Gehörte Nerva zum Adoptivkaisertum?

Waterpolo

Mitglied
Liebe Mitglieder,

in Wikipedia heißt es:

Adoptivkaiser im Sinne des gängigen historischen Begriffs waren Nerva, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und Lucius Verus, die sämtlich nicht als leibliche Söhne ihrer Vorgänger zur Herrschaft gelangten.
Warum zählt Nerva als Adoptivkaiser? Er hat das Adoptivkaisertum mithilfe seiner Adoption Trajans (und eigentlich auch mit seinem Tod) zwar begründet und eingeleitet, verstehe aber gerade nicht, wieso er dann zusätzlich als Kaiser zum Adoptivkaisertum gezählt wird.

So wie ich das mithilfe meiner vorhandenen Literatur verstanden habe wurde Nerva nach der Ermordung Domitians als Kaiser vom Senat anerkannt, weil dieser unter anderem kinderlos war und man somit auch keine weitere Dynastie zu befürchten hatte.

Gibt es einen (anderen) Überbegriff für die Herrschaftszeit (96-98 n. Chr.) von Kaiser Nerva oder "muss" man ihn letztendlich gerade wegen der Adoption Trajans zum Adoptivkaisertum zählen?

Kann mich nicht so recht damit anfreunden, da es chronologisch keinen Sinn machen würde.

Liebe Grüße,
Waterpolo
 
Ich stimme Dir zu, "Adoptivkaiser" ist ein recht unbrauchbarer und vager Begriff. (Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass mitunter sogar Commodus dazugezählt wird, obwohl er der leibliche Sohn von Mark Aurel war.) Verwendet wird er wohl aus dem Bedürfnis heraus, Epochenbezeichnungen verwenden zu können, wobei es für diese Kaiser keinen brauchbareren Begriff gibt, da sie keine "richtige" Dynastie waren. Nerva lässt sich nur insofern dazurechnen, als er adoptiert hat, wenn auch nicht selbst wurde.
 
Na ja. Ich denke man sollte da nicht so sehr in historiographische Erbsenzählerrei verfallen. Ravenik liegt schon richtig, das "Adoptivkaisertum" ist ein Epochenbegriff, der diese Phase in der Geschichte des Römischen Reichs charakterisieren soll, in dem die Kaiser nicht als dynastische Nachfolger sondern als Adoptierte ihre Vorgänger beerbten. Nerva mag selbst nach adoptiert worden sein, aber er hat mit der Praxis angefangen, den Nachfolger per Adoption in Stellung zu bringen, womit er nach meinem Dafürhalten ganz gut zu den Adoptivkaisern gezählt werden kann. Das der dynastische Gedanke bei den Adoptivkaisern nicht gänzlich verdrängt worden ist, hatten wir übrigens schon einmal vor vielen Jahren in einem Thread thematisiert. Alle Adoptierten hatten zumindest in die erweiterte familia ihrer Vorgänger eingeheiratet, mit Außnahme von Trajan zu Nerva.


http://www.geschichtsforum.de/f28/epochengliederung-roms-225/
 
Liebe Mitglieder,

in Wikipedia heißt es:

Warum zählt Nerva als Adoptivkaiser? Er hat das Adoptivkaisertum mithilfe seiner Adoption Trajans (und eigentlich auch mit seinem Tod) zwar begründet und eingeleitet, verstehe aber gerade nicht, wieso er dann zusätzlich als Kaiser zum Adoptivkaisertum gezählt wird.

So wie ich das mithilfe meiner vorhandenen Literatur verstanden habe wurde Nerva nach der Ermordung Domitians als Kaiser vom Senat anerkannt, weil dieser unter anderem kinderlos war und man somit auch keine weitere Dynastie zu befürchten hatte.

Gibt es einen (anderen) Überbegriff für die Herrschaftszeit (96-98 n. Chr.) von Kaiser Nerva oder "muss" man ihn letztendlich gerade wegen der Adoption Trajans zum Adoptivkaisertum zählen?

