Germanicus - Superstar der Antike?

salvus

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Bekanntlich gibt es im Museum Kalkriese noch bis zum 01.11.2015 eine Sonderausstellung "Germanicus: Feldherr, Priester, Superstar". Nun ist klar und auch überliefert, dass er natürlich Priester und auch Feldherr war - aber ein Superstar? Kann man ihn als einen solchen (wohl eher im modernen Sinne) bezeichnen?

Fakt ist, das Nero Claudius Drusus den gleichen Namen wie sein berühmter Vater trug. Den Ehrentitel Germanicus hat er geerbt und zwar von seinem Vater. Diesem wurde der Titel postum verliehen. Germanicus wurde auf Veranlassung von Augustus im Jahr 4 n.Chr. von Tiberius Caesar adoptiert. Und offenbar legte Germanicus eine rasante Karriere hin:

Schon frühzeitig durfte er die toga virilis tragen. Und schon fünf Jahre vor dem Mindestalter wurde er Quästor. Seine ersten militärischen Erfhrungen sammelte er (nicht sehr erfolgreich) im pannonischen Krieg unter Befehl des Tiberius. Nach der Varusniederlage stand er ebenfalls unter dem Kommando von Tiberius. Er erhielt auch u.a. seinen ersten Imperatorentitel in dieser Zeit. Im Jahr 12 n.Chr. war er Konsul in Rom. im Jahr 13 n.Chr. wurde er Statthalter am Rhein. Dann übernahm er schließlich das Kommando über die Legionen am Rhein und führte diese nach Germanien hinein um die Schmach der Varusniederlage zu tilgen und Germanien endgültig niederzuwerfen. Nun ist ein 8 Legionenheer zu dieser Zeit eine mächtige Armee gewesen an der im Laufe der weiteren Geschichte manch römischer Kaiser gescheitert ist. Aber trotz Revolte hielt Germanicus zu seinen (Stief-) Vater. Dies sollte man nicht unerwähnt lassen. Aber schon sein wirklich erster Germanienfeldzug 15 n.Chr. war nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Ein 4 Legionenheer unter Befehl seines Legaten Caecina wurde fast vernichtet. Und Germanicus selbst geriet mit seinen Truppen in eine Springflut.

Tiberius hätte den Feldzug wohl am liebsten abgebrochen. Er erliess einen Triumphalbeschluss für Germanicus. Dieser setzte allerdings den Feldzug 16 n.Chr. fort. Eine spannende Frage ist hier natürlich inwieweit Germanicus hier eigenmächtig gehandelt hat. Nach den Ereignissen 16 n. Chr war aber dann endgültig Schluss. Er bekam seinen Triumph, aber viele auch höhere Offiziere seiner Streitmacht wußten, daß die Germanen alles andere als besiegt waren. Offen bleibt natürlich auch die Frage nach germanischen Verlusten. Germanicus wollte einen weiteren Feldzug im Jahre 17 n.Chr. Ob die Germanen unter Führung des Arminius auch diesen überstanden hätten, bleibt Spekulation.

Ab 17 n.Chr. war Germanicus dann eher Diplomat auf seinen Reisen in die eher östlichen Provinzen. Insbesondere die Neubesetzung des armenischen Throns war eine heikle Aufgabe.Die Wege des Germanicus erscheinen heute ein wenig wirr. Er hat offensichtlich zahlreiche Abstecher unternommen. Erwähnt sei hier nur der "Abstecher" nach Ägypten, welcher bei Tiberius gelinde gesagt auf wenig Verständniss traf - es war Senatoren untersagt das Land ohne Genehmigung des Kaisers zu besuchen. Vielmehr war dieser eine Art Gesetzesverstoss. Ansonsten wurde Germanicus auf seiner Reise gen Osten teilweise begeistert empfangen und auch gefeiert.

Im Jahr 19 n.Chr. starb Germanicus schließlich - unter nie genau geklärten Umständen. Aus anfänglichen Gerüchten wurde Wahrheit. Sein Gegenspieler Piso wurde des Mordes bezichtigt. In Rom gab es wohl eine Art "Trauerhysterie" (Eck). In Rom wurde ein iustitium beschlossen. Dies bedeutete einen Stillstand aller öffentlicher Geschäfte. Es fanden auch keine Gerichtverhandlungen mehr statt. Es wurden Statuen und Ehrenbögen errichtet. Es soll sogar zu Selbstmorden unter der römischen Bevökerung gekommen sein. Werner Eck vergleicht die Hysterie um den Tod des Germanicus neuzeitlich mit dem Tod von vieleicht Lady Diana.

