Karthago trägt die Schuld am 1. Punischen Krieg

naradas

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

nach meiner Beschäftigung mit Alexander dem Großen habe ich mich einem neuen Thema zugewandt - den Punischen Kriegen. Über die Abläufe und Ereignisgeschichte habe ich mich nun schon anhand von Literatur informiert und möchte mal eine These zur Diskussion stellen. Ich hoffe dabei auf eure Unterstützung und Anregungen!

These:
Schuld am Ersten Punischen Krieg trugen die Karthager durch ihren imperialistischen Charakter.

Erläuterung: Die Mehrzahl der modernen Historiker bringt Polybios großes Vertrauen entgegen, da er sich als Historiker einen guten Ruf erarbeitet hat. Folgt man seinen Berichten über den Ausbruch des 1. Punischen Krieges, fällt vor allem der imperialistische Charakter auf, den er Karthago zuschreibt. Dementsprechend muss untersucht werden, ob die Kriegsschuld auf Karthagos aggressive Politik zurückzuführen ist, von der sich die Römer bedroht fühlten.


Bekanntlicherweise wird die Geschichte von Siegern geschrieben und man könnte ebenso gut die Quellen des Siegers auf den Kopf stellen und Rom die imperalistische Schuld zuschreiben (was in der Geschichtsforschung ja auch zahlreich unternommen wurde).

Ich würde aber dennoch gerne wissen, was ihr von der These haltet, wie sie zu unterfüttern wäre - also mit welchen Beispielen (karthagische Handelsmacht als Vorzeichen von imperialistischen Zügen?) - und wie ihr die These anschließend entkräften würdet (nur durch das Zuschreiben der Schuld an das imperialistische Rom?)


Freue mich auf eure Ideen und Anregungen!
 
Das Problem an dieser These ist das man sich fast nur auf römische Quellen stützen kann. Die ganzen karthargischen schriftlichen Zeugnisse sind untergegangen. Und damit hat man nur den römischen Standpunkt auf den man sich stützen kann.
Zum anderen war Rom zu diesem Zeitpunkt auch schon lange expansiv unterwegs. Für einen Stadtstaat war Rom zu dem Zeitpunkt schon sehr mächtig. Und hat überall Feinde gewittert.

Apvar
 
Sofern man dem Philinosvertrag glauben schenkt, oder an seine Existenz glaubt, was Polybios nicht tut (aus offensichtlichen Gründen), könnte man Rom schon als stark "auf den Krieg hinarbeitend" verstehen.

Allerdings verstand Rom es auch sehr gut Gegner dahin zu drängen einen Krieg "anzufangen" um "im Recht" einen Krieg führen zu können.

Mehr hierzu wenn ich von der Arbeit komme
 
Es ist bis heute eine beliebte Erklärung imperialistischer Staaten, dass sie durch in Bedrängnis geratene Verbündete "zu Hilfe" gerufen wurden.

Gerade im 1.punischen Krieg ist eine karthagische Aggression kaum zu erkennen, wenn für die Römer schon eine plündernde Söldnertruppe wie die Mamertiner als "hilfsbedürftige" Verbündete herhalten müssen.
Und selbst dabei stellt sich die Frage, was Rom überhaupt auf Sizilien zu suchen hatte.
 
Eben, zumal der von mir angeführte Vertrag (der allerdings Polybios schon nichtmehr vorlag), die jegliche politische Intervention, und so auch die Annahme einer Deditio in Sizilien für die Römer untersagte.
 
Ich habe das hier schon einmal sinngemäß geschrieben; ich weiß jetzt aber nicht mehr wo.

Die Mamertiner, so nannten sich die ehemaligen kampanischen Söldner des Griechen Agathokles, hatten sich nach dem Tod ihres Arbeitgebers im Jahre 275/74 v.Chr. im Besitz von der Stadt Messana, die auf Sizilien liegt, gesetzt und die dortige Bevölkerung entweder ermordet oder vertrieben. Im Anschluss daran wurde dort praktisch ein Räuberstaat etabliert, der seinen Daseinszweck in unablässiger kriegerischer Expansion und systematischer Ausplünderung der Nachbarschaft fand.

