Drumanagh: Römischer Brückenkopf in Irland?

Alfirin

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Es gibt in Irland seit Jahrzehnten eine - gelinde gesagt - recht lebhafte Debatte darüber, ob die Römer versucht haben könnten, die Insel zu erobern. Mindestens mit dem Gedanken gespielt haben sie offenbar, wie wir Tacitus entnehmen können, der seinen Schwiegervater Agricola tönen läßt, Irland sei leicht mit einer einzigen Legion und ein paar Hilfstruppen zu nehmen. Bei Juvenal gibt es eine Textstelle (Satura II, 159f.), die sich sogar so lesen ließe, als hätte es wenigstens eine Art Militärexpedition an die Gestade von "Iuverna" gegeben. Andere antike Quellen bezeugen zumindest intime Kenntnis von Land und Leuten.

Es gibt in Irland bisher keine nachgewiesenen Lager, keine Römerstraßen oder ähnliches, was die Anwesenheit römischer Truppen deutlich belegen würde. Es gibt durchaus eine ganze Reihe von Funden römischer Provenienz, Keramik, Münzen, Fibeln etc. Im allgemeinen lassen sich solche Funde außerhalb des Imperiums gut erklären mit Handel und/oder Beutezügen. Speziell in Irland scheinen Funde insbesondere des 1./2. Jhds. aber überwiegend konzentriert aufzutreten und wenig durchmischt mit einheimischem Material. Hinzu kommen eine Reihe von Bestattungen "in römischem Stil", so Richard Warner. Warner wertet all dies als Indiz für eine römische Militärpräsenz in Irland (wobei er in anderen Schriften hilfsweise auch von Exil-Iren ausgeht, die von den Römern lediglich gedrillt und ausgerüstet wurden). Das Fehlen militärischer Infrastruktur macht ihm keine Sorgen: Auch Caesars versuchte Invasion Britanniens sei bislang archäologisch ja nicht belegbar.

Warner steht mit seiner Hypothese nicht ganz alleine da. Die Mehrheit seiner irischen Kollegen folgt aber natürlich einer vorsichtig-konservativen Interpretation: Kontakte und Handelsbeziehungen zum römischen Reich hat es sicherlich gegeben, möglicherweise römische oder romano-britische Handelsstützpunkte an der Küste und dort dann eben auch die Anwesenheit einer überschaubar großen zivilen römischen "Community", die ihre Toten auf gewohnte Weise bestattet hat. Ungeschickterweise wurden die allermeisten der fraglichen Gräber im 19. und frühen 20. Jhd. entdeckt und offenbar sehr schlecht dokumentiert, so daß sich nicht mehr klären läßt, ob vielleicht nicht doch ein militärischer Kontext vorliegen könnte.

Kräftig befeuert wurde dann die Debatte Mitte der 90er Jahre durch einerseits Funde auf der Landzunge von Drumanagh, etwa 25km nördlich von Dublin, andererseits die Berichterstattung darüber in irischen Massenmedien. Drumanagh ist nach drei Seiten von steilen Klippen umgeben und auf der Landseite durch einen Dreifachgraben geschützt. Das so eingegrenzte Areal ist 40 acres groß, umgerechnet 16 Hektar - ausreichend groß also für Agricolas "eine Legion plus ein paar Hilfstruppen". Die Funde umfassen unter anderem Münzen aus der Zeit zwischen Titus und Hadrian plus anderes Material dieser Zeitstellung, allerdings eben alles Importware, nichts Einheimisches. Die Funde stammen teilweise aus den 70er Jahren, einige sogar schon aus den 50ern, schlagartig ins Rampenlicht gerückt wurden sie aber erst Anfang 1996 durch einen Artikel der britischen "Sunday Times", in dem Warner und andere namhafte Wissenschaftler ihre Überzeugung zum Ausdruck brachten, Drumanagh sei eindeutig eine römische Anlage, ein Brückenkopf der römischen Invasionsarmee. Drei Tage später erschien in der "Irish Times" eine geharnischte Replik von Michael Herity, einem der renommiertesten Archäologen Irlands und damals Präsident der Royal Irish Academy, das Thema war damit endgültig dem gepflegten wissenschaftlichen Diskurs im Elfenbeinturm entfleucht und wurde in der Folgezeit phasenweise richtig unschön (im Detail hier nachzulesen).