Allerdings glaubten auch viele Bürger Roms und auch Senatoren, dass der Germanicus Opfer eines Komplotts des Tiberius war. Verurteilt wurde aber Piso.

Im Endeffekt weiß man aber wohl garnicht was man glauben soll. Welche Rolle spielte Tiberius wirklich? War er nur eifersüchtig auf Germanicus? Oder war seine Entscheidung die Germanien Feldzüge abzubrechen wirlichen eine reine Kosten/Nutzen Abwägung? Wurde Germanicus schlichtweg überschätzt? Lebte er von der Reputation seines Vaters? Und wie muß man den Tacitus in dieser Frage bewerten? Er war es, der den jugendlichen Helden Germanicus gegenüber dem dunklen Herrscher Tiberius in strahlendem Licht erscheinen ließ.

Kann man Germanicus wirklich als "Superstar" (in seiner Zeit) bezeichnen?
 
Zuletzt bearbeitet:
(...)
Kann man Germanicus wirklich als "Superstar" (in seiner Zeit) bezeichnen?
@salvus : ich finde deine Fragestellung große klasse!

Germanicus als gehypte Identifikationsfigur, als quasi anti-Germanen-Alexander. Das bedeutet, dass Feldherr Germanicus zur Projektionsfläche von Wünschen und Erwartungen wird. Hier stellt sich die Frage: war das damals so? Ich neige dazu, die panegyrischen Ergüsse über Germanicus in diese Richtung zu deuten, was das propagandistische Germanicus-Bild betrifft. "Germanicus, das zum Alexander stilisierte Erfolgsbild" als plakativer Inhalt.

Aber in dieser (meiner) absichtlich überspitzten Form der Darstellung gibt es zwei Probleme: erstens ist die implizite Wertung der verwendeten Begriffe heutig und also nicht römisch-antik, zweitens muss die Germanicus-Panegyrik, so lückenhaft sie auch überliefert ist, kritisch hinterfragt werden.

Letztlich setzte sich der pragmatische Tiberius durch, und das so erfolgreich, dass er sich einen für römische Kaiser höchst ungewöhnlichen luxuriösen Ruhestand auf Capri gönnen konnte (!) -- da stellt sich nachträglich die Frage, ob die überlieferte Germanicus-Panegyrik nicht eine Art Opposition gegen Tiberius andeutungsweise überliefert.
 
Ich gehe mal davon aus, dass der Titel des Threads nicht so ganz ernst gemeint ist.

Ich bin ehrlich gesagt, gespalten. Einerseits finde ich es gut, denn wie ich vermute, wird schon der Titel viele Forianer motivieren, Kommentare und Beiträge zu schreiben, und das Ganze verspricht, eine gute Diskussion zu werden, mit Beiträgen, die einen Erkenntnisgewinn haben.


Andererseits finde ich den Titel schlecht, eigentlich sogar unmöglich, und zwar aus folgenden Gründen.

1. Was ist überhaubt ein Star oder ein Superstar? Heute sind künstlich gehypte Eintagsfliegen schon Superstars, die in den 70er und 80ern nicht mal durchs Testbild hätten laufen dürfen.
2. Die inflationäre Verwendung von Superstars in der recht gleichgeschalteten deutschen Presse- und Fernsehlandschaft ist meiner Meinung nach ein Anzeichen von entsetzlicher Kreativlosigkeit und geistiger wie sprachlicher Armut. Guter Journalismus und intelligent gemachte Unterhaltung ist zu einem Seltenheitswert geworden, und das Trashniveau und der reißerische Stil und die glatte, bis zur Unkenntlichkeit glatt gebügelte Hofberichterstattung des Boulevardjournalismus macht sich auch in der politischen Berichterstattung breit und wird von vielen nachgeahmt.


Als deutschsprachige Internetcommunity sollten wir das nicht nachahmen.
 
Bekanntlich gibt es im Museum Kalkriese noch bis zum 01.11.2015 eine Sonderausstellung "Germanicus: Feldherr, Priester, Superstar". Nun ist klar und auch überliefert, dass er natürlich Priester und auch Feldherr war - aber ein Superstar? Kann man ihn als einen solchen (wohl eher im modernen Sinne) bezeichnen?
Der Titel "Germanicus: Feldherr, Priester, Superstar" klingt halt einfach ansprechender als ein nüchternes "Germanicus: Feldherr, Priester", insofern würde ich mir nicht so viele Gedanken machen über die Berechtigung der Bezeichnung. Das ist PR, keine wissenschaftliche Bewertung.

