Tetrarchie schon unter Septimius Severus abgezeichnet?

Waterpolo

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Liebe Mitglieder,

Vor den Weihnachtstagen hat die Professorin während einer Vorlesung den Satz geäußert, dass die Tetrarchie keine Wende eingeführt habe, da sich diese schon vorher unter Septimius Severus abgezeichnet hat. Leider verstehe ich den Satz nicht so ganz, habe ihn nun in meinen Aufzeichnungen gefunden und es leider in der Situation verpasst nochmal genau nachzuhaken.

Diokletian führt die Tertrarchie ein, zwei Augusti (Seniorkaiser) und zwei Caesares (Unterkaiser). Da ein Kaiser nicht an allen Orten sein kann, um die (außenpolitischen) Probleme zu lösen, teilt er die jeweiligen Gebiete unter den Herrschern auf. So habe ich das verstanden (und sicherlich spielen da wahrscheinlich noch einige mehr Faktoren mit).

Vielleicht kann mich ja einer von euch aufklären. Vielen, lieben Dank für eure Hilfe und Antworten und vielleicht sogar eine spannende Diskussion!

Liebe Grüße,
Waterpolo
 
Also, ich würde der Professorin widersprechen und die Tetrarchie, so wie sie von Diocletian aufgebaut worden ist, schon als einen Wendepunkt bezeichnen. Was man natürlich sagen kann, ist, daß es bereits Vorläufer der Ideen gegeben hat. Schon zu Lebzeiten von Septimius Sev. wurden zunächst Caracalla und später auch Geta zu Augusti erhoben, und während des knappen Jahres der Doppelherrschaft der beiden, von deren administrativer Umsetzung wir nichts wissen, kam wohl der Gedanke an eine topographische Kompetenzteilung auf. Da beide aber Kaisersöhne waren und nie eine systematische Lösung angedacht war, ist die diocletianische Tetrarchie mit Nachfolgeregelung, Abdankungszeiten und Gebietstrennungen mit jeweils eigenen Residenzen ein sehr starker qualitativer Schritt über das severische Zufallsmodell hinaus.
 
hjwien schrieb:
Was man natürlich sagen kann, ist, daß es bereits Vorläufer der Ideen gegeben hat.

Wahrscheinlich wird es grob gesagt genau das sein, was du dann später auch genau beschrieben hast.

Jedoch hatte auch schon Mark Aurel seinen Bruder Verus als Mitregenten bzw. römischen Kaiser (wobei man auch hier sagen kann, dass das nicht Mark Aurel, sondern Antoninus Pius auf Wunsch von Hadrian so bezweckt hat) und somit letztendlich (eigentlich) nicht als Argument genannt werden kann.
 
Jeder Vorgänger hat seinerseits einen Vorgänger. Verus war übrigens nicht der Bruder von Marc Aurel.
Man kann übrigens sagen, daß bereits Agrippa eine Art Mitregent von Augustus war. Man findet immer etwas, wenn man tief gräbt.
 
Da beide aber Kaisersöhne waren und nie eine systematische Lösung angedacht war, ist die diocletianische Tetrarchie mit Nachfolgeregelung, Abdankungszeiten und Gebietstrennungen mit jeweils eigenen Residenzen ein sehr starker qualitativer Schritt über das severische Zufallsmodell hinaus.

Gerade all diese Punkte sind eben doch charakteristisch für die Tetrachie und waren so voher ja bei keiner Mitherrschaft eines Kaisers oder Kaisersohnes gegeben. Und gerade die festgelegte Abdankungszeit ist so komplett neu, aber wesentlich für das theorethische Funktionieren der Tetrachie, dass ich da auch kaum eine Ähnlichkeit erkennen kann - abgesehen davon, dass es eben Zeiten waren, wo zur gleichen Zeit mal mehr als ein Kaiser legitimer Herrscher des römischen Reiches war. Aber das reicht sicherlich nicht, um daraus einen Vorläufer zu machen!
 
