Staatssouveränität und ihre Einschränkung/Verlust im Spiegel römischer Geschichte
...Auch die Städte und Stämme in den Provinzen waren in der Theorie Bundesgenossen, die sich vertraglich den Römern unterstellt hatten (auch wenn diese "Verträge" meist nicht gerade freiwillig geschlossen wurden).
Danke für diese Aussage, die ich vertiefen möchte.
Souveränität in "außenpolitisch-staatsrechtlichem Sinne" gab es im "Alten Rom" ganz sicher. Es war ein starkes Mittel ihrer Außen- & Bündnispolitik, dass sich ständig in der Überlieferung wiederfindet. Rom ging davon aus, dass alle Staaten/Stämme/Städte auf die es traf, ursprünglich die volle, eigenständige Souveränität (in Außenpolitik und Selbstverfassung) besaßen und nur damit das Recht, vollgültige Verträge abschließen zu können. Im Umkehrschluss waren einem König, oder einer übergeordneten Instanz abhängig gewordene Gruppen nicht mehr länger im uneingeschränkten Genuss ihrer Souveränität. Souveränität ist nun einmal die Staatsgewalt.
Im Umgang mit Bundesgenossen arbeitete Rom in der Folge in flexibles System von Verträgen aus, die (aus römischer Sicht) unterschiedliche Grade der
Unterstellung unter die Vorherrschaft Roms ermöglichen sollten. Verträge unter Gleichen und Gegenseitigkeit sah das römische Staatsrecht nicht vor! Je nach den Umständen, wie fremde "staatliche Subjekte" unter Roms Vorherrschaft und Schutz traten, definierte man den Status dieser "socii". Wurde etwa eine italische Macht während der frühen Expansionszeit militärisch unterworfen und dann dem römischen Bundessystem eingegliedert, hatte sich der Rivale i.d.r in Form einer "deditio" mit Rom zu einigen. Dieser Vorgang war stark ritualisiert in Form eines Frage- & Antwort-Schemas. Zuerst wurde festgestellt, dass der mit Rom einen Vertrag Eingehende überhaupt völkerrechtlich in Besitz einer Souveränität war. Weiterhin gab die mit Rom einen Vertrag schließende Gemeinschaft zu definierende Souveränitätsrechte an Rom ab und praktizierte damit eine "Freiwillige Herrschaftsübergabe" an die Tiberstadt. Das Wort "Vertragspartner" verbietet sich m.E. in diesem Zusammenhang! Staatsrechtlich hörte der mit Rom einen Vertrag schließende damit praktisch auf ein eigenständiges, "völkerrechtliches Subjekt" zu sein. Seine Vertragsfähigkeit mit anderen politischen Gebilden (Staaten) war damit verloren gegangen! Es wurde zu einem staatsrechtlichen Objekt "degradiert". Vom Wortstamm her leitet sich deditio von aktiver "Übergabe/Auslieferung" ab!
Nach römischem Selbstverständnis konnte ein dadurch seiner uneingeschränkten Souveränität verlustig gegangenes, "völkerrechtliches Objekt" seine volle Souveränität niemals wieder erringen. Selbst dann nicht, wenn Rom sie ihm gewähre - was dann trotzdem eine weitere Unterstellung unter Rom implizierte! Eine urrömische Sicht von Völkerrecht, die nicht erst in der Spätantike zu enormen Komplikationen führen sollte, weil sie nicht länger durchsetzbar blieb. Auch die römischen "Bundesgenossenkriege" in republikanischer Zeit speisten sich zum Teil aus dieser Sichtweise, die es unbedingt durchzusetzen galt. Der Ausweg blieb erst sehr spät die Aufnahme der Bundesgenossen in das "römische Bürgerrecht" und seine Zwischenstufen (lateinischer Rechtsstatus...)
Im Verlauf des 2. Punischen Krieges wagte es die nach Rom bedeutendste italische Stadt Capua im Gefolge der katastrophalen römischen Niederlage von Cannae zu fordern, künftig einen der beiden römischen Konsuln stellen zu dürfen. Capua und seine Oberschicht war zu diesem Zeitpunkt mannigfach politisch und mit seiner Oberschicht mit Rom verwoben und galt als eines der wichtigsten Stützen im römischen Herrschaftssystem. Rein sozial war dieses Ansinnen auch durch familiäre Verbindungen (der Oberschichten) vielleicht weniger Außergewöhnlich, als es den Anschein haben mag: Doch es traf den entscheidenden Nerv römischen Selbstverständnisses und seiner Auffassung über Souveränität an ihrer empfindlichsten Stelle! Rom lehnte ab und Capua schloss sich an Hannibal an... Der folgende Kampf um Capua war ein Signal an alle Bundesgenossen: Am Ende einer langen Belagerung fiel die Stadt 211 v.Chr. in römische Hand. Capua wurde als Bürgergemeinde völlig aufgelöst (staatsrechtliche Desintegration!), Enteignung des Grundbesitzes zugunsten des römischen Staates und Gründung von rivalisierenden Bürgerkolonien auf dem ehemaligen Gelände des Stadtstaates. Wirtschaftlich sollte Capua wieder erblühen, doch erst unter Julius Caesar wurde in Capua eine neue Kolonie gegründet unter dem Namen
Colonia Iulia Felix siedelte er dort 20000 römische Bürger an, was die Widererrichtung Capuas als völkerrechtliches Objekt bedeutete... Das Schicksal Capuas ist nicht singulär, wie nicht nur das Beispiel des vorher mit Rom verbündeten Korinths und des Archaiischen Bundes zeigt (das interessanterweise ebenfalls durch Julius Caesar als römische Bürgerkolonie neu gegründet werden sollte)...