Unabhängig von der wenigstens zeitweise aus dem Ruder gelaufenen Debatte ist die eigentliche Crux an der Sache: Die Funde von Drumanagh wurden, abgesehen von einigen Lesefunden in den 50ern, von Raubgräbern gemacht, von den Behörden bei einer Auktion in London in den 80ern beschlagnahmt und seither im National Museum of Ireland eingelagert. Eine Serie von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Republik Irland, den Findern und dem Grundbesitzer hat bis heute eine umfassende Bearbeitung verhindert, mindestens für einen Teil der Funde sogar das simple Veröffentlichen von Fotos. Archäologische Ausgrabungen in dem Areal hat es bisher keine gegeben, scheinbar nur eine kleine Testsondage ohne nennenswerten Befund außen an der Grabenanlage. Alle paar Jahre (zuletzt 2014) gibt es palamentarische Initiativen, das Gelände zu kaufen, um es der Wissenschaft endlich zugänglich zu machen und insgesamt besser zu schützen, alle paar Jahre nämlich werden wieder Raubgräber dort ertappt, von den nicht ertappten ganz zu schweigen. Man wurde bisher nur nicht handelseinig mit dem Grundeigentümer, was im Speckgürtel rund um Dublin und den dort explodierenden Grundstückspreisen in den 80ern und 90ern nicht verwundert. Auch das gesteigerte öffentliche Interesse nach dem per Zeitung ausgetragenen Wissenschaftlerstreit dürfte dazu beigetragen haben, den geforderten Preis in den Verhandlungen nach oben zu treiben. Andererseits ist fraglich, ob ohne diesen Streit das öffentliche Interesse groß genug gewesen wäre, um wiederholt das Parlament zu beschäftigen und überhaupt weiter über den Grundstückskauf zu verhandeln.

Nur mal so am Rande bemerkt um aufzuzeigen, daß es auch an anderen Rändern des Imperiums spannende Themen gibt :).
 
So ist es! Als vor einigen Jahren die Funde am Harzhorn gemacht wurden, haben die meisten Althistoriker der römischen Armee am Vorabend der Reichskrise eine Expedition so tief in die Germania Libera nicht zugetraut. Irland oder Hibernia war schon im 4. Jhd vor unserer Zeitrechnung bekannt, und auch Klaudios Ptolemaios war die Insel bekannt. Andererseits gibt es aber keine literarischen Quellen für eine geplante Invasion Irlands, und im 1. und 2. Jahrhundert sprudeln die schriftlichen Quellen jedenfalls üppiger, als danach.

Andererseits stellt sich die Frage, was es in Hibernia für die Römer zu holen gab. Whiskey war noch nicht erfunden und für Bernstein, Pelze, Kampftiere und ähnliches standen den Römern andere Quellen zur Verfügung. Es wäre vermutlich der römischen Armee möglich gewesen, Caledonia/Schottland zu erobern. Antoninus Pius dehnte das Imperium bis zum Firth of Forth aus, und der von ihm errichtete Grenzwall war bedeutend kürzer, als der Hadrianswall. Trotzdem war das neu gewonnene Gebiet anscheinend nur unter günstigen Verhältnissen zu halten. Unter Commodus waren die britannischen Legionen äußerst erbost darüber, dass sie zurückgepfiffen wurden und die Grenze auf den Hadrianswall zurückgenommen wurden. Septimius Severus startete eine Art Strafexpedition nach Schottland und starb in Eboracum York. Obwohl, wie gesagt die Grenzlinie des Antoninuswalls kürzer war, fehlte dort ein Zentrum mit Infrastruktur wie am Hadrianswall, wo von Eboracum her sich schneller Truppen mobilisieren ließen. Einen Versuch, die schottischen Highlands zu erobern, unternahmen die Römer aber nicht. Archäologische Funde der jüngsten Zeit scheinen Cassius Dio zu bestätigen, der schrieb, dass Germanien fast vollständig befriedet war und die Erschließung als Provinz weit fortgeschritten war. Immerhin konnte Tiberius, als er vom Unfall seines Bruders erfuhr, sich nur von einem Reitknecht begleitet auf die Reise an die Elbe begeben. Trotzdem wurde nach dem Debakel des Varus kein ernsthafter Versuch mehr unternommen, die Grenzen des Imperiums bis zur Elbe auszudehnen. Trajan war mit seinen Plänen, ganz Mesopotamien und Armenien als Provinzen zu annektieren noch weiter gekommen, als ein Judenaufstand in Ägypten und Kyrene das Imperium erschütterte. Die Annexion Mesopotamiens und Armeniens hätte den außenpolitisch gewichtigsten Gegner, das Partherreich zu einem Vasallenstaat der Römer degradiert, und es war dort, im Gegensatz zu Britannien oder Germanien mehr noch zu holen, als in Dakien. Trotzdem zog sich Hadrian wieder auf den Euphrat zurück. Erst Marc Aurel, Septimius Severus und Diocletian annektierten Teile Mesopotamiens mit Städten wie Dura Europos und Nisibis.

