Etruskisches Wörterbuch von Kaiser Claudius

strategos

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Ich bin in dem Wikipedia-Artikel zu Kaiser Claudius https://de.wikipedia.org/wiki/Claudius#Gelehrtent.C3.A4tigkeit über den Hinweis gestolpert, dass Claudius ein etruskisches Wörterbuch verfasst haben soll. Auch einige andere Online-Artikel erwähnen dieses Wörterbuch, aber alle - auch der Wikipedia-Artikel - nennen nicht die antike Quelle dafür. Ich habe aber noch in keiner mir bekannten antiken Quelle (Sueton, Tacitus etc.) von diesem ominösen Wörterbuch gelesen. Kann mir jemand die konkrete Quelle dafür nennen? Oder ist der Wikipedia-Artikel hierzu fehlerhaft und alle anderen Online-Autoren schreiben davon ab?
Durch antike Quellen belegt sind m.W. nur die 20-bändige Etruskergeschichte und die Alphabet-Reform mit drei neuen Buchstaben - letzteres steht aber nicht zwangsläufig mit den Etruskern in Verbindung und ist zudem kein Wörterbuch.
 
Oder ist der Wikipedia-Artikel hierzu fehlerhaft und alle anderen Online-Autoren schreiben davon ab?

In The Fragments of the Roman Historians (Connell 2013) sollte sich ein Hinweis finden lassen. Stattdessen heißt es hier zu Claudius: "his knowledge of the Etruscan language is disputed".
(Um ein etruskisches Wörterbuch zu verfassen, sollte man doch eigentlich Kenntnisse der etruskischen Sprache voraussetzen.)

Den führenden italienischen Etruskologen scheint ein solches Wörterbuch auch nicht bekannt geworden zu sein, weder bei Pallottino noch bei den Bonfantes finde ich etwas.

Also wohl eine Ente.

Sie findet sich nicht nur bei Online-Autoren, sondern auch in gedruckten Werken, auch in solchen von studierten Historikern und Sprachwissenschaftlern. Eine Quelle gibt es nirgends.
 
In diesem Aufsatz von J. Malitz
Claudius (FGrHist 276) - der Prinzeps als Gelehrter
bin ich auf folgende möglicherweise ursächliche Spur gestoßen:

“...
Diese Nennung einiger der bekannteren [antiken] Autoren über die Etrusker ist nötig, um Claudius' zwanzig Etrusker-Bücher besser einordnen zu können. In der Regel wird vorausgesetzt, daß es sich wenigstens hier - im Unterschied möglicherweise zu den anderen Werken des Prinzeps - um so etwas wie "Originalforschung" in durchaus modernem Sinne gehandelt hat. Zur Begründung wird sogar die Heirat des Claudius mit Plautia Urgulanilla herangezogen, die in der Tat mütterlicherseits von der etruskischen Aristokratie abstammte. Jacques Heurgon setzt voraus, daß diese Verwandten über unerschlossenes Material zur etruskischen Geschichte verfügt haben, das erst durch Claudius "publiziert" worden ist[82]. Die Existenz solchen Materials, das bisher von den römischen Autoren noch nicht erschlossen werden konnte, wird gerne aus Elogia etruskischer Familien aus Tarquinii erschlossen[83].
...“

Hier der Aufsatz von Heurgon (Fußnote 82), dessen Inhalt sich mir nur alleroberflächlichst erschließt da mein Französisch allenfalls zum halbwegs passablen Ordern eines Café-au-lait taugt. ;)
La vocation étruscologique de l'Empereur Claude - Persée
 
Den Malitz-Artikel kenne ich, darin erwähnt der Verfasser alle bekannten wissenschaftlichen Werke von Claudius - kein Wörterbuch darunter.
Es scheint also in der Tat keinen einzigen antiken Beleg für dieses ominöse Wörterbuch zu geben. Dachte ich es mir doch. Umso skurriler, dass so viele moderne Autoren das nicht hinterfragen, sondern einfach voneinander abschreiben. Bzw. alle gemeinsam von Wikipedia abschreiben.
Danke für eure Antworten.
 
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Es scheint also in der Tat keinen einzigen antiken Beleg für dieses ominöse Wörterbuch zu geben. Dachte ich es mir doch. Umso skurriler, dass so viele moderne Autoren das nicht hinterfragen, sondern einfach voneinander abschreiben. Bzw. alle gemeinsam von Wikipedia abschreiben.
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Die deutsche Wiki zu Claudius ist just heute Abend bearbeitet worden, von etruskischem Wörterbuch steht da nix mehr.
Die englische Version führt noch “an Etruscan dictionary“ - was zumindest die Frage wer künftig wo abschreibt etwas vereinfacht. ;)

EDIT: Auch die französische Variante kommt als “Quelle“ (noch) in Frage.
 
