Marc Aurel- ein überforderter, gescheiterter Kaiser?

Scorpio

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Es grenzt an Blasphemie, diesen fabelhaften Menschen, Philosophen und edelsten aller Gutmenschen nicht zu mögen. Seine Selbstbetrachtungen (leinengebunden in Goldschrift) haben einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek, aber wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich mich fragen, was ist eigentlich so bewundernswert an diesem Mann? Die "Selbstbetrachtungen"- Sakrileg! Sind doch eigentlich ein furchtbar langweiliges, schnarchiges Werk.

Er übernahm ein stabiles, gefestigtes Reich, so sorgfältig wie er ist kaum ein Kaiser auf die Regierung vorbereitet worden, seine Regierungszeit aber wurde von Krisen, Katastrophen und Niederlagen geschüttelt. Wirtschaftlich, militärisch und kulturell setzte unter seiner Regierungszeit der Verfall des Römischen Reiches ein. Die Chatten überschritten den Limes, die Markomannen drangen bis Italien vor, die Mauren plünderten Marc Aurels Heimat Andalusien, und jahrelang schien es, als ob das Gesetz des Handelns total von den Barbaren ergriffen wurde.

Die Verteidigungspolitik des Imperiums hätte visionäre Erneuerungen erfordert. Die Geburtswehen der Völkerwanderung wurden übersehen, welche Stämme die Grenzen bedrohten war den Römern anscheinend unbekannt, Bis ins 3. Jhd war von Skythen, nicht von Goten die Rede. Marc Aurel war von den militärischen Fähigkeiten heillos überfordert und musste sich auf seine Generale oder auf "Regenwunder" verlassen. Zeitweise agierten die Legionen planlos, da der Kaiser als Oberbefehlshaber versagte. Während die "antoninische Pest" die Bevölkerung des Rreiches dezimierte, kam es in Gallien zu den bis dahin größten Christenverfolgungen, eine Regierungsmaßnahme, die Forianer wie Chan vermutlich zu den löblichen Leistungen des "Philosophen auf dem Thron" zählen würden. Leider versagte Marc Aurel auch auf diesem Gebiet-und es gelang ihm nicht einmal diese üble Brut vom Angesicht der Erde zu vertilgen.

Was würden wir darum geben, wenn er wenigstens etwas über die Markomannen- und Sarmatenkriege erzählt hätte. Die philosophische Erkenntnis, dass er sich darüber im Klaren war, dass man ihn kaum betrauern würde und aller Ruhm vergänglich war keine sensationelle Erkenntnis. Nicht einmal schöne Eskapaden wie von Nero und Caligula sind von ihm bekannt. Seine Gattin Faustina musste unzählige Schwangerschaften über sich ergehen lassen, fähige Nachkommen zu zeugen, blieb ihm versagt. Nur einen passablen Schwiegersohn verschaffte ihm seine zwangsverheiratete Tochter Lucilla.

Großartige Spiele wie unter Trajan waren Fehlanzeige. Erst sein Sohn ließ wieder die Puppen tanzen, er selbst las lieber Regierungsakten und brüskierte damit das Volk. Statt einem Tatenbericht wie Augustus Res Gestae blieben nur die Selbstbetrachtungen eines Asketen, der sein Tafelsilber verscheuerte, etwa so, als wenn die Queen die Kronjuwelen bei Ebay verramscht.

Die Nachfolgeregelung Marc Aurels war eine einzige Katastrophe und seine Gloriole leuchtet nur so hell, weil sein Sohn sich als total unfähig erwies. Die antoninische Dynastie starb mit Commodus aus. Die prekäre Lage des Imperiums hätte einen Kaiser erfordert, der das militärische Handwerk beherrschte. Von Mommsen gibt es ein Bonmot dass man über Trajan nicht viel sagen könne, er sei tapfer und Antoninus Pius pflichtgetreu gewesen.

In der Reichskrise des 3. Jhds hätte ein Kaiser wie Marc Aurel nicht die geringste Chance gehabt, sich zu behaupten. Das Imperium Romanum im 1. Jhd war stark genug, auch ein paar Nieten zu überdauern. Die Katastrophen Ende des 2. Jhds hätten alles andere, als einen Schöngeist erfordert. War er eine der brilliantesten Fehlbesetzungen der Geschichte wie Eduard VII. über Wilhelm II. urteilte?
 
Ziemlich hart. Ich kann es nicht genau einschätzen, aber der Reihe nach:

1. Der Beginn der Völkerwanderung bzw. den Einfall der Barbarenstämme kann man meiner Meinung nach schlecht Marc Aurel zuschreiben bzw. belasten. Ich g laube kaum, dass unter einem Kaiser es diese einfälle nicht gegeben hätte.

2. Du kritisierst, dass ihm die Ausrottung der Christen nicht gelang?! Verstehe ich das richtig?

3. Du meinst, dass er sich auf seine Generäle hatte verlassen müssen? Ich glaube, die Mehrheit der Kaiser hat sich auf diese verlassen und dass dies der Fall ist, muss meiner Meinung nach nicht einen schlechten Kaiser ausmachen.

4. Ich sehe kein Problem, wenn es keine Spiele gibt. Zuckerbrot und Peitsche macht nicht unbedingt einen guten Kaiser aus. Ist es im Gegenteil nicht sinnvoll, wenn sich ein Kaiser mit Regierungsaufgaben ausführlich beschäftigt?

5. Wissen wir denn, warum er keine Nachfahren hatte? Rechnet man das zum Beispiel Friedrich dem Großen negativ an?
 
Ich finde diese Einschätzung auch zu hart. Dabei bin ich sicher keiner der Mark-Aurel-Verehrer. Herrscher, die sich selbst als Philosophen (oder selbstlose Diener des Staates oder was auch immer) präsentieren, sind mir generell suspekt und nur mäßig sympathisch, und es gibt sicher manches, was man an Mark Aurel bemängeln kann. Allerdings finde ich, dass er seine Sache angesichts schwierigster Umstände nicht so schlecht gemacht hat.

