Tacitus - Verherrlichung des Augustus trotz herber Kritik gegen Prinzipat?

Waterpolo

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Ich habe hier ein Auzug aus den Annalen von Tacitus, wo er sich über das augusteische Prinzipat äußert und dort (scheinbar) kein negatives Wort über Augustus verliert. So, wie ich mich nun heute etwas informiert habe, um mir ein kleines Bild über Tacitus und den Annalen zu verschaffen, war dieser besonders parteiisch, obwohl er genau das beispielsweise im Buch bestreitet. Zusätzlich hat er die Werte der republikanischen Staatsform vertreten, sodass er Tiberius und Domitian als Tyrannen bezeichnet und Augustus an anderen Stellen auch kritisiert (leider derzeit keine genaueren Quellen darüber bzw. dazu gelesen).

Wieso berichtet Tacitus dann in diesem Auszug so positiv über die Herrschaftsform bzw. dem "Machtantritt" von Augustus, wenn er selbst Senator war und republikanische Formen vertreten hat? Klar, Augustus hat dem Senat sein Ansehen wieder gegeben und zusätzlich das weiterhin auch so erhalten, dennoch hat Tacitus das Kaisertum - laut meiner (leider sehr kurzfristigen ausgefallenen Internet-Recherche) - gänzlich kritisiert.

Wieso ist das in diesem Fall - bei diesem Auszug - völlig anders?

Vielen, lieben Dank für eure Hilfe!

Liebe Grüße,
Waterpolo
 
Ich bin etwas überrascht, dass du den ersten Teil als unkritisch empfindest. Er ist nicht unkritisch sondern vorsichtig und sehr weich formuliert.

Schau dir auch mal die Debatte nach Augustus' Tod zwischen seinen Befürwortern und Gegnern an (Länge, Reihenfolge). Tacitus täuscht Objektivität nur vor, indem er beide Seiten zu Wort kommen lässt.
 
Gerade wo du es erwähnst, erscheint mir doch ziemlich viel zweifelhaft und sehr objektiv bzw. eher von Tacitus' Seite kritisch gesehen, was scheinbar auch gerade wegen seiner republikanischen Ideologie und Ablehnung gegenüber dem Prinzipat hervorgeht.

Die Objektivität - so wie ich das aus dem Text nun herauslesen kann - zeichnen sich vor allem durch "Anschuldigungen" aus, sodass beispielsweise Augustus versucht hat, sich im Volk beliebt zu machen, indem er Getreide gespendet hat etc. Aber auch durch längere Beschreibungen gerade über seine Gegner und die Unterstreichung mit bestimmten, längeren Sätzen.

Die Objektivität täuscht er aber auch nur vor, um gerade seine eigene republikanische Meinung gegenüber Augustus zu äußern, richtig? Oder gibt es da weitere, andere Gründe? Wenn ja, welche Quellen und Literatur könnt ihr mir empfehlen, um genau das herausfinden zu können? Reichen die Annalen von Tacitus hierfür aus?

Danke für die Hilfe und entschuldigt für löchrige Unwissenheit in den Sätzen, falls diese besteht.

Liebe Grüße,
Waterpolo


P.S: Ich schau' mir nun mal die Debatte nach Augustus' Tod an. Danke für den Hinweis!
 
Ich bin etwas überrascht, dass du den ersten Teil als unkritisch empfindest. Er ist nicht unkritisch sondern vorsichtig und sehr weich formuliert.

Schau dir auch mal die Debatte nach Augustus' Tod zwischen seinen Befürwortern und Gegnern an (Länge, Reihenfolge). Tacitus täuscht Objektivität nur vor, indem er beide Seiten zu Wort kommen lässt.

Wobei auch die Seite der Befürworter nur vordergründig wirklich positiv ist. Dazu bei Gelegenheit mehr, wenn ich ein wenig mehr Zeit habe als gerade aktuell.