Die Römer annektierten in der Regel Gebiete, wenn sie auf ein System von Klientelfürstentümern zurückgreifen konnten, um notfalls informell Herrschaft ausüben zu können. In Germanien stellte sich ihnen das Problem, dass ihre Erfolge unter Drusus zu einer Fluktuation von Stämmen wie den Markomannen führte, die vom Main nach Böhmen abwanderten, wo sich Marbod ein Reich aufbaute. Die Eroberung Britanniens war eine so neue Idee nicht, als Claudius sie schließlich verwirklichte. Das Dakerreich besaß reiche Gold und Eisenerzvorräte und Dekebalus wurde als unruhiger Nachbar wahrgenommen, annektiert wurde es erst nach einem recht generösen Frieden für Dekebalus.

Eine Eroberung von Hibernia/Irland aber war aus römischer Sicht kaum geboten. Es grenzte nicht unmittelbar an das Imperium Romanum (dazwischen lag ein recht breiter Streifen des Atlantik. Von einer Bedrohung römischer Provinzen konnte keine Rede sein. Für den geplanten Feldzug gegen Marbod, der wegen des pannonisch-illyrischen Aufstands ins Wasser fiel, wäre ca ein Drittel der römischen Streitkräfte notwendig gewesen, und für den Feldzug in Dakien mobilisierte Trajan mehr als 7 Legionen. Föderaten und Verbündete fehlten im Falle Hibernias. Die Insel war bekannt, vom Landesinneren dagegen wußte man nichts oder so gut wie nichts. Breite Ströme, über die man Truppen und Nachschub ins Landesinnere hätte befördern können fehlten oder waren zu wenig bekannt. Die Topographie des Landes war ungünstig für die Römer, und eine blamable Niederlage, die gerächt werden musste, gab es auch nicht. 83 war die IX. Legion Hispania in Britannien in verlustreiche Kämpfe verwickelt, bevor sie von Agricola entsetzt wurde.

Kämpfe gegen Stämme die sich der Romanisierung verweigerten und schwer fassbar waren, wären auf Hibernia ebenfalls zu erwarten gewesen, Klientelverhältnisse und Föderaten hätte man erst aufbauen müssen, und unterm Strich gab es letztlich wenig bis nichts zu holen, dafür aber Unkosten. Es hätte sich einfach zu wenig gelohnt, und die Mühen waren nicht das Leben eines pommerschen Grenadiers wert (Bismarck), pardon eines römischen Legionärs.
 
Der Vollständigkeit halber hier mal der fragliche Textabschnitt aus Tacitus, Agricola 24 (zitiert nach wikisource.org):
[...] eamque partem Britanniae quae Hiberniam aspicit copiis instruxit, in spem magis quam ob formidinem, si quidem Hibernia medio inter Britanniam atque Hispaniam sita et Gallico quoque mari opportuna valentissimam imperii partem magnis in vicem usibus miscuerit. Spatium eius, si Britanniae comparetur, angustius nostri maris insulas superat. Solum caelumque et ingenia cultusque hominum haud multum a Britannia differunt; [in] melius aditus portusque per commercia et negotiatores cogniti. Agricola expulsum seditione domestica unum ex regulis gentis exceperat ac specie amicitiae in occasionem retinebat. Saepe ex eo audivi legione una et modicis auxiliis debellari obtinerique Hiberniam posse; idque etiam adversus Britanniam profuturum, si Romana ubique arma et velut e conspectu libertas tolleretur.
Ich würde das so verstehen: Agricola stationierte Truppen an der Westküste Britanniens, weniger zur Verteidigung, sondern in der Hoffnung auf neue Eroberungen in Irland, das er ob seiner strategisch wichtigen Lage zwischen Spanien, Gallien und Britannien ins Auge gefaßt hatte. Ein mit vergleichsweise wenig Aufwand (eine Legion plus Hilfstruppen) machbares Unterfangen aus Agricolas Sicht, sogar einen irischen Fürsten im Exil hatte er schon gefunden zur späteren "Verwendung".
 