Aber zu den einzelnen Punkten:

Die "Selbstbetrachtungen": Kritisch sehe ich es, wie schon angesprochen, wenn sich jemand in seinem eigenen Werk selbst als hintergründigen philosophischen Menschen präsentiert. Da tut sich mir immer gleich der Verdacht einer gewissen Selbstverliebtheit auf (die nicht gerade zum erhobenen Anspruch passt), wenn nicht gar der Heuchelei. Aber ansonsten finde ich das Werk nicht schlecht, jedenfalls besser zu lesen als die meisten anderen antiken Werke über Philosophie, geschweige denn aus neuerer Zeit. Er wiederholt sich zwar oft bzw. variiert viele Aussagen immer wieder, wird aber nicht weitläufig und schreibt verständlich, während ich bei manch anderen Philosophen (vor allem aus späterer Zeit) den Verdacht habe, dass sie bewusst einen komplizierten Schreibstil wählten, um ihren Intellekt zu demonstrieren.
Dass er sich nicht als Militärschriftsteller über seine eigenen Kriege betätigt hat, finde ich auch schade. Aber wer hat das schon? Leute wie Caesar waren eher die Ausnahme als die Regel. (Was ich eigentlich verwunderlich finde bei einem so auf Selbstdarstellung, Ansehen und Würde bedachten Volk wie den Römern.)

Zu den Krisen, Katastrophen und Niederlagen und dem beginnenden Verfall des Reiches: Ich glaube, das kann man nur zu einem sehr kleinen Teil Mark Aurel anlasten. Wären die Markomannen bereits unter Antoninus Pius eingebrochen und bereits unter ihm die Antoninische Pest ausgebrochen, wäre es wohl kaum besser gelaufen, eher im Gegenteil. Mark Aurel konnte jedenfalls nichts dafür, was da auf ihn zukam. Er hat ja nicht irgendeinen unnötigen Angriffskrieg gegen Germanien gestartet, der sich zur Katastrophe entwickelt hätte, sondern nur auf die Herausforderungen reagiert, die auf ihn zukamen.
Wenn in der Literatur von Skythen statt von Goten die Rede war, sollte man das vielleicht eher einzelnen Schriftstellern, die nicht so gerne differenzierten und lieber alles nördlich der Donau in einen Topf warfen, anlasten und nicht unbedingt Schlüsse auf den Informationsstand der Reichsführung ziehen.

Dass Mark Aurel sorgfältig wie kaum ein Kaiser auf die Regierung vorbereitet wurde, stimmt nur zum Teil: Es fehlte an einer einschlägigen militärischen Ausbildung mitsamt Praxiserfahrungen. Als er Kaiser wurde, kannte er das Militärwesen im Wesentlichen großteils wohl bestenfalls aus Büchern. Man sollte diese militärische Unerfahrenheit mitberücksichtigen, wenn man Mark Aurels Kriegs(miss)erfolge bewertet. Immerhin überließ er den Partherkrieg seinem Mitkaiser, statt selbst nach militärischem Ruhm zu streben. (Damit hob sich Mark Aurel in meinen Augen zumindest positiv von Kaiser Iulianus ab, auch eine Art Philosophenkaiser (zumindest in seiner Selbstdarstellung) und auch oft glorifiziert, der aber ohne Not einen Krieg gegen die Perser anzettelte, um selbst als Feldherr glänzen zu können.) Auch andere militärische Herausforderungen (z. B. in Britannien und gegen die Chatten) überließ er nach Möglichkeit anderen Feldherren.
Für eine abschließende Beurteilung von Mark Aurels Fähigkeiten und Leistungen im Markomannenkrieg ist meiner Meinung nach die Quellenlage dazu zu schlecht. Ich finde aber eigentlich nicht, dass er seine Sache schlecht gemacht hat. Immerhin sollte man anerkennen, dass er sich, obwohl er anscheinend nicht nach Kriegsruhm strebte, dann doch persönlich an die Front begab (was seit Traian kein Kaiser mehr getan hatte), statt die Kriegsführung nur aus der Ferne zu beobachten und vor Ort komplett einer Schar verschiedener Feldherren mit begrenzten Kompetenzen zu überlassen. (Wobei ich es nicht als Nachteil sehe, wenn ein Kaiser delegiert; nur die Koordination muss passen.) Das Ergebnis jedenfalls hat gepasst, die Grenzen konnten wiederhergestellt werden.

Bei der "Verscheuerung" des Tafelsilbers sollte man anerkennen, dass Mark Aurel bereit war, auch selbst einen Beitrag zur Kriegsfinanzierung zu leisten statt einfach nur seine Untertanen auszupressen, wie es der durchschnittliche Herrscher gemacht hätte.

Die Christenverfolgung in Gallien kann man wohl nur am Rande Mark Aurel anlasten. Primär dürfte sie lokale und regionale Ursachen gehabt haben, war jedenfalls nicht von oben angeordnet wie die Christenverfolgungen unter Nero, Decius und Diokletian.

Dass er keinen fähigen Nachwuchs hatte: Naja, das kann man ihm auch schlecht anlasten. Er konnte sich ja nicht klonen. Man sollte eher anerkennen, dass er überhaupt reichlich Nachwuchs zeugte, was auf die meisten seiner Vorgänger nicht zutraf. Damit hob er sich etwa auch vom bedeutenden oströmischen Kaiser Basileios II. ab, der nicht einmal heiratete und dessen Reich nach seinem faktisch erbenlosen Tod schlimmer in die Krise stürzte als Rom unter Commodus.
Zur Nachfolgeregelung wiederhole ich, was ich schon öfters in diesem Forum geschrieben habe: Ich bin nicht der Meinung, dass man Mark Aurel einen Vorwurf daraus machen kann, dass er Commodus zum Nachfolger bestimmte. Der oft erhobene Vorwurf, er sei damit von der hehren Idee des Adoptivkaisertums abgegangen, trifft nur bedingt zu: Da seine Vorgänger allesamt keine überlebenden männlichen Nachkommen hatten, war es naheliegend, die Nachfolge per Adoption zu regeln. Hätte aber z. B. Hadrian einen Sohn gehabt, glaube ich nicht, dass er ihn zugunsten des Antoninus Pius übergangen hätte. Ich glaube auch nicht, dass es besser gewesen wäre, wenn Mark Aurel Commodus übergangen hätte: Commodus hätte das wohl kaum akzeptiert; blutige Unruhen, ein Putsch oder gar ein Bürgerkrieg nach Mark Aurels Tod wären vermutlich die Folge gewesen, und am Ende wäre vielleicht erst wieder Commodus Kaiser gewesen.
Im Übrigen glaube ich, dass gerade die Nachfolgeregelung per Adoption dazu führte, dass keine Männer, die das militärische Handwerk beherrschten, an der Spitze des Reiches standen: Die Kaiser suchten sich als Adoptivsöhne primär entfernte Verwandte oder Leute, die sich im Zivilleben bewährt hatten, aber keinen militärischen Anhang hatten, aus. Einen erfahrenen Feldherrn zu adoptieren wäre wohl ein ziemlich riskantes Unterfangen gewesen, da er nicht durch verwandtschaftliche Rücksichten davon abgehalten worden wäre, mit der Nachfolge nicht mehr bis zum natürlichen Ableben des Adoptivvaters zu warten, und auch die Mittel für einen Umsturz gehabt hätte. (Die Adoption Traians durch Nerva war eine Ausnahme: Einerseits war sie wohl eine Notlösung, um das Militär ruhigzustellen, andererseits war Nerva alt und sein Ableben vorhersehbar.)