Es gibt auch ein schönes Buch, das u.a. auch genau das Bild des Augustus bei Tacitus sehr schön analysiert.
 
Klar kann ich, musste nur selbst erst den Titel suchen:

Michael Hausmann: Die Leserlenkung durch Tacitus in den Tiberius- und Claudiusbüchern der "Annalen", Berlin 2009.

Eine mal von mir für einen anderen Zusammenhang daraus verfasste Zusammenfassung des Abschnitts über Augustus am Beginn der Analen:

Das Bild des Augustus lässt sich vor allem aus dem sogenannten Totengericht (Kapitel 1,9f.) erschließen, dass die Meinungen des Volkes über den gerade verstorbenen Kaiser wiedergeben soll. Das Volk wird dabei grob in 2 Teile unterteilt, die Mehrheit, die sich in allerlei Belanglosigkeiten ergeht und die Minderheit, die genauer schaut und Augustus entweder lobt oder kritisiert. Dabei kommt zuerst das Lob, dann die Kritik.
Die Meinung der Mehrheit erzählt Tacitus recht schnell, die Belanglosigkeiten zählen für ihn wenig. Man kann aber leichte Kritik an der langen Bekleidung der tribunicias potestas dadurch erkennen, dass Augustus damit jeder Verantwortung und Richtbarkeit enthoben war. Insgesamt erscheinen die vielen Titel und Ehrungen aber als etwas, womit sich nur Unwissende blenden lassen.
Das folgende Urteil der Minderheit wird durch den konstruierten Gegensatz zu einem rationalen und hintergründigen Urteil. Ein Urteil, das auch betont objektiv daherkommt, unparteilich sein will, glaubwürdig sein will.
Doch insgesamt folgt eine Abrechnung mit Augustus, die diesen zu einer äußerst fragwürdigen Figur macht. Rein äußerlich schon überwiegen die negativen Stimmen in der Länge die positiven um das Zweieinhalbfache, ist zudem an die letzte, stärkere Position gerückt und bleibt damit eher im Gedächtnis. Die vorherigen positiven Urteile werden dadurch entkräftet, überlagert oder auch verdrängt.

Beim Lob für Augustus fällt zudem auf, dass es kein überschwängliches Lob darstellt. Es wird vielmehr versucht die unausgesprochenen Vorwürfe gegenüber Oktavian und seinem Verhalten während seiner politischen Anfänge zu entschuldigen. Er ist in den Bürgerkrieg getrieben worden, Raum für gesetzliches Verhalten habe es ja genauso wenig gegeben wie die Möglichkeit zu ehrenhaftem Kampf. Damit schwingt aber der Vorwurf mit, dass Oktavian eben nicht ungesetzlich gehandelt hat, sondern auch unehrenhaft! Und eine richtige Herrschaftslegitimation spricht aus dem folgenden auch nicht, wenn sich die möglichen Konkurrenten Lepidus und Antonius durch römische Untugenden als nicht regierungsfähig erwiesen haben und Oktavian die einzige Alternative war. Wie groß dann zudem der Unterschied zwischen Königtum und dem Titel Prinzeps ist, ist auch fraglich – nur ein Unterschied dem Namen nach, ein Etikettenschwindel? Hier muss an den Anfang erinnert werden, wo ähnliches schon einmal geschrieben worden ist. Die lateinische Wendung unter seine Herrschaft bekam bezeichnet dabei eine Unterwerfung unter eine Befehlsgewalt, gegen die es keine Berufung gibt.