Zuletzt bearbeitet:
In seiner etruskischen Geschichte sollen ein Abschnitt über die Sprache und eine Wortliste enthalten sein. Daraus wurde dann durch Ausschreiben ein Wörterbuch. Ich muss allerdings suchen, um zu sagen, wo es steht.

Angeblich ist ein Teil der Geschichte zusammen mit dem Werk über die Würfelkunst erst in der Französischen Revolution vernichtet wôrden. Dabei kann es sich aber ganz gut um einen Gelehrtenmythos handeln.

Dass er sich mit der etruskischen Geschichte auskannte und etruskischen Quellen benutzte geht schon aus der auf der Lyoner Tafel erhaltenen Rede hervor. Also muss auch eine gewisse Sprachkenntnis vorhanden gewesen sein.

Aber: Seine Etruskisch-Kenntnisse brauchen nicht viel mehr gewesen sein, als dass, was für bestimmte Riten und Prophezeiungen nötig war. Und betrachtet man die Lyoner Rede, kommt der Verdacht, dass er auch Grabausmalungen heranzog. Jedenfalls kannte er von der senatorischen Geschichtsschreibung abweichende Überlieferungen von der Römischen Frühzeit. Dann sind da recht sicher in Stein oder Metall erhaltene Staatsverträge und Gesetze, die zu seiner Zeit sicher nicht zur Gänze vernichtet waren. Wahrscheinlich können noch viele Möglichkeiten aufgeführt werden. Sicher ist nur, dass er irgendwelche Quellen hatte, die uns nicht mehr zur Verfügung stehen.

Da er die Haruspices neu organisiert haben soll, liegt nahe zu vermuten, dass er auch dadurch an Informationen gelangte. Vielleicht die letzten Zuckungen der etruskischen Ausbildung dieser Wahrsager. Dies könnte erklären, warum sie trotz Verlust der Sprache die Christianisierung überlebten, um noch 408 n. Chr. genannt zu werden. (Nun, äh, das steht bei Wikipedia, ich hatte im Kopf, dass es sie bis zur Christianisierung gab.) Zumindest ist es eine weitere Möglichkeit.

Interessanter wäre sicher die Autobiographie.
 
In seiner etruskischen Geschichte sollen ein Abschnitt über die Sprache und eine Wortliste enthalten sein. Daraus wurde dann durch Ausschreiben ein Wörterbuch. Ich muss allerdings suchen, um zu sagen, wo es steht.

Und insbesondere: Was die Primärquelle hierzu ist.

Dass irgendwer irgendwas in der Art geschrieben hat, daran habe ich keine Zweifel.

Dass er sich mit der etruskischen Geschichte auskannte und etruskischen Quellen benutzte geht schon aus der auf der Lyoner Tafel erhaltenen Rede hervor. Also muss auch eine gewisse Sprachkenntnis vorhanden gewesen sein.
Wenn er sich auf Übersetzungen der Quellen stützte, brauchte er keine Sprachkenntnis. Abgesehen von der Fähigkeit, Namen und Titel identifizieren zu können. (Was immerhin schon eine Fähigkeit ist, über die nicht jeder verfügt :still:)


Dies könnte erklären, warum sie trotz Verlust der Sprache die Christianisierung überlebten, um noch 408 n. Chr. genannt zu werden. (Nun, äh, das steht bei Wikipedia, ich hatte im Kopf, dass es sie bis zur Christianisierung gab.)

Dafür gibt es eine Quelle:
BKV
 
Irgendwie bezweifele ich, dass Claudius nicht zumindest etwas Etruskischen konnte. Werden nicht zumindest einige Formeln zum Herrschaftseiden gehört haben? Wie ich schon schrieb: Das muss nicht viel gewesen sein.
 
Wir wissen leider nicht, ob Claudius mehr als nur ein paar Brocken Etruskisch gekonnt hat. Wie gesagt, darüber streiten sich die Gelehrten.

Wenn er ein Wörterbuch geschrieben hätte, dann hätte er mehr als ein paar Brocken gekonnt.
 
Ganz sicher konnte er genug, um die Vogelschau durchzuführen. (Wegen der ich gerade nicht schlafen konnte.) Dass er Titel und Namen kannte, ist sehr wahrscheinlich. Wahrscheinlich ist auch, dass er einiges über die Haruspices in Erfahrung brachte. Angesichts der Gründlichkeit und Kleinteiligkeit seiner Argumentation ist auch noch wahrscheinlich zu vermuten, dass er mehr wusste, da er ja die Etruskischen Geschichte schrieb.