Für die diocletianischen Zeitgenossen waren die Severer sicher keine Vorläufer ihrer Problemlösungen - die Frage, ob es Ähnlichkeiten gab, ist mehr aus der Sicht des heutigen Historikers zu stellen.
Ich denke, daß die Ähnlichkeiten an der Stelle sichtbar werden, wenn das Modell der Theorie - freiwillige Abdankung und Adoption, auch wenn es eigene Söhne gibt - in der Praxis eben doch nicht klappte. Und da waren die Spannungen zwischen Caracalla und Geta strukturell denen der Soldatenkaiserzeit gar nicht so unähnlich.
 
Für mich ist die Äußerung der Professorin auch nicht nachvollziehbar. Vielleicht meinte sie aber gar nicht, dass Septimius Severus seine Söhne Caracalla und Geta schon zu Lebzeiten zu Caesares und Augusti machte, sondern die Zeit davor mit den Rivalen Septimius Severus, Pescennius Niger und Clodius Albinus. Allerdings regierten Septimius Severus und Pescennius Niger keineswegs einvernehmlich und in bewusster administrativer Abgrenzung, wie es das Wesen der Tetrarchie ausmacht. Die einzige ganz vage Parallele zur Tetrarchie ist, dass Septimius Severus den Clodius Albinus, um ihn für die Zeit des Krieges gegen Pescennius Niger ruhigzustellen, vorübergehend als regionalen Mitherrscher mit dem Titel eines Caesar in Britannien akzeptierte.

Dass Caracalla und Geta schon zu Lebzeiten ihres Vaters zu Caesares und Augusti erhoben wurden, hatte jedenfalls schon mangels administrativer Teilung nichts mit der Tetrarchie zu tun. Nach Septimius' Tod lebten beide Augusti trotz (oder gerade wegen) ihrer Feindschaft in Rom. Es soll zwar tatsächlich Überlegungen einer administrativen Teilung gegeben haben (Caracalla sollte Europa und Nordafrika außer Ägypten erhalten; Geta Kleinasien, den Orient und Ägypten; als Residenz für den Osten waren Antiochia oder Alexandria vorgesehen), allerdings soll das am Widerstand der Kaisermutter gescheitert sein und wurde schon wegen Getas baldiger Ermordung jedenfalls nicht realisiert.
Doch selbst wenn, hätten noch zwei wesentliche Elemente der Tetrarchie gefehlt: Die Abdankung der Augusti nach etwa zwei Jahrzehnten und die Bestellung von Caesares als designierte Augusti-Nachfolger und Mitherrscher mit regionalem administrativem Kompetenzbereich.
 
Für die Entwicklung des Gedankens der territorialen Aufteilung könnte man auch die Herrschaft von Valerian und seines Sohnes Gallienus heranziehen, letzterer zunächt für den Westen des Reiches, während Valerian dann fröhlich an den Parthern scheiterte.
Ach das Nachrücken eines Caesaren findet sich hier wieder - ein Element, das wir aber auch schon in der früheren Adoptionskultur finden.

Eine Trennung zwischen West und Ost hatte es ja bereits - wenn auch aus ganz anderen Gründen - zwischen Octavian und Marc Anton gegeben.

Was man vielleicht - mit der alleräußersten Zurückhaltung - sagen könnte, ist, daß Diocletian Elemente aufgriff, deren Ansätze durchaus schon da waren, Ideen aufgriff, die nicht völlig neu waren, aber was er daraus formte, war dann eben das Revolutionäre. Und das ging dann doch wieder schief.
 
Wieso heißt denn Baldrian auf Englisch Valerian? Da sucht man ein Kaiserportrait und kriegt lauter Blumen angeboten. Die spinnen doch, die Briten. :confused:
 
Was man vielleicht - mit der alleräußersten Zurückhaltung - sagen könnte, ist, daß Diocletian Elemente aufgriff, deren Ansätze durchaus schon da waren, Ideen aufgriff, die nicht völlig neu waren, aber was er daraus formte, war dann eben das Revolutionäre. Und das ging dann doch wieder schief.

Das stimmt zwar. Was vielleicht zum "Revolutionären" beitrug, war aber, dass zumindest der Gedanke von mehreren Kaisern auch später wieder aufgegriffen wurde und die konstantinische Dynastie überdauerte. Schon Valentinian teilte sich ja die Herrschaft mit Valens.
 