Die Stadt Syrakus hat schon lange aber vergeblich versucht diese Stadt zu erobern. Das hielt aber den Strategen (militärischer Oberbefehlshaber) der Stadt Syrakus, Hieron, nicht davon ab es erneut zu versuchen. Im Jahre 269 v.Chr. gelang Hieron II., er war nun mittlerweile König von Syrakus geworden, ein entscheidener Sieg gegen die Mamertiner bei Longanos. Die Mamertiner wandten sich nun an Karthago mit der Bitte um Hilfe. Die Karthager haben Hieron II. nun klargemacht, das er sich nun zurückhalten soll, was er dann auch tat. Die Karthager haben dann anschlißend eine kleine militärische Garnison in Messana unterhalten.

Im Jahre 264 v.Chr. wurde Hieron II.erneut aktiv und wollte wieder die Stadt Messana erobern. Diesmal wandten sich die Mamertiner aber nicht an die Karthager, sondern an die Römer.

Hier ist es wichtig festzuhalten, dass bei Polybios (bedeutender griechischer Geschichtsschreiber) der Eindruck erweckt wird, dass die Mamertiner sich im Jahre 264 v.Chr. sowohl an die Karthager als auch an die Römer gewendet haben. Dies ist aber so nicht korrekt, denn zwischen beiden Hilfegesuchen liegen immerhin fünf Jahre; die Mamertiner haben sich im Jahre 269 v.Chr. an die Karthager um Hilfe gewandt. Anzumerken ist auch, das Polybios nicht als neutraler Beobachter berichtet, sondern als Bewunderer der Römischen Expansionspolitik und von den Aussagen des römischen Annalisten Fabius Pictor abhängig ist, der seinerseits selbstverständlich die Geschehnisse von einem römischen Gesichtspunkt aus darstellt. Außerdem war Polybios sogar im Stab von Scipio Africanus, als dieser Karthago im Jahre 146 v.Chr dem Erdboden gleich gemacht hat. Poybios war sich auch nicht zu schade, den Römern als Handlanger in seiner Heimat Griechenland zu dienen, nachdem diese Korinth zerstört und Makedonien besetzt hatten.
Diodores und Zonaras (ebenfalls griechische Geschichtsschreiber) berichten, das die Römer mit einer Vorausabteilung nach Sizilien übersetzten und dort gleich den karthagischen Kommandeur durch die mamertinsche Volksversammlung festnehmen ließen. Den karthagischen Truppen wurde bedeutet, dass sie abziehen müssen oder ihr Kommandeur Hanno wird sterben. Davon steht im Werke des Poybios nichts zu lesen! Die Karthager zogen ab.
Die Karthager schickten dann eine Gesandtschaft zum römischen Konsul, der sich mit seinem Heer in Rhegion (süditalienische Hafenstadt) befand, um diese Angelegenheit zu klären.

Der Konsul Caudex hatte zuvor schon von Rhegion eine Botschaft an Hieron II geschickt und mitgeteilt, dass das römische Volk keinen Krieg gegen Syrakus führen will. Das ist einer Notiz von Diodores (griechischer Geschichtsschreiber) zu entnehmen. Dann konnten die Römer aber nur gegen Karthago Krieg führen wollen. Das ist sehr wichtig, denn die Römer wurden doch ursprünglich von den Mamertinern gegen Hieron um Hilfe gerufen, wollten aber tatsächlich Krieg gegen Karthago führen!

Die Karthager haben nach dem sie bei dem Konsul Caudex erfolglos waren, noch eine zweite Gesandtschaft geschickt, diesmal nach Rom. Auch hier blieb ihnen der Erfolg versagt. Es wird dadurch aber sehr deutlich, das die Karthager gewillt waren, die Angelegenheit friedlich zu regeln.

Abschließend ist noch der Philinos-Vertrag aus dem Jahre 306 v.Chr. zu erwähnen.
Der Philinos-Vertrag bestand in der Zusage der Römer, keine politische oder militärische Tätigkeit in Sizilien zu entfalten. Im Gegenzug sicherten die Karthager zu, in Italien nicht einzugreifen. Es ist umstritten, ob es diesen Vertrag gegeben hat, aber es spricht einiges dafür. So hat beispielsweise Livius zum Jahre 272 v.Chr. geschrieben:“ Die Flotte der Karthager kam den Tarentinern zur Hilfe.“ Diese angebliche Vertragsverletzung, die Karthager kamen hier nämlich den Römern zur Hilfe, in dem sie den König Pyrrhos von Epirus bei seiner Überfahrt von Sizilien nach Tarent angriffen, bezieht sich eindeutig auf den Philinos-Vertrag.
Weitere Ursachen

