Röm. Oberschicht, Senatoren und Kaiser als Teilnehmer an Wagenrennen

Galeotto

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Die römische Oberschicht hat auch nicht an Wagenrennen teilgenohmen, was sowohl Judas und Masala aber tun.

Dass die Oberschicht generell keine Wagenrennen fuhr kann man auch so nicht sagen. Selbst einige Kaiser frönten dieser Leidenschaft, weshalb sollten einige verwöhnte Söhne der Nobilität das nicht auch getan haben ?
Vitellius soll durch einen Unfall den er beim Wagenrennen mit Caligula erlitten hatte, lebenslang ein Bein nachgezogen haben.
 
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Dass die Oberschicht generell keine Wagenrennen fuhr kann man auch so nicht sagen. Selbst einige Kaiser frönten dieser Leidenschaft, weshalb sollten einige verwöhnte Söhne der Nobilität das nicht auch getan haben ?
Vitellius soll durch einen Unfall den er beim Wagenrennen mit Caligula erlitten hatte, lebenslang ein Bein nachgezogen haben.

Ich habe momentan meine Bibliothek nicht zur Hand und frage daher nach, ob du für den Unfall des Vitellius Sueton oder andere Historiographen anführen kannst. ich erinnere mich nur, dass Vitellius als Rennsportliebhaber und Fan der Blauen beschrieben wird. Bei den Söhnen des Septimius Severus war die Lage ähnlich Caracalla Fan der Blauen, und Geta, Fan der Grünen konnten sich schon als Kinder nicht ausstehen, und die Feindschaft ging u. a. auf einen Rennsportunfall zurück

Caligula, Nero, Vitellius, Lucius Verus, Caracalla und Geta waren allesamt dem Rennsport ergeben, und wie du schon schreibst, war es prinzipiell nicht ehrenrührig, Gladiaturfechten zu praktizieren oder den Rennsport zu betreiben. Caligula und später sein Neffe Nero nutzten den von Caligula erbauten Komplex des Circus Vaticanus, wo später auch Exekutionen von Christen stattfanden. in der Spätantike fanden dort Rennen zwischen hohen Beamten des Hofes statt.

Der Rennsport war auch das Medium, wodurch Ofonius Tigellinus, der spätere gefürchtete Prätorianerpräfekt mit Nero bekannt wurde. Tigellinus hatte eine Erbschaft in ein Gestüt/ Rennstall auf Sizilien investiert. Es war nicht die Beschäftigung mit dem Rennsport aus Liebhaberei in römischen Augen verwerflich, sondern öffentlich als Wagenlenker, Virtuose oder Gladiator aufzutreten. Im hellenistischen Osten des Imperiums konnten sich Factiones, organisierte Parteien und Rennställe erst im 2. Jahrhundert durchsetzen, und bei panhellenischen Agonen nahmen durchaus Adelige und Magnaten als Herrenreiter/-Fahrer auf. Der Sieg im Rennen der Vierergespanne in Olympia war sozusagen die Königsdisziplin. das war ein Pfund mit dem man auch politisch wuchern konnte, und Alkibiades konnte vom Sieg seines Gespanns in Olympia erheblich profitieren. Als Nero 67 nach Achaja reiste, wurden seinetwegen die Olympischen Spiele eigens ein Jahr vorverlegt. Beim Rennen steuerte Nero selbst und wurde bei einem Sturz aus dem Wagen geschleudert. Dennoch wurde er als Olympiasieger gekürt, denn alle gestarteten Gespanne gehörten ihm.
 
@Scorpio: Sueton über Vitellius: "...er war nämlich von enormer Größe des Wuchses ,das Gesicht fast ganz mit roten Flecken vom übermäßigen Weingtrinken bedeckt, der Bauch von unmäßigem Umfang und das eine Bein etwas lahm infolge eines Wagenstoßes ,den er erlitten hatte, als er beim Wettfahren des Kaisers Caligula dessen Beifahrer war...."
 
In der Caligula-Bio von Sueton steht auch einiges zum Thema Wagenfahrten und Wagenrennen. Sueton berichtet auch, Caligula habe ein Wagenrennen ausgerichtet, bei dem nur Senatoren als Wagenlenker teilnahmen (18) und bei anderer Gelegenheit, dass Senatoren neben sich her laufen ließ, während er selber mit dem Wagen fuhr (26).
Diese Stellen - Sueton betont mehrfach, dass Caligula die Senatoren demütigte - über Caligula und Vitellius sind in einem stark negativ gefärbten Ton gehalten und es scheint zumindest so, als sei die Teilnahme an Wagenrennen als eher ungehörig bzw. die Senatoren demütigend empfunden worden.
 
es scheint zumindest so, als sei die Teilnahme an Wagenrennen als eher ungehörig bzw. die Senatoren demütigend empfunden worden.
Die Plebs zu unterhalten war sicher für Senatoren vollkommen ungehörig. Als reine sportliche Übung ,ohne Öffentlichkeit war am Wagenrennen zwischen Patriziersöhnen sicher nichts auszusetzen aber als Volksbelustgkung sah das schon anders aus. Caligula schien einen höllischen Spaß daran zu haben, Dinge zu tun die gegen die Traditionen verstießen. Für einen römischen Mann von Stand galt tanzen als vollkommen weibisch und unschicklich. Trotzdem tanzte Caligula vor Senatoren.
 
