Italien im Römischen Reich

Ler Nender

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Bei Wiki lese ich: Italien war vor mindestens 1,3 Millionen Jahren... und fortan wird im Artikel unter Geschichte Italien erwähnt. Seit wann aber gab es dieses Italien als politische Einheit und wie bedeutend oder auch unbedeutend war ein Italien im Römischen Reich?
 
Das kommt darauf an, was du unter "politischer Einheit" verstehst. Je nachdem existierte etwas Ähnliches wie Italien zur Römerzeit als solche politische Einheit oder auch nicht.

Einen Verwaltungsbezirk, ähnlich wie eine Provinz, der das heutige Italien umfasste, gab es in diesem Sinne nie im römischen Reich. Nachdem Julius Caesar der Cisalpina das Bürgerrecht verliehen hatte, kann man von einer geographischen Deckungsgleichheit dieses Rechtsraumes mit dem späteren Italien sprechen. Das wäre für mich der früheste Zeitpunkt.

Allerdings war Italien eine Ansammlung unabhängiger Städte (ius italicum) dessen wenige überregionale Fragen direkt vom Magistrat und Senat der Reichszentrale in Rom geregelt wurden. Eine "politische Einheit" ist das nach meinem Verständnis eher nicht. Es gab etwa nie eine italische Regierung oder Magistrate die für Italien als Ganzes und nur dafür zuständig gewesen wären.

Mit dem Untergang des Römischen Reiches, nach der Machtübernahme durch den Ostgoten Odoaker, könnte man allerdings von einer politischen Einheit Italien sprechen.
 
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Somit war ein Venezianer oder Sizilianer im Römischen Reich eher Römer als Italiener? Ich meine damit, unabhängig der Enfernung vom damaligen Machtzentrum sah man sich demnach als Römer. Denn wenn man heute vom "alten Rom" spricht, meint man das Reich in seiner jeweiligen Ausdehnung. Vielleicht gab es aber auch die doppelte Identität: "Ich bin Venezianer und Römer".
 
Ja man verstand sich als Römer und Bürger einer Stadt, aber nicht als Italiener. Egal ob in Brundisium, Capua, in der Colonia Aggripina oder im wiedergegründeten Karthago. Es gab m.E. keine italische politische Identität. Venedig hat wohl noch nicht existiert zur Römerzeit. Oder war es Ravenna?

Mit dem Bürgerrecht für die Provinz Sicilia ist das so eine Sache. Unklar wann dieses endgültig und dauerhaft eingerichtet wurde. Und andere Provinzen bekamen dieses Recht auch lange vor Caracalla. Ganz Spanien unter Vespasian, Africa unter Severus u.s.w.
Aber nur nach latinischem Recht. Das ist nicht das volle Bürgerrecht. Sizilien würde ich daher nicht als Teil Italiens betrachten als Römer. Wenn es denn für einen Römer so etwas wie Italien ausserhalb einer geographischen Betrachtung überhaupt gab.
 
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Bildhaft für die nichtvorhandene Einheit "Italiens" ist auch das Geschehen nach dem Zerfall des römischen Reiches: einzelne Stadtstaaten errangen die Oberhand, zum Teil mit republikanischen Verfassungen, eigentlich gelang es bis zur Einigung durch Cavour/Garibaldi nicht mehr, Italien zu einem homogenen Flächenstaat zu machen (und die Bestrebungen von Norditalien/Venetien zeigen, dass der heute noch weitaus lockerer zusammenhängt als die BRD).
 
Mit dem Untergang des Römischen Reiches, nach der Machtübernahme durch den Ostgoten Odoaker, könnte man allerdings von einer politischen Einheit Italien sprechen.
In gewisser Weise könnte man wohl bereits die unter Diokletian errichtete Diözese Italien als politische Einheit betrachten. Alllerdings umfasste sie neben der Halbinsel auch Rätien, Sardinien, Korsika und Sizilien. Aber jetzt war Italien eine Verwaltungseinheit wie die anderen Diözesen im Reich auch. Allerdings wurde die Diözese Italien später in zwei Diözesen geteilt, in Italia suburbicaria und Italia annonaria.

Somit war ein Venezianer oder Sizilianer im Römischen Reich eher Römer als Italiener?
Venedig wurde erst während der Völkerwanderungszeit von Flüchtlingen gegründet. Sizilien war eine Provinz und als solche kein Teil von Italien, nicht einmal des geographischen Italien; darunter verstand man in der Antike nur die Halbinsel selbst.

