Gegenstempel und Varus-Schlachtfeld

Opteryx

Aktives Mitglied
Guten Morgen zusammen,
@Hermundure, es ist löblich von dir, dass du sehr viel Zeit in Archiven verbracht hast, um dir Hintergrundwissen über einzelne Fundzusammenhänge anzueignen, immerhin sind mehr als 13000 römische Münzen aus römischer Zeit in Deutschland bisher gefunden worden, oder ?, alleine in Kalkriese ca. 1700. Doch eine Frage hast du mir bisher nicht beantwortet: einen Germanicus-Horizont in Abgrenzung zu einem Varus-Horizont (Gegenstempel VAR 7. bis 9 n. Chr)?
Welches militärische Ereignis kann sich dann in der Kalkrieser - Niewedder Senke abgespielt haben, wenn nicht ein Teil der glades variana?
Um es klarzustellen, ich bin kein Anhänger von Kalkriese, nur sind mir die Alternativen oft noch wesentlich zweifelhafter und teilweise abenteuerlich.
Und zu den drei Litern Wein, diese standen nur symbolisch dafür, auch wenn ich einigermaßen trinkfest bin, dass ich mir dies nur im Vollrausch vorstellen konnte (im Sturm fliegende Flotte des Germanicus), bei Aufgabe jedes gesunden Menschenverstandes, von Logik, Wissen, Gedächtnis, also aller kognitiven Fähigkeiten, wie die römische Reiterei aus Friesland und Caecina durchs Land der Brukterer und Germanicus mit seiner Flotte an die Adrana (und in den Elbebach) gekommen sind. Dass du dir dies mit einer weit geringeren Menge Rotwein - praktisch nüchtern - denken kannst, bleibt mir immer noch rätselhaft. :prost: (unten Kupfermünze (as) des Augustus mit Gegenstempel VAR des P.Quinctilius Varus, geprägt 8-3 v.Chr. in Lugudunum/Lyon Fund Kalkriese)
Und wieder ein hässlicher Gegenstempel mitten ins göttliche Antlitz des Augustus, das man ja schließlich nicht mal in ein Bordell tragen durfte! Ob er sich das zu seinen Lebzeiten gefallen ließ? Ich halte die ganze Gegenstempelei für noch viel zu unaufgeklärt, um daraus konkrete Schlüsse abzuleiten.
 
Und wieder ein hässlicher Gegenstempel mitten ins göttliche Antlitz des Augustus, das man ja schließlich nicht mal in ein Bordell tragen durfte! Ob er sich das zu seinen Lebzeiten gefallen ließ? Ich halte die ganze Gegenstempelei für noch viel zu unaufgeklärt, um daraus konkrete Schlüsse abzuleiten.

Du spielst wahrscheinlich auf die verbreitete Vermutung an, dass die Gegenstempel aus Abneigung/Hass auf den Princeps in dessen Konterfei geschlagen wurden.
Das halte ich für abwegig. Schliesslich wurden diese Gegenstempel im Auftrag von engsten Familienangehörigen des Kaisers geschlagen. Der Grund hierfür ist meiner Meinung nach, dass es sich bei den gegengestempelten Münzen um Scheidemünzen handelte. Diese repräsentierten einen Wert, der den Materialwert der Münze bei Weitem überstieg. Die Akzeptanz der Scheidemünze beruhte daher auf dem Vertrauen des Emmitenten, in diesem Fall Augustus der den nominellen Wert der Münze garantierte und mit seinem Portrait auf jeder Münze kenntlich gemacht wurde.
Bei den Gegenstempelungen wurde der Emmitent durch jemand anderen ersetzt. Damit klar wurde, dass das hinterliegende Geld nicht mehr beim Kaiser, sondern beim Gegenstempler eingefordert werden musste, wurde der Stempel über das Portrait des Augustus geschlagen.

Gruß
jchatt
 
Du spielst wahrscheinlich auf die verbreitete Vermutung an, dass die Gegenstempel aus Abneigung/Hass auf den Princeps in dessen Konterfei geschlagen wurden.
Das halte ich für abwegig. Schliesslich wurden diese Gegenstempel im Auftrag von engsten Familienangehörigen des Kaisers geschlagen. Der Grund hierfür ist meiner Meinung nach, dass es sich bei den gegengestempelten Münzen um Scheidemünzen handelte. Diese repräsentierten einen Wert, der den Materialwert der Münze bei Weitem überstieg. Die Akzeptanz der Scheidemünze beruhte daher auf dem Vertrauen des Emmitenten, in diesem Fall Augustus der den nominellen Wert der Münze garantierte und mit seinem Portrait auf jeder Münze kenntlich gemacht wurde.
Bei den Gegenstempelungen wurde der Emmitent durch jemand anderen ersetzt. Damit klar wurde, dass das hinterliegende Geld nicht mehr beim Kaiser, sondern beim Gegenstempler eingefordert werden musste, wurde der Stempel über das Portrait des Augustus geschlagen.