Um ein Gesamtfazit zu ziehen: Als "gescheitert" sehe ich Mark Aurel nicht. Unter schwierigsten Bedingungen konnte er das Reich wahren und die Invasionen abwehren (etwas, was z. B. nach dem großen "Rheinübergang" im 5. Jhdt. nicht mehr gelang). Anerkennen sollte man aber auch, dass er mit seinem Kaiserkollegen Lucius Verus klarkam, während Doppelherrschaften in vielen anderen Fällen zum Bürgerkrieg führten. "Überfordert" mag er gewesen sein, aber gerade das spricht in meinen Augen für ihn, dass er sich zu einem Leben aufraffte, für das er eigentlich nicht geschaffen und nicht geneigt war. Alles in allem machte er meiner Meinung nach seine Sache nicht schlecht.

@ Lafayette II.:
Das mit der misslungenen Ausrottung der Christen war sicherlich ironisch gemeint, aus Sicht der Christentumshasser geschrieben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihr habt ja recht mit allem, was ihr schreibt. mein Beitrag war bewusst polemisch überspitzt formuliert. Aber leider bedarf es zuweilen der Polemik und Provokation, um eine lebhafte Diskussion zu starten.

Wenn Marc Aurel seinen Sohn von der Nachfolge ausgeschlossen hätte, bestand die Gefahr eines Bürgerkrieges und er hätte Commodus der Gefahr ausgesetzt, mit relativ großer Sicherheit ermordet zu werden. Dass der Begriff Adoptivkaisertum irreführend ist, haben wir schon in vielen Beiträgen und Threads festgestellt. Die Caesaren von Nerva bis Antoninus hatten keine leiblichen Kinder, dass sie fähige Nachfolger ernannten war mehr oder weniger Zufall. bei Hadrian wurde gemunkelt, ob Trajan ihn wirklich ernannte, und Hadrian wäre nach seinem Tod beinahe der Damnatio memoriae verfallen, da er in seinen letzten Lebensjahren frondierende Senatoren exekutieren ließ und zu seinem Regierungsbeginn einige der besten Generale Trajans.

Mit den enormen Schwierigkeiten, die sich unter Marc Aurels Regentschaft stellten, hätte sicher auch ein Militärexperte seine Last gehabt, und er hinterließ seinem Sohn zumindest ein relativ gesichertes, befriedetes Reich. Die Regierungszeit des Commodus war eine relativ friedliche Zeit, es gab eigentlich nur in Britannien Unruhen, die nicht zuletzt von den Truppen ausgingen, die verbittert darüber waren, dass die Legionen das von Antoninus besetzte Territorium räumten und sich wieder auf den Hadrianswall zurückzogen. Marc Aurels Gesundheit war stark angeschlagen, und die Jahre an der Donaufront müssen ihm enorme physische und psychische Anstrengungen abgefordert haben.

Von den Caesaren seit Augustus haben eigentlich nur Tiberius, Trajan und Hadrian über größere militärische Erfahrungen verfügt, und Marc Aurel muss zumindest soviel Autorität besessen haben, dass er relativ sicher sein konnte, seinem Schwiegersohn Claudius Pompeianus oder Helvius Pertinax größere Truppenkontingente anvertrauen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass ein Heerestruppenchef von seinen Truppen zum Imperator ausgerufen wurde oder sich selbst ernannte oder ernennen musste, um einen koordinierten Oberbefehlsstab organisieren zu können um den Einfällen begegnen zu können. Avidius Cassius, dem im Grunde genommen die Erfolge im Partherkrieg zu verdanken waren, hat das, soweit wir es überhaupt genau wissen, erst getan, als sich die Nachricht verbreitete, Marc Aurel sei verstorben.

Unter den Soldatenkaisern waren einige, die durchaus den Vergleich mit herausragenden Caesaren des 1. Jhds nicht zu scheuen brauchten.

Leider wissen wir über die Feldzüge der letzten Jahre Marc Aurels recht wenig, wieweit tatsächlich die Errichtung neuer Provinzen oder zumindest einer Pufferzone im Donau/ Theissbecken fortgeschritten waren, wissen wir nicht. Allerdings hat der Fund am Harzhorn gezeigt, dass die Römer im 3. Jhd weiter in die Germania libera vorstießen, als man noch vor wenigen Jahren angenommen hätte.

Insgesamt dürfte es keine Übertreibung sein, zu sagen, dass das Imperium Romanum während der Regierungszeit Marc Aurels Bedrohungen ausgesetzt war wie sie Rom und Italien seit Hannibal nicht mehr erlebt hat. Einige Schätzungen gehen soweit, dass bis zu 20% der Reichsbevölkerung der antoninischen Pest- vielleicht eine Choleraepidemie- zum Opfer fiel, und die rückkehrenden Truppen des Partherfeldzuges verbreiteten sie im ganzen Reich. Das zu einem Zeitpunkt, als sich verschiedene germanische Stämme zu größeren Verbänden zusammenschlossen und von anderen Stämmen wie den Goten näher an und über die Grenzen des Imperiums gedrängt wurden. Das System von Klientelkönigreichen und Pufferzonen funktionierte nicht mehr. Stämme wie die Quaden, denen Antoninus einen König gegeben hatte, wendeten sich gegen Rom. Außerdem nahm die Erfahrung und Schlagkraft der germanischen Stämme sowie der Sarmaten, Roxolanen zu, als die Legionen geschwächt wurden durch Seuchen und Mehrfrontenkriege.