Wenn schon, dann ist er wohl nur im heutigen (West-)Deutschland ein Superstar, und da auch nur unter an der römischen Vergangenheit Interessierten. Man muss sich nur seine Präsenz in diesem Forum anschauen: Etwa die Hälfte aller Diskussionen zum Bereich Antike drehen sich um Varus oder Germanicus und ihre Feldzüge sowie Hinterlassenschaften. Für mich als Österreicher ist es schon nicht mehr wirklich nachvollziehbar, wie verbissen hier mitunter wochenlang diskutiert wird, ob irgendein Loch im Boden ein Überbleibsel eines Marschlagers des Germanicus ist. Die Beschäftigung mit Tacitus scheint sich für die meisten auch auf die Teile der "Annales", die sich mit Germanicus' Feldzügen beschäftigen, sowie die "Germania" zu beschränken.
Das ist natürlich alles Interessens- und Geschmackssache; jeder wie er will. Aber ein "Superstar" ist Germanicus wohl allemal für diejenigen, die sich ohnehin intensiv mit ihm als Teil der römischen Vergangenheit Deutschlands beschäftigen - für sie ist er natürlich eine zentrale Gestalt. Für den Rest der (europäischen) Menschheit hingegen ist er vermutlich nur jemand, von dem sie eventuell mal im Geschichtsunterricht gehört haben (wenn überhaupt) und den sie dann gleich wieder vergessen haben. Keinesfalls hat er den Stellenwert und Bekanntheitsgrad eines Alexander, Hannibal, Caesar, Attila, Dschingis Khan, Napoleon etc.- also von Leuten, die wohl allgemein bekannt sind. Sie sind echte "Superstars", nicht Germanicus. (Man denke bloß daran, wie viele Filme und Serien schon über Leute wie die genannten gedreht und literarische Werke geschrieben wurden und wie viele über Germanicus.)

Bleibt die Frage, ob er für die Römer ein "Superstar" war. Für seine Zeitgenossen vielleicht - aber primär wohl als Kontrastfigur zum unbeliebten, eher düsteren und unnahbaren Tiberius, weniger aufgrund seiner eigenen Verdienste. Germanicus kam wohl auch zugute, dass er - vor allem im Vergleich zu Tiberius - noch relativ jung war. Viele Menschen verspüren eine Faszination für "junge Helden", und als Hoffnungsträger taugen Jüngere ohnehin allemal mehr als Ältere. Dazu auch noch sein Tod in jungen Jahren - man denke nur daran, welche Faszination heute noch von jung gestorbenen Popstars (wie dem legendären "Club der 27") ausgeht. Caligula zehrte noch von der Popularität seines Vaters und förderte sie auch bewusst (z. B. ließ er den Monat September in "Germanicus" umbenennen).
Aber später? Gepriesen wurde Germanicus noch von Historikern wie Tacitus, die sich mit der Geschichte der frühen Kaiserzeit beschäftigten, doch sonst? Generell scheint er kein besonderes Nachleben gehabt zu haben. Über Leute wie Alexander, Hannibal oder Caesar (aber auch Brutus) wurden in der Antike noch jahrhundertelang Biographien, Epen und Abhandlungen verfasst. Bei Germanicus hingegen wird nur spekuliert, dass ein (wenn, dann vermutlich zeitnah entstandenes, jedenfalls aber verlorenes und nicht weiter rezipiertes) Epos über seine Germanienfeldzüge eine Quelle für Tacitus gewesen sein könnte, aber auch das ist nur Spekulation. Das Interesse an ihm scheint also doch relativ bald nach seinem Tod erloschen zu sein. Ein echter "Superstar" sieht anders aus.

Lebte er von der Reputation seines Vaters?
Die Reputation des Drusus erachte ich nicht als so wichtig, eher den Kontrast zu Tiberius und dass er als Hoffnungsträger für alle, die Tiberius nicht mochten, fungierte. Letzterer Aspekt konnte durchaus über seinen Tod hinauswirken: "Was hätte alles werden können, wenn er länger gelebt hätte und Kaiser worden wäre", mag sich noch nach seinem Tod so mancher Römer gedacht haben.

Und wie muß man den Tacitus in dieser Frage bewerten? Er war es, der den jugendlichen Helden Germanicus gegenüber dem dunklen Herrscher Tiberius in strahlendem Licht erscheinen ließ.
Das kann man nicht Tacitus allein anlasten. Auch Sueton singt zu Beginn seiner Caligula-Biographie ein Loblied auf Germanicus.
 
