Römische Besatzungspolitik in Germanien

salvus

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Ich habe heute einmal ein wenig geschmökert. Und zwar in einem populärwissenschaftlichen Buch von Christian Pantle (Die Varusschlacht - Der germanische Befreiungskrieg).
Der Autor stellt dort eine zumindest dikussionswürdige These auf:

Im südlichen Teil von Germanien befindet sich die lt. Befund erste zivile Römerstadt: Waldgirmes.
Dieser Fundort bestätigt zumindest teilweise den Cassius Dio, denn dieser berichtet von der Anlage von Städten rechts des Rheins und auch von Märkten, die abgehalten wurden. Im Fundgut von Waldgirmes, findet sich überraschend viel germanisches. So waren ca. 20% des Fundgutes von einheimischen Germanen hergestelltes Alltagsgeschirr. Offensichtlich gab es in Waldgirmes eine Art wirtschaftliche Verpflechtung von Römern und Germanen. Es scheint, als ob dort beide Seiten voneinander profitierten und auch friedlich zusammenlebten.

Im Norden Germaniens, an der Lippe sah dies wohl anders aus. In Haltern, dem wohl wichtigsten Stützpunkt in Germanien liegt der Anteil germanischer Ware im Promillebereich. Und das obwohl man sicherlich davon ausgehen muß, daß sich um das Lager in Haltern herum entsprechende zivile Strukturen aufgebaut haben. Sicherlich gab es auch eine entsprechende Infrastruktur (Römerstrasse). Aber es scheint, als ob die Germanen hier nicht profitiert haben.

Im Norden (Lippe) Apartheid und im Süden (Mainz/Waldgirmes) Multikulti?

Kann man das so formulieren?

Gibt der Befund das her?
Wenn ja warum?
Weil die Stämme im Norden kriegerischer eingestellt waren?
Weil die Stämme im Norden die Römer als Besatzungsmacht empfanden?
War weiter südlich die Situation für die Römer einfacher?
Hatte Waldgirmes für die Römer eine Art "Modelcharakter"?

Sicherlich diskussionswürdig...
 
Generell denke ich, dass die Situation weiter im Süden für die Römer durchaus einfacher war, denn Rebellionen brechen ja am ehesten weit entfernt von der eigentlichen Besatzungsmacht aus. Daraus erschließt sich, dass es im Süden durchaus einfacher war, für die Römer, als im Norden.
Was mich aber stutzig gemacht hat, ist dass Waldgrimes ganz in der Nähe von dem römischen Militärlager Dorlar liegt, und das liegt bzw. lag bei Lahnau.
Da tut sich für mich die Frage auf, von wann genau das Fundgut in Waldgrimes stammt.
Ich freue mich auf eine Antwort,
LG
Konfuzius
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde Waldgirmes nicht unbedingt als Süden bezeichnen. Das liegt mitten in Hessen. Das sollte das Gebiet der Chatten gewesen sein, die sich zu dieser Zeit eher ambivalent verhielten. Auch waren die römischen Truppen nicht fern. Vieles hat man sicher auch noch nicht gefunden.

Der sichere eigentliche Süden waren Baden-Würtemberg und Bayern. Nach Abzug der Markomannen war dieses Gebiet doch nur noch sehr dünn besiedelt, bis auf die Verbündeten Hermunduren in Thüringen und Franken. Aber auch die Friesen und Chauken an der Nordsee hatten sich meines Wissens nicht an Arminius Aufstand beteiligt. Ebensowenig die Langobarden an der Elbe. Hessen mit den Chatten liegt also in der brisanten Zone, die sich etwa vom Main bis ins südliche Niedersachsen erstreckte.

Das wir in Nordrhein-Westfalen noch kein Waldgirmes gefunden haben, bedeutet ja nur, daß wir noch nicht lange genug gesucht haben. Die Römer haben sich zwar bei der Provinzialisierung unterschiedlich verhalten gegenüber ehemaligen Feinden und ehemaligen Verbündeten, aber die Cerusker waren Verbündete. Warum sollten die Römer ausgerechnet diese besonders schlecht behandelt haben?