Den Einzigen Grund, den ich mir vorstellen könnte, Hibernia zu erobern, wäre Piraterie. Also Angriffe von plündernden Banden auf die römische Provinz. In dem Sinne wäre eine Eroberung sinnvoll gewesen, um diesen Unruheherd ein für alle mal zu beseitigen, um dann mittelfristig die Anzahl der Truppen in Britannien insgesamt reduzieren zu können. Davon ist aber Nichts bekannt.

Die Caledonier plünderten sich schon mal die Küste runter, aber nicht die Iren. Germanische Piraten kamen ernsthaft erst im 3ten Jhdt. dazu. Auch griffen die Caledonier die römische Nordgrenze an und wiegelten britische Stämme auf. Grund genug also, den Norden dieser Insel in einer einmaligen Kraftanstrengung vollständig zu erobern, bis die Legionen das Meer erreichen. Genau so hatte man das in Nordwestspanien gemacht. Auch wenn es hundert Jahre dauerte. Aber es geschah nicht. Agricola war schon recht weit gekommen in Schottland, konnte dann aber seinen Feldzug aus politischen und militärischen Gründen nicht fortführen.

Das wäre der zweite Grund, warum Hibernia (oder Caledonia) erobert werden könnte: die ewige Sucht römischer Senatoren nach Dignitas und Auctoritas. Ich denke aber nicht, daß dieses potentielle Lager in Irland aus der Zeit des Agricola stammt. Tacitus hätte es wohl kaum versäumt, diese Großtat seines Schwiegervaters zu erwähnen. Dennoch bin ich überzeugt, hätte Domitian Agricola 10 Jahre im Amt gelassen, wie das schon mal vor kam bei Statthaltern, und keine Truppen für die Donaufront abgezogen, dann hätte Agricola wohl kaum ein Ende gefunden.

Insgesamt frage ich mich immer wieder, wozu die Römer diese absurd große Armee in Britannien stationiert hatten. 3 Legionen und eines der größten Kontingente des Imperiums an Auxiliartruppen für diese vergleichsweise kurze Grenze macht einfach keinen militärischen Sinn. Diese kleine Provinz hatte mehr Soldaten als die gefährdeten Provinzen an Rhein und Donau mit ihren deutlich längeren Grenzen. Die einzige Erklärung, die mir einfällt wäre, daß die Briten selbst, auch nach Boudica, keinesfalls so befriedet waren, wie uns die imperiale Propaganda glauben machen will.
 
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass die Römer übersetzten, um einmal kurz ihre Stärke zu demonstrieren.

Angesichts dessen, dass man dann Cäsar als Vorbild gesehen hätte, wäre das für einen Senator hochproblematisch gewesen. Der Versuch es in Italien geheim zu halten, wäre zumindest denkbar. Dann bekäme das von Tacitus seinem Schwiegervater zugeschriebene Zitat eine ganz andere Bedeutung: Eine Andeutung, die die wichtigen Leute verstanden hätten.

Auch wäre Hadrian ein kurzer Besuch der Insel zuzutrauen. Ob nun in touristischer, diplomatischer oder demonstrativer Absicht, wäre ein Verzicht auf militärisches Vorgehen ein guter Grund, auch dies zu verschweigen.

Eine Truppe kann natürlich auch aufgrund eines Sturmes an jenen Ort abgetrieben worden sein. Solche Zufälle sind eben nicht auszuschließen.

Alle drei Möglichkeiten erscheinen erst einmal nicht sonderlich wahrscheinlich, aber wenn sich dort römische Funde bestätigen, wären es vielleicht die einfachsten Erklärungen.
 
Eine Machtdemonstration ist in der Tat eine Option. Aber dazu müssten die Iren da halt erst mal graben und wenigstens ein Sommerlager finden. Waren Agricola und Domitian nicht schon verstorben als Tacitus sein Werk veröffentlichte? Unter Nerva oder Trajan hätte er Nichts verheimlichen müssen.

Bei einer Strafexpedition sollten sich dann aber noch weitere Lager im üblichen Abstand von 20km finden lassen. Oder man hätte schon lange darüber stolpern sollen.
 