Zwischen Karthago und Rom herrschte sehr lange Zeit gutes Einvernehmen. Die Römer und die Karthager hatten ihre Beziehungen über mehre Jahrhunderte mehrfach vertraglich geregelt.
Das änderte sich erst, als die Römer ganz Italien gewaltsam unterworfen hatten, denn die damit einhergehenden Veränderungen der Gesamtlage im westlichen Mittelmeer wurden zu einer latenten Belastung für das Verhältnis zu Karthago.
Karthago beherrschte mit seiner Flotte das westliche Mittelmeer und übte auch mehr oder weniger die Herrschaft über die Inseln Korsika, Sardinien und das östliche Sizilien aus. Diese Inseln lagen alle in der Nähe der italienischen Küsten und nachdem die Römer nun Herr über das italienische Festland waren, gefiel es Ihnen nicht, eine Großmacht unmittelbar vor der Haustür zu haben.
Bei diesem Krieg ging es nicht zuletzt um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer, denn den Römern konnte es nicht angenehm sein in ihren Selbstverständnis als Großmacht, das die See um Sie herum von einer anderen Großmacht, nämlich Karthago, beherrscht worden ist.

Das Eingreifen der Römer auf Sizilien war sicher auch nicht von der Sorge um die Freiheit und Sicherheit der Mamertiner bestimmt. Denn die Römer haben nämlich kurz zuvor einem ähnlichen Räuberstaat im südlichen Italien den Garaus gemacht.
Also worum ging es hier wirklich?
Der entscheidende Grund für das römische Eingreifen dürften handfeste wirtschaftliche Interessen gewesen sein, denn Sizilien war reich und die Römer wollten sich dieser Schätze bemächtigen.


Zimmermann, Rom und Karthago
 
Die Meinungen, mit dem instruktiven Abriss von Turgot am Schluss, gehen in Richtung einer militärischen Auseinandersetzung, die durch Handelskonflikte und/oder territoriale Interessengebiete (Rom?) verursacht worden ist.

Gibt es denn weitergehende, mehr konkrete Untersuchungen zum Einfluss Karthagos, zB auch im Hinblick auf den Handel mit weiteren angrenzenden Gebieten? Oder sind das (alles?) pauschale Ableitungen aus bekannten Routen, Stützpunkten, Bevölkerungszahlen, Flottenstärken etc.
 
Im Endeffekt ist diese These natürlich nur ein Gedankenspiel. Das Karthago bei den Ursachen die zum Ausbruch geführt haben, weniger Schuld trifft, kann wohl als Fakt angenommen werden. Dennoch finde, dass es mindestens zwei Punkte gibt, die die These immerhin ein klein wenig stützen könnten:

1) In den römischen Quellen findet sich eine erstaunlich hohe Erwähnung von Karthago, die auf deren besondere Bedeutung schließen lässt. --> Römische Angst also möglicherweise ernsthaft vorhanden?


2) Viele Verträge, die zeigen, dass sich beide auf Augenhöhe befinden und in denen es darum geht, sich von gegenseitigen Gebieten fernzuhalten.

Ich weiß es ist wenig,... - aber anscheinend lässt sich die These eben unter keinen Umständen aufrechterhalten... :)
 
...Ich weiß es ist wenig,... - aber anscheinend lässt sich die These eben unter keinen Umständen aufrechterhalten... :)
Warum denn? Du sprichst doch von den durch Turgot aufgelisteten Punkten, wenn du von dieser "These" sprichst, oder?

Karthago war schon lange an recht stabilen Verhältnissen mit Italien interessiert. Bevor es sich mit Rom arrangiert hatte, waren sie die Verbündten der Etrusker gewesen. Viel von der "vorrömischen Politik" Karthagos in Italien hatte wohl den Zweck ein weiteres Ausgreifen griechischer Präsenz und Handels in das westliche Mittelmeergebiet zu verhindern.
Außer als Handelspartner bestätigte Karthago mit den angeführten Verträgen ja auch sein "Desinteresse" daran, in Italien eine größere Rolle spielen zu wollen. Man brauchte Italien als Dämpfer (Griechen), Handelspartner und als Rekrutierungsgebiet für Söldner über Jahrhunderte hinweg.
Selbst während der Feldzüge Hannibals in Italien war dessen politische Stoßrichtung vor allem darauf ausgerichtet, die italischen Städte von Rom abfallen zu lassen, ohne sie fest an Karthago zu binden und damit in ein "Neues Italien", mit einem neuen Mächtebund dort fest einzubinden.