Die Plebs zu unterhalten war sicher für Senatoren vollkommen ungehörig. Als reine sportliche Übung ,ohne Öffentlichkeit war am Wagenrennen zwischen Patriziersöhnen sicher nichts auszusetzen aber als Volksbelustikung sah das schon anders aus. Caligula schien einen höllischen Spaß daran zu haben, Dinge zu tun die gegen die Traditionen verstießen. Für einen römischen Mann von Stand galt tanzen als vollkommen weibisch und unschicklich. Trotzdem tanzte Caligula vor Senatoren.

Behauptet Sueton.
 
Behauptet Sueton.
Dann können wir die ganze antike Geschichtsschreibung in die Tonne werfen wenn wir uns nach 2000 Jahren anmaßen festzulegen wer von denen gelogen hat und wer nicht. Alle schriftlichen Überlieferungen kann man als Behauptung bezeichnen. Die Tanzvorführungen Caligulas werden sicher noch sehr lang im Gedächtnis geblieben sein.
 
Nein, sicher nicht. Aber es gibt nun mal Quellen, die durch deutliche Tendenzen Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt im Einzelnen aufkommen lassen. Und wenn wir keine unabhängigen Quellen haben, die zum Abgleich dienen, dann können wir nur Unwahrscheinliches als solches markieren oder eben Widersprüche aufzeigen und Motive des Geschichtsschreibers für die Auswahl des Berichtsgegenstands oder die Art der Erzählung versuchen herauszufinden. Es ist schließlich nicht die Aufgabe des Geschichtsforschers, die überlieferte Geschichte nachzuerzählen.
Was Sueton sicher spiegelt, das ist, dass Caligula sich beim Senat unbeliebt gemacht hatte, vielleicht war er ja auch tatsächlich wahnsinnig, wie es uns die Geschichtsschreibung Glauben machen möchte. Aber was eben auch zu bedenken ist, das ist, dass die nachneronischen Kaiser durchaus auch Propaganda in Abgrenzung zur julisch-claudischen Familie betrieben, die von den Geschichtsschreibern bereitwillig oder auch unbewusst übernommen werden konnte (wenn man nur mal bedenkt, wie wertschätzend sich Augustus gegenüber Varus verhielt (auch noch post mortem) und wie negativ Varus dann ab Tiberius in der Geschichtsschreibung über diesen berichtet wurde und wie sehr diese spätere Geschichtsschreibung unser Bild von Varus beeinflusst...).
Wenn wir nun bei Sueton mal schauen, da haben wir einmal einen sehr negativen Bericht über Vitellius und einen durchaus positiven Bericht über Vespasian (der in Teilen auf Flavius Josephus zurückgeht). Vitellius war einer der Kaiser des Vierkaiserjahres und er wird als denkbar schlechter und feiger Mensch dargestellt (nicht nur bei Sueton, auch bei Tacitus kommt er eher schlecht weg). Dies steht aber gewissermaßen im Widerspruch dazu, dass er ein Kaiser war, der von seinen Legionen zum Kaiser erhoben wurde und zeitweise selbst Anführer einer Kriegspartei war. Aus irgendeinem Grund müssen seine Truppen ihn ja für einen fähigen Princeps gehalten haben, jedenfalls sicher nicht deswegen, weil er ein Säufer war, der nichts auf die Reihe bekam. Selbst wenn er vielleicht nur ein Demagoge war, so hatte er offensichtlich das nötige Organisationsgeschick, seine Truppen glaubhaft zu führen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Wir müssen hier einfach feststellen, dass Vitellius hier offenbar auch ein Opfer der flavianischen Propaganda wurde.
Es gibt schon Gründe, warum das ereignisgeschichtlich fixierte 19. Jahrhundert vorschlug, Sueton aus historischen Bibliotheken zu verbannen.
 
Wenn wir nun bei Sueton mal schauen, da haben wir einmal einen sehr negativen Bericht über Vitellius und einen durchaus positiven Bericht über Vespasian (der in Teilen auf Flavius Josephus zurückgeht).
Und ebensdo wird Sueton auf Quellen aus der Zeit des Caligula zurückgegriffen haben. Als kaiserlicher Beamter standen ihm alle Archive offen.
Im prüden 19. Jh. werden die Kaiserbiografien einfach zu obszön gewesen sein. Dafür zweifelte man damals überhaupt nicht am Wahrheitsgehalt des Tacitus. Der hatte eine freiheitsliebende Gesinnung, und war als Angehöriger des Senats über jeden Zweifel erhaben.
 
Aber es gibt nun mal Quellen, die durch deutliche Tendenzen Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt im Einzelnen aufkommen lassen. Und wenn wir keine unabhängigen Quellen haben, die zum Abgleich dienen, dann können wir nur Unwahrscheinliches als solches markieren oder eben Widersprüche aufzeigen und Motive des Geschichtsschreibers für die Auswahl des Berichtsgegenstands oder die Art der Erzählung versuchen herauszufinden.
Hatten wir diese Diskussionen nicht schon ein paar Mal?