Venedig hat wohl noch nicht existiert zur Römerzeit. Oder war es Ravenna?
Ravenna existierte bereits zur Zeit der Republik.
 
Bildhaft für die nichtvorhandene Einheit "Italiens" ist auch das Geschehen nach dem Zerfall des römischen Reiches: einzelne Stadtstaaten errangen die Oberhand, (...)
übergehst du da nicht die ostgotische und später langobardische Fremdherrschaft, das Herzogtum Benevent, die byzantinischen Exarchate usw.?

gefragt war hier nach Italien im römischen Reich - was spricht eigentlich dagegen, den italienischen Stiefel allerspätestens mit Beginn der römischen Kaiserzeit als das Kernland des röm. Imperiums zu bezeichnen?
 
Nichts - nur dass der italienische Stiefel keine politische Einheit war, und nach der hat der Threadersteller gefragt. Man könnte sagen, Italien war das Gebiet, das zu keiner Provinz gehörte. Es hatte weder einen Statthalter noch eine Art Landtag wie viele Provinzen, auch keinen Städtebund. Agricola hat es gut auf den Punkt gebracht: Italien war eine Ansammlung autonomer Städte ohne übergeordnete Organisation.
 
Nichts - nur dass der italienische Stiefel keine politische Einheit war, und nach der hat der Threadersteller gefragt. (...) Agricola hat es gut auf den Punkt gebracht: Italien war eine Ansammlung autonomer Städte ohne übergeordnete Organisation.
vielleicht bin ich blind, aber eine signifikante Uneinigkeit kann ich da in der römischen Kaiserzeit nun auch nicht sehen - mir fällt gerade ein: waren nicht einige recht große Gebiete Italiens kaiserliche Domänen?
 
Uneinigkeit sehe ich auch nicht, aber eben auch keine politische Einheit.

Italien wurde von Augustus in 11 Regionen eingeteilt, ohne übergeordnete Struktur. Die gab es erst mit der Errichtung der Diözese Italien.
 
Italien wurde von Augustus in 11 Regionen eingeteilt, ohne übergeordnete Struktur. Die gab es erst mit der Errichtung der Diözese Italien.

Aber auch die Diozösen des Diokletian waren kaum geeignet irgendeine politische Identität zu stiften. Die Diozöse war nicht dazu gedacht exekutive Gewalt auszuüben, geschweige denn legislative. Sie spielte in der Administration des späten Imperiums gegenüber der Provinz und der Praefectur eine eher untergeordnete Rolle. Die Diozöse war eher eine schlanke Kontroll- und Appellationsinstanz. Und selbst als Solche hat sie wohl eher leidlich funktioniert.

Und wie du schon bemerkt hast, war die Diozöse Italia nicht deckungsgleich mit Italien; zeitweise gab es sogar 2 Diozösen auf dem Gebiet Italiens.

Selbst die Provinz war nach gängiger Meinung nie wirklich identitätstiftend. Man verstand sich als Bürger einer Stadt oder eines Stammes und ggf. als Römer oder Bürger des Reiches. Aber kaum Jemand verstand sich als Bürger einer Provinz, oder eben als Bürger einer Diozöse oder Praefectur. Im Osten noch stärker als im Westen.

Was die 11 Regionen des Augustus angeht, so rätseln Historiker bis heute, zu was sie gedient hatten. Sie waren keine Verwaltungsbezirke, keine Gerichtsbezirke, keine Steuerbezirke und auch keine Wahlbezirke. Sie wurden bei der Durchsetzung diverser Verordnungen und Gesetze temporär genutzt, aber selbst dann nie durchgängig und in irgendeiner Weise geordnet. Ich persönlich glaube, Augustus hatte was mit ihnen vor, hat seinen Plan aber dann verworfen. Wir werden es wohl nie erfahren.
 
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Das alles erinnert mich fatal an die Situation in Deutschland. Eine "deutsche Identität" entwickelt sich ziemlich spät - erst ab dem 12./13. Jh. - und die Menschen fühlen sich zuallererst dem Landesfürstentum verbunden, in dem sich ihr Leben abspielte, während das "Reich" weit entfernt war. Die politische Zersplitterung brachte es mit sich, dass sich die Menschen zunächst als Baiern, Brandenburger, Hessen oder Württemberger fühlten und dann erst als "Teutsche".