Für eine lange Zeit war Rom eben nicht auf "Augenhöhe" mit Karthago gewesen und deutlich der schwächere Vertragspartner gewesen. Trotzdem "verbriefte" Karthago sein "Desinteresse" an der italischen Halbinsel, behielt sich aber die westlichen Meere vor. Ich sehe da keinen Hinweis darauf, dass sich zwei nervöse Großmächte voller Misstrauen gegenseitig ständig ihres status quo versichern müssen.
 
Warum denn? Du sprichst doch von den durch Turgot aufgelisteten Punkten, wenn du von dieser "These" sprichst, oder?

Was Turgot umfangreich dargelegt hat, ist letztlich natürlich so zu unterschreiben und deckt sich mit den Meinungen aus der Fachliteratur, die mir unter die Augen gekommen ist.

Ich meinte vielmehr, dass "meine" These (Schuld am Ersten Punischen Krieg trugen die Karthager durch ihren imperialistischen Charakter) unter keinen Umständen zu unterfüttern ist. Außer durch Polybios,...
 
Achtung, Textbombe!

Die Mehrzahl der modernen Historiker bringt Polybios großes Vertrauen entgegen, da er sich als Historiker einen guten Ruf erarbeitet hat. Folgt man seinen Berichten über den Ausbruch des 1. Punischen Krieges, fällt vor allem der imperialistische Charakter auf, den er Karthago zuschreibt. Dementsprechend muss untersucht werden, ob die Kriegsschuld auf Karthagos aggressive Politik zurückzuführen ist, von der sich die Römer bedroht fühlten.

Polybios schildert: Die Karthager haben nicht nur den größten Teil Afrikas, sondern sich auch der Iberischen Halbinsel unterworfen und wären außerdem die Herren aller Inseln im Sardinischen und Tyrrhenischen Meer geworden. So hätten die Römer gefürchtet, dass die Karthager, wenn sie sich auch noch Siziliens bemächtigten, ihnen zu starke und furchtbare Nachbarn werden würden, indem sie sie dann so einkreisten und von allen Teilen Italiens bedrängten. Würden die Römer den Marmertinern nicht zur Hilfe eilen, wären die Karthager auf jeden Fall Herren über ganz Sizilien geworden, da sie bald darauf Syrakus überwältigt hätten. Deshalb kamen die Römer, laut Polybios, zu der Einsicht, dass sie Messana nicht preisgeben und nicht zulassen dürften, dass die Karthager gleichsam eine Brücke zum Übergang nach Italien schlügen.

Nun müsste man zuerst prüfen, ob solch eine Darstellung, wie wir sie bei Polybios lesen, überhaupt auf einer faktischen Grundlage basieren. Was möglicherweise für die Behauptungen von Polybios spricht, sind zum einen die vielen Verträge, die Rom und Karthago miteinander geschlossen haben: Bis zum Jahr 264 v. Chr. - dem Ausbruch des Ersten Punischen Krieges - hatten Rom und Karthago nie miteinander Krieg geführt, hielten es aber dennoch für nötig, ihre zwischenstaatlichen Beziehungen vertraglich zu regeln. In diesen Verträgen schlug sich freilich ebenso nieder, dass die eine Macht der anderen misstraut haben muss. Sonst hätten sie sich nicht wechselseitig darauf zu verpflichten brauchen, die Hoheitsrechte oder Bündnispflichten der Gegenseite zu achten. Auch die starke Berücksichtigung Karthagos in der römischen und griechischen Geschichtsschreibung resultiert aus einer kontinuierlich zunehmenden Bedeutung als Großmacht. Ein letzter Punkt, der die römische Furcht vor einer Großmacht als direkten Nachbarn belegen könnte, kann der Erfahrungswert sein. Der Erfahrungswert, der auch schon Cassius Dio bekannt war: Nach ihm habe die geschichtliche Erfahrung gezeigt, dass zwei starke, freie und stolze Völker, die beide nach Macht streben, sich einander aus dem Weg gehen würden, bezeichnet er als „sehr schwierig, ja unmöglich“.

Diese aufgeführten Belege für Polybios Darstellung der Ereignisse können zwar keine direkte imperialistische Politik seitens Karthago beweisen, aber bieten zumindest die Möglichkeit, eine solche für die Zukunft anzunehmen und somit eine mögliche Furcht der Römer zu belegen.