Hier haben wir ein gutes Beispiel für die Leserlenkung des Tacitus vor Augen. Denn schon lange, bevor es zum Totengericht des Augustus kommt, hat Tacitus die Meinung seiner Leser durch suggestive Bemerkungen in den vorangegangenen Kapiteln vorgeprägt. Schon im ersten Satz überhaupt wird durch den Gegensatz von habuere (herrschen) und libertas (Freiheit) die Richtung vorgegeben. Die folgende Liste ist eine Abfolge von immer mehr zunehmender Herrschaft und geringerer Freiheit, bis sie in die fest etablierte Herrschaft des Augustus mündet. In Kap. 1,2 wird dann der Weg des Augustus beschrieben, der durch die Wortwahl ein blutiger und gewaltsamer Weg war, der gepflastert war mit Rechtlosigkeit, Korruption und Heuchelei mit dem Ziel der Unterwürfigkeit und Knechtschaft. Interessant ist auch die Wortwahl in Bezug auf den Tod von Brutus, Cassius und Antonius. Der jeweilige Selbstmord geht aus den lateinischen Wörtern nicht hervor, vielmehr bedeutet caedere bei den Caesarmördern hinschlachten, was die beiden als Opfer roher Gewalt erscheinen lässt und auch so den Sieger – Augustus – moralisch diskreditiert. Schließlich will Augustus am Ende der Bürgerkriege nur noch als Konsul gelten, will also Vertreter der alten Ordnung sein, ist es aber eigentlich nicht. Und so zieht er auch in der Folge alle Kompetenzen an sich, steigert seine Stellung also zu der des absoluten Herrschers. Dies tut er allmählich, also schrittweise, nahezu unbemerkt. Damit soll auch wieder zum Ausdruck kommen, auf welch gerissene und heimtückische Weise Augustus gehandelt hat.

Nachdem so Augustus von Tacitus zu Beginn schon negativ vorgeprägt ist, dürfte es durchaus möglich sein, dass auch die unausgesprochenen Vorwürfe der lobenden Teilnehmer des Totengerichts deutlich herauszuhören sein können. Das Lob ist daher nicht viel mehr als eine unbeholfene Entschuldigung. Erst am Ende des lobenden Abschnitts können sie sich aus dem Rechtfertigungszwang befreien und den Leistungen des Augustus wirkliche Anerkennung zollen.

Also schon im lobenden Teil wird eine negative Kraft entfaltet, zum einen durch die Verteidigung auf die unausgesprochenen Vorwürfe, zum anderen durch die negative Vorprägung des Augustusbildes zu Anfang der Annalen.

Wie sieht es nun mit den kritischen Stimmen aus?
Zu Beginn wird die Wortwahl der günstigen Stimmen fast wörtlich aufgegriffen und ihrer Wirkung beraubt, indem die Verpflichtung gegenüber dem Vater und die Notlage des Staates als heuchlerische Vorwürfe entlarvt werden. Vielmehr wird es als Herrschsucht bezeichnet und das Verhalten Oktavians insgesamt als Heuchelei. Im Anschluss wird die illegale militärische Rüstung und die Erschleichung der ersten Ämter kritisiert. Sehr schlimm wirkt zudem der Verdacht Oktavian hätte etwas mit dem Tod der beiden Konsuln 43 v. Chr., Hirtius und Pansa, zu tun gehabt. Dieser Vorwurf begegnet zwar in der für Tacitus charakteristischen Form einer Wahlmöglichkeit für den Leser. Der äußeren Form nach wird offengelassen, wer für den Tod verantwortlich ist, doch die erste Alternative wird sehr schnell, die zweite, für Augustus negative, deutlich ausführlicher geschildert – und steht auch wieder am Schluss. Zudem wird bei der zweiten Alternative auch durch sprachliche Mittel die Behauptung als eigentlich bewiesen dargestellt. Und das Bild eines Mörders von Konsuln passt gut in das von Tacitus vorher schon entworfene Bild eines machtgierigen Mannes.
Im folgenden Abschnitt wird dann das Verhalten des Augustus gegenüber ehemaligen Mitstreitern der Kritik unterzogen. Wieder erscheinen Heuchelei und Hinterlist als wichtigste Charakteristika. Der Frieden des Augustus war ja einer der Punkte, der wirklich lobend erwähnt worden war. Tacitus ergänzt das durch den Zusatz: aber blutigen. Erwähnt werden nicht die Erfolge des Kaisers, sondern zwei schmachvolle Niederlagen in Germanien in der Außenpolitik, im Inneren die Hinrichtung von mehreren Männern. Dass diese Männer Verschwörungen gegen Augustus angezettelt haben, wird nicht erwähnt.