Die Soldatenkaiser waren erfahrene Militärs, dennoch dauerte es, bis sich die Reformen und Militärreformen unter Gallienus in Erfolgen niederschlugen. Die Aufrüstung des Militärs wiederum ließ den Druck auf die Zivilbevölkerung wachsen, und trug damit zu Spannungen bei zu einem Zeitpunkt, als sich eine wirtschaftliche Rezession bemerkbar machte. Die Vergrößerung des Heeres und die Einbindung von Hilfstruppen trug zu einer Barbarisierung der Armee bei.

Der Tod Marc Aurels wurde als eine Zäsur empfunden, man denke nur an Cassius Dios Ausspruch, das goldene Zeitalter Trajans, Hadrians Antoninus und Marc Aurels habe sich in Eisen und Rost verwandelt. Septimius Severus, dessen Militärreformen im Grunde konsequent und folgerichtig waren, kam bei senatorisch geprägten Historiographen schlecht weg, mochte die von ihm begründete afrikanisch-syrische Dynastie auch noch einmal zu einer Stabilisierung des Imperiums beigetragen haben. Rückblickend erschien die Persönlichkeit Marc Aurels daher auch mit einer gewissen nostalgischen Verklärung verbunden gewesen sein. Insgesamt hat er sich angesichts der enormen Herausforderungen, die sich ihm stellten achtbar bewährt-ohne Frage! Er hat bürokratische und militärische Pflichten sicher sehr ernst genommen, und die "Selbstbetrachtungen" mögen durchaus aufrichtig in dem Sinne gewesen sein, wie sie zeigen wie enorm schwer ihm das gefallen sein mag.

Anlässlich einer Tiberüberschwemmung zeigte er sich als passabler "Krisenmanager" und in seiner administrativen Tätigkeit verbesserte er die rechtliche Situation der sozial Schwächsten und war, wenn wir Cassius Dio Glauben schenken,fleißiger und tüchtig in seiner Tätigkeit als Richter. Ohne gründliche militärische Ausbildung bemühte er sich um die Organisation der Armee. Dass man mit dem verkauf des Tafelsilbers keine Heeresgruppe aufstellen kann, ist klar sein, und es dürfte sich dabei eher um eine symbolische Geste handeln, ählich wie Friedrich II. das im
7-jährigen Krieg tat.

Insgesamt aber halte ich Marc Aurel sowohl als Kaiser wie als Philosoph für stark überschätzt, und es dürfte durchaus fraglich sein, dass eine solche Persönlichkeit sich in der Reichskrise des 3. Jahrhunderts hätte behaupten können.
 
Von den Caesaren seit Augustus haben eigentlich nur Tiberius, Trajan und Hadrian über größere militärische Erfahrungen verfügt
Ich würde allerdings Vespasians militärische Erfahrungen bei der Eroberung Britanniens und im Jüdischen Krieg höher anschlagen als die Hadrians.

und es dürfte durchaus fraglich sein, dass eine solche Persönlichkeit sich in der Reichskrise des 3. Jahrhunderts hätte behaupten können.
Da habe ich auch meine Zweifel. Von den Kaisern des 3. Jhdts. - soweit über sie genug bekannt ist, um sie näher beurteilen zu können - dürfte er von der Persönlichkeit her am ehesten mit Severus Alexander und Gallienus vergleichbar gewesen sein, die auch beide eher gebildete Schöngeister waren und beide eher wenig begeistert, sich persönlich um militärische Angelegenheiten zu kümmern. Beide endeten gewaltsam, wobei es Gallienus aber immerhin auf für seine Zeit erstaunliche 15 Regierungsjahre brachte.
Severus Alexander wurde sein mangelnder Respekt bei den Soldaten zum Verhängnis, ein Problem, das Mark Aurel eher nicht gehabt haben würde, ebensowenig den Ruf, ein Muttersöhnchen zu sein. Wenn man sich ansieht, dass auch (u. a. militärisch) erfolgreiche Kaiser wie Aurelianus und Probus ermordet wurden, glaube ich aber, dass es Mark Aurel letztlich nicht anders ergangen wäre.
Gallienus war laufend mit usurpierenden Generälen und Statthaltern konfrontiert, von denen ihm letztlich einer, Aureolus, zum Verhängnis wurde. Da auch Mark Aurel auf die Unterstützung zahlreicher Generäle und Statthalter angewiesen war, hätte er wohl auch ähnliche Probleme gehabt. Vor allem aber wäre im 3. Jhdt. Avidius Cassius vermutlich nicht von den eigenen Leuten ermordet worden, sobald bekannt wurde, dass der rechtmäßige Kaiser noch lebte, sondern es wäre wohl eher zum Bürgerkrieg gekommen.

Insgesamt aber halte ich Marc Aurel sowohl als Kaiser wie als Philosoph für stark überschätzt
Das hängt natürlich davon ab, wie hoch man ihn einschätzt. Für Verklärung besteht kein Grund, für Herabwürdigung aber auch nicht.
Als Philosoph hat er nichts Neues geleistet und war er wohl doch etwas allzu sehr darauf bedacht, als Philosoph wahrgenommen zu werden - zumindest für meinen Geschmack. Da sein Ruhm heutzutage eher darauf beruht, er sei ein "Philosoph auf dem Kaiserthron" gewesen (der sich für das Reich opferte), als auf seinen militärischen Erfolgen, halte ich ihn insofern tatsächlich für überschätzt.
Als Kaiser und Feldherr (letzteres wider Willen) aber hat er das Reich in schwerster Zeit bewahrt und stabilisiert und seine Aufgaben trotz aller Krisen und Probleme immerhin so gut erfüllt, dass das Reich unter Commodus auch ohne vernünftige lenkende Hand weiterhin funktionierte. Mehr kann man von einem Kaiser eigentlich nicht verlangen.
 