Ich sehe also keine Unterschiede zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im Süden hatten es die Römer wohl wirklich einfacher. Aber Hessen gehörte nicht dazu.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Norden Germaniens, an der Lippe sah dies wohl anders aus. In Haltern, dem wohl wichtigsten Stützpunkt in Germanien liegt der Anteil germanischer Ware im Promillebereich. Und das obwohl man sicherlich davon ausgehen muß, daß sich um das Lager in Haltern herum entsprechende zivile Strukturen aufgebaut haben. Sicherlich gab es auch eine entsprechende Infrastruktur (Römerstrasse). Aber es scheint, als ob die Germanen hier nicht profitiert haben.

Ich weiß nicht, wie die Befundsituation in Haltern en détail ausschaut. Aber wieso müssen wir davon ausgehen, dass es zivile Strukturen gab? Sind denn Spuren einer Lagervorstadt (canabae) in Haltern festgestellt worden? Möglicherweise waren bei den Erstkolonisten in Waldgirmes einige romfreundliche Germane, die ihr Geschirr mitgebracht haben.
 
...
Im Norden (Lippe) Apartheid und im Süden (Mainz/Waldgirmes) Multikulti?

Kann man das so formulieren?...

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Es liegt einfach nur am Kontext der Funde, warum in Haltern eigentlich kaum germanische Funde zu erwarten sein sollten! Haltern war vor allem ein Militärstandort. Also sollten dort vor allem Militaria und Funde von einem Heer folgenden Menschen zu finden sein. Wer wird wohl im Anhang römischen Militärs anzutreffen gewesen sein? Militärs, Händler und im weitesten Sinne Tross. Solche Personenkreise dürften sich kaum aus (freien) Germanen zusammen gesetzt haben, sondern aus dem „bisherigen Umfeld“ der Soldaten, die ja von „Gallien“ herkamen und zu Beginn der Okkupation wohl auch vornehmlich von dort aus versorgt wurden. Drusus hatte bekanntlich am Rhein vor Beginn der Expansion erst eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut – von der viele westrheinische Städte heute ihren Ursprung ableiten…
Waldgirmes dagegen war eine zivile Anlage, eine Ansiedlung auf dem besten Wege zu einer veritablen Stadt. Was sollten wir hier also erwarten können? Also doch weniger Militär und ihr erweiterter Anhang, sondern Siedler, Handwerker und Händler aus dem alten Reichsgebiet und Germanen, die sich mit Rom arrangiert haben.
Weiter führende Schlüsse wurde ich daher aus der unterschiedlichen Herkunft der Funde zuerst einmal nicht ziehen wollen. Wie Agricola treffend anmerkte, würde ich Waldgirmes gewiss nicht als „Süden“ bezeichnen wollen, sondern als „südlich der Lippe“. Auch stimme ich völlig mit seiner weiteren Beschreibung der Situation zwischen Rom und den germanischen Stämmen überein.

Neben dem allgemeinen „diplomatischen Kontext“ ist dies auch durch die römischen Militärachsen erklärbar. Dass die Lippelinie im Norden so etwas wie die ständige Einfallstraße römischen Militärs war, gilt als Sicher. Von Mainz ausgehend über Wetterau oder den Main nach Osten (Marktbreit) befand sich die zweite, große Einfallschneise der Legionen. Solange die Chatten an Rom gebunden waren, so lange war auch hier die Lage recht übersichtlich – genau wie weiter im Norden im Kontext mit den Cheruskern. Für die Sicherheitslage von Waldgirmes dürfte die Haltung der Chatten von besonderer Bedeutung gewesen sein. Die Lage war geographisch gut über die Lahn mit dem Rhein verbunden, ebenso mit Mainz, dem zweiten großen Militärzentrum Roms, über die bereits angesprochene Marschroute durch die Wetterau erreichbar. Beruhigende Faktoren für die Sicherheit des Ortes wie für möglichen Handel...

Wenn Cassius Dio die Lage vor der Varusschlacht richtig beschreibt, dann muss Waldgirmes sicherlich ein „Modellcharakter“ für die friedliche Durchdringung einer gesicherten Provinz Germania gehabt haben.