Abschließend kritisieren sie noch einen Bereich, der bislang gar nicht zur Sprache gekommen war, das Privatleben des Kaisers. Da der Bereich lobend nicht erwähnt wurde, kommt schon der Eindruck zustande, dass es dort nichts lobendes gab.

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Insgesamt fand ich das Buch, das sehr viele Stellen aus den Tiberius- und Claudiusbüchern sehr genau analysiert, auf jeden Fall eine hoch interessante Lektüre über Tacitus, sein Werk und seine Methodik.
 
Danke dir für den Tipp! Glücklicherweise gibt's den Schinken bei Google Books und ist dort frei verfügbar zum Lesen. Habe beim Lesen gemerkt, dass es deutlich von Vorteil sein kann, Kenntnisse in der lateinischen Sprache zu besitzen, um die sprachlichen und stilistischen Mittel besser analysieren zu können. Folglich muss ich mich leider an die deutsche Übersetzung heften, die nie so authentisch ist, wie das Original.

Wozu diente deine Zusammenfassung bzw. unter welcher genauen Aufgabe - wenn es eine gab - musstest du diese Zusammenfassung verfassen?
 
Genau das ist das Problem, wenn Geschichtsstudenten kein Latein mehr können müssen. Nicht dass es das Problem früher nicht auch schon gegeben hätte, aber da mussten wir wenigstens formal das Latinum nachweisen.
 
Hoch lebe die deutsche Bildungspolitik! Komischerweise wird sie seit gestern wieder in Frage gestellt!

In diesem Fall muss ich mich auf andere Forschermeinungen beziehen, zumal die Übersetzung in meinem Fall nicht ansatzweise mit derer zu vergleichen ist, wie sie z.B. bei Michael Hausmann in seiner Analyse der Wörter und Abschnitte der Fall ist (die wiederum das Ganze deutlich spannender gestaltet).

Deswegen hapert es etwas mit der Wiedergabe des Inhalts. Da fühlt man sich gleich hin- und hergerissen. Muss mich wohl oder übel an die hier verfügbare deutsche Übersetzung setzen, bis ich mich bei der Analyse austoben kann.
 
Genau das ist das Problem, wenn Geschichtsstudenten kein Latein mehr können müssen. Nicht dass es das Problem früher nicht auch schon gegeben hätte, aber da mussten wir wenigstens formal das Latinum nachweisen.

Nur dass mir der formale Nachweis des Großen Latinums auch nicht geholfen hätte detaillierte Analysen lateinischer Texte anzufertigen. Dafür braucht es wirkliche Lateinkenntnisse und keine aus Kursen, die vor allem dazu geeignet sind, die Kenntnisse formal nachzuweisen.
 
Danke dir für den Tipp! Glücklicherweise gibt's den Schinken bei Google Books und ist dort frei verfügbar zum Lesen.

Das ist schön.
Habe beim Lesen gemerkt, dass es deutlich von Vorteil sein kann, Kenntnisse in der lateinischen Sprache zu besitzen, um die sprachlichen und stilistischen Mittel besser analysieren zu können. Folglich muss ich mich leider an die deutsche Übersetzung heften, die nie so authentisch ist, wie das Original.

Ging mir nicht anders.
Wozu diente deine Zusammenfassung bzw. unter welcher genauen Aufgabe - wenn es eine gab - musstest du diese Zusammenfassung verfassen?

Sie diente der Vorbereitung auf einen VHS Kurs und sollte die Arbeitsweise von Tacitus exemplarisch vorstellen.
 
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