Ich würde allerdings Vespasians militärische Erfahrungen bei der Eroberung Britanniens und im Jüdischen Krieg höher anschlagen als die Hadrians.
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Stimmt, an den habe ich gar nicht gedacht. Er soll mal bei einer Lesung oder einem Konzert Neros eingeschlafen sein. Das Kommando in Judäa bekam er wohl, weil er neben Corbulo einer der fähigsten Kommandeure war, man ihn aber für politisch am wenigsten gefährlich hielt, womöglich zum Usurpator zu werden, da er ein homo novus war.
 
4. Ich sehe kein Problem, wenn es keine Spiele gibt. Zuckerbrot und Peitsche macht nicht unbedingt einen guten Kaiser aus. Ist es im Gegenteil nicht sinnvoll, wenn sich ein Kaiser mit Regierungsaufgaben ausführlich beschäftigt?

5. Wissen wir denn, warum er keine Nachfahren hatte? Rechnet man das zum Beispiel Friedrich dem Großen negativ an?

ad 5) Marcus Aurelius hatte eine Menge Nachkommen, seine Gattin Faustina war mehr als ein Dutzend Mal schwanger, es erreichten aber nur Commodus und Lucilla das Erwachsenenalter. Commodus hatte einen Zwillingsbruder, der aber in der Kindheit starb. Lucilla wurde mit Marcus Mitkaiser Lucius Verus verheiratet und danach mit Claudius Pompeianus. Diesem wurde nach Commodus Tod der Principat angeboten doch lehnte er ab, Helvius Pertinax wurde von den Prätorianern ermordet. Dieser war Sohn eines Freigelassenen und ehemaliger Grammatiklehrer, bevor er in der Armee Karriere machte. Lucilla wurde wohl von ihrem Bruder exekutiert wegen teilnahme an einer Verschwörung.

Ad 4) Marc Aurel ließ Gladiatoren an der Front kämpfen. Neben Tiberius war er wohl der einzige Caesar, der sich aus Spektakeln nichts machte und dem es gelang sie zumindest in Italien einzuschränken. Er ließ gladiatoren nur mit Übungswaffen aus Holz kämpfen und limitierte die Höchstgagen auf 16.000 Sesterzen. unter Tiberius, der massenveranstaltungen verabscheute kam es bei einer Massenpanik zu zahlreichen Toten in der Stadt Fidena, wo ein Freigelassener ein provisorisches Amphitheater errichten ließ. Dabei stürzten Tribünen ein und begruben Zuschauer. Der jüngere Plinius lobte dagegen in seinem Panegyricus Trajan, dass er dem römischen Volk Gladiatorenkämpfe und kein Balett zeigte. marcus Claudius Fronto, den Marc Aurel als Rhetoriklehrer schätzte und in den Selbstbetrachtungen lobend erwähnt, lobte ebenfalls Trajan:

"Dass er (Trajan) seine Aufmerksamkeit selbst Schauspielern und den Akteuren des Circus und Amphitheaters schenkte, war, weil er genau wusste, dass das römische Volk sich vor allem um zweierlei sorgt: die Getreideversorgung und öffentliche Spiele. Ihm war bewusst, dass seine Herrschaft Lob fand sowohl wegen seiner Sorge um wichtige Angelegenheiten und das Staatswohl wie wegen seiner Spiele und er wusste genau, dass die Vernachlässigung wichtiger Angelegenheiten größeren Schaden bringt, die Vernachlässigung öffentlicher Spiele aber auf Kosten der Beliebtheit eines Herrschers geht. Der Wunsch des Volkes nach Getreideversorgung ist nicht weniger dringend als der Wunsch des Volkes Spiele zu sehen. Sorge um die Getreideversorgung zieht das Lob der Empfänger nach sich, aber das ganze Volk wird gewonnen durch öffentliche Spiele.
 
Da habe ich auch meine Zweifel. Von den Kaisern des 3. Jhdts. - soweit über sie genug bekannt ist, um sie näher beurteilen zu können - dürfte er von der Persönlichkeit her am ehesten mit Severus Alexander und Gallienus vergleichbar gewesen sein, die auch beide eher gebildete Schöngeister waren und beide eher wenig begeistert, sich persönlich um militärische Angelegenheiten zu kümmern. Beide endeten gewaltsam, wobei es Gallienus aber immerhin auf für seine Zeit erstaunliche 15 Regierungsjahre brachte.
Severus Alexander wurde sein mangelnder Respekt bei den Soldaten zum Verhängnis, ein Problem, das Mark Aurel eher nicht gehabt haben würde, ebensowenig den Ruf, ein Muttersöhnchen zu sein. Wenn man sich ansieht, dass auch (u. a. militärisch) erfolgreiche Kaiser wie Aurelianus und Probus ermordet wurden, glaube ich aber, dass es Mark Aurel letztlich nicht anders ergangen wäre.
Gallienus war laufend mit usurpierenden Generälen und Statthaltern konfrontiert, von denen ihm letztlich einer, Aureolus, zum Verhängnis wurde. Da auch Mark Aurel auf die Unterstützung zahlreicher Generäle und Statthalter angewiesen war, hätte er wohl auch ähnliche Probleme gehabt. Vor allem aber wäre im 3. Jhdt. Avidius Cassius vermutlich nicht von den eigenen Leuten ermordet worden, sobald bekannt wurde, dass der rechtmäßige Kaiser noch lebte, sondern es wäre wohl eher zum Bürgerkrieg gekommen.
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Severus Alexander oder besser seine Generale konnten sich in einem Krieg gegen die Perser wohl noch achtbar aus der Affäre ziehen, als er und seine Mutter aber den Frieden von den Juthungen gegen Zahlung von Subsidien erkaufen wollten, ermordete sie die Soldateska. Bei Gallienus ging es darum, dass Soldaten die Barbaren abgefangen hatten, als sie mit Beute beladen den Heimweg betraten. Gallienus Sohn und Mitkaiser wollte die Beute an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben, während Aureolus sie an die Soldaten verteilen wollte, daraufhin wurden Vater und Sohn ermordet.
 