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Ich glaube nicht so recht daran. Es mag projektiert gewesen sein, auch Irland zu besetzen, es wäre nur folgerichtig gewesen, die britischen Inseln in ihrer Gesamtheit zu besetzen. Aber es gelang ja nicht einmal, Schottland dauerhaft zu besetzen. Wir haben im Süden den Antoninus-Wall, dann, vom Südende des Loch Lomond eine in ostnordöstlicher Richtung führende Lagerkette, die sogenannte Gask Ridge und schließlich vereinzelte Lager, die womöglich aus einer Expedition Agricolas stammen, am Südufer des Moray Firth.
http://www.geschichtsforum.de/f28/ultima-thule-die-shetlands-48134/

Daher würde ich, ohne nachgewiesene Funde, auch wenn Drumanagh durch seine Lage und die beiden Naturhäfen an beiden Seiten ein idealer Brückenkopf gewesen wäre (wobei: gab es Frischwasser?!), eine militärische Expedition zunächst ausschließen.
 
Wieso müsste es denn gleich wieder die Welteroberung sein? Wie ich schon schrieb: Wenn sich die Funde als echt ('und aussagekräftig' hatte ich vorausgesetzt) erweisen, sind da eher 'kleine' Erklärungen richtig. Eine groß angelegte Eroberung hätte man kaum verschweigen können. Eine Legion, die ein paar Wochen, vielleicht nur Tage auf einer Insel lagerte, von der Klein-Gaius in Rom kaum etwas und der durchschnittliche Senator wenig gehört hatte, ist da schon etwas anderes.

Agricola hat Britannien umsegeln lassen. Vielleicht ist die Flotte einfach dort gelandet, um schlechtes Wetter auszusitzen. Das ist eine weitere 'kleine' Erklärung; noch dazu mit dem Vorteil, dass keiner es des Berichtens wert finden musste.

Römische Kaufleute jedenfalls sind nicht berühmt dafür, Wall und Graben anzulegen.

Und von einer möglichen Strafexpedition hatte ich nichts geschrieben.

zu Agricola: Man kann es auch anders betrachten: Tacitus stellte das Verhältnis von Agricola zu Domitian zerrüttet dar. Hätte er zugegeben, dass Agricola das Vertrauen zu so einer Expedition besessen hat, hätte er diese Darstellung konterkariert. Aber das ist sowieso nur die Darstellung einer Möglichkeit, die nicht gleich wieder aus unserer heutiger Ansicht eine weltumspannende Erobererfantasie entwirft, um aufzuzeigen, dass solche Möglichkeiten in der Mehrheit sind. Aber ich gebe gerne zu, dass die Agricola-Hypothese schon wegen ihrer Eleganz, eine Andeutung in einem bekannten Werk zu vermuten und damit dann alles zu erklären, ziemlich verdächtig ist. Ich verspreche aber feierlich, wenn eine Inschrift 'Ich, Agricola war hier.' in Irland gefunden wird, gleich zu posten: "Hab' ich es Euch nicht gesagt!" ;)
 
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Guten Morgen,

ich sehe es genauso wie Riothamus. Eine Expedition wäre von römischer Seite her auf alle Fälle machbar gewesen. Für einen endgültigen Beweis müsste halt gegraben werden.

Grüße
 
Tacitus stellte das Verhältnis von Agricola zu Domitian zerrüttet dar.

Ein Grund warum ich glaube, daß Alles was Agricola unternahm, sofort an Domitian gemeldet wurde. Eine eigenmächtige Invasion oder Machtdemonstration in Irland halte ich daher für sehr unwahrscheinlich.

Daß die Flotte dort Schutz suchen musste, wäre aber eine Erklärung. Aber hätte Tacitus das nicht erwähnt, weil keine eigenmächtige Aktion? Immer vorausgesetzt man findet dort auch eine militärische Anlage.
 
Man geht doch eher davon aus, dass Tacitus geflunkert hat, um seine Familie beim Nachfolge-Regime besser dastehen zu lassen.

Und auch wenn das Verhältnis tatsächlich nicht gut war, kann er an der einmal gestrickten Familiengeschichte festgehalten haben, um die Geschichtsklitterung nicht zugeben zu müssen. Und die Zerrüttung würde durch eine eigenmächtige Landung als Ursache erklärt.
 
Ich halte das schon für plausibel, dass das Verhältnis zwischen Domitian und Agricola zerrüttet war. Tacitus spottet ja u.a. darüber, dass Domitian einen erfundenen Triumph über Germanien gefeiert habe, indem er Sklaven als gefangene Germanen in germanischer Tracht ausstaffierte. So etwas konnte Tacitus nicht erfinden ohne als unglaubwürdig zu gelten, schließlich hatte sein wohl vorwiegend senatorisches Lesepublikum das alles selbst erlebt.