Da durch diese immer wieder aufkommende Aufteilung die Fliehkräfte im Reich stetig verstärkt wurden, fraß diese Revolution schließlich ihre Kinder. Was ich persönlich ja nie nachvollziehen kann, ist die Frage, was so toll daran sein soll, Kaiser zu sein. Ich wäre ja viel lieber als Senator in Ruhe in Rom geblieben und hätte mein Gärtlein gehegt.
 
Da durch diese immer wieder aufkommende Aufteilung die Fliehkräfte im Reich stetig verstärkt wurden, fraß diese Revolution schließlich ihre Kinder. Was ich persönlich ja nie nachvollziehen kann, ist die Frage, was so toll daran sein soll, Kaiser zu sein. Ich wäre ja viel lieber als Senator in Ruhe in Rom geblieben und hätte mein Gärtlein gehegt.

Eine gute Frage, die uns auch letzlich zu den Aspekten der römischen Gesellschaft hinführen, die für uns nicht vorstellbar sind. Schon den frühen Kaisern, wenigstens denen nach dem Vierkaiserjahr, muss klar gewesen sein, dass dies ein potentiell tödlicher Job ist. Es ist doch auch erstaunlich, dass, obwohl das Römische Reich insgesamt ein stabiler Staat war, es immer wieder zu diesen Thronkämpfen kam.
 
Das stimmt zwar. Was vielleicht zum "Revolutionären" beitrug, war aber, dass zumindest der Gedanke von mehreren Kaisern auch später wieder aufgegriffen wurde und die konstantinische Dynastie überdauerte. Schon Valentinian teilte sich ja die Herrschaft mit Valens.
Im Grunde genommen wurde der Gedanke nicht wieder aufgegriffen, sondern nie wirklich aufgegeben. Eine "echte" Tetrarchie gab es allerdings nicht mehr.
Konstantin I. regierte zeitweise in Einklang mit Licinius, wobei Crispus, Konstantin II. und Licinius II. zu Caesares erhoben wurden. Als alleiniger Augustus erhob Konstantin I. dann nach und nach auch noch Constantius II., Constans und Dalmatius zu Caesares. In seinen letzten Jahren bestand faktisch wieder eine Tetrarchie, allerdings mit nur einem Augustus und gleich vier Caesares, denen aber immerhin sogar eigene Reichsteile zugewiesen waren (Dalmatius Thrakien, Makedonien und Achaea; Konstantin II. Gallien, Britannien und Spanien; Constans Italien, Africa und Illyrien; Constantius II. der restliche Osten). Geplant war also offenbar, dass es nach Konstantins Tod wieder tatsächlich vier Teilherrscher geben sollte. Nach Konstantins I. Tod und der Ausschaltung von Dalmatius gab es dann drei Augusti, die zwar wenig harmonierten, aber doch faktisch das Reich administrativ geteilt hatten (Constantius II. der Osten; Konstantin II. Gallien, Britannien und Spanien; Constans Italien, Africa und Illyrien). Konstantin II. und Constans fielen zwar nach und nach weg, aber 351 wurde Constantius Gallus zum Caesar für den Osten erhoben, nach dessen Tod Iulianus zum Caesar für Gallien.
Ein bisschen hatte das System (abgesehen von Valerianus und Gallienus) schon Carus vorweggenommen, indem er seine Söhne Carinus und Numerianus zuerst zu Caesares und später zu Augusti machte, wobei Carinus schon zu Lebzeiten seines Vaters den Westen regierte, Numerianus nach Carus' Tod den Osten.
 
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Eine gute Frage, die uns auch letzlich zu den Aspekten der römischen Gesellschaft hinführen, die für uns nicht vorstellbar sind.

Was für uns in den Quellen natürlich kaum sichtbar ist, sind die sozialen Dynamiken im Umkreis eines Thronprätendenten, die ihn zu Dingen führen oder treiben, die er vielleicht selbst gar nicht so will oder steuern kann.


Im Grunde genommen wurde der Gedanke nicht wieder aufgegriffen, sondern nie wirklich aufgegeben. Eine "echte" Tetrarchie gab es allerdings nicht mehr.