Wieviel mehr kann man nicht sagen. Wir wissen ja nicht mal, ob überhaupt die Möglichkeit bestand, Etruskischen noch richtig zu lernen, oder ob nur noch soviel bekannt war, wie zum kultischen Gebrauch benötigt.
 
Da er die Haruspices neu organisiert haben soll, liegt nahe zu vermuten, dass er auch dadurch an Informationen gelangte. Vielleicht die letzten Zuckungen der etruskischen Ausbildung dieser Wahrsager.

Schon unter Augustus war das Etruskische auf dem Weg des Verschwindens. Zwei Generationen später war Claudius wohl einer der letzten, der etwas von dieser Sprache verstand.
In „Leben des Augustus (Div. Aug., 97) schreibt Sueton:

Sub idem tempus ictu fulminis ex inscriptione statuae eius prima nominis littera effluxit; responsum est, centum solos dies posthac uicturum, quem numerum C littera notaret, futurumque ut inter deos referretur, quod aesar, id est reliqua pars e Caesaris nomine, Etrusca lingua deus uocaretur.

…zur gleichen Zeit schlug ein Blitz in die Statue (des Augustus) ein und der erste Buchstabe der Inschrift verschwand. Man antwortete ihm, daß er nur noch 100 Tage leben werde, was das Verschwinden des C (Zeichen für 100) anzeige, aber er in den Rang eines Gottes erhoben werde, weil aesar, das von Caesar übrig bleibe, im Etruskischen die Bedeutung von „Gott“ habe.
 
In dieselbe Zeit (Ende der augusteischen Ära) datiert auch die späteste erhaltene etruskische Inschrift. (Genauer gesagt, ist sie zweisprachig - Latein/Etruskisch.)

"PUP. VELIMNA AU. CAHATIAL"

Key to Umbria: Perugia
 
Zuletzt bearbeitet:
Die deutsche Wiki zu Claudius ist just heute Abend bearbeitet worden, von etruskischem Wörterbuch steht da nix mehr.
Die englische Version führt noch “an Etruscan dictionary“ - was zumindest die Frage wer künftig wo abschreibt etwas vereinfacht. ;)

EDIT: Auch die französische Variante kommt als “Quelle“ (noch) in Frage.


In der Tat ebenso wie die spanische Variante -

...un dictionnaire de langue étrusque...un diccionario etrusco

....aber nicht in der italienischen Wiki



In diesem Aufsatz von J. Malitz
Claudius (FGrHist 276) - der Prinzeps als Gelehrter
bin ich auf folgende möglicherweise ursächliche Spur gestoßen:

“...
Diese Nennung einiger der bekannteren [antiken] Autoren über die Etrusker ist nötig, um Claudius' zwanzig Etrusker-Bücher besser einordnen zu können. In der Regel wird vorausgesetzt, daß es sich wenigstens hier - im Unterschied möglicherweise zu den anderen Werken des Prinzeps - um so etwas wie "Originalforschung" in durchaus modernem Sinne gehandelt hat. Zur Begründung wird sogar die Heirat des Claudius mit Plautia Urgulanilla herangezogen, die in der Tat mütterlicherseits von der etruskischen Aristokratie abstammte. Jacques Heurgon setzt voraus, daß diese Verwandten über unerschlossenes Material zur etruskischen Geschichte verfügt haben, das erst durch Claudius "publiziert" worden ist[82]. Die Existenz solchen Materials, das bisher von den römischen Autoren noch nicht erschlossen werden konnte, wird gerne aus Elogia etruskischer Familien aus Tarquinii erschlossen[83].
...“

Hier der Aufsatz von Heurgon (Fußnote 82), dessen Inhalt sich mir nur alleroberflächlichst erschließt da mein Französisch allenfalls zum halbwegs passablen Ordern eines Café-au-lait taugt. ;)
La vocation étruscologique de l'Empereur Claude - Persée

Ich habe den Aufsatz von Heurgon quergelesen, aber da ist letztendlich auch nur die Vermutung, dass er aufgrund seiner Einheirat in die etruskische bzw. etruskischstämmige Familie Urgulania direkten Zugang zu Quellen hatte.

Aber da seine Werke zur etruskischen Geschichte verloren gegangen sind, ist das natürlich auch nur eine allerdings begründete Spekulation.

Ein Wörterbuch wird aber auch bei Heurgon nicht erwähnt.
 
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