Verschiedene Emissionen des Domitian mit dem GERMANIA CAPTA-Motiv haben wir ja auch:

sesterce_germania.jpg

@Machbarkeit

Es geht weniger um die Machbarkeit als vielmehr um die Wahrscheinlichkeit. Und da ist einfach zu konstatieren, dass die Römer für eine solche Expedition erst mal das Hinterland sichern mussten. Und das gelang weder Agricola noch seinen Nachfolgern. Der Antoninus-Wall in Südschottland wurde nach 40 Jahren wieder aufgegeben, der Hadrianswall in Nordengland ist eine der bestausgebautesten römischen Militärgrenzen. Nicht von ungefähr: Caledonia non capta, Caledonia non pacificata. (Nein, das sind keine Quellenstellen!)
 
Es geht doch gar nicht um eine große Expedition. Der Platz soll doch nur für 1 Legion reichen. Für mehr als "guckt mal, was wir können" reicht das damals nicht mehr. Und die Hauptmacht bleibt dabei in Britannien. Ich sehe da kein Problem.

Die Annahme, dass ein Gegner irgendetwas sichern müsste, hat sich im Übrigen schon oft als falsch erwiesen.

Dass Domitian falsche Triumphe gefeiert hat, hat ja nun nichts mit der Beziehung zu Agricola zu tun.
 
Es geht doch gar nicht um eine große Expedition.

Manchen schon.

Der Platz soll doch nur für 1 Legion reichen.
An eine Übernachtung im Rahmen der Britannienumsegelung, wie hier im Threasd vorgeschlagen, könnte ich schon eher denken. Allerdings ist der Platz von der Aufteilung her fast so perfekt, dass man kaum an einen Zufallsfund glauben möchte. Und da frage ich mich wiederum, ob uns Augentieren da nicht die Form einen Streich spielt und uns etwas suggeriert, was gar nicht da ist.

Dass Domitian falsche Triumphe gefeiert hat, hat ja nun nichts mit der Beziehung zu Agricola zu tun.

Welche Beziehung meinst du? Domitian-Agricola oder Tacitus-Agricola?
Für den Fall Domitian-Agricola: Genau das schreibt Tacitus aber und ich empfinde das - bei aller Q-Kritik - für plausibel. Überhaupt ist Domitian ja ein Kaiser, der in der römischen Geschichtsschreibung sehr schlecht wegkommt, der in seiner Paranoia selbst seine engsten Vertrauten von sich stieß und wahrscheinlich so erst recht zu seiner eigenen Ermordung beigetragen hat. Insofern fügt sich die taciteische Domitian-Charakterisierung im Agricola in das Bild ein, welches wir auch aus anderen Quellen von Domitian haben.
 
Ohne Grabung wird sich erstmal nicht beantworten lassen, wie Drumanagh einzuordnen ist. Sollte das tatsächlich ein römisches Militärlager sein, würde ich nach momentanem Kenntnisstand (Münzen) Agricola eher ausschließen. Wäre es von Agricola angelegt worden, müßte es entweder über Jahrzehnte kontinuierlich belegt gewesen sein bis Hadrian, oder aber bei einer Expedition unter Hadrian eine zweite Belegungsphase erlebt haben. In beiden Fällen stellt sich die Frage nach den allzu dünnen literarischen Quellen umso mehr.

Grabungen in Irland sind seit Beginn der Euro-Krise ein schwieriges Thema. In den zehn, fünfzehn Jahren vorher hatte die Archäologie in Irland extrem vom Wirtschaftsboom profitiert, der Fall war danach umso tiefer und schmerzhafter. Irland war als Arbeitsumfeld zeitweise so attraktiv, was Anzahl der Projekte und nicht zuletzt auch die Bezahlung betraf, daß es zu einer regelrechten Einwanderungswelle von Archäologen vor allem aus Großbritannien kam.

Womöglich ein bißchen weit hergeholt, jedenfalls eine bloße Vermutung ohne belastbare Basis: Ein Stück weit könnte die Schärfe in der Kontroverse um Drumanagh eben auch daher rühren, daß hier die traditionelle irische Archäologie plötzlich konfrontiert war mit einer ganzen Reihe junger Kollegen, die aus einem ganz anderen Umfeld kamen, und deren, aus irischer Sicht, unorthodoxen Ideen. Traditionelle irische Archäologie ist hier zu verstehen als die maßgeblich von George Petrie im 19. Jhd. begründete, ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechende, die Vergangenheit romantisierende und nationalistisch verklärende Denkschule, nach der die "keltische" späte Eisenzeit bis zum frühen Christentum das "Goldene Zeitalter Irlands" gewesen sei und diese "keltische Hochblüte" identitätsstiftend für alle Iren sein sollte, gerade auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Petrie wird immer noch gern tituliert als "Vater der irischen Archäologie". Immer wieder ist herauszuhören und -zulesen, wie sehr die Gedankenwelt Petries und seiner Zeitgenossen noch heute die Arbeit von Archäologen und Historikern in Irland prägt.

