Mich würde vor allem mal von den Militärexperten unter euch interessieren, ob ihr mit der Vorstellung leben könnt, dass man Legionen nicht immer in Sollstärke rechen sollte.
Mit der Vorstellung kann man nicht nur leben, sie ist auch richtig. In vielen Fällen waren Legionen unter Sollstärke. Gerade im Verlauf eines langen Feldzuges sank dann die Iststärke einer Legion eigentlich grundsätzlich ab, manche Verbände gingen auch schon mit unter Soll Stärke in den Kampf. Zum Vergleich: Auch heute oder im Weltkrieg standen vielen Divisionen mit einer Stärke von weit unter der einer Division im Feld.
Für die Varusschlacht aber, kann man höchstwahrscheinlich schon von 3 Legionen mit annähern Sollstärke ausgehen.
Emil Daniels belegt in „Das antike Kriegswesen“, Seite 63, daß das Verhältnis zwischen Hopliten (später Legionäre) und Rorariern (Burschen, Knechte) in der römischen Republik 5:2 betrug.
Nun ja, dass ist durchaus nicht so klar wie Daniels das darlegt. Die Roarii kämpften auch nach der Eröffnung als Plänkler hinter den Triarii oder auch vor den Principes als mittelschwere Truppen im Massennahkampf, auch mit der Hasta, sie waren eben ein Verband der sowohl die Rolle leichter als auch mittelschwerer Infanterie ausfüllte, so wie später dann die Hastati. Wobei es eine Zeitlang wohl beide Typen paralell gab und höchst unklar ist, was dann in dieser Zeit die Hastati waren.
Ich würde zudem eher die Accensi als die Vorläufer der Calones sehen.
Prinzipiell bildeten sich die Roarii aus der vierten Klasse, und zählten zu den Leichten Truppen, aber nicht zu den Hilfskräften sondern eben zur regulären Infanterie, und sie übernahmen vor den Veliten deren Rolle, Aber: man kann nicht sagen, dass sich die Roarii zu den Velites weiterentwickelten, sie gingen wohl eher in den Hastati auf, während die Velites aus den alten Leves Truppen neu aufgestellt wurden.
Daher hatten die Hastati ja in der Anfangszeit ebenfalls den Charakter leichter bis mittelschwerer Infanterie, häufig kämpften sie ebenfalls als Antesignani, also als leichte Infanterie zusammen mit den Velites, daher auch der Begriff Hasta Velitaris.
Die von Livius so beschriebene römisch/latinische Legion um 350 v Chr ist wohl schon so aufgebaut gewesen wie er es beschrieben hat, sie war eben noch auf dem halben Weg von der 5 Klassen Armee des Servius Tullius hin zu der uns bekannten Form der republikanischen Legion. Daher die Verwirrung der Begriffe bzw die Mischformen.
Beim Vorrücken des Heeres zogen sie sich in Freiräume zwischen den Manipeln zurück und schleuderten von dort ihre Speere.
Das ist ja z.B. die Frage, wie man sich das mit den Lücken zwischen den Manipeln im Kampf vorstellen soll. Eine Armee die in breiten Lücken in ihrer Front nur leichte Truppen stehen hat, würde dort vom Gegner aufgerissen und dann niedergemacht werden, indem man sie von den Lücken aus aufrollt. Solche Lücken hat es im eigentlichen Massennahkampf gegen andere Infanterie nicht gegeben, d.h. die Veliten zogen sich hinter die schwere Infanterie zurück oder an deren Flanken und diese schloß vor dem Nahkampf diese Lücken. Wie fatal Lücken in der Front waren, zeigen z.B. die Schlachten gegen die Makedonische Phalanx, wo sich solche Geländebedingt ergaben, und der Hauptgrund für die Niederlage gegen die Römer wurden.
Gerade aber in einer Schlacht in schwierigem Gelände und gegen einen in sehr lockerer Kampfweise und mit Fernwaffen fechtenden Feind bildete man dann aus Kohorten feste Blöcke, die Leichten Truppen kämpften dann vor diesen Blöcken und zogen sich nur bei gegnerischer Übermacht zwischen diese zurück. Das heißt, diese Kampfweise wäre auch gegen die Germanen in der Varusschlacht das Standardvorgehen gewesen, sie konnte aber gar nicht angewendet werden, da gerade die leichten Truppen ja fehlten. S.u.
Also allein an Knechten (die als Velites kämpften) schon mehr Personen, als die „Experten“ des „wissenschaftlichen Kongresses über Kalkriese“ für das gesamte Varusheer behaupten.