Nun gilt es in einem nächsten Schritt zu überprüfen, ob die Gedankengänge von Polybios einer sachlichen Analyse der damaligen Lage auch standhalten. Um die Antwort vorwegzunehmen: Nein. Das erste was ins Auge fällt, sind seine falschen Angaben zum geographischen Machtbereich der Karthager: Dass große Teile der Iberischen Halbinsel im Jahre 264 unter der Herrschaft Karthagos standen, ist eine maßlose Übertreibung - es handelt sich allenfalls um Küstenstreifen. Auch die karthagische Herrschaft über sämtliche Inseln des Sardinischen und Tyrrhenischen Meeres entspricht nicht den Tatsachen. Sicher war Karthago eine Macht im westlichen Mittelmeer, allerdings besaßen die Karthager selten große zusammenhängende Territorien, sondern übten für gewöhnlich eine indirekte Kontrolle über einzelne Küstenstädte aus. Zudem erscheint Karthago in der Darstellung von Polybios als äußerst aggressive Macht, die zu jenem Zeitpunkt im Begriff sei, einen Ring um Italien zu schließen durch den sicheren Fortgang einer Unterwerfung ganz Siziliens. Tatsächlich kann man Karthago keine „imperialistischen“ Anstrengungen vorwerfen, die sie auf Sizilien verfolgt hätten. Ihre Angriffe waren in der Regel auf griechische Versuche, Karthago von der Insel zu vertreiben. Für die Behauptung ein karthagisches Messana hätte als Sprungbrett dienen sollen um nach Italien überzusetzen, gibt es nicht den Schatten eines Beweises.

Letztlich muss man nach Betrachtung der Fakten zu dem Schluss kommen, dass die angeblich verspürte Bedrohung der Römer nicht historisch sein kann. Man muss also zu dem Schluss kommen, dass Karthago im Jahr 264 v. Chr. kein „schreckenerregendes, länderfressendes Ungeheuer“ war, was schon Werner Huss treffend formuliert hat.
 
Zweifelsohne ist Polybios - den ich hier der Einfachheit halber einfach zu den Römern zähle - ein Autor der pro patrono suo schrieb. Ebensowenig steht außer Frage, dass wir in Bezug auf die Punischen Kriege eine als einseitig zu bezeichnende Quellenlage vorliegen haben, die aber dennoch über römische Aggression und römische Vertragsbrüche Aufschluß gibt.
Das Vorliegen der einseitigen Quellenlage berechtigt uns nun allerdings nicht, in schwarzweißmalerischer Manier, die Quellenaussagen nun in ihr Gegenteil zu verkehren. Man muss die einzelnen Aussagen hinterfragen, römische Motive und Motivationen filtern etc. Aber zu sagen "die Römer 'lügen', also ist das Gegenteil von dem, was die römischen Quellen behaupten automatisch richtig" ist eine mir widerstrebende Herangehensweise.
Karthago war - schon vor den Römern - eine der Parteien, die in den Konflikten im zentralen und westlichen Mittelmeer mitmischte, häufig um Hilfe gerufen. Das machte die Stadt aber nicht zu einer Altruistin. Hier wurden natürlich auch knallharte machtpolitische Interessen durchgesetzt und ehemalige Schwesterkolonien wurden auch schon mal der eigenen Macht unterworfen und in die Abhängigkeit gebracht.
Hier zu sagen, die Römer waren schuld an der Eskalation oder die Karthager waren schuld an der Eskalation, das wird der unübersichtlichen Gemengelage insbesondere vor dem Ersten Punischen Krieg nicht gerecht. Etwas anders sieht es aus beim Zweiten und Dritten Punischen Krieg. Obwohl im Vorfeld des Zweiten Punischen Krieges die Partei Barkiden durchaus eine aggressiv-expansionistische Politik betrieb (sicher auch, um die Verluste des Ersten Punischen Krieges auszugleichen, die Reparationen an Rom bezahlen zu können und um ein erneutes Desaster, wie das am Ende des Ersten Punischen Krieges, den Söldnerkrieg nicht wieder vorkommen zu lassen), waren es hier ganz klar die Römer, welche, indem sie den Ebro-Vertrag brachen (auch wenn Appian 300 Jahre später einen Versuch kontrafaktischer Geschichtsschreibung machte und einfach mal die geographischen Angaben manipulierte, weitere Diskussionen zum Ebro-Vertrag hier: www.geschichtsforum.de/f28/kriegsschuldfrage-zum-zweiten-punischen-krieg-228/), den Krieg wohl gewollt provozierten.
Es ist nicht anzunehmen, dass sie dies mit dem Wunsch taten, das punische Karnickelland zu erobern, aber letztlich war genau das die Folge. Anzunehmen ist eher, dass die romfeindliche Haltung der Barkiden bekannt war und den Römern der Machtzuwachs der Karthager/Barkiden in Iberien schlicht unheimlich wurde.
Unter heutigen Völkerrechtsgesichtspunkten wäre aber schon der Abschluss des Ebrovertrages eine völkerrechtswidrige Handlung beider Parteien gewesen. Aber diese Erkenntnis dürfte sich erst seit der Gründung der UNO so langsam durchgesetzt haben.