Ich stelle mir das als eine Art "Mittelding" vor. Jeder Kaiser hat natürlich die Idealvorstellung, das Reich allein zu regieren, und muß dann den berühmten Sachzwängen folgen und feststellen, daß es nicht geht. Eine gewisse Entscheidungsfreiheit vorausgesetzt, muß sich jeder Kaiser neu entscheiden, ob er das Reich aufteilt oder allein scheitert. Da wird natürlich Julian Apostata das ewig interessante Fragezeichen bleiben.


Ergänzende Frage: Ist die Ausrufung eines Truppenführers durch seine Legionen stets von diesem initiiert oder spontaner Ausdruck des Soldatenwillens? Und was würde passieren, wenn der Ausgerufene ablehnt und seinem Kaiser gegenüber loyal bleibt, sich aber damit gegen seine Truppen stellt?
 
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Ergänzende Frage: Ist die Ausrufung eines Truppenführers durch seine Legionen stets von diesem initiiert oder spontaner Ausdruck des Soldatenwillens? Und was würde passieren, wenn der Ausgerufene ablehnt und seinem Kaiser gegenüber loyal bleibt, sich aber damit gegen seine Truppen stellt?
Das ist natürlich eine ganz schwierige Frage. So mancher Kaiser (z. B. Decius, aber auch Iulianus) hat behauptet, von den Truppen zur Annahme der Kaiserwürde genötigt worden zu sein. In manchen Fällen mag das tatsächlich stimmen, in anderen war es wohl eher Propaganda bzw. hatte der Kaiser selbst die "Nötigung" inszeniert.

Dass allerdings ein Nein möglich war, zeigte das Beispiel von Lucius Verginius Rufus, den seine Soldaten 68 zum Kaiser ausrufen wollten, der aber ablehnte und trotzdem (oder gerade deswegen, man bedenke das Schicksal anderer Kaiser im Vierkaiserjahr) ein hohes Alter erreichte.
Ein späteres Beispiel wäre Sallustius, der nach Iulianus' Tod Kaiser werden sollte, aber Alter und Krankheit vorschützte, sodass die Würde an Iovianus ging.

Was ich persönlich ja nie nachvollziehen kann, ist die Frage, was so toll daran sein soll, Kaiser zu sein. Ich wäre ja viel lieber als Senator in Ruhe in Rom geblieben und hätte mein Gärtlein gehegt.
Ich vermute, dass das mit dem Streben der Römer nach "dignitas" und "auctoritas" zu tun hatte, das uns in dieser Form eher fremd ist.
Man denke nur an die späte Republik: Was nahm da nicht so mancher Römer für seine Karriere auf sich! Er machte horrende Schulden für Spiele, Wahlkämpfe und Bestechungen, bestach Wähler, ließ meucheln, riskierte Hals und Kopf in Straßenkämpfen und Anklagen (mitsamt Verbannung im Fall einer Verurteilung) wegen Stimmenkaufs, Erpressung, Ausplünderung einer Provinz etc. - und das alles, um irgendwann für gerade einmal ein Jahr Konsul zu sein, und das weder allein noch als echter Herrscher? Aus heutiger Sicht hapert es da bei einer Kosten-Nutzen-Analyse doch auch gewaltig. Trotzdem war es für einen Römer aus einer traditionellen Politikerfamilie selbstverständlich, diesen Weg einzuschlagen, und auch homines novi versuchten es zumindest. Es gehörte einfach zum Selbstverständnis der Römer zu versuchen, im Staat eine angesehene und einflussreiche Position zu erreichen.
Ebenso war es wohl auch in der Kaiserzeit folgerichtig, nach oben zu streben und eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen.
 
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Ich vermute, dass das mit dem Streben der Römer nach "dignitas" und "auctoritas" zu tun hatte, das uns in dieser Form eher fremd ist.
Man denke nur an die späte Republik: Was nahm da nicht so mancher Römer für seine Karriere auf sich! Er machte horrende Schulden für Spiele, Wahlkämpfe und Bestechungen, bestach Wähler, ließ meucheln, riskierte Hals und Kopf in Straßenkämpfen und Anklagen (mitsamt Verbannung im Fall einer Verurteilung) wegen Stimmenkaufs, Erpressung, Ausplünderung einer Provinz etc. - und das alles, um irgendwann für gerade einmal ein Jahr Konsul zu sein, und das weder allein noch als echter Herrscher? Aus heutiger Sicht hapert es da bei einer Kosten-Nutzen-Analyse doch auch gewaltig. Trotzdem war es für einen Römer aus einer traditionellen Politikerfamilie selbstverständlich, diesen Weg einzuschlagen, und auch homines novi versuchten es zumindest. Es gehörte einfach zum Selbstverständnis der Römer zu versuchen, im Staat eine angesehene und einflussreiche Position zu erreichen.
Ebenso war es wohl auch in der Kaiserzeit folgerichtig, nach oben zu streben und eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen.

