der Verstorbenen, die Laren und Penaten nach manchen Anschauungen teilweise auch. Da es viele Verstorbene gibt, erklärt sich auch ihre Vielzahl. Wenn man annimmt, dass die Laren im Haushalt die Geister verstorbener Ahnen sind, ist auch klar, dass im Laufe der Zeit etliche zusammenkommen.
So recht gewusst, wie das alles zusammenhängt, scheinen aber die Römer selbst nicht zu haben, zumal es auch Laren für Kreuzungen, Orte etc. gab.
 
Habe Plautus Aulularia vorgenommen - im Prolog erklärt der Lar familiaris, daß er seit Urgoßvaters Zeit da ist, und er scheint allein zu sein.
Da strickt sich jeder Dichter die Götter, wie er sie gerade braucht.

Aber mal ehrlich, ich habe mir jüngst von einem Christen erklären lassen wollen, wie genau sich die Gruppen der Apostel und der Jünger voneinander abgrenzen, und er war auch überfordert. So ähnlich stelle ich mir das auch in der Antike vor - hätte man jemanden auf den Straßen Roms nach der genauen Beschaffenheit der Göttlichkeit des Kaisers gefragt, wäre die Antwort auch nur "Häh?" gewesen.
 
Habe Plautus Aulularia vorgenommen - im Prolog erklärt der Lar familiaris, daß er seit Urgoßvaters Zeit da ist, und er scheint allein zu sein.
Da strickt sich jeder Dichter die Götter, wie er sie gerade braucht.
Den Eindruck habe ich auch manchmal.

Allerdings sollte man vielleicht auch einen zeitlichen Entwicklungsprozess in Betracht ziehen. Plautus schrieb bekanntlich bereits im 3./2. Jhdt. v. Chr., während die meisten schriftlichen Quellen aus deutlich späterer Zeit stammen. Der von mir erwähnte Vergil-Kommentator Servius mit seinen zwei Genien pro Person schließlich gehört bereits in die Spätantike. (In seinem Fall würde ich auch nicht ausschließen, dass er, obwohl selbst Heide, bei seinem Bild von den beiden Genien, die den Menschen zum Guten oder zum Bösen zu verleiten versuchen, bereits irgendwie christlich oder dualistisch beeinflusst war.)
 
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