Vor einigen Monaten hatten wir eine Diskussion, in der einige Nutzer meinten, dass die berühmt-berüchtigten Schädelpyramiden Timur Lenks eine spätere Erfindung der Geschichtsschreiber seiner Gegner wären und Timur in Wahrheit viel besser als sein Ruf gewesen sei. Dann hat Turandokht aufgezeigt, dass die Schädelpyramiden auch in den zeitnahen protimuridischen Quellen erwähnt wurden.
Soll heißen: Nur weil eine Quelle eine deutliche Tendenz hat, muss sie nicht unbedingt unwahr sein. Vielleicht hat sie auch deswegen eine deutliche Tendenz, weil der geschilderte Herrscher wirklich so war. (Gibt es eigentlich Geschichtswerke seriöser Historiker über diverse Größen des Dritten Reiches, die keine deutlich negative Tendenz haben?)

Was die Motive des Geschichtsschreibers (vor allem der berüchtigten "senatorischen Geschichtsschreiber") betrifft: Wenn sie für die positive/negative Darstellung eines Herrschers hauptverantwortlich wären, müsste Hadrian in den Quellen als der Tyrann schlechthin dargestellt werden: Er ließ mehr als einmal mehrere (echte oder vermeintliche) prominente Gegner aus senatorischen Kreisen hinrichten, gab einige der Eroberungen Trajans wieder auf und gab sich erst gar keine Mühe, seine Beziehung mit Antinoos geheimzuhalten. Bei ihm gab es also sowohl das Motiv (Konflikte mit dem Senat) als auch den Stoff, um ihn als grausamen unfähigen lüsternen weichlichen Tyrannen abzustempeln. Dennoch wird er von den meisten antiken Autoren (auch dem Senator Cassius Dio) eher positiv oder zumindest durchwachsen dargestellt.
Aber auch Vespasian war nicht frei von negativen Maßnahmen gegen Senatoren: Der republikanisch gesinnte Senator Helvidius Priscus stellte sich mehr oder weniger offen gegen Nero, Vitellius und Vespasian - hinrichten ließ ihn aber ausgerechnet Letzterer. Trotzdem wird Vespasian in den Quellen recht positiv geschildert.
Man sollte also nicht einseitig bei negativen Darstellungen nach Motiven der Historiker suchen und nach deren Auffinden vorschnell über den Wahrheitsgehalt urteilen.

Desweiteren stellten auch antike Autoren einzelne Herrscher selten so einseitig negativ (oder auch positiv) dar wie ihnen das heute gerne angelastet wird. Z. B. wird auch von Ammianus Marcellinus gerne behauptet, er habe Iulianus Apostata verherrlicht; in Wahrheit hat er auch in etlichen Punkten heftige Kritik an ihm geübt (was sogar so weit ging, dass der Heide Ammianus Kritik an christenfeindlichen Maßnahmen des Kaisers übte!), umgekehrt aber auch dessen Gegenspieler Constantius II. nicht nur negativ dargestellt.

Vitellius war einer der Kaiser des Vierkaiserjahres und er wird als denkbar schlechter und feiger Mensch dargestellt (nicht nur bei Sueton, auch bei Tacitus kommt er eher schlecht weg). Dies steht aber gewissermaßen im Widerspruch dazu, dass er ein Kaiser war, der von seinen Legionen zum Kaiser erhoben wurde und zeitweise selbst Anführer einer Kriegspartei war. Aus irgendeinem Grund müssen seine Truppen ihn ja für einen fähigen Princeps gehalten haben, jedenfalls sicher nicht deswegen, weil er ein Säufer war, der nichts auf die Reihe bekam. Selbst wenn er vielleicht nur ein Demagoge war, so hatte er offensichtlich das nötige Organisationsgeschick, seine Truppen glaubhaft zu führen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Wir müssen hier einfach feststellen, dass Vitellius hier offenbar auch ein Opfer der flavianischen Propaganda wurde.
Vitellius verfügte über tatkräftige und umtriebige Helfer wie Fabius Valens und Aulus Caecina, die ihn teilweise für ihre Zwecke einspannten und auch einen Großteil der Arbeit für ihn machten. "Anführer" ist somit arg relativ; er fungierte mehr als Gallionsfigur. (Immerhin blieb er anfangs sogar im relativ sicheren Gallien, bis seine Helfer den Otho erledigt hatten.) Dass Vitellius zum Kaiser ausgerufen wurde, hatte auch weniger damit zu tun, dass ihn seine Truppen für einen so tollen Kaiser gehalten hätten, sondern dass sie seit geraumer Zeit latent unzufrieden, sich aber auch ihrer Macht bewusst waren. Vitellius war ja nicht einmal ihre erste Wahl, sie wollten davor schon den Verginius Rufus zum Kaiser machen. Sie hätten wohl so ziemlich jeden genommen, der zur Verfügung stand und willig war.
Man sollte Kaisererhebungen durch Truppen wohl auch nicht überbewerten. Meist scheint es gereicht zu haben, wenn einzelne Helfer des Usurpators ein paar wichtige Truppenteile und Offiziere zur Zustimmung bewegten; dann schrie der Rest des Heeres einfach mit. (Wie leicht veränderlich und manipulierbar die Stimmung der Truppen sein konnte, sieht man auch sehr schön an der ausführlichen Darstellung der Kaiserproklamation des Iulianus Apostata bei Ammianus Marcellinus, wo die Truppen im Laufe der Stunden hin- und herschwanken, ob sie ihn nun zum Kaiser machen oder doch lieber ermorden sollen.)
 