In Italien ist die Lage ganz ähnlich. Die Ethnogenese der Italiener beginnt erst im frühen oder hohen Mittelalter und wann sich Menschen als Italiener fühlten, darüber habe ich bislang nichts eindeutiges gefunden. Was ein Nationalbewusstsein angeht, so findet man das wie in Deutschland erst seit den napoleonischen Kriegen - zumindest, soweit es breitere Bevölkerungsschichten betrifft.

Dennoch könnte ich mir denken, dass die spätantike Bevölkerung der Apennin-Halbinsel gewisse Unterschiede im Hinblick auf die übrige Bevölkerung des Imperiums empfand. Die Apenninhalbinsel bildete den Kern des Römischen Reichs, von dem alles ausgegangen war. Und es gab mit den italischen Sprachen eine einheitliche Sprachfamilie, die sich von den außerhalb Italiens gesprochenen Sprachen deutlich unterschied. Zwar wurde Latein später in alle Teile des Imperiums transferiert, doch entwickelte sich in Italien mit dem Italienischen eine eigenständige romanische Sprache. Das deutet darauf hin, dass die Menschen der Halbinsel eine besondere Identität ausbildeten, die sich von den Völkern außerhalb absetzte.

Die politische Zersplitterung in mehrere Klein- und Mittelstaaten behinderte das Wachsen einer italienischen Identität, wie das auch in Deutschland der Fall war. Allerdings haben wir seit dem Hohen Mittelalter den Begriff "Reichsitalien" oder besser das regnum Italicum - der Teil Italiens, der bis zur frühen Neuzeit als Teil des Heiligen Römischen Reichs galt.
 
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Das alles erinnert mich fatal an die Situation in Deutschland. Eine "deutsche Identität" entwickelt sich ziemlich spät - erst ab dem 12./13. Jh. - und die Menschen fühlen sich zuallererst dem Landesfürstentum verbunden, in dem sich ihr Leben abspielte, während das "Reich" weit entfernt war. Die politische Zersplitterung brachte es mit sich, dass sich die Menschen zunächst als Baiern, Brandenburger, Hessen oder Württemberger fühlten und dann erst als "Teutsche".

In Italien ist die Lage ganz ähnlich. Die Ethnogenese der Italiener beginnt erst im frühen oder hohen Mittelalter und wann sich Menschen als Italiener fühlten, darüber habe ich bislang nichts eindeutiges gefunden. Was ein Nationalbewusstsein angeht, so findet man das wie in Deutschland erst seit den napoleonischen Kriegen - zumindest, soweit es breitere Bevölkerungsschichten betrifft.

Dennoch könnte ich mir denken, dass die spätantike Bevölkerung der Apennin-Halbinsel gewisse Unterschiede im Hinblick auf die übrige Bevölkerung des Imperiums empfand. Die Apenninhalbinsel bildete den Kern des Römischen Reichs, von dem alles ausgegangen war. Und es gab mit den italischen Sprachen eine einheitliche Sprachfamilie, die sich von den außerhalb Italiens gesprochenen Sprachen deutlich unterschied. Zwar wurde Latein später in alle Teile des Imperiums transferiert, doch entwickelte sich in Italien mit dem Italienischen eine eigenständige romanische Sprache. Das deutet darauf hin, dass die Menschen der Halbinsel eine besondere Identität ausbildeten, die sich von den Völkern außerhalb absetzte.

Die politische Zersplitterung in mehrere Klein- und Mittelstaaten behinderte das Wachsen einer italienischen Identität, wie das auch in Deutschland der Fall war. Allerdings haben wir seit dem Hohen Mittelalter den Begriff "Reichsitalien" oder besser das regnum Italicum - der Teil Italiens, der bis zur frühen Neuzeit als Teil des Heiligen Römischen Reichs galt.

Das ist zwar ein wenig Off-Topic, aber das Italienische ist eigentlich das Florentinische (also die Sprache der Stadt Florenz), die in Italien zur Standardsprache erhoben worden ist. Die einzelnen Sprachen bzw. Dialekte Italiens unterscheiden sich untereinander stark. Sprachwissenschaftler sind einander wohl auch uneins, welche als Dialekte oder welche als eigenständige Sprachen aufzufassen sind. Allerdings sind diese Sprachen alle romanisch, also vom Lateinischen abgeleitet. Jedoch hat man diese sprachliche Zweiteilung in regionale Dialekte, die teils stark von der Standardsprache abweichen, und der Standardsprache in vielen Ländern.
 