Wobei es zu der Zeit des Varusheeres eben keine Veliten mehr gab, und die Knechte dienten durchaus nicht als Plänkler, gerade der Mangel an leichten Truppen in der Legion nach Marius führte zur Aufstellung von Einheiten der schweren Truppen die dann auch als Leichte Infanterie fungierten. Diese leichte Infanterie der Legion waren nun eben nicht die Calones sondern sie wurde aus den Hastati gebildet und dann gesondert als Antesignani bezeichnet. Wobei die Calones durchaus auch in begrenzter Anzahl als Schleuderer oder Speerwerfer agiert haben könnten, aber erstens waren das nicht die hier bezeichneten Mengen und zweitens war das nicht der Normalfall. Die Mehrheit der Calones waren z.B. Sklaven, was man in dem Kontext beachten sollte.
Die eigentliche Rolle der leichten Infanterie und der Plänkler übernahmen in dieser Zeit eben schon die Auxiliartruppen! und die Föderati wie die Germanen die auf römischer Seite kämpften, so z.B. auf der Seite des Germanicus die chaukischen Verbündeten deren Verrat dann Arminius am Angrivarierwall entkommen ließ.
Und da gerade eben in der Varusschlacht die Auxiliartrupen, d.h. fast die gesamten leichten Truppen des Heeres bis auf die Bewaffneten Calones und die wenigen Antesignani Verrat begingen, stand die schwere Infanterie der Legionäre ohne leichte Truppen dar und konnte gerade deshalb in dem Wald-Gelände besiegt werden.
Ich will offen gestehen, die Lächerlichkeit, der sich die Damen und Herren ausgesetzt haben, die in dem „wissenschaftlichen Kongress“ einem Varusheer von 12.000 Mann zustimmten, ist durch nichts was ich bislang aus der Wissenschaft kenne zu überbieten.
Das Varusheer hatte höchstwahrscheinlich schon Sollstärke und war damit wohl um die 35 000 Mann inklusive! der Auxiliare stark.
Da nun ja aber gerade diese Auxiliartruppen, also de facto die gesamte leichte Infanterie der Armee nun zum Feind wurde und Verrat beging, muß man schon von einer geringeren Zahl von Truppen ausgehen, die dann gegen die Germanen zur Verfügung standen.
Wenn man nun die hier propagierten 15 000 Mann leichte Truppen abzieht, so war das Varusheer nach dem Abfall der Germanischen Hilfskräfte und der Auxiliartruppen wahrscheinlich nur noch um die 20 000 Mann stark und bestand bis auf einige Ausnahmen eben primär aus schwerer Infanterie.
Als am 6. Oktober 105 v. Chr. die Heere von Proconsul Quintilius Servilius Caepio und Konsul Mallius Maximus die vernichtende Niederlage gegen Kimbern und Teutonen erlitten, waren 80.000 Legionäre und 40.000 Calones (Velites) gefallen.
Orientiert an diesem Verhältnis, gab es im Varusheer etwa 12.000 bis 15.000 Calones.
Das Problem mit dieser Aussage ist, dass das Heeer das bei Arausio vernichtet wurde noch nach der alten Weise aufgebaut war, diese Niederlage fand eben noch vor der Heeresreform von Marius statt, die dann den Auxiliartruppen die Rolle der Kavallerie und der leichten Infanterie zuwies und die Legion auf die schwere Infanterie hin vereinheitlichte, während die Varusschlacht viel später stattfand, in einer Zeit in der die Veliten aus der Legion komplett verschwunden waren und die Auxiliare eben komplett die Rolle der leichten Infanterie übernahmen. Daher ist auch dieses Verhältnis falsch.
Wir sprechen ja hier von über 100 Jahren in denen sich das Militär Roms entscheidend verändert hat, die Veliten die noch gegen die Germanen bei Arausio kämpften waren noch Teil der alten Milizarmee, die Truppen des Varus schon ein gänzlich anderer Typ von Soldat aus einem gänzlich anderen Militärsystem.
Man kann daher eben nicht von 15 000 Calones im Heer des Varus ausgehen, sondern eher von 15 000 Mann Auxiliartruppen, die dann aber eben nicht nur zum Feind überliefen sondern unter dem Kommando von Arminius eben der Kern des Feindes selbst waren.
Bevor also die Schreiber dieses Textes anderen Lächerlichkeit vorwerfen, sollten sie selbst mal darauf achten, nicht wild Zeiträume und völlig verschieden Armeen mit über 100 Jahren Abstand durcheinander zu werfen. Zwischen den letzten Milizarmeen von 105 Vor und dem Varusheer von 9 Nach liegen eben Welten.