Hier wird Sueton von Dir überinterpretiert. Er schreibt gar nicht, dass Caligula das Pferd zum Senator machte. Zitat: " es heißt sogar, er habe vorgehabt, es zum Konsul zu machen." Gerüchte stellt er nämlich meist nicht als Tatsache dar, sondern betont mit "es heißt" ,dass es sich nicht unbedingt um eine Tatsache handeln muß.
Sehr richtig! Übrigens wird die Geschichte nicht nur von Sueton erzählt, sondern auch von Cassius Dio - wobei Cassius Dio im Gegensatz zum vielgeschmähten Sueton die Sache mit dem Konsulat nicht zurückhaltend als Gerücht hinstellt, sondern von konkreten Absichten des Kaisers berichtet - allerdings offenlässt, ob er sie wohl auch wirklich umgesetzt hätte.
Da wären wir auch wieder bei einem Grundproblem, das ich schon in meinem letzten Beitrag angesprochen habe: Dass man antiken Autoren gerne Behauptungen unterstellt, die sie gar nicht getätigt haben, und Tendenzen, die so gar nicht in ihren Werken vorlagen. Es wird gerne übersehen, dass über die meisten Personen sehr wohl differenziert geschrieben wurde, vor allem aber auch, dass antike Autoren sehr wohl zwischen Gerüchten und Fakten differenzierten. Z. B. wird gerne als Beweis für Tacitus' Tendenziosität herangezogen, dass er Nero den Brand Roms angelastet habe. Dabei hat er das gar nicht, er hat nur ein entsprechendes Gerücht erwähnt, daneben aber auch andere mögliche Brandursachen, sogar als wahrscheinlicher, genannt. Gerade bei Tacitus ist es öfters so, dass er verschiedene Varianten erwähnt, von seinen modernen Kritikern aber nur die "tendenziöse" herausgegriffen und als Beweis für seine Tendenziosität und Unzuverlässigkeit gewertet wird. Man kann aber nicht einfach antike Autoren als unglaubwürdig verwerfen, indem man ihnen Darstellungen vorhält, die gar nicht von ihnen stammen. Tendenziös sind in diesen Fällen nicht die antiken Autoren, sondern manche ihrer modernen Kritiker, die sie um jeden Preis unglaubwürdig machen wollen, um die Quellen durch eigene viel positivere Darstellungen ersetzen und so Nero & Co. zu Superkaisern machen zu können.
Müssen wir wirklich glauben, dass Caligula ein Pferd zum Senatoren machte? Bzw. dass dies ein Zeichen seines Wahnsinns war? Oder können wir einfach feststellen, dass Caligula den Senat andauernd brüskierte, vielleicht eben auch, indem er durch eine symbolische Handlung dem Senat zeige, was er von ihm hielt (und deshalb posthum diese negative Presse erhielt?).
Der Ansatz ist ja richtig, nur muss er auch konsequent angewandt werden: Natürlich muss man sich überlegen, was Autoren über eine Person wissen konnten. Grundsätzlich gilt: Niemand kann in einen Menschen hineinsehen. Sogar wenn von einem Menschen Reden, Autobiographien oder Briefe vorlagen/vorliegen, muss man immer berücksichtigen, dass der Verfasser dabei auf die Wirkung auf den/die Adressaten abgestellt hat, sie also nicht unbedingt seine wahre Natur offenbaren. (Umso mehr gilt das natürlich, wenn die Briefe zur Veröffentlichung gedacht waren.) Das gilt natürlich für Politiker und sonstige Personen aller Zeiten: Wir wissen im Grunde genommen bei niemandem, was er wirklich gedacht hat. (Daher können wir, auch wenn wir es gerne würden, weder bei Hannibal sagen, was eigentlich seine Kriegsziele waren, noch bei Arminius, was seine Motive für den Aufstand waren.)
Was man aber sehr wohl feststellen kann, sind die Handlungen einer Person. Man kann also sagen, dass A etwas gemacht hat. Nicht zuverlässig sagen kann man, warum er es gemacht hat. Wenn also Caligula etwas Seltsames machte, ließ sich das von Zeugen feststellen und darüber berichten. Ob er es gemacht hat, weil er wahnsinnig war, weil er den Senat beleidigen wollte, weil er einfach gerne provozieren wollte oder einfach aus jugendlichem Übermut, konnte man natürlich nicht wirklich feststellen. Insofern gebe ich Dir recht, dass man Darstellungen, die Personen bestimmte Motive oder Persönlichkeitsstörungen unterstellen, kritisch hinterfragen muss. Nur muss man nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und, weil das wahre Motiv für eine Handlung unklar bzw. nicht zuverlässig feststellbar ist, daraus schließen, dass auch die Handlung selbst nicht erfolgte. Also: Falls sich Caligula wirklich dahingehend äußerte, das Pferd Incitatus zum Konsul machen zu wollen, konnte das von Zuhörern gehört und überliefert werden. Ob das ein Zeichen von Wahnsinn war oder ob er dem Senat dessen Bedeutungslosigkeit vor Augen führen wollte, lässt sich freilich nicht klären.