Gruß
jchatt
Nein, das Gleiche würde gelten, wenn man den Stempel neben das Gesicht geschlagen hätte und so das kaiserliche Konterfei unbeschädigt ließ. Dann hätte es keine Majestätsbeleidigung gegeben. Ich halte es eher für diskussionswürdig, dass die Um-Stempelei erst nach dem Tod des jeweiligen Herrschers zulässig gewesen sein könnte. Gibt es dafür klare Gegenargumente?
 
Ich halte es eher für diskussionswürdig, dass die Um-Stempelei erst nach dem Tod des jeweiligen Herrschers zulässig gewesen sein könnte. Gibt es dafür klare Gegenargumente?

Ja, die Gegenstempel des Varus.
Nach Deiner Interpretation hat er ständig seinen Kaiser beleidigt, da seine Gegenstempel vorwiegend im Portrait des Augustus gelandet sind.

Gruß
jchatt
 
Ja, die Gegenstempel des Varus.
Nach Deiner Interpretation hat er ständig seinen Kaiser beleidigt, da seine Gegenstempel vorwiegend im Portrait des Augustus gelandet sind.

Gruß
jchatt
Da sind wir wieder bei der alten Frage nach der Deutung der Gegenstempel angelangt. Aber gerade die dürfte für Kalkriese entscheidend sein!
 
Da Varus aber sicher 9 n. Chr. umgekommen ist (wo auch immer), Augustus aber 14 n. Chr. starb, kann Varus seine Gegenstempel sicher nur zur Lebenszeit des Augustus angebracht haben, womit die Idee, dass solche Gegenstempel erst nach dem Tode des jeweiligen Kaisers angebracht wurden, durch die Gegenstempel des Varus auf Augustus-Münzen widerlegt wäre, oder?
 
Da sind wir wieder bei der alten Frage nach der Deutung der Gegenstempel angelangt. Aber gerade die dürfte für Kalkriese entscheidend sein!

Da stimme ich Dir zu.

Wenn man meine oben skizzierte vermutete Bedeutung der Gegenstempel als temporäres werterhöhtes Pfand eines vom Kaiser abweichenden Emmitenten weiter ausbaut, kommt man zu der Frage was mit der an den Legionär ausgegebenen Nominalie geschah wenn dieser beim Emmitenten oder stellvertretend bei der Legionskasse sein Pfand einlöste(möglicherweise bei der Entlassung). Die gegengestempelten Münzen mussten ja nun aus dem Verkehr gezogen werden um ein doppeltes Einlösen zu verhindern. Möglicherweise wurden diese Münzen mit Siegelkapseln versehen bei der Legionskasse gehortet um evtl. bei Gelegenheit erneut mit frischem Gegenstempel ausgegeben werden zu können.
Das heisst aber diese Mengen an gegengestempelten Münzen hatten eigentlich kaum noch einen Wert. Insbesondere dann wenn der Gegenstempler/Garant nicht mehr lebte (Varus). Das heisst sie waren im Szenario der Caecina-Schlacht im Grunde entbehrlich. Dies wäre zumindest eine Erklärung für den höchsten Anteil von gegengestempelten Münzen an einem römischen Fundplatz. Demnach wären ca.90% der Kalkrieser Münzen auf den Verlust einer Legionskasse zurückzuführen und nicht auf das massenhafte massakrieren von Legionären. Dies passt zu der geringen Anzahl archäologisch nachgewiesener römischer Opfer(Knochen,Ausrüstungsgegenständen).
Die zur gleichen Zeit im Umlauf befindlichen Germanicus-Stempelungen waren zum Zeitpunkt des Kalkriese-Ereignisses in den Taschen der Legionäre und haben mit diesen den Engpass überwunden.

Da ich für Haltern von einem Veteranenstandort ausgehe, würde sich für mich so auch das Fehlen des Germanicus-Horizontes dort erklären lassen. Die von der Meuterei abseits stationierten Veteranen (Flevum) wurden laut Tacitus nicht von Germanicus mit sofortigen Geldzahlungen befriedet. Möglicherweise wurden sie erst im Nachhinein mit dem Zusatzgeld versorgt. Dann aber schon mit richtigem Geld und nicht nur mit einem Pfand. Eine Schlussdatierung von Haltern über nichtvorhandene Germanicus-Gegenstempel könnte also trügerisch sein.