Kann mich nicht so recht damit anfreunden, da es chronologisch keinen Sinn machen würde.

Liebe Grüße,
Waterpolo


Ich stimme @Ravenik zu, dass der Begriff Adoptivkaisertum unpassend, wenn nicht sogar verwirrend ist, denn es wurden vor Nerva bereits die Kaiser Augustus (C. Julius Caesar Octavianus) und Nero (geboren als L. Domitius) durch Adoption als Thronerben legitimiert. Im Falle Neros überging Claudius seinen leiblichen Sohn Britannicus, und genaugenommen wurden auch Tiberius und Caligula durch Adoption in die Julische Dynastie adoptiert, Augustus zwang, nachdem alle von ihm favorisierten Thronfolger gestorben waren, seinen ungeliebten Stief- und Schwiegersohn Tiberius, Germanicus zu adoptieren, obwohl Tiberius einen leiblichen Sohn, Drusus den Jüngeren hatte.

Der Begriff Adoptivkaisertum suggeriert, die kinderlosen Kaiser von Trajan bis Marc Aurel hätten durch Adoption den jeweils geeignetsten Kandidaten ausgewählt. tatsächlich etablierte sich aber schon unter Hadrian, der seinen Wunschkandidaten den späteren Marc Aurel als thronkandidaten förderte ein verzweigter Clan, die Antonine, die mit Commodus ausstarben. Septimius Severus, der aus der Interimszeit des Vierkaiserjahrs als Sieger hervorging und sich gegen seine Mitbewerber durchsetzte, versuchte seinem Clan, den Severern Legitimation durch fiktive Adoption durch Marc Aurel zu verleihen.

Marc Aurel wiederum, der die Entwicklung seines Sohnes Commodus, des ersten "Purpurgeborenen" unter den römischen Caesaren- nicht abwartete, sondern ihn schon im Kindesalter mit Ämtern überhäufte. Die Regierungszeit Commodus und die verwerfungen unter den Severern erschienen schon Zeitgenossen als Zäsur. Cassius Dio sprach davon, die goldenen Zeiten trajans, Hadrians und Marc Aurel haben sich in Eisen und Rost verwandelt, und Eduard Gibbons the Decline an Fall of the Roman Empire trug wesentlich dazu bei, das Marc Aurels Tod als Wendepunkt gesehen wurde.

Viele Historiker des 20. jhds zählten die Severer bereits zu den Soldatenkaisern, obwohl die Severer durchaus dem Imperium noch einmal eine gewisse Stabilisierung brachten und der wirtschaftliche Niedergang bereits unter Marc Aurel einsetzte, der es freilich schaffte die enormen Probleme zu meistern.

Das der Begriff "Adoptivkaiser" fragwürdig ist, war vielen Historikern bewusst, und es findet sich in vielen Darstellungen statt dessen der des humanitären Kaisertums, wobei Nerva eher als Übergangskandidat gesehen wurde, der im Gegensatz zu Helvius Pertinax das Glück hatte, ein Attentat der Prätorianer zu überleben.
Das humanitäre Kaisertum wurde schließlich vom vielleicht humansten Kaiser Marc Aurel zu Grabe getragen, allerdings sollte man sich auch von dessen "Selbstbetrachtungen" nicht allzusehr blenden lassen. Die Zeiten wurden rauher. In Lugdunum und Nordafrika fanden unter Marc Aurel heftige Christenverfolgungen mit Martyrien statt, während Trajan zwar Folterungen und Exekutionen besonders sturer Christen durch Plinius billigte, aber riet, nicht nach diesen zu fahnden (conquerendi non sunt und "nec est in saeculo nostro")
 
Namen sind Schall und Rauch. Im Englischen nennt man die Epoche "The Good Emperors".
Und wie schon bemerkt, hat eigentlich schon Augustus das Adoptivkaisertum eingeführt.
 
Agricola schrieb:
Und wie schon bemerkt, hat eigentlich schon Augustus das Adoptivkaisertum eingeführt.