Bekanntlich gibt es im Museum Kalkriese noch bis zum 01.11.2015 eine Sonderausstellung "Germanicus: Feldherr, Priester, Superstar". Nun ist klar und auch überliefert, dass er natürlich Priester und auch Feldherr war - aber ein Superstar? Kann man ihn als einen solchen (wohl eher im modernen Sinne) bezeichnen?

Fakt ist, das Nero Claudius Drusus den gleichen Namen wie sein berühmter Vater trug. Den Ehrentitel Germanicus hat er geerbt und zwar von seinem Vater. Diesem wurde der Titel postum verliehen. Germanicus wurde auf Veranlassung von Augustus im Jahr 4 n.Chr. von Tiberius Caesar adoptiert. Und offenbar legte Germanicus eine rasante Karriere hin:

Schon frühzeitig durfte er die toga virilis tragen. Und schon fünf Jahre vor dem Mindestalter wurde er Quästor. Seine ersten militärischen Erfhrungen sammelte er (nicht sehr erfolgreich) im pannonischen Krieg unter Befehl des Tiberius. Nach der Varusniederlage stand er ebenfalls unter dem Kommando von Tiberius. Er erhielt auch u.a. seinen ersten Imperatorentitel in dieser Zeit. Im Jahr 12 n.Chr. war er Konsul in Rom. im Jahr 13 n.Chr. wurde er Statthalter am Rhein. Dann übernahm er schließlich das Kommando über die Legionen am Rhein und führte diese nach Germanien hinein um die Schmach der Varusniederlage zu tilgen und Germanien endgültig niederzuwerfen. Nun ist ein 8 Legionenheer zu dieser Zeit eine mächtige Armee gewesen an der im Laufe der weiteren Geschichte manch römischer Kaiser gescheitert ist. Aber trotz Revolte hielt Germanicus zu seinen (Stief-) Vater. Dies sollte man nicht unerwähnt lassen. Aber schon sein wirklich erster Germanienfeldzug 15 n.Chr. war nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Ein 4 Legionenheer unter Befehl seines Legaten Caecina wurde fast vernichtet. Und Germanicus selbst geriet mit seinen Truppen in eine Springflut.

Tiberius hätte den Feldzug wohl am liebsten abgebrochen. Er erliess einen Triumphalbeschluss für Germanicus. Dieser setzte allerdings den Feldzug 16 n.Chr. fort. Eine spannende Frage ist hier natürlich inwieweit Germanicus hier eigenmächtig gehandelt hat. Nach den Ereignissen 16 n. Chr war aber dann endgültig Schluss. Er bekam seinen Triumph, aber viele auch höhere Offiziere seiner Streitmacht wußten, daß die Germanen alles andere als besiegt waren. Offen bleibt natürlich auch die Frage nach germanischen Verlusten. Germanicus wollte einen weiteren Feldzug im Jahre 17 n.Chr. Ob die Germanen unter Führung des Arminius auch diesen überstanden hätten, bleibt Spekulation.

Ab 17 n.Chr. war Germanicus dann eher Diplomat auf seinen Reisen in die eher östlichen Provinzen. Insbesondere die Neubesetzung des armenischen Throns war eine heikle Aufgabe.Die Wege des Germanicus erscheinen heute ein wenig wirr. Er hat offensichtlich zahlreiche Abstecher unternommen. Erwähnt sei hier nur der "Abstecher" nach Ägypten, welcher bei Tiberius gelinde gesagt auf wenig Verständniss traf - es war Senatoren untersagt das Land ohne Genehmigung des Kaisers zu besuchen. Vielmehr war dieser eine Art Gesetzesverstoss. Ansonsten wurde Germanicus auf seiner Reise gen Osten teilweise begeistert empfangen und auch gefeiert.

Im Jahr 19 n.Chr. starb Germanicus schließlich - unter nie genau geklärten Umständen. Aus anfänglichen Gerüchten wurde Wahrheit. Sein Gegenspieler Piso wurde des Mordes bezichtigt. In Rom gab es wohl eine Art "Trauerhysterie" (Eck). In Rom wurde ein iustitium beschlossen. Dies bedeutete einen Stillstand aller öffentlicher Geschäfte. Es fanden auch keine Gerichtverhandlungen mehr statt. Es wurden Statuen und Ehrenbögen errichtet. Es soll sogar zu Selbstmorden unter der römischen Bevökerung gekommen sein. Werner Eck vergleicht die Hysterie um den Tod des Germanicus neuzeitlich mit dem Tod von vieleicht Lady Diana.

Allerdings glaubten auch viele Bürger Roms und auch Senatoren, dass der Germanicus Opfer eines Komplotts des Tiberius war. Verurteilt wurde aber Piso.