Spekulativ kann man noch weiter gehen: Aus vielen, ehemaligen Militärstandorten entstanden westlich des Rheines später einmal Städte, warum nicht für den Raum östlich des Rheins? Das beste Beispiel für eine rasch entstandene, einheimisch-römische Stadt bleibt jedoch Köln. Der Zentralort der Ubier scheint aber nicht direkt aus dem militärischen Kontext entstanden zu sein. Er war (lt Wiki) auch nur zwischen den Jahren 9 und 30 n.Chr. Militärstandort für 2 Legionen, also nicht von Anfang an! Ich frage mich weiter, ob es für eine Stadtgründung aus „wilder Wurzel“ so hilfreich ist, direkt an einer militärischen Rollbahn zu liegen, solange noch regelmäßige Militärzüge zu erwarten sind? Militär auf dem Marsch ist vielleicht nicht der beste „Kunde“ und stabilisierend für eine zivile Entwicklung. Die Militärstandorte sind kein guter Vergleich, gehören sie doch zum weiteren Umfeld der Soldaten und ihr ziviles Leben ist an die jeweilige Einheit gebunden. Relative Nähe zum Militär mag schon gut sein um zu profitieren. Im Umfeld Kölns konnte sich vieles entwickeln, das zur Versorgung und zum Handel mit den Militärstandorten geeignet war… Das zeigt eine gewisse, oberflächliche Ähnlichkeit mit Waldgirmes…?
 
Das wir in Nordrhein-Westfalen noch kein Waldgirmes gefunden haben, bedeutet ja nur, daß wir noch nicht lange genug gesucht haben.

Hier haben wir aber leider ein Problem. NRW ist sehr dicht bebaut. Linksrheinisch wurden Kastelle an wichtigen Einmündungen, wie Lippe oder Ruhr, in den Rhein gebaut und wo uralte Handelswege auf den Rhein trafen. Bsp. hier Gelduba, hier kam der Hellweg auf römisches Gebiet. Und wenn ich die Ruhr, Emscher oder den Hellweg zurück gehe sollten hier römische Siedlungen im Boden liegen. Nur beginnt nun das Problem. Dieses Gebiet ist seit mehr als 100 Jahren dicht bebaut und zusätzlich durch Industrie und Kriege ziemlich durchwühlt worden.

Apvar
 
Ich würde Waldgirmes nicht unbedingt als Süden bezeichnen. Das liegt mitten in Hessen. Das sollte das Gebiet der Chatten gewesen sein, die sich zu dieser Zeit eher ambivalent verhielten. Auch waren die römischen Truppen nicht fern. Vieles hat man sicher auch noch nicht gefunden.

Der sichere eigentliche Süden waren Baden-Würtemberg und Bayern. Nach Abzug der Markomannen war dieses Gebiet doch nur noch sehr dünn besiedelt, bis auf die Verbündeten Hermunduren in Thüringen und Franken. Aber auch die Friesen und Chauken an der Nordsee hatten sich meines Wissens nicht an Arminius Aufstand beteiligt. Ebensowenig die Langobarden an der Elbe. Hessen mit den Chatten liegt also in der brisanten Zone, die sich etwa vom Main bis ins südliche Niedersachsen erstreckte.

Das wir in Nordrhein-Westfalen noch kein Waldgirmes gefunden haben, bedeutet ja nur, daß wir noch nicht lange genug gesucht haben. Die Römer haben sich zwar bei der Provinzialisierung unterschiedlich verhalten gegenüber ehemaligen Feinden und ehemaligen Verbündeten, aber die Cerusker waren Verbündete. Warum sollten die Römer ausgerechnet diese besonders schlecht behandelt haben?

Ich sehe also keine Unterschiede zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im Süden hatten es die Römer wohl wirklich einfacher. Aber Hessen gehörte nicht dazu.

Entschuldige, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe, ich meinte nur, das es in Hinsicht zu den anderen "Stützpunkten" der Römer im Süden lag :D
Gewiss bin ich nicht der Meinung, das Hessen im süden Deutschlands liegt.
 