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Ravenik schrieb:
Man sollte Kaisererhebungen durch Truppen wohl auch nicht überbewerten. Meist scheint es gereicht zu haben, wenn einzelne Helfer des Usurpators ein paar wichtige Truppenteile und Offiziere zur Zustimmung bewegten; dann schrie der Rest des Heeres einfach mit.
Sehe ich auch so. Die Begeisterung der Truppen ließ sich sicherlich durch ein großzügiges Geldgeschenk hervorzaubern. Und Vitellius galt als äußerst großzügig. Tacitus beschreibt Vitellius zudem als einen Mann der wenig Wert auf Disziplin bei seinen Truppen legte. Wer beim Militär war, weiß, wie verhasst wohl zu allen Zeiten exerzieren und Stubenappelle sind. Ob dies sinnig oder unsinnig war, sei dahin gestellt, seine Truppen werden ihn dafür geliebt haben. Zudem gab es wohl eine Rivalität zwischen der "Rheinarmee" und der "Donauarmee". Hatte letzteres für Otho votiert, musste man wohl erwarten, dass ersteres einen Gegenkandidaten erheben würde. Vitellius nannte sich selbst Germanicus. Anders als die bisher so Genannten nicht weil er die Germanen vermeintlich besiegt hatte, sondern weil er vom "Germanischen Heer" erhoben worden war. Vitellius wusste also genau, wem er seine überraschende Karriere in Wirklichkeit zu verdanken hatte.
 
Vor einigen Monaten hatten wir eine Diskussion, in der einige Nutzer meinten, dass die berühmt-berüchtigten Schädelpyramiden Timur Lenks eine spätere Erfindung der Geschichtsschreiber seiner Gegner wären und Timur in Wahrheit viel besser als sein Ruf gewesen sei. Dann hat Turandokht aufgezeigt, dass die Schädelpyramiden auch in den zeitnahen protimuridischen Quellen erwähnt wurden.

Das habe ich auch selber gezeigt.

Soll heißen: Nur weil eine Quelle eine deutliche Tendenz hat, muss sie nicht unbedingt unwahr sein.

Das habe ich auch nicht behauptet.
Interessanterweise haben Turandokht und ich gezeigt, dass voneinander unabhängige Quellen den zunächst einmal von mir in seinem Wahrheitsgehalt als unwahrscheinlich vermuteten Sachverhalt bestätigten. Das entspricht den oben von mir skizzierten Möglichkeiten: "wenn wir keine unabhängigen Quellen haben, die zum Abgleich dienen, dann können wir nur Unwahrscheinliches als solches markieren oder eben Widersprüche aufzeigen und Motive des Geschichtsschreibers für die Auswahl des Berichtsgegenstands oder die Art der Erzählung versuchen herauszufinden."
Wir sind als Historiker von den Quellen abhängig, aber wir dürfen uns gerne mal erlauben, die darin enthaltenen Behauptungen anzuzweifeln, wenn sie allzu tendenziös oder unwahrscheinlich sind. Und wir dürfen uns fragen, aus welchem Zweck der Historiograph einen Sachverhalt berichtete, wie er ihn berichtete und einen anderen vielleicht ausließ. Das Auslassen ist nämlich auch mitunter eine Art zu lügen (eben ohne dabei die Unwahrheit zu sagen).
Wenn ich z.B. den Reisebericht des spätmittelalterlichen Ritters Arnold von Harff lese, dann erhalte ich viele interessante kulturhistorische Informationen rund um das Mittelmeer, aber wenn dann, bei seinem Besuch Ägyptens, die Pferde mit ihm durchgehen, und er über Kopffüßer berichtet, dann ist jedem klar, dass das nicht stimmen kann. Das stellt aber nicht gleich den Wert des ganzes Berichtes in Frage (abgesehen natürlich davon, dass der Bericht von der Begegnung mit Fabelwesen durchaus auch seinen ganz eigenen Wert hat).

Vielleicht hat sie auch deswegen eine deutliche Tendenz, weil der geschilderte Herrscher wirklich so war. (Gibt es eigentlich Geschichtswerke seriöser Historiker über diverse Größen des Dritten Reiches, die keine deutlich negative Tendenz haben?)

Möglich. Was ich eigentlich aufzeigen wollte war, dass es eine Reihe an Negativbehauptungen gibt und dass es offensichtlich Dinge gab, die als ungehörig bezeichnet wurden (Ausgangspunkt der Diskussion waren ja die Wagenrennen, die von Teilen der Oberschicht ausgetragen wurden und ob die Stellen bei Sueton über Caligula und Vitellius ausreichend belastbar sind, um dies als normales Verhalten von Teilen der Oberschicht heruaszustellen). Müssen wir wirklich glauben, dass Caligula ein Pferd zum Senatoren machte? Bzw. dass dies ein Zeichen seines Wahnsinns war? Oder können wir einfach feststellen, dass Caligula den Senat andauernd brüskierte, vielleicht eben auch, indem er durch eine symbolische Handlung dem Senat zeige, was er von ihm hielt (und deshalb posthum diese negative Presse erhielt?). War Vitellius wirklich der Säufer, als der er dargestellt wird?