Im Endeffekt weiß man aber wohl garnicht was man glauben soll. Welche Rolle spielte Tiberius wirklich? War er nur eifersüchtig auf Germanicus? Oder war seine Entscheidung die Germanien Feldzüge abzubrechen wirlichen eine reine Kosten/Nutzen Abwägung? Wurde Germanicus schlichtweg überschätzt? Lebte er von der Reputation seines Vaters? Und wie muß man den Tacitus in dieser Frage bewerten? Er war es, der den jugendlichen Helden Germanicus gegenüber dem dunklen Herrscher Tiberius in strahlendem Licht erscheinen ließ.

Kann man Germanicus wirklich als "Superstar" (in seiner Zeit) bezeichnen?


Er war auf jeden Fall ein Hoffnungsträger, auf den ungeheuer hohe Erwartungen projiziert wurden. Ob er denen als Princeps überhaupt hätte gerecht werden können, ist eine andere Frage. Augustus hat ihn Tiberius aufs Auge gedrückt, und jeder wusste, dass Augustus nicht viel von Tiberius gehalten hatte und er nur Thronfolger wurde, weil alle anderen Prätendenten weggestarben oder weggestorben wurden wie gemunkelt wurde.

Stoff für Konflikte war reichlich vorhanden, besonders mit der älteren Agrippina, die gerne betonte, dass sie Augustus Enkelin war, hat sich Tiberius anscheinend überhaupt nicht gut verstanden. Auf seinen Neffen und Adoptivsohn Germanicus konnte Tiberius sich in heiklen Situationen eigentlich immer verlassen. Die Meutereien und Rebellionen der Rheinarmee hatte Germanicus beendet und sich gegenüber seinem Onkel Tiberius loyal verhalten. Tiberius, das haben selbst Biographen zugegeben, die wie Sueton, ein düsteres Bild des Tiberius überlieferten, hat sich um das Wohl des Imperiums und der Provinzen zumindest bevor er sich in den Vorruhestand nach Capri zurückzog ernst- und gewissenhaft gekümmert, und kaum jemand kannte Germanien so gut wie Tiberius, der sich auf diesem Kriegsschauplatz ausgezeichnet hatte.

Die Entscheidung, sich mit der Rheingrenze zu begnügen, nachdem das Prestige der römischen Armee wiederhergestellt und zwei der drei verlorenen Legionsadler zurückerobert wurden, war vermutlich ein ebenso pragmatischer wie vernünftiger Entschluss Tiberius. Die Feldzüge Germanicus waren mit Verlusten verbunden, und es gab im Grunde genommen in der Germania libera nichts zu holen, was gelohnt hätte, fast ein Drittel der römischen Armee mehrere Jahre in Germanien zu stationieren. Die logistischen Schwierigkeiten wuchsen, je weiter sich die Römer vom Rhein entfernten. Vor allem hatten die Erfolge der Römer unter Drusus dem Älteren und Tiberius zu einer Fluktuation germanischer Stämme in Richtung Donau geführt, die bekanntesten dürften die Markomannen sein, die in Mainfranken ansässig waren, bevor sie nach Böhmen abwanderten, wo Marbod sich eine Machtbasis aufbaute. Das sorgte für eine politisch und ethologisch neue Lage.

Der Vorstoß der Römer in die östliche Germania Libera wurde durch den pannonischen Aufstand gestört, ein erneuter Versuch, die Grenzen des Imperiums bis zur Elbe oder bis Weser zur vorzuschieben, war nach der Niederlage Varus und dem Untergang der Rheinarmee im Jahre 9 n Chr. mit viel größeren Schwierigkeiten und Risiken verbunden, als sie sich in den Jahren 12-9 v. Chr stellten. Dabei ist nicht einmal sicher, ob die Ausdehnung bis zu einer Elbe-Sudeten-Donaulinie wirklich so auf der Agenda der augusteischen Germanienpolitik stand. Es ist durchaus möglich, dass die Elbgrenze eher als Vorfeld, als Glacis des Imperium Romanums geplant war, das sich indirekt durch romfreundliche Klientelfürsten und kleinere Vexillationes-Verbände aus Hilfstruppen unter dem Kommando römischer Offiziere leichter kontrollieren und im römischen Sinne befrieden ließ, als eine tributpflichtige Provinz, für die das administrative Personal erst bereitgestellt werden musste.

Ob sich Tiberius aber wirklich auf einen Rat/Befehl des Augustus berufen konnte, wie er behauptete, die Grenzen des Imperiums nicht weiter auszudehnen, erscheint mir zweifelhaft. Zumindest die Eroberung Britanniens scheint mittel- oder langfristig schon Augustus ins Auge gefasst zu haben.
 