Gruss
jchatt
 
Da Varus aber sicher 9 n. Chr. umgekommen ist (wo auch immer), Augustus aber 14 n. Chr. starb, kann Varus seine Gegenstempel sicher nur zur Lebenszeit des Augustus angebracht haben, womit die Idee, dass solche Gegenstempel erst nach dem Tode des jeweiligen Kaisers angebracht wurden, durch die Gegenstempel des Varus auf Augustus-Münzen widerlegt wäre, oder?
Im Prinzip ja, wenn hundertprozentig bewiesen wäre, dass VAR auch Varus heisst. Darüber wird aber noch heftig gestritten!
 
Welche Alternativen sind im Gespräch?
Ich habe von Münzen nur wenig Ahnung. Aber ich glaube, eine ähnliche Diskussion gab es schon mal vor zehn Jahren hier im Forum. Eine heftig umstrittene Alternative ist z.B. VAR=VNCIA AUREI REPONERE. Es gibt sogar VAR-Gegenstempel, die über einen früheren Gegenstempel TIB eingeschlagen wurden, wobei die Reihenfolge der Stempelungen klar sichtbar ist. Es sind also noch einige Dinge zu klären.
 
Ich habe von Münzen nur wenig Ahnung. Aber ich glaube, eine ähnliche Diskussion gab es schon mal vor zehn Jahren hier im Forum. Eine heftig umstrittene Alternative ist z.B. VAR=VNCIA AUREI REPONERE. Es gibt sogar VAR-Gegenstempel, die über einen früheren Gegenstempel TIB eingeschlagen wurden, wobei die Reihenfolge der Stempelungen klar sichtbar ist. Es sind also noch einige Dinge zu klären.

Ich kenne mich mit den Gegenstempeln nicht aus. Allerdings habe ich in der Varus-Ausstellung in Haltern vor einigen Jahren Münzen aus Kleinasien (oder naher Osten?) gesehen, wo Varus Statthalter war. Dort gab es auch einige Münzen mit dem Gegenstempel "VAR".

Der Gegenstempel "TIB" könnte auch aus der Zeit stammen, als Tiberius mit seinen Legionen in Germanien operierte. Das war vor bzw. gleichzeitig mit Varus.

Was sind denn das für Münzen mit zwei Gegenstempeln? Sind die irgendwo publiziert?
 
Ich kenne mich mit den Gegenstempeln nicht aus. Allerdings habe ich in der Varus-Ausstellung in Haltern vor einigen Jahren Münzen aus Kleinasien (oder naher Osten?) gesehen, wo Varus Statthalter war. Dort gab es auch einige Münzen mit dem Gegenstempel "VAR".

Der Gegenstempel "TIB" könnte auch aus der Zeit stammen, als Tiberius mit seinen Legionen in Germanien operierte. Das war vor bzw. gleichzeitig mit Varus.

Was sind denn das für Münzen mit zwei Gegenstempeln? Sind die irgendwo publiziert?
Ich habe mich ewig nicht um das Thema gekümmert und finde nur noch eine Abb. von VAR über TIBAVC. The Varus Debate
 
Schöner link, der pro und contra Argumente mal schön übersichtlich darstellt. Danke dafür. :yes:
 
Guten Morgen,

für mich stehen beide Stempel "nebeneinander", aber sei es drum. U. Werz gibt folgende Stempelungen mit anderen Gegenstempeln an:

siehe Abbildung

Einmal über TIB AV C (siehe Abb. VAR Gegenstempel)

Grüße
 

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Guten Morgen,

für mich stehen beide Stempel "nebeneinander", aber sei es drum. U. Werz gibt folgende Stempelungen mit anderen Gegenstempeln an:

siehe Abbildung

Einmal über TIB AV C (siehe Abb. VAR Gegenstempel)

Grüße
Vermutlich muss man die Münze vor sich haben und anders belichten, um die Reihenfolge der Stempel zu sehen. Aber um die Frage VAR endgültig zu klären, genügte eine, vor der Geburt oder nach dem Tod des Varus geprägte, Münze mit diesem Stempel.
Es gibt aber noch andere offene Fragen zu Kalkriese. Angeblich hat man dort auch fünf Exemplare von, am Rand gelochten, Kupfermünzen gefunden. Man locht eigentlich nur, um die Münzen als Halskette oder Armreifen aufzufädeln, aber wer tut so etwas? Würde sich ein moderner Römer eine Kette mit Centstücken umhängen? Oder seine Freundin vom Tross damit beglücken? Dafür sollte es wohl mindestens Silber sein!
 