Ad 4) Marc Aurel ließ Gladiatoren an der Front kämpfen. Neben Tiberius war er wohl der einzige Caesar, der sich aus Spektakeln nichts machte und dem es gelang sie zumindest in Italien einzuschränken. Er ließ gladiatoren nur mit Übungswaffen aus Holz kämpfen und limitierte die Höchstgagen auf 16.000 Sesterzen. unter Tiberius, der massenveranstaltungen verabscheute kam es bei einer Massenpanik zu zahlreichen Toten in der Stadt Fidena, wo ein Freigelassener ein provisorisches Amphitheater errichten ließ. Dabei stürzten Tribünen ein und begruben Zuschauer.
Weshalb Tiberius keine Spiele mochte lässt sich kaum ergründen. Mitleid oder Menschlichkeit waren wohl nicht seine Beweggründe. Möglicherweise hielt der Claudier Spiele für Geldverschwendung und Anbieterei an den Pöbel.
Immerhin veranstaltete M. Aurel gelegentlich Spiele ,während Tiberius überhaupt keine auf eigene Kosten ausrichtete und auch nie zu Gast bei Gladiatorenkämpfen erschien. Möglicherweise lag das auch an seiner einsiedlerischen Natur, die ihm den Aufenthalt unter Menschenmassen verleidete.
Die Weisung ,Gladiatoren nur mit stumpfen Waffen känpfen zu lassen dürfte sich nur auf Kämpfe bezogen haben, bei denen Marc Aurel selbst der Veranstalter oder zumindest Gast war, denn ein Gesetz, welches anderen Veranstaltern das vorschrieb, scheint es nicht gegeben zu haben.
 
Bei Gallienus ging es darum, dass Soldaten die Barbaren abgefangen hatten, als sie mit Beute beladen den Heimweg betraten. Gallienus Sohn und Mitkaiser wollte die Beute an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben, während Aureolus sie an die Soldaten verteilen wollte, daraufhin wurden Vater und Sohn ermordet.
Vermengst Du da möglicherweise etwas? Die Geschichte mit dem Streit um die Beute war der Grund für die Usurpation des Postumus und den Tod des Saloninus, Sohn und Mitkaiser von Gallienus. Das war allerdings schon 260. Gallienus wurde 268 auf seinem Feldzug gegen den Usurpator Aureolus vom Kommandanten seiner Dalmatischen Reiterei ermordet.
 
Die Weisung ,Gladiatoren nur mit stumpfen Waffen känpfen zu lassen dürfte sich nur auf Kämpfe bezogen haben, bei denen Marc Aurel selbst der Veranstalter oder zumindest Gast war, denn ein Gesetz, welches anderen Veranstaltern das vorschrieb, scheint es nicht gegeben zu haben.
Bei Cassius Dio (72,29) liest sich das tatsächlich so, wenngleich es in der Literatur normalerweise als allgemeines Gebot dargestellt wird.
 
Bei Cassius Dio (72,29) liest sich das tatsächlich so, wenngleich es in der Literatur normalerweise als allgemeines Gebot dargestellt wird.
Dio ist aber der Einzige, der Marc Aurel und später Commodus selbst erlebt hat. Insofern dürfte er als Zeitzeuge nicht der schlechteste Berichterstatter gewesen sein.
 
Mit "Literatur" meinte ich die heutige Literatur. Cassius Dio scheint ohnehin der einzige konkrete antike Beleg für Mark Aurels Maßnahme zu sein. In der Historia Augusta (Mark Aurel 11) steht nur ganz unbestimmt, dass er die Gladiatorenspiele "in jeder Hinsicht mäßigte".
 
Ah, Perzeptionsgeschichte. Man könnte hier eine Parallele zu Iulius Caesar ziehen, der ebenfalls schrieb und somit – durch die Literatur – besser in unserer Wahrnehmung dasteht als sein nicht-literarischer Freund, Schwiegersohn und Gegner Pompeius. Man tendiert dazu, denen, die ihre Meinung und Ansichten artikulieren, einen gewissen Bonus einzuräumen; wenn sie das auch noch gut können, umso mehr. Gewalttäter und Verbrecher wie Trotzki und Goebbels werden durch ihre Werke menschlich und verständlich, um wieviel mehr also ein "guter" Kaiser (eine Tendenz dazu, so selber die eigene Geschichte zu schreiben, lässt sich ja auch noch bei simplen Politikern wie Kohl oder Lafontaine feststellen, die ihre Rechtfertigungen und Tiraden in Buchform pressen lassen)?

Der Umstand, dass Marc Aurels Werke eben keine Rechenschaftsberichte oder Geschichtswerke sind, machte ihn bei den Humanisten beliebt: ich finde sympathisch, dass er sich in seinen Werken öfter dazu ermahnt, nicht im Bett liegenzubleiben, auch wenn es darin gemütlicher ist – das ist mir zumindest von den "Meditationen" kleben geblieben. Er lässt deutlich erkennen, dass er "Kaiser" nicht als Traumberuf ansieht, er andererseits aber den Job machen musste der ihm zufiel. Er war sicher nicht pragmatisch und von bürokratischem Geschick wie Traian, hatte nicht die Innovationslust und den (nervtötenden) Perfektionismus Hadrians. Trotzdem strebte er beiden nach: im selbstgeführten Markomannenkrieg und in seinen Bauten (in Rom). Vielleicht war die Wahl von Lucius Verus und später Commodus als Mitregent auch seine Art, den Römern einen "Partykaiser" zu geben, während er selbst sich um die ernsten Dinge kümmern konnte.

Wenn wir "römischer Kaiser" als einen, wenn korrekt ausgeführt, Hochstressjob mit wenig Kompensationsmöglichkeit verstehen, können wir den Umschlag in Überkompensation durch Kunst (Nero) Wissenschaft/Geschichte (Claudius) und Ausschweifung (Tiberius, Gaius, Commodus) verstehen; Marcus war da mit seinen philosophischen Gedanken durchaus eine löbliche Ausnahme, wenn auch (m. E.) nicht unbedingt ein Muster.
 