Das Wort Apartheid halte ich auch im Zusammenhang mit der römischen Gesellschaft für vollkommen abwegig. Die Römer waren große Nationalisten vor dem Herrn. Aufgewachsen mit der felsenfesten Überzeugung, daß es dem römischen Volke bestimmt ist, den Erdkreis zu beherrschen zum Wohle aller Völker und zum Ruhme der Stadt Rom.

Sie haben aber Niemanden von diesem "römischen Traum" ausgeschlossen, sondern waren im Gegenteil Meister der Integration. Genau das war einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für die lange Existenz und Größe des Reiches.

Jeder konnte das römische Bürgerrecht erlangen oder zumindest einen weiteren Schritt tun, um es einem seiner Nachfahren zu ermöglichen. Vom Peregrinen oder gar Sklaven in den Senat und sogar bis zum Kaiser war möglich und soll auch passiert sein (Vespasians Familie). Auch wenn es Generationen dauerte. Klar lebte man in einer Standesgesellschaft in der von Rechtsgleichheit selbst auf dem Papier kaum die Rede sein konnte. Aber die Grenzen waren durchlässig und der Aufstieg von für das Reich wertvoller Personen und Familien wurde sogar explizit gefördert.

Das hat wenig mit Rassentrennung, Apartheid, Faschismus oder anderen Extremen der Moderne zu tun, sondern ist eher das genaue Gegenteil.

Die Quellen sagen leider wenig zur Politik der Provinzialiserung in der Germania Magna. Insbesondere was davon offizielle römische Politik des Augustus und was Varus' Eigenmächtigkeiten waren. Ich denke aber, man ist dort nicht anders verfahren als in Spanien oder Gallien. Und dort betrieb man flächendeckend die Integration der lokalen Eliten und keine Rassentrennung. Waldgirmes ist für mich dafür nur der erste eindeutige Beleg.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich denke aber, man ist dort nicht anders verfahren als in Spanien oder Gallien. Und dort betrieb man flächendeckend die Integration der lokalen Eliten und keine Rassentrennung.

Die (versuchte) Integration der lokalen Eliten sehen wir ja auch ganz gut am Beispiel des cheruskischen Adels.

Arminius "hatte mit dem römischen Bürgerrecht auch den Rang eines römischen Ritters erlangt" (Velleius).
Arminius und Segimerus waren "des Varus dauernde Begleiter und wiederholt auch Tischgenossen" (Cassius Dio).
Segimundus amtierte als Priester der Ara Ubiorum (Tacitus).
 
Das Wort Apartheid halte ich auch im Zusammenhang mit der römischen Gesellschaft für vollkommen abwegig. Die Römer waren große Nationalisten vor dem Herrn. Aufgewachsen mit der felsenfesten Überzeugung, daß es dem römischen Volke bestimmt ist, den Erdkreis zu beherrschen zum Wohle aller Völker und zum Ruhme der Stadt Rom.

Sie haben aber Niemanden von diesem "römischen Traum" ausgeschlossen, sondern waren im Gegenteil Meister der Integration. Genau das war einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für die lange Existenz und Größe des Reiches.

Jeder konnte das römische Bürgerrecht erlangen oder zumindest einen weiteren Schritt tun, um es einem seiner Nachfahren zu ermöglichen. Vom Peregrinen oder gar Sklaven in den Senat und sogar bis zum Kaiser war möglich und soll auch passiert sein (Vespasians Familie). Auch wenn es Generationen dauerte. Klar lebte man in einer Standesgesellschaft in der von Rechtsgleichheit selbst auf dem Papier kaum die Rede sein konnte. Aber die Grenzen waren durchlässig und der Aufstieg von für das Reich wertvoller Personen und Familien wurde sogar explizit gefördert.

Das hat wenig mit Rassentrennung, Apartheid, Faschismus oder anderen Extremen der Moderne zu tun, sondern ist eher das genaue Gegenteil.

Die Quellen sagen leider wenig zur Politik der Provinzialiserung in der Germania Magna. Insbesondere was davon offizielle römische Politik des Augustus und was Varus' Eigenmächtigkeiten waren. Ich denke aber, man ist dort nicht anders verfahren als in Spanien oder Gallien. Und dort betrieb man flächendeckend die Integration der lokalen Eliten und keine Rassentrennung. Waldgirmes ist für mich dafür nur der erste eindeutige Beleg.