Nur das Tiberius mit Augustus verwandt war. Das war bei Nerva nicht der Fall, als er Trajan adoptiert hat ("Wahl des Besten").

Scorpio schrieb:
... wobei Nerva eher als Übergangskandidat gesehen wurde, der im Gegensatz zu Helvius Pertinax das Glück hatte, ein Attentat der Prätorianer zu überleben.

Laut meiner Dozentin können wir Nerva als "Lückenbüßer" betrachten, jedenfalls geht das Adoptivkaisertum letztendlich erst ab Trajan los - so ihre Aussage.
 
Nur das Tiberius mit Augustus verwandt war. Das war bei Nerva nicht der Fall, als er Trajan adoptiert hat ("Wahl des Besten").
Tiberius war zwar angeheiratet, aber keineswegs dadurch automatisch mit Augustus verwandt. Zum Nachfolger ernannte er ihn erst, als alle anderen Kandidaten aus seiner Familie gestorben waren.

Die Adoption Trajans war mehr oder weniger eine Maßnahme der Selbsterhaltung Nervas, der ohne diese starke militärische Stütze chancenlos gegen die meuternden Prätorianer war. Die tatsächliche Nachfolge dürfte in Nervas Überlegung zweitrangig gewesen sein.
 
Tiberius und Caligula durch Adoption in die Julische Dynastie adoptiert, Augustus zwang, nachdem alle von ihm favorisierten Thronfolger gestorben waren, seinen ungeliebten Stief- und Schwiegersohn Tiberius, Germanicus zu adoptieren, obwohl Tiberius einen leiblichen Sohn, Drusus den Jüngeren hatte.
Auf Caligula trifft das eigentlich nicht zu ,denn er war über die Augustustochter Julia, seine Großmutter mütterlicherseits, der einzige Nachfolger, der in der direkten Verwandtschaftslinie mit Augustus verbunden war. Er war der einzige echte julisch-claudische Kaiser.
 
Nero war doch auch ein direkter biologischer Nachfahre von Augustus: Seine Mutter Agrippina die Jüngere war eine Tochter von Agrippina der Älteren, die eine Tochter von Augustustochter Iulia war. Gleichzeitig war seine Mutter Agrippina die Jüngere aber auch eine Tochter von Germanicus, der ein Sohn von Drusus war, dem Sohn von Tiberius Claudius Nero. Nero war also ebenfalls ein echter julisch-claudischer Kaiser.

Nur Tiberius und Claudius stammten biologisch überhaupt nicht von Augustus ab. Claudius war aber zumindest der Enkel von Augustus' Schwester Octavia.

Wenn man allerdings berücksichtigt, dass Verwandtschaften traditionell über die väterliche Linie vermittelt wurden, war kein Nachfolger von Augustus ein "echter" Julier, da er nur eine Tochter hatte - wobei Augustus selbst aber bekanntlich auch nur durch Adoption Julier war, wenngleich er über die weibliche Linie von den Juliern abstammte (seine Mutter Atia war die Tochter von Iulia, der Schwester Caesars).
Hingegen stammten Tiberius, Caligula und Claudius in männlicher Linie von den Claudiern ab.

Rechtlich gesehen hatte die Adoption aber ohnehin Vorrang vor der biologischen Abstammung.

Man kann es also drehen und wenden wie man will und so ziemlich je nach gusto argumentieren, wer wie "echt" Julier und/oder Claudier war ...
 
Wenn man allerdings berücksichtigt, dass Verwandtschaften traditionell über die väterliche Linie vermittelt wurden, war kein Nachfolger von Augustus ein "echter" Julier, da er nur eine Tochter hatte...

Ich denke, daß die Römer der mütterlichen Linie etwas mehr Bedeutung zumaßen, als das später üblich war.

Ich gebe zu bedenken, daß für die Frage des römischen Bürgerrechts (fast) immer die Mutter entscheidend war. Auch waren Römerinnen in Sachen eigenes Vermögen und Erbe nicht schlecht gestellt. Es sei denn, sie waren in manu verheiratet, was aber schon in der späten Republik unüblich wurde.