Diesem Gedanken ging auch Jacqueline Cahill-Wilson vor einigen Jahren nach (Lost in transcription: rethinking our approach to the archaeology of the later Iron Age. In: Life and Death in Iron Age Ireland in the light of recent research, 2012). Ihre These: Die Sicht auf Irlands Vor- und Frühgeschichte in der Tradition Petries habe häufig zu einer Fehlinterpretation römischer Funde geführt, deren Kontext ignoriert worden sei, weil er einfach nicht ins Weltbild gepaßt habe. Römisches Fundgut sei in vielen Fällen keineswegs so isoliert und klar abgegrenzt von einheimischem Material zu betrachten, wie das in der irischen Fachliteratur gerne postuliert werde.

Cahill-Wilson war wissenschaftliche Leiterin des LIARI-Projekts (Late Iron Age and Roman Ireland) aus dem Discovery Program (hat nichts mit Discovery Channel o.ä. zu tun). Dessen Abschlußbericht, erschienen vor knapp einem Jahr, muß ich mir unbedingt besorgen. Enthalten ist da nämlich auch ein Aufsatz von Ger Dowling, Geophysical Investigations at Drumanagh and Loughshinny, North County Dublin...
 
Wäre es von Agricola angelegt worden, müßte es entweder über Jahrzehnte kontinuierlich belegt gewesen sein bis Hadrian, oder aber bei einer Expedition unter Hadrian eine zweite Belegungsphase erlebt haben. In beiden Fällen stellt sich die Frage nach den allzu dünnen literarischen Quellen umso mehr.

Also anhand der literarischen Quellenlage würde ich es nur bedingt festmachen. Britannien war ja eine recht peripher gelegene Provinz... Über Agricola haben wir ja weitestgehend auch nur Info, weil Tacitus sein Schwiegersohn war.

Vor einigen Jahren konnte man einen neuen römischen Kaiser in die Kaiserlisten einfügen, der bisher, wegen seines Fehlens (das stimmt nicht ganz, dazu unten mehr) in den literarischen Quellen bisher unbekannt war.
Durch zwei Münzen, die man fand, konnte man ihn der Vergessenheit entreißen. (Wobei die eine der beiden Münzen lange Zeit als Fälschung galt, bis man in einem Hort das zweite Exemplar dieseser Emission fand.) Er wird nur Wochen oder vielleicht Monate und womöglich auch nicht weiter als über Britannien hinaus geherrscht haben. Aus den literarischen Quellen ist er uns als Feldherr bekannt.
 
Tacitus spottet ja u.a. darüber, dass Domitian einen erfundenen Triumph über Germanien gefeiert habe, indem er Sklaven als gefangene Germanen in germanischer Tracht ausstaffierte. So etwas konnte Tacitus nicht erfinden ohne als unglaubwürdig zu gelten, schließlich hatte sein wohl vorwiegend senatorisches Lesepublikum das alles selbst erlebt.


Kannst du die Quellenstelle angeben? Es gibt nämlich eine fast identische Überlieferung in Suetons Caesarenviten. Caligula inszenierte die Kapitulation des Adminius, der von seinem Vater Cymbeline ins Exil getrieben wurde, als Unterwerfung ganz Britanniens, die er stolz an den Senat meldete. (Suet, Caligula 44)

Die zur Eroberung Britanniens mobilisierten Truppen ließ er angeblich Muscheln sammeln. Sueton berichtet auch von einer ähnlichen Schau, die Caligula als Kapitulation Germaniens inszenierte.