Was die Motive des Geschichtsschreibers (vor allem der berüchtigten "senatorischen Geschichtsschreiber") betrifft: Wenn sie für die positive/negative Darstellung eines Herrschers hauptverantwortlich wären, müsste Hadrian in den Quellen als der Tyrann schlechthin dargestellt werden: Er ließ mehr als einmal mehrere (echte oder vermeintliche) prominente Gegner aus senatorischen Kreisen hinrichten, gab einige der Eroberungen Trajans wieder auf und gab sich erst gar keine Mühe, seine Beziehung mit Antinoos geheimzuhalten. Bei ihm gab es also sowohl das Motiv (Konflikte mit dem Senat) als auch den Stoff, um ihn als grausamen unfähigen lüsternen weichlichen Tyrannen abzustempeln. Dennoch wird er von den meisten antiken Autoren (auch dem Senator Cassius Dio) eher positiv oder zumindest durchwachsen dargestellt.
Aber auch Vespasian war nicht frei von negativen Maßnahmen gegen Senatoren: Der republikanisch gesinnte Senator Helvidius Priscus stellte sich mehr oder weniger offen gegen Nero, Vitellius und Vespasian - hinrichten ließ ihn aber ausgerechnet Letzterer. Trotzdem wird Vespasian in den Quellen recht positiv geschildert.
Man sollte also nicht einseitig bei negativen Darstellungen nach Motiven der Historiker suchen und nach deren Auffinden vorschnell über den Wahrheitsgehalt urteilen.
Ich habe nicht geurteilt, sondern in Frage gestellt. Dieses Infragestellen kann durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass die Behauptungen vermutlich korrekt sind. Aber antike Historiker sind nun mal keine Geschichtswissenschaftler. Ihnen alles kritiklos zu glauben, das wäre ggf. so, um dein NS-Beispiel aufzugreifen, als wenn wir Pressemitteilungen von Goebbels als reine Wahrheit begriffen.
 
Wir sind als Historiker von den Quellen abhängig, aber wir dürfen uns gerne mal erlauben, die darin enthaltenen Behauptungen anzuzweifeln, wenn sie allzu tendenziös oder unwahrscheinlich sind. Und wir dürfen uns fragen, aus welchem Zweck der Historiograph einen Sachverhalt berichtete, wie er ihn berichtete und einen anderen vielleicht ausließ. Das Auslassen ist nämlich auch mitunter eine Art zu lügen (eben ohne dabei die Unwahrheit zu sagen).
Völlig richtig!
Und die Quellenkritik kann und muss noch weiter gehen, ein schönes Exempel - wenn auch über einen gänzlich anderen Gegenstand - ist da: Matthias Springer: Die Sachsen. Kohlhammer, Stuttgart 2004

Um sich ein allgemeines Bild über den Lebensstandard und Lebensstil der antiken römischen Oberschicht zu machen, haben wir genug Quellen unterschiedlicher Art (literarische wie kunsthistorische und archäologische) - wie ich finde recht gut zusammengefasst bietet das Demandts Geschichte der Spätantike im Kapitel über die Gesellschaft, darin ein Unterkapitel über die Senatoren.

Und selbst wenn Quellen sehr tendenziös ausfallen, so bieten sie ja damit auch wieder vieles über die Intention des Verfassers, seine Zeitumstände u.v.m. - bedenkt man dann, dass speziell römisch-lateinische Quellen mit dem Kenntnisstand der hochentwickelten antiken Rhetorik abgefasst sind, so vertragen sie auch eine literaturwissenschaftliche "Abklopfung" - d.h. also, dass bei der Quellenkritik mehrere Disziplinen zusammenarbeiten (im günstigsten Fall)

Verwunderlicher wäre, wenn die antiken Quellen nirgendwo Wagenrennen und Spiele im Kontext mit Vertretern der Oberschicht erwähnen würden! Ob ein bestimmter Senator nun tatsächlich bei Wagenrennen mitmachte (was wahrscheinlich klingt) oder nicht, ist eigentlich gar nicht mal sooo interessant - interessanter ist eher, mit welcher jeweiligen Tendenz und in welchem jeweiligen Kontext die Oberschichtvertreter mit den Spielen in Verbindung gebracht wurden.

Was ich eigentlich aufzeigen wollte war, dass es eine Reihe an Negativbehauptungen gibt und dass es offensichtlich Dinge gab, die als ungehörig bezeichnet wurden (Ausgangspunkt der Diskussion waren ja die Wagenrennen, die von Teilen der Oberschicht ausgetragen wurden und ob die Stellen bei Sueton über Caligula und Vitellius ausreichend belastbar sind, um dies als normales Verhalten von Teilen der Oberschicht heruaszustellen). Müssen wir wirklich glauben, dass Caligula ein Pferd zum Senatoren machte? Bzw. dass dies ein Zeichen seines Wahnsinns war? Oder können wir einfach feststellen, dass Caligula den Senat andauernd brüskierte, vielleicht eben auch, indem er durch eine symbolische Handlung dem Senat zeige, was er von ihm hielt (und deshalb posthum diese negative Presse erhielt?). War Vitellius wirklich der Säufer, als der er dargestellt wird?
alles glauben bedeutet bei vielen Quellen eben vielen zu glauben - sind viele da und widersprechen sich nicht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch // wenigen Quellen Auffälliges/Unwahrscheinliches zu glauben, bewirkt Zweifel - - - aber das hast du ja schon längst impliziert :yes:

Ich habe nicht geurteilt, sondern in Frage gestellt. Dieses Infragestellen kann durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass die Behauptungen vermutlich korrekt sind. Aber antike Historiker sind nun mal keine Geschichtswissenschaftler.
Gerade die römisch-antiken Historiker sind eben auch Literaten, Rhetoriker - und sie wussten diese Techniken einzusetzen (die Teilnahme an einem Wagenrennen kann positiv als Kraft, Stärke, kann aber auch negativ als Vergnügungssucht, Leichtlebigkeit dargestellt werden)
 
Müssen wir wirklich glauben, dass Caligula ein Pferd zum Senatoren machte? Bzw. dass dies ein Zeichen seines Wahnsinns war? Oder können wir einfach feststellen, dass Caligula den Senat andauernd brüskierte, vielleicht eben auch, indem er durch eine symbolische Handlung dem Senat zeige, was er von ihm hielt (und deshalb posthum diese negative Presse erhielt?). War Vitellius wirklich der Säufer, als der er dargestellt wird?
Hier wird Sueton von Dir überinterpretiert. Er schreibt gar nicht, dass Caligula das Pferd zum Senator machte. Zitat: " es heißt sogar, er habe vorgehabt, es zum Konsul zu machen." Gerüchte stellt er nämlich meist nicht als Tatsache dar, sondern betont mit "es heißt" ,dass es sich nicht unbedingt um eine Tatsache handeln muß.
Ich finde es doch bemerkenswert, dass Sueton immer dann angezweifelt wird, wenn er etwas Negatives über einen Kaiser erzählt. Alles Positive, was er über Tiberius, Nero und Domitian(über Caligula gab es wahrscheinlich beim besten Willen nicht viel Gutes zu finden) berichtet wird dagegen nie in Frage gestellt.
 
Ich finde es doch bemerkenswert, dass Sueton immer dann angezweifelt wird, wenn er etwas Negatives über einen Kaiser erzählt. Alles Positive, was er über Tiberius, Nero und Domitian(über Caligula gab es wahrscheinlich beim besten Willen nicht viel Gutes zu finden) berichtet wird dagegen nie in Frage gestellt.
Dazu eine Frage:
wird, was Sueton über Tiberius und seine spintriae erzählt, auch angezweifelt oder wird das als überwiegend glaubwürdig (im Sinne von privat ein Wüstling) bewertet?

übrigens glaube ich nicht, dass es ElQ einzig um Sueton ging - jedenfalls habe ich das so nicht herauslesen können.
 
Dazu eine Frage:
wird, was Sueton über Tiberius und seine spintriae erzählt, auch angezweifelt oder wird das als überwiegend glaubwürdig (im Sinne von privat ein Wüstling) bewertet?.
Im 19. Jh. begann man plötzlich Tiberius "sauberzuschreiben" und besonders die Skandalgeschichten der Caprizeit vollkommen abzulehnen. Ich habe eine Weltgeschichte von 1860 ,da wird er zu einer Art Friedrich d.Gr. hochstilisiert. Aber auch da gab es schon die Tendenz Suetons positive Berichte völlig unkritisch als Wahrheit anzuerkennen und die negativen Berichte als Märchen abzutun.
In der neueren Zeit ,da man viele Abgründe der Pädophilie in der Gegenwart mitbekommt und dekatente Auswüchse des Wohlstandes erlebt scheint sich das wieder teiweise etwas zu ändern.
 
Hier wird Sueton von Dir überinterpretiert. Er schreibt gar nicht, dass Caligula das Pferd zum Senator machte. Zitat: " es heißt sogar, er habe vorgehabt, es zum Konsul zu machen." Gerüchte stellt er nämlich meist nicht als Tatsache dar, sondern betont mit "es heißt" ,dass es sich nicht unbedingt um eine Tatsache handeln muß.
Sehr richtig! Übrigens wird die Geschichte nicht nur von Sueton erzählt, sondern auch von Cassius Dio - wobei Cassius Dio im Gegensatz zum vielgeschmähten Sueton die Sache mit dem Konsulat nicht zurückhaltend als Gerücht hinstellt, sondern von konkreten Absichten des Kaisers berichtet - allerdings offenlässt, ob er sie wohl auch wirklich umgesetzt hätte.

Da wären wir auch wieder bei einem Grundproblem, das ich schon in meinem letzten Beitrag angesprochen habe: Dass man antiken Autoren gerne Behauptungen unterstellt, die sie gar nicht getätigt haben, und Tendenzen, die so gar nicht in ihren Werken vorlagen. Es wird gerne übersehen, dass über die meisten Personen sehr wohl differenziert geschrieben wurde, vor allem aber auch, dass antike Autoren sehr wohl zwischen Gerüchten und Fakten differenzierten. Z. B. wird gerne als Beweis für Tacitus' Tendenziosität herangezogen, dass er Nero den Brand Roms angelastet habe. Dabei hat er das gar nicht, er hat nur ein entsprechendes Gerücht erwähnt, daneben aber auch andere mögliche Brandursachen, sogar als wahrscheinlicher, genannt. Gerade bei Tacitus ist es öfters so, dass er verschiedene Varianten erwähnt, von seinen modernen Kritikern aber nur die "tendenziöse" herausgegriffen und als Beweis für seine Tendenziosität und Unzuverlässigkeit gewertet wird. Man kann aber nicht einfach antike Autoren als unglaubwürdig verwerfen, indem man ihnen Darstellungen vorhält, die gar nicht von ihnen stammen. Tendenziös sind in diesen Fällen nicht die antiken Autoren, sondern manche ihrer modernen Kritiker, die sie um jeden Preis unglaubwürdig machen wollen, um die Quellen durch eigene viel positivere Darstellungen ersetzen und so Nero & Co. zu Superkaisern machen zu können.