Liebe Leute,

natürlich ist die Überschrift hier durchaus provokant.
Und natürlich stammt sie nicht von mir.
Genau so war die Überschrift zur Sonderausstellung in Kalkriese.
Und meiner Meinung nach war sie auch richtig gewählt.
Wir hier - jetzt einmal ganz allgemein - sind das Volk der Varusschlacht. Alles konzentriert sich auf dieses Ereignis. Einige meinen sogar, daß diese Schlacht ein Wendepunkt der Geschichte war. Ein Wendepunkt war sicherlich nicht diese Schlacht, sondern eher die Feldzüge des Germanicus. Insbesondere die Entscheidung des Tiberius genau diese Feldzüge abzubrechen. Nur weiß die breite Öffentlichkeit dies nicht. Jeder weiß mit der Varusschlacht etwas anzufangen - aber mit den Germanicusfeldzügen?
Ich kann den Machern der Sonderausstellung in Kalkriese hinsichtlich des "Superstars" keinen Vorwurf machen. Gilt es doch klarzumachen, daß es auch ein "Leben nach der Varusschlacht" gab. Und zwar zu recht!

Und die Frage nach dem "Superstar" (ich benutze hier Anführungsstriche:still:) stellt sich eigentlich nicht modernzeitlich, sondern für die Antike. Im Ausgangsbeitrag habe ich schon diverse Fragen gestellt. Diese will ich nicht wiederholen.

Interessant ist aber auch:
Germanicus war wohl der logische Nachfolger des Tiberius. Und viele römische Bürger hatten große Hoffnungen - in Person des Gemanicus.

Er konnte diese Erwartungen nie erfüllen.
Denn er starb zu früh!

Also ein Hoffnungsträger der zu früh starb.
Vieleicht ein Indiz für seine Popularität.

Die Hoffnungen der Römer konnte er nicht erfüllen.
Die Erwartungen an Germanicus waren hoch. Aber durch seinen Tod konnten sich diese nicht erfüllen.
Wohl der Stoff aus dem Helden geboren werden.

Oder?
 
Oder gerade durch das frühe Ende wurde er zum Superstar. Weil man nun wusste das er zwar die Erwartungen nicht mehr erfüllen konnte, aber auf der anderen Seite auch die hohen Erwartungen nicht mehr enttäuschen konnte. Sodas er im Nachhinein sogar besser erschien wie er war. Und sein "Starmythos" dadurch quasi eine japanische Kirschblüte war. Gegen Cäsar und seine legendären Feldzüge konnte er ja nicht anstinken.

Apvar
 
Wir hier - jetzt einmal ganz allgemein - sind das Volk der Varusschlacht. Alles konzentriert sich auf dieses Ereignis. Einige meinen sogar, daß diese Schlacht ein Wendepunkt der Geschichte war. Ein Wendepunkt war sicherlich nicht diese Schlacht, sondern eher die Feldzüge des Germanicus. Insbesondere die Entscheidung des Tiberius genau diese Feldzüge abzubrechen.
Das sehe ich nicht so. Vor der Varusschlacht scheinen die Römer die Stämme in ihrem Machtbereich einigermaßen im Griff gehabt zu haben. (Die Quellen berichten übereinstimmend, dass Varus schon wie ein "ziviler" Statthalter agieren konnte.) Damit war nach der Varusschlacht Schluss: Die römische Herrschaft brach zusammen und konnte nie wieder wirklich hergestellt werden. Die folgenden Feldzüge von Tiberius und Germanicus konnten daran nichts mehr ändern. Ob sich etwas geändert hätte, wenn Germanicus nicht abberufen worden wäre, erscheint überaus fraglich.

Und viele römische Bürger hatten große Hoffnungen - in Person des Gemanicus.

Er konnte diese Erwartungen nie erfüllen.
Denn er starb zu früh!

Also ein Hoffnungsträger der zu früh starb.
Vieleicht ein Indiz für seine Popularität.

Die Hoffnungen der Römer konnte er nicht erfüllen.
Die Erwartungen an Germanicus waren hoch. Aber durch seinen Tod konnten sich diese nicht erfüllen.
Wohl der Stoff aus dem Helden geboren werden.
In der Tat stellt sich die Frage, wie populär Germanicus bereits zu Lebzeiten wirklich war. Zeitgenössische Zeugnisse aus der Zeit vor seinem Tod sind Mangelware. Zu nennen wären insbesondere Ovids Epistulae ex Ponto, aber darin hat er jeder halbwegs einflussreichen Persönlichkeit geschmeichelt, von der er sich Unterstützung für seine Rückberufung aus dem Exil erhoffte. Ansonsten kann man nur z. B. aus den Vorgängen bei der Meuterei nach Tiberius' Regierungsantritt gewisse Rückschlüsse ziehen.
Es ist jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass eine Person erst durch ihren (unerwarteten frühen) Tod so richtig populär wird. Dazu passt auch die "Trauerhysterie" in Deinem Eingangsbeitrag.
 