Und ganz praktisch: schon zu Augustus' Zeiten gab es germanische Hilfstruppen und deren Offiziere konnten das römische Bürgerrecht erlangen. Germanen ware auch in diplomatischer Beziehung am Kaiserhof zu finden, Arminius und Flavus hielten sich länger in Rom auf, der letzte bekannte Cheruskerköig Italicus wurde aus dem römischen Reich ins freie Germanien entsandt und Marbod flüchtete ins italische Exil, wo er in Ravenna starb. Nicht mal das "Überlaufen" des Arminius führte dazu, dass die Praxis der Hilfstruppen endete. Selbst in der Umgebung des Kaisers finden sich germanische Leibwachen.
 
also eine Art antikes Nord-Süd-Gefälle?!

Wie ich schon sagte, der Süden war stark entvölkert nach dem Abzug der Markomannen. Man hatte den Hermunduren erlaubt sich am oberen Main anzusiedeln. In antoninischer Zeit waren sie schon bis an den rätischen Limes vorgestoßen, denn sie hatten dort großzügige Passierrechte.

Auch das spätere Dekumatland wurde ja eher friedlich von "illegalen" Siedlern aus Gallien und dem linksrheinischen Germanien in Besitz genommen. Was die Römer dann zwang das Gebiet mit Kastellen zu sichern, woraus dann der Limes entstand. Die Sicherung der Strasse vom Rhein zur Donau und eine allgemeine Grenzverkürzung spielte sicher auch eine Rolle.

Von einem Krieg in Süddeutschland ist mir bis zu den Markomannenkriegen Nichts bekannt. Und selbst da weiß ich nur, daß sich die Hermunduren auf die Seite der Markomannen geschlagen haben. Haben sie auch Raetien oder Noricum angegriffen?

Insgesamt wundert es etwas, daß sich die Römer angesichts dieser doch recht komfortablen Situation im Süden in 9 AD direkt hinter Donau und Rhein zurückgezogen haben und nicht hinter den Main.

- Lag das an ihrem anderen geografischen Verständnis?
- Wollten sie mit dem Bayrischen Wald keine offene Flanke zu Marbods Markomannen in Tschechien riskieren?
- Wollten sie keinen Ärger mit den verbündeten Hermunduren? Inwieweit gehörten diese, wie auch etwa die Langobarden an der Elbe jemals zur Provincia des Varus? Reiste er auch in deren Gebiet um Gericht zu halten und Tribute einzufordern? Ich habe da so meine Zweifel.
- Oder hatte man einfach kein Interesse an dem doch "einfacheren" Süddeutschland?

Wahrscheinlich eine Mischung aus Allem.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann man das so formulieren?

Gibt der Befund das her?
Wenn ja warum?
Weil die Stämme im Norden kriegerischer eingestellt waren?
Weil die Stämme im Norden die Römer als Besatzungsmacht empfanden?
War weiter südlich die Situation für die Römer einfacher?
Hatte Waldgirmes für die Römer eine Art "Modelcharakter"?

Sicherlich diskussionswürdig...

Auch ich finde die Beweislage etwas dünn, zum einen, wie schon bemerkt, dass Haltern wohl wirklich keine Zivilsiedlung, zumindest keine größere, besitzt.
Zum anderen gibt es - das ist nur etwas in Vergessenheit geraten - noch viele offene Fragen um Waldgirmes, auch, was z.B. das Ende der Siedlung betrifft. Noch ist die wissenschaftliche Dokumentation nicht abgeschlossen und so lange muss man warten.

Persönlich denke ich eher: in der Gegend um Wetzlar hat man im Zuge des Fernstraßenbaus einige germanische Siedlungen gefunden. Waldgirmes entstand also in einer relativ dicht besiedelten Zone von Germanien, und es gab entsprechend einige Kontakte. Sicher spielte sich hier auch einiges an Handel ab - hier kamen Verkehrsverbindungen an den Mittelrhein (Koblenz), von Mainz her und von den engeren chattischen Siedlungsgebieten in Nordhessen zusammen.