Nachdem er die Truppen gemustert und einige verdiente Offiziere brüskiert hatte, überquerte er mit seinen Freunden den Rhein und nahm Angehörige seiner germanischen Leibwache und einige germanische Fürstensöhne, die als Geiseln am Kaiserhof lebten, mit und nahm sie gefangen, nachdem er sie zuvor als freie Germanen verkleidet hatte. Wie das Manöver, dass mit Muscheln sammeln endete, war auch der Vorstoß nach Germanien eine reine Farce und Brüskierung der Armee. Bei dieser Selbstinszenierung setzte Caligula noch eins drauf, indem er neue Orden und Ehrenzeichen stiftete. Neben den verschiedenen Auszeichnungen und Bürgerkronen der Corona Civica (wurde wegen besonderer Tapferkeit und Lebensrettung eines römischen Bürgers verliehen), der Corona Muralis (Auszeichnung für den Soldaten, der eine belagerte Stadt als erster enterte), der Corona Castrensis (Auszeichnung für den, der als erster ein feindliches Lager enterte) und der Corona Navalis (sozusagen das "Marine EKI" der römischen Armee) stiftete er eine neue Auszeichnung: die Corona exploratoria (Auszeichnung für Kundschafterdienste)
(Suet, Caligula Kap 45)

Die Auszeichnung mit der Corona Civica und anderen Coronae war eine hohe Ehre. Die Corona obsidionalis graminea (Belagerungs oder Graskrone) hatten nur wenige Kommandeure verliehen bekommen, denen es gelang, eine belagerte Armee zu befreien. Es handelte um eine sehr seltene Auszeichnung. In der mehrhundertjährigen geschichte Roms hatten sie nur Scipio Aemilius Africanus, Sulla und Quintus Sertorius bekommen. Es handelte sich um einen Graskranz, in den Blumen eingeflochten wurden. Da die Verleihung nur wenigen Offizieren vorbehalten war, könnte man ihre Verleihung durchaus mit dem Victoriakreuz der britischen oder dem Pour le Merit der preußisch/deutschen Armee vergleichen, eher vielleicht noch mit dem Großkreuz des Eisernen Kreuzes vergleichen, das nur Blücher, Hindenburg und Hermann Göring bekommen hatten, wobei es dem letzteren wieder aberkannt wurde.

Der Wortlaut und der Kontext ist fast identisch, daher die Frage, hat Domitian das auch getan, oder handelt es sich um eine Verwechslung mit Caligula?
 
Kannst du die Quellenstelle angeben? Es gibt nämlich eine fast identische Überlieferung in Suetons Caesarenviten.

Tac. Agricola, Cap. 39:
[...] Domitiano [...] Inerat conscientia derisui fuisse nuper falsum e Germania triumphum, emptis per commercia, quorum habitus et crinis in captivorum speciem formarentur: at nunc veram magnamque victoriam tot milibus hostium caesis ingenti fama celebrari.​
 
Also anhand der literarischen Quellenlage würde ich es nur bedingt festmachen. Britannien war ja eine recht peripher gelegene Provinz... Über Agricola haben wir ja weitestgehend auch nur Info, weil Tacitus sein Schwiegersohn war.
Gut, da beuge ich mich gern der Expertise. Ich drohe aber schon jetzt an, wenn in Drumanagh eine Inschrift gefunden wird mit dem Text "Er, Agricola, war nicht hier", dann poste ich mit triumphierender Fettung: Hab' ich's Euch nicht gesagt! :D
Bei einer Strafexpedition sollten sich dann aber noch weitere Lager im üblichen Abstand von 20km finden lassen. Oder man hätte schon lange darüber stolpern sollen.
Weil ich gerade drüber stolpere: In Newgrange Rossnaree am River Boyne, gut 40km zu Fuß von Drumanagh, gibt es eine bisher unpublizierte "sub-rectangular enclosure of possible Iron Age date" (S.32 im verlinkten PDF), an deren Bearbeitung der eingangs erwähnte Richard Warner beteiligt ist. Gerüchteweise ist zu vernehmen, Warner habe im Kontext dieser Anlage auch eine Handvoll römischer Keramik gefunden und gehe deshalb von einem möglichen römischen Lager aus...
 
Wenn jetzt einer Leugen erwähnt, schreie ich!

Äh - weil Domitian über Germanien triumphierte, war er sauer auf Agricola? ;)

Scherz beiseite! Natürlich kann man beides vertreten. Ich würde mich bei der Frage heute aber nicht mehr auf eine Seite festlegen. Früher habe ich dabei eher Tacitus geglaubt.

Aber gut, wenn Funde aus Hadrianischer Zeit da sind, wollte der vielleicht mal seine Ruhe haben oder erkunden wie viele potentielle Unruhestifter in Irland wohnen. Natürlich nur mit Diplomatie, kleiner Wache und viel Langeweile um Historiker abzuschrecken. Und natürlich nur, wenn sich die Funde bestätigen.

Könnten es vielleicht geflohene Briten sein, die Römische Münzen mitbrachten und ihren Brückenkopf auf Römische Art sicherten?
 
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