In der Tat stellt sich die Frage, wie populär Germanicus bereits zu Lebzeiten wirklich war. Zeitgenössische Zeugnisse aus der Zeit vor seinem Tod sind Mangelware. Zu nennen wären insbesondere Ovids Epistulae ex Ponto, aber darin hat er jeder halbwegs einflussreichen Persönlichkeit geschmeichelt, von der er sich Unterstützung für seine Rückberufung aus dem Exil erhoffte. Ansonsten kann man nur z. B. aus den Vorgängen bei der Meuterei nach Tiberius' Regierungsantritt gewisse Rückschlüsse ziehen.

Zumindest bei seinen Soldaten scheint er trotz der Härte bei den Meutereien beliebt gewesen zu sein. Man denke auch an seinen Sohn, der unter den Soldaten (zeitweise) aufwuchs.

Es ist jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass eine Person erst durch ihren (unerwarteten frühen) Tod so richtig populär wird. Dazu passt auch die "Trauerhysterie" in Deinem Eingangsbeitrag.
Und wenn es dann noch heißt, dass derjenige aus dem Weg geräumt wurde, dann steigen die Sympathien i.d.R. noch ein wenig mehr, unabhängig davon ob er sie verdient hat oder nicht.
 
In der Tat stellt sich die Frage, wie populär Germanicus bereits zu Lebzeiten wirklich war.

Über den Thread "Römische (flavische) Munizipalgesetze auf dem Acker" bin ich auf das Senatus consultum de Cn. Pisone zu dem Prozess gegen Piso wegen des Mordvorwurfs an Germanicus gestoßen. Ich habe da heute Morgen bislang nur etwas Quergelesen.
Fernandez, Caballos, Eck (1999) gehen entlang der Fundlage von Bronzetafeln in der Baetica davon aus, dass zumindest diese Provinz regelrecht mit diesem Senatus consultum zugepflastert gewesen sein dürfte. Sie stellen ebenso fest, dass es keinerlei signifikanten Hinweise dafür gibt, dass die Baetica besondere Bezüge weder zur Person des Germanicus noch zu der des Piso gehabt haben dürfte. Vielmehr suchen sie einen Erklärungsansatz für diese Überlieferungssituation in der Person des für die Publikmachung verantwortlichen damaligen Statthalters der Baetica. (S. 279ff)

https://books.google.de/books?id=_m...nandez caballos eck bronzetafeln piso&f=false

Eine Frage: War es in tiberischer Zeit üblich dem Senatus consultum de Cn. Piso vergleichbare Sachverhalte via Anordnung imperiumsweit bis auf munizipale Ebene publik zu machen?

Sollte dem nicht so sein, wäre daraus vielleicht ableitbar, dass die Motivation zur Veröffentlichung des Prozessergebnisses im Fall Piso seitens der agierenden politischen Eliten auch darin begründet gewesen sein könnte, weil davon ausgegangen werden musste, dass der Ottonormalo in tiefster Provinz ganz im besonderen am Fall Germanicus/Piso lebhaft Anteil genommen hat?

Ich weiß, das ist jetzt mächtig spekulativ, aber wie seht ihr das:
Hat ein andalusischer Schmied, Bauer oder Tavernenbesitzer, der sich vielleicht ohnehin erst mal einen des Lesens kundigen Mitbürger organisieren musste, sich am Kopfe kratzend gefragt, von wem da auf dieser Bronzetafel überhaupt die Rede ist?
Oder war er womöglich "starkultig" beeinflusst und höchst erfreut zu lesen, dass da ein fieser Bösewicht (Piso) für das Fällen der Ikone (Germanicus) allabendlicher Stammtischgespräche belangt wurde?
 
Zuletzt bearbeitet:
Und die Frage nach dem "Superstar" (ich benutze hier Anführungsstriche:still:) stellt sich eigentlich nicht modernzeitlich, sondern für die Antike.
Zwar kannte die Antike das Wort "Superstar" nicht, aber das Bild vom früh vollendeten, den Freund Hein egal auf welche Weise vor oder in den besten Jahren einkassiert, ist eine Erfindung der griech.-röm. Antike. Das Vorbild hierfür bot unzweifelhaft Alexander der Große.
Und rhetorisch bestens geschult, vermochten antike Schreiber/Redner/Panegyriker mit derartigen Bildern effektvoll umzugehen, sei es um zu überzeugen, sei es um zu überreden...
Da reden oder schreiben (publizieren) immer eine Intention hatte, kann das übertriebene post mortem Lob als versteckte Kritik an Tiberius betrachtet werden.
 