Vielleicht war die Wahl von Lucius Verus und später Commodus als Mitregent auch seine Art, den Römern einen "Partykaiser" zu geben, während er selbst sich um die ernsten Dinge kümmern konnte.
Das glaube ich nicht. Immerhin hat Mark Aurel den Lucius Verus in den Partherkrieg geschickt. Zunächst bekam also Verus die schwierigere Aufgabe. Verus genoss das Leben zwar sogar auf dem Feldzug, aber Sinn der Sache kann das nicht gewesen sein, und die Römer selbst hatten nicht einmal etwas davon.
Den Commodus wiederum versuchte er zumindest zu einem würdigen Nachfolger heranzubilden. Nach der Erhebung zum Mitkaiser ließ er ihn nicht in Rom herumfeiern, sondern nahm ihn mit in den Germanienkrieg.

Wenn wir "römischer Kaiser" als einen, wenn korrekt ausgeführt, Hochstressjob mit wenig Kompensationsmöglichkeit verstehen, können wir den Umschlag in Überkompensation durch Kunst (Nero) Wissenschaft/Geschichte (Claudius) und Ausschweifung (Tiberius, Gaius, Commodus) verstehen; Marcus war da mit seinen philosophischen Gedanken durchaus eine löbliche Ausnahme, wenn auch (m. E.) nicht unbedingt ein Muster.
Claudius widmete sich der Wissenschaft allerdings primär in einer Zeit, als es so aussah, als würde er nie mehr sein als bloß Privatmann. Als Kaiser profitierte er dann noch davon.

Das Verhalten von Caligula, Nero und Commodus würde ich eher damit erklären, dass ihnen allmählich zu Kopf stieg, dass sie sich in einer Position befanden, in der sie sich mehr als andere erlauben konnten - oder auch als Kaiser endlich ihre geheimsten Wünsche (falls sie sie schon früher hatten) ausleben konnten.
 
Ich würde hier einmal gerne die ach so berühmten Selbstbetrachtungen ansprechen: ich finde sie für die Zeit eigentlich relativ verfehlt. Warum schreibt ein Kaiser, der ständig in außenpolitische Kämpfe an den Grenzen verwickelt ist, ein Buch über philosophische Probleme? Das ist irgendwie widersinnig. Eher erwarten würde ich eine Selbstrechtfertigung bzw. Propaganda wie die Kommentare zum Gallischen Krieg oder vielleicht auch eine philosophische Programmatik in der er seine Ziele und Visionen zum Ausdruck bringt.


Oder könnten wir es mit einem Philosophen auf dem Kaiserthron zu tun haben, noch dazu einem Philosophen, der von Politik nicht viel verstand, und eher über, ich sage einmal, "persönliche" Probleme sinnierte?
 
Auch Caesar schrieb nicht nur über den Gallischen Krieg und den Bürgerkrieg, sondern z. B. ein Grammatikwerk "Über die Analogie". Germanicus z. B. übersetzte ein astronomisches Lehrgedicht aus dem Griechischen. Das bedeutet nicht, dass sie von ihrem "Hauptberuf" nichts verstanden.
Warum also sollte Mark Aurel seltene Mußestunden nicht nutzen, um über etwas zu schreiben, was ihm wirklich am Herzen lag? Außerdem führte auch er nicht permanent Krieg.
 
Auch Caesar schrieb nicht nur über den Gallischen Krieg und den Bürgerkrieg, sondern z. B. ein Grammatikwerk "Über die Analogie". Germanicus z. B. übersetzte ein astronomisches Lehrgedicht aus dem Griechischen. Das bedeutet nicht, dass sie von ihrem "Hauptberuf" nichts verstanden.
Warum also sollte Mark Aurel seltene Mußestunden nicht nutzen, um über etwas zu schreiben, was ihm wirklich am Herzen lag? Außerdem führte auch er nicht permanent Krieg.


Auch Augustus betätigte sich schriftstellerisch. Er verfasste u. a. einen Anti-Cato als Antwort auf eine Lobschrift auf Cato, die Brutus 46 v. Chr geschrieben hatte. Bei einer Lesung dieses Werks in privatem Kreis ließ er sich aber von Tiberius vertreten wegen Ermüdung. Dazu schrieb er ein Traktat "Ermunterungen zur Philosophie und eine Autobiographie in 13 Bänden, die er aber nicht vollendete. Auch in der Poesie übte er sich und schrieb einen Lyrikband in Hexametern über Sizilien und eine Sammlung Epigramme, die er meist nach dem Bad verfasste. Er widmete sich aber auch dem Genre des Dramas und schrieb eine Tragödie über Ajax den Telamonier, vernichtete aber das Werk und entgegnete Freunden, die sich danach erkundigten, sein Ajax habe sich in den Schwamm gestürzt.

Augustus beschäftigte sich daneben mit Rhetorik und den freien Künsten (Grammatik, Dialektik, Musik unsd Philosophie) und hatte eine Schwäche für Satire und Parodie. Gerne nahm er den Stil des Marcus Antonius "das parfümierte Stilgekräusel" seines Freundes Maecenas und den altertümlichen Stil seines Nachfolgers Tiberius ironisch auf Korn. Mit Fleiß widmete er sich dazu der griechischen Sprache und Literatur und studierte Rhetorik bei Apollodorus von Pergamon und Philosophie bei Areus Didymos und dessen Söhnen Dionysius und Nikanor. Trotzdem beherrschte er Griechisch nicht so fließend wie sein Enkel Claudius und ließ Reden und Aufsätze von einem Sekretär vom Lateinischen in Griechisch übersetzen. (Suet, Augustus 84-89)

Eine Parodie des Augustus auf Maecenas überschwenglichen Stil ist übrigens in Macrobius Saturnalia II, 4 erhalten: "Herzlichen Gruß dir, Edelhonig von Medullia, Elfenbein aus Etrurien, Wohlgeruch von Arretium, Erz des Oberlandes, Perle des Tiber usw. Übersetzung Stahr).

Als Literaturliebhaber war Augustus stark in der griechischen Poesie bewandert und mochte die Klassiker der Komödie wie Aristophanes, die er gerne aufführen ließ.
 
Ich würde hier einmal gerne die ach so berühmten Selbstbetrachtungen ansprechen: ich finde sie für die Zeit eigentlich relativ verfehlt. Warum schreibt ein Kaiser, der ständig in außenpolitische Kämpfe an den Grenzen verwickelt ist, ein Buch über philosophische Probleme? Das ist irgendwie widersinnig. Eher erwarten würde ich eine Selbstrechtfertigung bzw. Propaganda wie die Kommentare zum Gallischen Krieg oder vielleicht auch eine philosophische Programmatik in der er seine Ziele und Visionen zum Ausdruck bringt.