Langer Rede, kurzer Sinn:
:rechts: Schwarzweißmalerei führt zu nichts
:rechts: es sind Einzelaussagen der Quellen auf ihre Motivation zu untersuchen :rechts: es sind die Fragmente anderer zeitgenössischer Quellen, auch griechischer (Polybios hiervon exkluiert) auf Spuren des Punischen Krieges zu untersuchen
 
Du verkehrst ja quasi die übliche These, dass Rom imperialistisch sei, total ins Gegenteil.

Es gibt eine ausführliche Untersuchung von Klaus Zimmermann zum ersten punischen Krieg ("Rom und Karthago" heißt das Buch, dass auch für "Anfänger" verständlich ist :)). Er "verdreht" ein bisschen die Quellen bzw. löst eher die Verdrehungen auf und dann wird einiges klarer.

Man kann Polybios halt auch nicht wörtlich lesen. Letztendlich stand der auf Seiten der Römer, der war sogar selbst im Krieg dabei (nicht im ersten, aber später dann). Ich finde, das spricht sehr dafür, dass er eben nicht alles ganz gleichberechtigt beschreibt.

Bei Zimmermann werden wie gesagt die Quellenprobleme deutlich gemacht, da gibts in den Quellen sogar Verstöße gegen die Chronologie, um Karthago schlechter darzustellen etc.... ich fand das alles sehr nachvollziehbar, er dröselt halt diese ganzen Sachen auf, und hat auch gute Argumente dafür.

Zitat von naradas:
Dementsprechend muss untersucht werden, ob die Kriegsschuld auf Karthagos aggressive Politik zurückzuführen ist, von der sich die Römer bedroht fühlten.

Polybios schildert: Die Karthager haben nicht nur den größten Teil Afrikas, sondern sich auch der Iberischen Halbinsel unterworfen und wären außerdem die Herren aller Inseln im Sardinischen und Tyrrhenischen Meer geworden. So hätten die Römer gefürchtet, dass die Karthager, wenn sie sich auch noch Siziliens bemächtigten, ihnen zu starke und furchtbare Nachbarn werden würden, indem sie sie dann so einkreisten und von allen Teilen Italiens bedrängten. Würden die Römer den Marmertinern nicht zur Hilfe eilen, wären die Karthager auf jeden Fall Herren über ganz Sizilien geworden, da sie bald darauf Syrakus überwältigt hätten. Deshalb kamen die Römer, laut Polybios, zu der Einsicht, dass sie Messana nicht preisgeben und nicht zulassen dürften, dass die Karthager gleichsam eine Brücke zum Übergang nach Italien schlügen.

Das ist doch schon so ein Beispiel. Total anachronistisch und nicht verwunderlich, denn Polybios hat ja erst den dritten Krieg miterlebt. Hier zieht er Sachen, um die es erst im zweiten Krieg ging, als Begründnung für den ersten Krieg heran. Das geht so nicht: vorm ersten Krieg wusste keiner, dass Hannibal Iberien "ausbaut"... das kann nicht der Kriegsgrund gewesen sein. ;)
Das "Brücke schlagen nach Italien" kann man ja gar nicht beweisen, ob das die Absicht war. Polybios kann das auch nicht. Er muss das untermauern, indem er z.B. auf Iberien verweist. Schon komisch.
 
Du verkehrst ja quasi die übliche These, dass Rom imperialistisch sei, total ins Gegenteil.

