Klar kann ich, musste nur selbst erst den Titel suchen:
Michael Hausmann: Die Leserlenkung durch Tacitus in den Tiberius- und Claudiusbüchern der "Annalen", Berlin 2009.
Eine mal von mir für einen anderen Zusammenhang daraus verfasste Zusammenfassung des Abschnitts über Augustus am Beginn der Analen:
Das Bild des Augustus lässt sich vor allem aus dem sogenannten Totengericht (Kapitel 1,9f.) erschließen, dass die Meinungen des Volkes über den gerade verstorbenen Kaiser wiedergeben soll. Das Volk wird dabei grob in 2 Teile unterteilt, die Mehrheit, die sich in allerlei Belanglosigkeiten ergeht und die Minderheit, die genauer schaut und Augustus entweder lobt oder kritisiert. Dabei kommt zuerst das Lob, dann die Kritik.
Die Meinung der Mehrheit erzählt Tacitus recht schnell, die Belanglosigkeiten zählen für ihn wenig. Man kann aber leichte Kritik an der langen Bekleidung der tribunicias potestas dadurch erkennen, dass Augustus damit jeder Verantwortung und Richtbarkeit enthoben war. Insgesamt erscheinen die vielen Titel und Ehrungen aber als etwas, womit sich nur Unwissende blenden lassen.
Das folgende Urteil der Minderheit wird durch den konstruierten Gegensatz zu einem rationalen und hintergründigen Urteil. Ein Urteil, das auch betont objektiv daherkommt, unparteilich sein will, glaubwürdig sein will.
Doch insgesamt folgt eine Abrechnung mit Augustus, die diesen zu einer äußerst fragwürdigen Figur macht. Rein äußerlich schon überwiegen die negativen Stimmen in der Länge die positiven um das Zweieinhalbfache, ist zudem an die letzte, stärkere Position gerückt und bleibt damit eher im Gedächtnis. Die vorherigen positiven Urteile werden dadurch entkräftet, überlagert oder auch verdrängt.
Beim Lob für Augustus fällt zudem auf, dass es kein überschwängliches Lob darstellt. Es wird vielmehr versucht die unausgesprochenen Vorwürfe gegenüber Oktavian und seinem Verhalten während seiner politischen Anfänge zu entschuldigen. Er ist in den Bürgerkrieg getrieben worden, Raum für gesetzliches Verhalten habe es ja genauso wenig gegeben wie die Möglichkeit zu ehrenhaftem Kampf. Damit schwingt aber der Vorwurf mit, dass Oktavian eben nicht ungesetzlich gehandelt hat, sondern auch unehrenhaft! Und eine richtige Herrschaftslegitimation spricht aus dem folgenden auch nicht, wenn sich die möglichen Konkurrenten Lepidus und Antonius durch römische Untugenden als nicht regierungsfähig erwiesen haben und Oktavian die einzige Alternative war. Wie groß dann zudem der Unterschied zwischen Königtum und dem Titel Prinzeps ist, ist auch fraglich – nur ein Unterschied dem Namen nach, ein Etikettenschwindel? Hier muss an den Anfang erinnert werden, wo ähnliches schon einmal geschrieben worden ist. Die lateinische Wendung unter seine Herrschaft bekam bezeichnet dabei eine Unterwerfung unter eine Befehlsgewalt, gegen die es keine Berufung gibt.
Hier haben wir ein gutes Beispiel für die Leserlenkung des Tacitus vor Augen. Denn schon lange, bevor es zum Totengericht des Augustus kommt, hat Tacitus die Meinung seiner Leser durch suggestive Bemerkungen in den vorangegangenen Kapiteln vorgeprägt. Schon im ersten Satz überhaupt wird durch den Gegensatz von habuere (herrschen) und libertas (Freiheit) die Richtung vorgegeben. Die folgende Liste ist eine Abfolge von immer mehr zunehmender Herrschaft und geringerer Freiheit, bis sie in die fest etablierte Herrschaft des Augustus mündet. In Kap. 1,2 wird dann der Weg des Augustus beschrieben, der durch die Wortwahl ein blutiger und gewaltsamer Weg war, der gepflastert war mit Rechtlosigkeit, Korruption und Heuchelei mit dem Ziel der Unterwürfigkeit und Knechtschaft. Interessant ist auch die Wortwahl in Bezug auf den Tod von Brutus, Cassius und Antonius. Der jeweilige Selbstmord geht aus den lateinischen Wörtern nicht hervor, vielmehr bedeutet caedere bei den Caesarmördern hinschlachten, was die beiden als Opfer roher Gewalt erscheinen lässt und auch so den Sieger – Augustus – moralisch diskreditiert. Schließlich will Augustus am Ende der Bürgerkriege nur noch als Konsul gelten, will also Vertreter der alten Ordnung sein, ist es aber eigentlich nicht. Und so zieht er auch in der Folge alle Kompetenzen an sich, steigert seine Stellung also zu der des absoluten Herrschers. Dies tut er allmählich, also schrittweise, nahezu unbemerkt. Damit soll auch wieder zum Ausdruck kommen, auf welch gerissene und heimtückische Weise Augustus gehandelt hat.