Also ich habe den Eindruck, daß es für die Römer kein Anlaß des Anstoßes war, wenn eine Blutlinie über die Tochter weitergeführt wurde. Weitere Kleinigkeiten konnte man einfachst durch Adoption ausbügeln. Aber jede römische Matrone von hohem Stand konnte Ursprung einer neuen Dynastie werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss wohl zwischen Bürgerrecht und Abstammung unterscheiden. Der Geschlechts- und der Familienname wurden vom Vater an den Sohn (sowie der Geschlechtsname in weiblicher Form als Vorname an die Tochter) weitergegeben, nicht von der Mutter.
Die Frau wiederum stand entweder unter einem pater familias oder für sich allein, wurde aber nicht selbst Familienoberhaupt.
 
Nur das Tiberius mit Augustus verwandt war. Das war bei Nerva nicht der Fall, als er Trajan adoptiert hat ("Wahl des Besten").

Laut meiner Dozentin können wir Nerva als "Lückenbüßer" betrachten, jedenfalls geht das Adoptivkaisertum letztendlich erst ab Trajan los - so ihre Aussage.

Schon Galba ernannte Calpurnius zum Mitkaiser, weswegen Otho usurpierte. Den Bürgerkrieg gewannen dann die Flavier, die es wieder dynastisch regelten. Das zeigt mir eine gewisse Kontinuität und System seit Augustus.

1. Ein Kaiser versuchte seine Nachfolge zu regeln, indem er einen Mitkaiser aufbaute. Das geschah nach (Schnell-)Durchlauf der Ämter über die Verleihung des imperium proconsulare und/oder der tribunicitas potestas.

2. Manche Kaiser glaubten wohl, sie seien noch zu jung, um zu sterben, und versäumten eine rechtzeitige Nachfolgregelung, womit sie das Reich an den Rand des Abgrunds brachten (Caligula, Nero, Domitian, Trajan, Commodus). Tiberius -> Caligula nenne ich hier nicht, aber das war sehr grenzwertig.

3. Wenn immer möglich, wurde der leibliche Sohn oder zumindest ein naher Verwandter inthronisiert; auch verstärkt durch Adoption.

4. Die glorreiche Zeit der Adoptivkaiser, in der sich angeblich die Wahl des "Optimus" durchgesetzt hatte, war vielleicht nur eine Mischung aus Propaganda, Zufall und historischer Verklärung.

Für mich stellt die Zeit von Nerva oder Trajan bis Mark Aurel staatstheoretisch keine Besonderheit dar. Das Modell war immer das Gleiche, um die 3 Säulen der Macht zu "vererben": imperium proconsulare, tribunicitas potestas, patrimonium caesaris. Was meinte eigentlich der große Staatstheoretiker Mommsen dazu?
 
Zuletzt bearbeitet:
Namen sind Schall und Rauch. Im Englischen nennt man die Epoche "The Good Emperors".
Und wie schon bemerkt, hat eigentlich schon Augustus das Adoptivkaisertum eingeführt.


In der Geschichte des römischen Prinzipats war eine Serie von 5 Caesaren, die allesamt eines natürlichen, nicht gewaltsamen Todes starben geradezu ungewöhnlich zu nennen.

Mit Nerva ging ein Kandidat auch wieder aus den Reihen des Senats hervor, und Trajan erfreute sich der Billigung und des Rückhaltes der Senatoren. Plinius der Jüngere verfasste einen Panegyricus auf den "Optimus Princeps". Hadrian dagegen, wäre, wenn es nach dem Willen des Senats gegangen wäre, der Damnatio memoria verfallen. Schon Hadrians Regierungsantritt war belastet, die Designation durch Trajan war fragwürdig gewesen, und Hadrians Gewährsmann in Rom hatte einige frondierende Generale Trajans exekutieren lassen. Gegen Commodus war die Opposition so groß, dass der Senat Spottmünzen prägen ließ.
 
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