Nee, sicher nicht. Aber das Rom im 3. vorchristlichen Jahrhundert ist ein anderes, als das Rom der späten Republik oder der Kaiserzeit. Dass Rom vor dem zweiten Punischen Krieg vorhatte, Hispanien zu erobern - ganz abgesehen davon, dass der römische Senat nie ein monolithischer Block war der an einem Strang zog, oder alle römischen Konsuln immer dieselben Interessen verfolgten - halte ich schlichtweg für absurd. Abgesehen davon brachte die Eroberung der iberischen Halbinsel Rom an den Rand der Zerreißprobe.

Später mehr, das Real Life ruft.
 
Zudem erscheint Karthago in der Darstellung von Polybios als äußerst aggressive Macht, die zu jenem Zeitpunkt im Begriff sei, einen Ring um Italien zu schließen durch den sicheren Fortgang einer Unterwerfung ganz Siziliens. Tatsächlich kann man Karthago keine „imperialistischen“ Anstrengungen vorwerfen, die sie auf Sizilien verfolgt hätten. Ihre Angriffe waren in der Regel auf griechische Versuche, Karthago von der Insel zu vertreiben.
Naja ... Also dass sich Karthago auf Sizilien quasi nur gegen die griechische Aggression verteidigt hätte, kann man so nun auch wieder nicht sagen. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sowohl die Phönizier auf Sizilien Handelsniederlassungen gegründet als auch die Griechen Kolonien. Die phönizischen Niederlassungen gerieten dann unter die Kontrolle Karthagos, während die griechischen Stadtstaaten selbstständig blieben. Es kam im Laufe der Jahrhunderte zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen, wobei die Ursachen höchst unterschiedlich waren. Das war auch nicht immer ein Krieg Karthago gegen Griechen. Z. B. kam es auch vor, dass zwei griechische Stadtstaaten gegeneinander Krieg führten und einer davon sich mit Karthago verbündete, oder dass Karthago gar in einem Bürgerkrieg in einer Stadt von einer Partei um Hilfe gebeten wurde. Sowohl Karthager als auch die einzelnen (mal miteinander verbündeten, mal untereinander verfeindeten und teilweise sogar mit den Karthagern verbündeten) Griechenstädte trachteten danach, ihren Macht- und Einflussbereich auf Sizilien auszuweiten. Die Kriegsschuld müsste man bei jedem einzelnen Konflikt einzeln betrachten, ein Pauschalurteil, eine Seite hätte sich immer imperialistisch verhalten und die andere nur gewehrt, ist nicht möglich.
 
Ich hatte versprochen noch nachzulegen, das sei hiermit geschehen. Ich glaube über die Narrative Polybios', seine argumentatio pro patrono suo und die Anachronismenproblematik sind wir uns weitestgehend einig.

Ich glaube, dass vieles an dieser Debatte weniger auf historische Sachverhalte zurück geht, sondern vielmehr auf aktuelle Weltanschauungen.
Z.B. hat man vor etwa 100 Jahren die punischen Kriege durch die rassisch-antisemitische Brille als Krieg zwischen ehrlichen, ihre Scholle liebenden, römischen Bauernsoldaten gesehen, wohingegen man die semitischen Punier als verschlagenes Händlervolk wahrnahm, welches seine Söldner kaufte.
Heute dagegen neigen wir dazu, Sympathie für die Verlierer zu entwicklen und die waren am Ende nun mal die Punier, die alle drei Kriege verloren und spätestens im dritten von Rom ziemlich hinterhältig über den Tisch gezogen wurden. Bei Rom dagegen mischen sich Halbwahrheiten über das antike Rom mit den Halbwahrheiten des modernen Antiamerikanismus. In die Kritik an Rom - die zweifelsohne ihre Berechtigung hat - schwingt also gerne mal ein wenig Amerikakritik, bzw. die Amerikakritik wird im Feld der Antikebetrachtung artikuliert. Dessen muss man sich einfach mal bewusst sein.