Nachdem so Augustus von Tacitus zu Beginn schon negativ vorgeprägt ist, dürfte es durchaus möglich sein, dass auch die unausgesprochenen Vorwürfe der lobenden Teilnehmer des Totengerichts deutlich herauszuhören sein können. Das Lob ist daher nicht viel mehr als eine unbeholfene Entschuldigung. Erst am Ende des lobenden Abschnitts können sie sich aus dem Rechtfertigungszwang befreien und den Leistungen des Augustus wirkliche Anerkennung zollen.
Also schon im lobenden Teil wird eine negative Kraft entfaltet, zum einen durch die Verteidigung auf die unausgesprochenen Vorwürfe, zum anderen durch die negative Vorprägung des Augustusbildes zu Anfang der Annalen.
Wie sieht es nun mit den kritischen Stimmen aus?
Zu Beginn wird die Wortwahl der günstigen Stimmen fast wörtlich aufgegriffen und ihrer Wirkung beraubt, indem die Verpflichtung gegenüber dem Vater und die Notlage des Staates als heuchlerische Vorwürfe entlarvt werden. Vielmehr wird es als Herrschsucht bezeichnet und das Verhalten Oktavians insgesamt als Heuchelei. Im Anschluss wird die illegale militärische Rüstung und die Erschleichung der ersten Ämter kritisiert. Sehr schlimm wirkt zudem der Verdacht Oktavian hätte etwas mit dem Tod der beiden Konsuln 43 v. Chr., Hirtius und Pansa, zu tun gehabt. Dieser Vorwurf begegnet zwar in der für Tacitus charakteristischen Form einer Wahlmöglichkeit für den Leser. Der äußeren Form nach wird offengelassen, wer für den Tod verantwortlich ist, doch die erste Alternative wird sehr schnell, die zweite, für Augustus negative, deutlich ausführlicher geschildert – und steht auch wieder am Schluss. Zudem wird bei der zweiten Alternative auch durch sprachliche Mittel die Behauptung als eigentlich bewiesen dargestellt. Und das Bild eines Mörders von Konsuln passt gut in das von Tacitus vorher schon entworfene Bild eines machtgierigen Mannes.
Im folgenden Abschnitt wird dann das Verhalten des Augustus gegenüber ehemaligen Mitstreitern der Kritik unterzogen. Wieder erscheinen Heuchelei und Hinterlist als wichtigste Charakteristika. Der Frieden des Augustus war ja einer der Punkte, der wirklich lobend erwähnt worden war. Tacitus ergänzt das durch den Zusatz: aber blutigen. Erwähnt werden nicht die Erfolge des Kaisers, sondern zwei schmachvolle Niederlagen in Germanien in der Außenpolitik, im Inneren die Hinrichtung von mehreren Männern. Dass diese Männer Verschwörungen gegen Augustus angezettelt haben, wird nicht erwähnt.
Abschließend kritisieren sie noch einen Bereich, der bislang gar nicht zur Sprache gekommen war, das Privatleben des Kaisers. Da der Bereich lobend nicht erwähnt wurde, kommt schon der Eindruck zustande, dass es dort nichts lobendes gab.
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Insgesamt fand ich das Buch, das sehr viele Stellen aus den Tiberius- und Claudiusbüchern sehr genau analysiert, auf jeden Fall eine hoch interessante Lektüre über Tacitus, sein Werk und seine Methodik.