Das ist zwar ein wenig Off-Topic, aber das Italienische ist eigentlich das Florentinische (also die Sprache der Stadt Florenz), die in Italien zur Standardsprache erhoben worden ist.

Die italienische Sprache entwickelte sich wie die anderen romanischen Sprachen aus dem Lateinischen. Aus dem 8./9. Jh. liegen uns die ersten italienischen Sprachzeugnisse vor.

Die Entwicklung eines überregionalen Sprachstandards ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte.
 
Die italienische Sprache entwickelte sich wie die anderen romanischen Sprachen aus dem Lateinischen. Aus dem 8./9. Jh. liegen uns die ersten italienischen Sprachzeugnisse vor.

Die Entwicklung eines überregionalen Sprachstandards ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte.

Ich störe mich ein wenig an dem Begriff der italienischen Sprache für das frühe MA. Zunächst einmal haben wir auf der italienischen Halbinsel eine Reihe von romanischen Dialekten, die untereinander differieren. Vermutlich gab es da auch ein Dialektkontinuum. Aber eine einheitliche Sprache dürften die Italiener damals noch weniger als heute gesprochen haben.
 
Ich störe mich ein wenig an dem Begriff der italienischen Sprache für das frühe MA. Zunächst einmal haben wir auf der italienischen Halbinsel eine Reihe von romanischen Dialekten, die untereinander differieren. Vermutlich gab es da auch ein Dialektkontinuum. Aber eine einheitliche Sprache dürften die Italiener damals noch weniger als heute gesprochen haben.

Die Sprachwissenschaft hat einen einen frühen Text gefunden, den sie als "italienisch" klassifiziert. Insofern beginnt die Überlieferung des Italienischen im 9. Jh. mit dem Text eines Rätsels von Verona. Veroneser Rätsel ? Wikipedia

Der erste Text in der toskanischen Sprachvariante ist aus dem 12. Jh. überliefert mit einer Schiffsinventarliste aus Pisa.
 
Die Diskussion um die gemeinsame Sprache, die vielleicht auch zur Römerzeit gar nicht so einheitlich war (Vulgärlatein), führt uns glaube ich nicht weiter.

Der OP fragte nach politischer Einheit. Eine gemeinsame Sprache kann dabei helfen, ist aber alleine nicht hinreichend. Das Problem ist halt, daß eine politische Interessenvertretung oder Administration für Italien im Besonderen und als Ganzes gänzlich fehlen. Man kann nicht einmal Unterabteilungen der zentralen römischen Magistrate ausmachen, die speziell für Italien zuständig gewesen wären.

Ich denke die spätere Zersplitterung Italiens und der lange und schwierige Weg zur Nation Italien kommt nicht von ungefähr. Das liegt durchaus in der antiken Tradition.
 
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Dennoch könnte ich mir denken, dass die spätantike Bevölkerung der Apennin-Halbinsel gewisse Unterschiede im Hinblick auf die übrige Bevölkerung des Imperiums empfand. Die Apenninhalbinsel bildete den Kern des Römischen Reichs, von dem alles ausgegangen war.

Bereits in der frühen Kaiserzeit gibt es dafür gewichtige Kriterien, denn bis zu Kaiser Claudius wurden für die Legionen nur Italiker ausgehoben - wenn man jetzt mal die Zwangsrekrutierung für die Bürgerkriegsarmeen außen vor läßt. Das hing natürlich mit den Landzuweisungen nach dem Ende der Dienstzeit zusammen. Später wurde der Kreis derer, die in die Legion durften, sukzessive erweitert.

Auch die Kaiser kamen bis zu Trajan alle aus Italien - auch Claudius trotz Lugdunum. Und wer Senator wurde, war verpflichtet, einen gewissen Teil seines Landbesitzes in Italien haben.
 
Ich denke die spätere Zersplitterung Italiens und der lange und schwierige Weg zur Nation Italien kommt nicht von ungefähr. Das liegt durchaus in der antiken Tradition.
wie lange dauerte die Geschichte des römischen Imperiums, wie viele Jahrhunderte?
wie zersplittert war der italienische Stiefel in diesem Zeitraum?
 
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