Schlussendlich wäre ich auch deshalb vorsichtiger mit einer "Apartheids"-Deutung, weil auch viel später vereinzelt Zivilsiedlungen von Limeskastellen viel germanische Ware erbrachten (z.B. Kastell Zugmantel), dies aber trotzdem nicht die Regel war.
 
Vielen Dank für die jetzt schon zahlreichen Beiträge!

Zunächst:
Dieser Satz von der Arpartheid im Norden und Multikulti im Süden stammt nicht von mir, sondern aus dem erwähnten Buch von C. Pantle. Sicherlich ist dieser Satz ein wenig provozierend, aber manchmal muß man ja auch klotzen und nicht kleckern.=)

Interessant ist sicherlich der archäologische Befund in Haltern. Eine Lagervorstadt ist bis heute nicht nachgewiesen. Allerdings ist der Hinweis, das gerade in Haltern diverse Gebiete mittlerweile überbaut sind auch richtig. Das es an einem so wichtigen Standort eine Lagervorstadt gegeben hat, sollte wohl umumstritten sein. Ob man sie irgendwann archäologisch nachweisen kann, ist ein anderes Thema. Und:
Haltern war keineswegs ein reiner Militärstandort. Es war wohl lt. Befund ein eher wichtiger Verwaltungsstandort. Von Haltern aus sollte wohl eine mögliche Provinz Germanien verwaltet und kontrolliert werden. Die nachgewiesene Innenbebauung des Lagers gibt hierzu entsprechende Aufschlüsse.

Fakt ist, daß die Lippe für die Römer eine herausragende Bedeutung hatte. Spuren einer wirklich wechselseitigen Beziehung Römer/Germanen fehlen aber wohl dort - im Gegensatz zu Waldgirmes.
 
Fakt ist, daß die Lippe für die Römer eine herausragende Bedeutung hatte. Spuren einer wirklich wechselseitigen Beziehung Römer/Germanen fehlen aber wohl dort - im Gegensatz zu Waldgirmes.

Wie heisst es so schön unter Historikern: "The absence of evidence is not the evidence of absence".
 
Ich frage mich weiter, ob es für eine Stadtgründung aus „wilder Wurzel“ so hilfreich ist, direkt an einer militärischen Rollbahn zu liegen, solange noch regelmäßige Militärzüge zu erwarten sind? Militär auf dem Marsch ist vielleicht nicht der beste „Kunde“ und stabilisierend für eine zivile Entwicklung.
Dazu vielleicht ein Hinweis auf Martin Millett, The Romanization of Britain, 1990. Millett widmet sich unter anderem der Frage, warum in verschiedenen Regionen Britanniens der Grad der "Romanisierung" so unterschiedlich ausfiel. Neben anderen Aspekten, meint Millett, verzögerte starke militärische Präsenz den normalen zivilen Integrationsprozess, wie z.B. bei den Iceni nach dem Boudicca-Aufstand, oder verhinderten ihn mehr oder minder komplett, wie bei den Carvetii im Hinterland des Hadrianswalls:
[...] the increase in the army garrison undermined the emergence of civil authority amongst the tribal elite. Careful consideration reveals that such an army of occupation usurped native control and destroyed the very process that Rome relied upon - governement by a pro-Roman elite.
 
Dennoch bildeten sich in der Nähe großer Standlager üblicherweise Cannabae, also zivile Siedlungen, die von den Legionären lebten. Diese hatten allerdings, da sie im militärischen Bezirk der Legion lagen, keine zivile Verwaltung. Diese wurde vom Legaten mit übernommen.

Der übliche Mechanismus mit lokaler Elite, die mit römischem Bürgerrecht ausgestattet war und die römische Lebensweise pflegte, fand hier also nur bedingt statt. Ab Hadrian bekamen dann aber wohl auch die größeren Cannabae Stadrechte und wurden selbstständig.

Einen unterschiedlichen Prozess der Romanisierung kann ich also nachvollziehen, nicht aber, daß es keine zivile Siedlungen nahe der großen Winterlager gegeben haben soll.
 