Oder könnten wir es mit einem Philosophen auf dem Kaiserthron zu tun haben, noch dazu einem Philosophen, der von Politik nicht viel verstand, und eher über, ich sage einmal, "persönliche" Probleme sinnierte?

Auch wenn ich ihn im Eingangsbeitrag ziemlich verrissen habe, halte ich Marc Aurel schon für einen tüchtigen Kaiser, der seine Pflichten als Politiker sehr ernst nahm, administrative Arbeiten gewissenhaft erledigte und sich in Krisen wie anlässlich einer Tiberüberschwemmung als fähiger Krisenmanager bewährte.

Zu Antoninus Zeiten konnte sich der Princeps noch leisten, Italien niemals zu verlassen, während Marcus Aurelius Prinzipat aber, brachen überall die Dämme. Zu den äußeren Bedrohungen durch die Parther, Markomannen, Quaden, Jazygen und andere Stämme kam die "antoninische Pest" von der man nicht weiß, ob es sich um eine Pest-, Cholera- oder Pockenepidemie handelte. Was es auch für eine Krankheit war, die zeitgenössische Medizin stand ihr recht hilflos gegenüber und es handelte sich um eine der größten, wenn nicht die schlimmste Epidemie der Antike, der nach Schätzungen bis zu 10% der Reichsbevölkerung zum Opfer fielen, darunter vielleicht auch Marc Aurel selbst. Die aus dem Partherfeldzug zurückkehrenden Truppen verbreiteten sie über das ganze Reich.

Marc Aurels Gesundheitszustand war alles andere als gut, und sich eine gründliche militärische Ausbildung anzueignen, hatte Antoninus Marcus erlassen. Wenn er auf diesem Gebiet wenig erfahren war und seine Anwesenheit nahe der Front eher eine symbolische war, so gelang es Marcus Aurelius doch, fähige Heerführer zu beauftragen und sich deren Loyalität zu versichern. Ernennungen erfolgten mehr nach Verdienst und Tüchtigkeit, als nach Geblüt. Marcus Schwiegersohn Claudius Pompeianus stammte nach den Maßstäben römischer Patrizier keineswegs aus vornehmer Familie. Pompeianus kam aus Syrien und seine Familie gehörte "nur" dem Ritterstand an. Helvius Pertinax war, wenn ich mich recht erinnere, der Sohn eines Freigelassenen, der sich als Tuchhändler einigen Wohlstand erworben hatte. Helvius Pertinax war, bevor er beim Militär Karriere machte, Grammatiklehrer gewesen.

Einem Kommandanten größere Truppenkontingente anzuvertrauen barg die Gefahr von Usurpationen wie das Beispiel des Avidius Cassius zeigte.

Wenn wir den Reliefs auf der Marcussäule vertrauen können, waren die Markomannen- und Sarmatenkriege recht schmutzige. Sehr naturalistisch sind Überfälle auf Dörfer und Exekutionen von Kriegsgefangenen abgebildet. In den Capitolinischen Museen sieht man Marcus hoch zu Ross wie er schutzflehende Germanen begnadigt. Auf Ariogaesus, den König der Quaden setzte Marc Aurel ein Kopfgeld aus, ließ ihn aber, nachdem er ausgeliefert wurde nach Alexandria verbannen. Nach dem 1. Band der Selbstbetrachtungen war Marc Aurel persönlich an der Strafexpedition "
im Land der Quaden am Gran
In der heutigen Slowakei anwesend.

Obwohl er auf seine militärischen Leistungen (oder besser die seiner Generale) hätte stolz sein können- immerhin hatte er mit Bedrohungen fertig zu werden, die Rom seit Hannibals Zeiten nicht mehr erlebt hatte, und er hinterließ seinem Nachfolger ein stabilisiertes Reich, scheint ihm Kriegsruhm nichts bedeutet zu haben. Im 8. Band schreibt er
"Alexander, Caesar, Pompeius was sind sie gegen Diogenes, Heraklit und Sokrates?"
und im 10. Buch
Eine Spinne, die eine Fliege gefangen hat, ist stolz, ein anderer hat einen Hasen, ein anderer eine Sardelle, ein anderer Wildschweine, ein anderer Bären und ein anderer Sarmaten gefangen. Sind sie nicht alle Räuber, wenn du ihre Leitsätze prüfst?

Wir gäben einiges, wenn Marc Aurelius sich zu seinen Feldzügen geäußert hätte. Aus den Selbstbetrachtungen erfahren wir leider nur, wie unendlich schwierig ihm seine Pflichten vor allem auch die physischen Herausforderungen gefallen sein müssen, die er seinem Körper abforderte.

So problematisch auch retrospektive medizinische Diagnosen über 1800 Jahre sein mögen, Zitate aus den "Selbstbetrachtungen" aus Galen und der Historia Augusta ergeben das Psychogramm eines Menschen, der unter massiven gesundheitlichen Problemen litt, auf die Einnahme von Theriak, einem opiumhaltigen Präparat angewiesen war und seinem Körper Leistungen abverlangte, die seine Physis überforderten.
 
@Romanus: Vielleicht waren die Selbstbetrachtungen ja sein Ausgleich, sein privates Projekt (was auch immer Privatleben für einen römischen Kaiser bedeutet) für den kaiserlichen Feierabend. Wie Ravenik und Scorpio bereits ausführten waren die römischen Kaiser weitläufig gebildete Männer mit vielen Interessen, so wie es sich für Mitglieder der römischen Oberschicht gehört.
Zu Zeiten der Soldatenkaiser mit ihrem fast jährlichen Ursurpations- Rhythmus hat sich dies dann ja geändert....

Wobei, Ausnahmen bestätigen die Regel, gibt es Verse von Vespasian?

Was mich zum nächsten Gedanken führt, gibt es Hinweise dafür das sich Marc Aurel schriftlich zu militärischen Dingen ausgelassen hat, davon aber nichts bis in unsere Zeit überlebt hat?
Ich kann mich zumindest nicht erinnern irgendetwas dazu in den Quellen gelesen zu haben, gezielt gesucht habe ich aber auch nicht.....
 
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