Nun aber zu den Fakten: Die Annahme, Rom habe die Idee gehabt, Iberien zu erobern, habe ich ja schon oben als ahistorisch kritisiert: Rom erklärte zwar Karthago nach dem Fall Sagunts und der verweigerten Auslieferung Hannibals den Krieg, überließ aber zunächst Hannibal die Initiative. Sicher hatte man vorgehabt, die Barkiden aus Hispanien zu vertreiben, schließlich wurde Gnaeus schon frühzeitig nach Spanien geschickt, aber wie sollte Rom eine dauerhafte Eroberung der iberischen Halbinsel in Angriff nehmen? Immerhin bestand das Heer zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch in erster Linie aus Kleinbauern, die in der Erntezeit zuhause sein mussten (was, seitdem Kleinbauern auf der iberischen Halbinsel eingesetzt wurden, nicht mehr funktionierte) um das eigentliche Einkommen zu sichern. Erst mit dem Übergang zur Berufsarmee, was quasi eine Reaktion auf die Punischen Kriege war und in den Kimbern- und Teutonenkriegen durch die marianische Heeresreform zementiert wurde, konnte sich eine geplant expansionistische Politik wirklich entwickeln. Dass natürlich die Ritter und Senatoren, die selber ihre Ländereien nicht bewirtschafteten wenig Verständnis für die sozialen Probleme der einfachen Soldaten hatten, steht auf einem anderen Blatt.
Aber der grund, warum es für die Eroberung der iberischen Halbinsel durch die Römer 200 Jahre, vom Zweiten Punischen Krieg bis zum Herrschaftsantritt des Augustus benötigte, liegt in großen Teilen eben darin, dass Rom keine Berufsarmee hatte und sich vielmehr immer wieder gezwungen fühlte, insbesondere gegen die Lusitanier vorzugehen. Dass die Lusitanier wiederum ausreichend Gründe hatten, die Römer loswerden zu wollen und dass es hier wiederum ganz fiese Massaker seitens der Römer gab, ist auch richtig.

Dass die Römer gegenüber den Puniern oder speziell den Barkiden einen Vertragsbruch begangen, steht völlig außer Frage, aber die Barkiden waren alles andere, als Waisenknaben.

Aber ich schon wieder zu sehr beim Zweiten Punischen Krieg. Wie gesagt, beim Ersten war die Gemengelage noch viel komplizierter und Rom noch sehr viel kleiner und weniger mächtig.
 
Die Annahme, Rom habe die Idee gehabt, Iberien zu erobern, habe ich ja schon oben als ahistorisch kritisiert

Hier wird eben meist zu sehr von den Resultaten auf die Ursachen geschlossen. Dies gilt auch häufig genug noch für die römische Kaiserzeit. Der große "Masterplan" existierte nie, es ist mehr als unwahrscheinlich, dass Rom frühe Pläne zur Eroberung Spaniens hatte.
Andererseits sah man, dass sich mittels Handel viel Geld verdienen ließ. Nicht nur die karthagischen, auch die griechischen Handelserfolge, etwa in Massilia, weckten Begehrlichkeiten. Mit Sagunt z.B. einen Fuß im westlichen Mittelmeer zu haben, war verlockend. Und wenn man größere Gebiete gleich mitnehmen konnte, um so besser. Gleich die Produzenten zu kontrollieren, anstatt nur am Handel zu verdienen, erwies sich als noch lohnender. So kam Eines zum Anderen - am Ende standen riesige Eroberungen. Der überwiegende Teil davon resultierte aber sozusagen aus "Patchwork" - hier eine Gelegenheit, dort eine Chance. Große strategische Pläne standen nicht dahinter.
 
@El Quijote: Ich stimme dir zu und frage mich zugleich wie die Menschen retrospektiv betrachtet uns analysieren/einschätzen werden.
 
Ich kann El Quijote auch nur unterstützen. Bei solchen Schuldfragen wird regelmäßig -zwangsläufig- vor- und außerwissenschaftliches Weltverständnis mit einbezogen und zwar mehr als sonst üblich. Die Kriegsschuldfrage für den deutsch-französischen Krieg 1870/71 oder den 1. Weltkrieg ist ein ähnliches Spielchen, wobei dabei wenigstens noch reichlich Quellenmaterial vorhanden ist. Schon die Grundthese, daß Rom besonders imperialistisch war (die ich eigentlich teile), ist ja auch keine Konstante, sondern eher neueren Datums und bestreitbar.

Rom und Karthargo waren beides größere Mächte, deren Einflußbereich sich zunehmend annäherte. Da war es meines Erachtens kein großer Schritt zu einem Krieg. Wer zuerst auf Sizilien war, ist dabei nicht so wichtig, es sei denn, man wollte die karthargische Eroberung rechtfertigen, weil sie schon länger gedauert hatte.
 
Zurück
Oben