Müssen wir wirklich glauben, dass Caligula ein Pferd zum Senatoren machte? Bzw. dass dies ein Zeichen seines Wahnsinns war? Oder können wir einfach feststellen, dass Caligula den Senat andauernd brüskierte, vielleicht eben auch, indem er durch eine symbolische Handlung dem Senat zeige, was er von ihm hielt (und deshalb posthum diese negative Presse erhielt?).
Der Ansatz ist ja richtig, nur muss er auch konsequent angewandt werden: Natürlich muss man sich überlegen, was Autoren über eine Person wissen konnten. Grundsätzlich gilt: Niemand kann in einen Menschen hineinsehen. Sogar wenn von einem Menschen Reden, Autobiographien oder Briefe vorlagen/vorliegen, muss man immer berücksichtigen, dass der Verfasser dabei auf die Wirkung auf den/die Adressaten abgestellt hat, sie also nicht unbedingt seine wahre Natur offenbaren. (Umso mehr gilt das natürlich, wenn die Briefe zur Veröffentlichung gedacht waren.) Das gilt natürlich für Politiker und sonstige Personen aller Zeiten: Wir wissen im Grunde genommen bei niemandem, was er wirklich gedacht hat. (Daher können wir, auch wenn wir es gerne würden, weder bei Hannibal sagen, was eigentlich seine Kriegsziele waren, noch bei Arminius, was seine Motive für den Aufstand waren.)
Was man aber sehr wohl feststellen kann, sind die Handlungen einer Person. Man kann also sagen, dass A etwas gemacht hat. Nicht zuverlässig sagen kann man, warum er es gemacht hat. Wenn also Caligula etwas Seltsames machte, ließ sich das von Zeugen feststellen und darüber berichten. Ob er es gemacht hat, weil er wahnsinnig war, weil er den Senat beleidigen wollte, weil er einfach gerne provozieren wollte oder einfach aus jugendlichem Übermut, konnte man natürlich nicht wirklich feststellen. Insofern gebe ich Dir recht, dass man Darstellungen, die Personen bestimmte Motive oder Persönlichkeitsstörungen unterstellen, kritisch hinterfragen muss. Nur muss man nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und, weil das wahre Motiv für eine Handlung unklar bzw. nicht zuverlässig feststellbar ist, daraus schließen, dass auch die Handlung selbst nicht erfolgte. Also: Falls sich Caligula wirklich dahingehend äußerte, das Pferd Incitatus zum Konsul machen zu wollen, konnte das von Zuhörern gehört und überliefert werden. Ob das ein Zeichen von Wahnsinn war oder ob er dem Senat dessen Bedeutungslosigkeit vor Augen führen wollte, lässt sich freilich nicht klären.
 
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Aber antike Historiker sind nun mal keine Geschichtswissenschaftler.
Nicht im modernen akademischen Sinn. Aber so unkritisch und tendenziös, wie ihnen das heute gerne angelastet wird, waren sie in der Regel auch nicht. Sie differenzierten zwischen Gerüchten und Fakten, äußerten sich kritisch zu ihren Quellen und verglichen gegebenenfalls verschiedene Versionen miteinander. Teilweise bemühten sie sich, wie Polybios, sogar um ein Studium der Originalquellen.
Übrigens gab es auch schon in der Antike einen Historiker-Mainstream und Außenseiter - so wie das heute auch noch der Fall ist. Auch in der Antike setzten sich die Autoren bereits kritisch mit ihren Kollegen auseinander. Und so wie auch heute noch Revisionisten, Verschwörungstheoretiker, Chronologiekritiker, Dänikens & Co. von der seriösen Historikerzunft abgelehnt werden, wurden auch in der Antike bereits unzuverlässige Autoren wie Valerius von Antium und Ktesias von Knidos von ihren Kollegen kritisiert und ihre Darstellungen verworfen.

Ihnen alles kritiklos zu glauben, das wäre ggf. so, um dein NS-Beispiel aufzugreifen, als wenn wir Pressemitteilungen von Goebbels als reine Wahrheit begriffen.
Der Vergleich hinkt. Pressemitteilungen als reine Wahrheit zu begreifen, wäre wie wenn wir Augustus' Tatenbericht oder Ciceros Reden als reine Wahrheit begreifen. Antike Historiker zu bezweifeln ist hingegen wie wenn man einen modernen Goebbels-Biographen bezweifelt und ihm unterstellt, es sei ihm nur darum gegangen, Goebbels möglichst schlecht zu machen, indem er negative Dinge über ihn erfand und positive bewusst wegließ.