Zumindest bei seinen Soldaten scheint er trotz der Härte bei den Meutereien beliebt gewesen zu sein. Man denke auch an seinen Sohn, der unter den Soldaten (zeitweise) aufwuchs.
Kann sein, muss aber nicht. Wie jemand mit Untergebenen umgeht und wie ihr Verhältnis zueinander präsentiert wird, ist zumindest zum Teil auch immer Inszenierung.

Wieviel Rückhalt ein Feldherr bei seinen Soldaten wirklich hat, zeigt sich vor allem in Bürgerkriegen: Halten sie zu ihm auch in ungünstigen Situationen? Folgen sie ihm auch gegen legitime Autoritäten? Oder laufen sie zum Gegner über oder ermorden ihn sogar? Zu einer derartigen Bewährungsprobe kam es bei Germanicus nicht.

Sollte dem nicht so sein, wäre daraus vielleicht ableitbar, dass die Motivation zur Veröffentlichung des Prozessergebnisses im Fall Piso seitens der agierenden politischen Eliten auch darin begründet gewesen sein könnte, weil davon ausgegangen werden musste, dass der Ottonormalo in tiefster Provinz ganz im besonderen am Fall Germanicus/Piso lebhaft Anteil genommen hat?

Ich weiß, das ist jetzt mächtig spekulativ, aber wie seht ihr das:
Hat ein andalusischer Schmied, Bauer oder Tavernenbesitzer, der sich vielleicht ohnehin erst mal einen des Lesens kundigen Mitbürger organisieren musste, sich am Kopfe kratzend gefragt, von wem da auf dieser Bronzetafel überhaupt die Rede ist?
Oder war er womöglich "starkultig" beeinflusst und höchst erfreut zu lesen, dass da ein fieser Bösewicht (Piso) für das Fällen der Ikone (Germanicus) allabendlicher Stammtischgespräche belangt wurde?
Wie verbreitet irgendetwas - seien es Inschriften, Statuen, was auch immer - in Rom oder der Provinz war, hatte nicht unbedingt damit zu tun, wie wichtig die Angelegenheit war oder wie sehr sie die Menschen eigentlich interessierte. Was wo veröffentlicht oder errichtet wurde, war primär eine politische Entscheidung, die entweder "oben" (vor allem aus propagandistischen Gründen) getroffen wurde oder auch auf lokaler/regionaler Ebene, um sich ins rechte Licht zu setzen. (Daran hat sich eigentlich bis heute nichts geändert: Nach wem Straßen benannt - und gegebenenfalls umbenannt - werden, für wen wo Denkmäler aufgestellt - oder wieder entfernt - werden, etc. - das alles wird über die Köpfe der Anrainer oder sonstwie Betroffenen hinweg entschieden.) Bei nächstbester Gelegenheit (z. B. nach einem Machtwechsel, wenn die Erinnerung an den soeben noch Geehrten inopportun wurde, oder auch einfach weil es keinen Vorteil mehr brachte, irgendjemanden oder -etwas zu würdigen) konnte alles genauso schnell wieder verschwinden. Rückschlüsse auf Interesse und Einstellung von Otto Normalrömer kann man daraus nicht ziehen.
 
Bei den Griechen und Römern war es ja z.B. üblich Gesetzestafeln aufzustellen, wir wissen aber auch von Graffiti (etwa aus Pompei) und erhaltenen Briefen (Vindolanda, Hadrianswall; ägyptische Papyri), dass es in der römischen Antike eine sehr hohe Literalität jenseits des Gelehrtentums gab. Und die Baetica war eine der am romanisiertesten Provinzen in augusteisch-tiberischer Zeit. Germanicus war dort natürlich bekannt. Nach dem frühen Tod der Augustus-Enkel Gaius und Lucius war er zum Nach-Nachfolger gekürt. Einen Nachruf auf ihn hat man in der Baetica gefunden, nahe Sevilla: Die Tabula Siarensis. Darin wird geschildet, dass er die Germanen besiegt und die durch Verrat verlorenen Feldzeichen zurückerlangt habe und die Germanen von Gallien entfernte. Das war die offizielle senatorische Sicht um 20 n. Chr.
 
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