Aber nur wenn man es sich leisten kann!
Na, zumindest eine Kette mit einer Silbermünze sollte es schon sein. Übrigens muss ich meinen vorigen Beitrag korrigieren. Es nützte natürlich nur einen NACH dem Tod geprägte Münze mit VAR-Gegenstempel, denn obwohl behauptet wird, dass es diesen Gegenstempel schon vor der Geburt des Varus gegeben haben soll, wüsste ich nicht, wie man den Zeitpunkt der Stempelung beweisen wollte.
 
Nocheinmal ein Einwand zu den Germanicus-Gegenstempeln.

in Tac. An. 1,37 steht, dass die 5. und 20. Legion auf sofortige Ausbezahlung (des Vermächtnisses) noch im Sommerlager drangen, während von Seiten der Führung eine Ausbezahlung erst im Winterlager erfolgen sollte.
Diese unter Waffengewalt, von Tacitus als schändlich bezeichnete Erpressung, konnte nur bewerkstelligt werden, indem Germanicus seine Freunde anpumpen musste. Offensichtlich fehlte also ausreichend Bargeld um alle meuternden Legionen auszubezahlen.
Hier stellt sich mir die Frage, ob bei diesem "Raub" überhaupt noch ein Interesse bestand die Münzen mit Gegenstempeln der Erpressten zu versehen, wenn diese Stempel tatsächlich nur der dankbaren? Erinnerung des Spenders(Beraubten) dienen sollten.
Laut Gottwein bestand der Anspruch auf diese Zahlungen auch gegenüber Augustus (Vermächtnis) und nicht gegenüber Germanicus und seinen Freunden.

Ist es nicht viel mehr so, dass nur die vertrösteten Legionen gegengestempelte Garantie-Münzen bekamen und nur die 5. bzw. 20. Legion in den Genuss des Bargeldes kamen?
Letztere waren bei der Caecina-Schlacht dabei und hatten möglicherweise keine einzige der gegengestempelten Germanicus-Münzen dabei, an denen die Münzdatierung in Kalkriese zur Zeit aufgehängt ist.

Gruß
jchatt
 
TIB bedeutet TIBerius.
AUC bedeutet AUGustus
IMP bedeutet IMPerator.
CVAL bedeutet vermutlich Gaius [Numonius] VALA
Und VAR soll Vncia Aurei Reponere anstatt VARus bedeuten?
Eher unwahrscheinlich. Zumal die VARus-Gegenstempel vorwiegend in den Rheinprovinzen und in Syrien vorkommen, also genau dort, wo Varus Statthalter war.
Und man stelle sich vor, was die Leute gemacht hätten, wenn ein Gegenstempel den Wert der Münze erhöht hätte... Das wäre höchst inflationsfördernd gewesen...
Deine Behauptung, Opteryx, dass die Römer zu Augustus' Lebzeiten niemals auf den Kopf des Augustus gegengestempelt hätten, haben wir vor ca. zwei Jahren schon mal besprochen, damals bist du mir die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, ob du denn wohl ernsthaft glaubtest, dass ein paar mit dem Gegenstempeln betraute Soldaten sich wirklich darüber einen Kopf gemacht hätten, wenn draußen die ungeduldigen Kollegen auf ihr Geldgeschenk warteten.
 
Und man stelle sich vor, was die Leute gemacht hätten, wenn ein Gegenstempel den Wert der Münze erhöht hätte... Das wäre höchst inflationsfördernd gewesen...

Und deshalb mussten diese Münzen wieder aus dem Verkehr gezogen werden (Siegelkapseln in Kalkriese, 90%! der Münzen mit Gegenstempeln).
Das wird nur ein Verfahren bei kurzfristiger Geldknappheit gewesen sein.
Schliesslich konnte Germanicus nicht mal eben nach Köln Kalk zum Geldautomaten.
Ganz nebenbei hatte dies auch noch einen praktischen Effekt. Wenn ich das richtig sehe, dann wogen die gegengestempelten Asse im Wert z.B. eines Aureus stolze 4 Kilo. Im Wert eines Denares immerhin noch 500 Gramm. Ein in Assen ausgezahltes Vermächtnis des Augustus hätte die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Ligionärs wahrscheinlich auf Schneckentempo verringert ;-)

Gruß
jchatt
 
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