Ich habe nicht geurteilt, sondern in Frage gestellt.
Das Problem, auf das auch Galeotto schon hingewiesen hat, ist, dass normalerweise nur das Negative infrage gestellt wird. Die Vorgangsweise ist eigentlich recht simpel: Wenn ein antiker Historiker negativ über einen Kaiser berichtete, dann wird bevorzugt untersucht, wie der Kaiser zum Senat stand und wie der Historiker zum Senat stand, und wenn der Kaiser den Senat schlecht behandelte und der Historiker Senator war, wird daraus geschlossen, dass er deswegen den Kaiser schlecht machte und der Kaiser in Wahrheit eh toll oder zumindest viel besser als dargestellt war. Dass es diese Kausalkette (schlechtes Verhältnis zum Senat -> negative Darstellung) so nicht gab, habe ich anhand des Beispiels Hadrians aufgezeigt, den der Senat nach seinem Tod nicht einmal vergöttlichen wollte. Umgekehrt aber kommen die vom Senat selbst gekürten Senatskaiser Balbinus und Pupienus in der antiken Geschichtsschreibung trotzdem nicht übermäßig gut weg.

Wir sind als Historiker von den Quellen abhängig, aber wir dürfen uns gerne mal erlauben, die darin enthaltenen Behauptungen anzuzweifeln, wenn sie allzu tendenziös oder unwahrscheinlich sind. Und wir dürfen uns fragen, aus welchem Zweck der Historiograph einen Sachverhalt berichtete, wie er ihn berichtete und einen anderen vielleicht ausließ. Das Auslassen ist nämlich auch mitunter eine Art zu lügen (eben ohne dabei die Unwahrheit zu sagen).
Natürlich kann und soll man Überlieferungen bezweifeln, nur kann das Bezweifeln selbst auch tendenziös sein - nämlich dann, wenn es darum geht, ein bestimmtes Bild eines Kaisers zu erzeugen und daher alles als tendenziös und unwahrscheinlich zu verwerfen, was ihm in den Quellen widerspricht. Heutzutage gibt es den Generalverdacht, dass alles Negative an antiken Kaisern erfunden sei und daher verworfen werden muss. Dabei sollte doch ein Blick auf die Geschichte des 20. Jhdts. in Ländern rund um den Globus zeigen, dass Alleinherrscher, die ihre Macht missbrauchen, hart gegen echte oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen und sich eventuell auch bereichern und Extravaganzen leisten, eher die Regel als die Ausnahme sind. Nicht jeder war ein Hitler oder Stalin - aber auch nur die wenigsten selbstlose Menschenrechtsaktivisten. Die Spannbreite dazwischen ist riesig, und so tritt sie uns auch in den Schilderungen der römischen Kaiser gegenüber.
 
Nicht im modernen akademischen Sinn. Aber so unkritisch und tendenziös, wie ihnen das heute gerne angelastet wird, waren sie in der Regel auch nicht.

Es gab wohl einfach solche und solche, esd gab unkritische und tendenziöse, es gab kritische und richtig forschende.
Sie differenzierten zwischen Gerüchten und Fakten, äußerten sich kritisch zu ihren Quellen und verglichen gegebenenfalls verschiedene Versionen miteinander. Teilweise bemühten sie sich, wie Polybios, sogar um ein Studium der Originalquellen.

Dessen ungeachtet kann man aber auch für Polybios tendenziöse Darstellungen wahrscheinlich machen.
Übrigens gab es auch schon in der Antike einen Historiker-Mainstream und Außenseiter - so wie das heute auch noch der Fall ist. Auch in der Antike setzten sich die Autoren bereits kritisch mit ihren Kollegen auseinander.

Das gehörte wohl schon zum guten Ton, sich kritisch von seinen Vorgängern abzusetzen und zu erläutern, warum man deutlich besser als diese war.


Das Problem, auf das auch Galeotto schon hingewiesen hat, ist, dass normalerweise nur das Negative infrage gestellt wird. Die Vorgangsweise ist eigentlich recht simpel: Wenn ein antiker Historiker negativ über einen Kaiser berichtete, dann wird bevorzugt untersucht, wie der Kaiser zum Senat stand und wie der Historiker zum Senat stand, und wenn der Kaiser den Senat schlecht behandelte und der Historiker Senator war, wird daraus geschlossen, dass er deswegen den Kaiser schlecht machte und der Kaiser in Wahrheit eh toll oder zumindest viel besser als dargestellt war.

Diese Darstellung ist auch zu simpel und wird diversen Forschungen nicht wirklich gerecht.
Dass es diese Kausalkette (schlechtes Verhältnis zum Senat -> negative Darstellung) so nicht gab, habe ich anhand des Beispiels Hadrians aufgezeigt, den der Senat nach seinem Tod nicht einmal vergöttlichen wollte. Umgekehrt aber kommen die vom Senat selbst gekürten Senatskaiser Balbinus und Pupienus in der antiken Geschichtsschreibung trotzdem nicht übermäßig gut weg.

Was ja eben auch zeigt, dass die oben darstellte Kausalkette so eindeutig und einfach nicht ist, oder?
Natürlich kann und soll man Überlieferungen bezweifeln, nur kann das Bezweifeln selbst auch tendenziös sein - nämlich dann, wenn es darum geht, ein bestimmtes Bild eines Kaisers zu erzeugen und daher alles als tendenziös und unwahrscheinlich zu verwerfen, was ihm in den Quellen widerspricht. Heutzutage gibt es den Generalverdacht, dass alles Negative an antiken Kaisern erfunden sei und daher verworfen werden muss.

So einfach sollte man es sich dann natürlich auch nicht machen. Und ich glaube auch nicht, dass sich moderne Forschung es sich so einfach macht.
 
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