Einen unterschiedlichen Prozess der Romanisierung kann ich also nachvollziehen, nicht aber, daß es keine zivile Siedlungen nahe der großen Winterlager gegeben haben soll.

Zustimmung!

Sicherlich wird es (in Germanien) zivile Siedlungen nahe der Winterlager gegeben haben. Vieleicht sind solche in frühen Lagern (Oberaden) noch fraglich, aber sicherlich nicht in Haltern, auch wenn sie bisher noch nicht entdeckt worden sind. Man sollte auch bedenken, daß es in solchen zivilen Siedlungen einiges zu verdienen gab.

Das eine "zivile Stadt" wie Waldgirmes weiter südlich entdeckt wird, überrascht eigentlich auch nicht. Die Römer hatten wohl dort in der Okkupationsphase weitaus weniger Probleme als mit den Stämmen im heutigen Nordwestdeutschland.
 
Einen unterschiedlichen Prozess der Romanisierung kann ich also nachvollziehen, nicht aber, daß es keine zivile Siedlungen nahe der großen Winterlager gegeben haben soll.
Die zivilen Siedlungen neben römischen Truppenstandorten weisen mindestens im nördlichen Britannien zumeist ein paar Besonderheiten auf, die sie von rein zivilen Siedlungen ohne militärischen Kontext deutlich unterscheiden. Handwerk, Dienstleistung und Handel sind klar fokussiert auf das Militär als wichtigsten Kunden. Verbindungen zum zivilen Umland sind scheinbar ausgesprochen dünn. Um mal neben Millett noch eine andere Stimme zu zitieren - David Mattingly, Urbanism, epigraphy and identity in the towns of Britain under Roman rule, in: A Roman Miscellany: Essays in Honour of Anthony R. Birley on His Seventieth Birthday, 2008:
Attempts to understand the other so-called vici by many Roman forts as representing incipient urbanism of the surrounding native population seems a naïve reading of the primary form and function of these sites. These are best understood as ‘garrison settlements’, a term that avoids the legal debate about what was and was not administratively defined as a vicus. In terms of material culture and cultural identity their inhabitants seem closely linked to the army, whether through familial, contractual or circumstantial factors. As such the populations of forts and garrison settlements in Britain were both integral elements of the military community, with distinctive identity and behavioural traits from other groups in Britain.
 
Die zivilen Siedlungen neben römischen Truppenstandorten weisen mindestens im nördlichen Britannien zumeist ein paar Besonderheiten auf, die sie von rein zivilen Siedlungen ohne militärischen Kontext deutlich unterscheiden. Handwerk, Dienstleistung und Handel sind klar fokussiert auf das Militär als wichtigsten Kunden. Verbindungen zum zivilen Umland sind scheinbar ausgesprochen dünn.

Eine solche Fokussierung ist zu erwarten, wenn sich zum Zeitpunkt der Einrichtung des Lagers in der Nähe nicht bereits eine größere städtische Siedlung mit gewachsener Infrastruktur befand. Und selbst dann wäre der Einfluß des Lagers auf die nahe Stadt gewaltig. Dörfliche Siedlungen hatten wohl keine Chance gegen den Einfluß des Lagers. Städtische oder stadtähnliche Siedlungen sind aber in Germanien eher unbekannt. Im Westen und Südwesten gab es wohl noch keltische Oppida, aber waren die bei Ankunft der Römer nicht schon aufgegeben?

Wurde überhaupt im links- oder rechtsrheinischen Germanien ein Legionslager in der Nähe einer bestehenden Stadt gebaut? Oder waren das Alles Cannabae, die sich erst mit dem Lager entwickelten und später, aus welchem Grund auch immer, Stadtrecht bekamen?

Und war das nicht zumindest im nördlichen England und Wales nicht viel anders?

Erst wenn sich aus diesen Cannabae Zentren der römischen Provinzadministration entwickelten, konnte eine solche Fokussierung nachlassen. So weit kam es aber im rechtsrheinischen Germanien nie. Selbst für Haltern scheint mir die Zeit zu kurz, um mehr als eine fokussierte Cannaba zu erwarten. Waldgirmes ist eine ganz andere Sache. Das sollte wohl die Hauptstadt der Civitas der Chatten werden.
 
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