Das ist eine ganz wesentliche Frage, weil sie sich im Kern darum dreht, inwieweit wir Mentalitäten über die Jahrhunderte gleichbleibend rekonstruieren können oder eben nicht.
Du sagst ganz richtig, daß wir in der späten Republik einen ungeheuren sozialen Druck in der Oberschicht hatten, die Fälle sind ja bekannt, daß Söhne, die nicht die Ehren ihrer Vorväter erreichten, als gescheitert galten, daß es darum ging, die Ehre und den Namen der Familie hochzuhalten. Wie trostlos sieht es in einem Trauerzug aus, wenn die Masken der Vorfähren übers Forum getragen werden, alles berühmte Konsulare, und der jüngst Verstorbene war nur ein Quaestor?
In der späten Republik haben wir aber auch noch genug Familien aus altem Adel, die aus ihrer mit der Republik verflochtenen Geschichte einen Anspruch und zugleich eine Verpflichtung ableiten. Die meisten dieser Familien werden im Bürgerkrieg ausgerottet, der Senat und damit die Aristokratie füllen sich mit Neulingen und Aufsteigern, die mehr und mehr (fast weigert sich meine Feder, das Ungeheuerliche in die Tasten zu kratzen) aus den Provinzen kommen. Wie bruchlos und nahtlos werden also mentale Traditionen von diesen übernommen und weitertradiert. Kann ich davon ausgehen, daß im 3. Jh. nach Christ noch genau das gleiche Streben nach Dignitas herrschte wie vierhundert Jahre zuvor?

Ich sehe einen solchen Wechsel durchaus auch an anderen Stellen. Rom stand in seiner frühen Geschichte mehrfach an existenziellen Grenzen, es schaffte aber jedesmal den Kraftakt, sich wieder hochzustemmen, das heißt, es hatte ein Rekrutierungspotential an kampfbereiten Männern, die sich innerhalb kürzester Zeit wieder fanden, um weiterzukämpfen.
Wo ist dieses Rekrutierungspotential in der Spätantike? Sicher, in den großen Schlachten gab es deutlich mehr Gefallene, aber dafür war das menschliche Reservoir doch auch größer. Ist da nicht auch die veränderte Mentalität, die eben nicht mehr jeden Römer zu den Waffen greifen läßt, um die Heimat auf gedeih und Verderb zu verteidigen, ein Faktor des ganzen Prozesses?
 
In der späten Republik haben wir aber auch noch genug Familien aus altem Adel, die aus ihrer mit der Republik verflochtenen Geschichte einen Anspruch und zugleich eine Verpflichtung ableiten. Die meisten dieser Familien werden im Bürgerkrieg ausgerottet, der Senat und damit die Aristokratie füllen sich mit Neulingen und Aufsteigern, die mehr und mehr (fast weigert sich meine Feder, das Ungeheuerliche in die Tasten zu kratzen) aus den Provinzen kommen. Wie bruchlos und nahtlos werden also mentale Traditionen von diesen übernommen und weitertradiert.
Es gab auch in der Kaiserzeit Politikerdynastien, die über Generationen hinweg immer wieder Konsuln und sonstige Würdenträger stellten. Sie stammten zwar oft nicht von traditionellen Politikerfamilien der Republik ab und die einzelnen Glieder waren wesentlich öfter adoptiert als es in der Republik der Fall war, aber das Prinzip scheint mir durchaus ähnlich zu sein.

Kann ich davon ausgehen, daß im 3. Jh. nach Christ noch genau das gleiche Streben nach Dignitas herrschte wie vierhundert Jahre zuvor?
Das ist natürlich eine schwierige Frage. Dazu fehlen uns auch Quellen, die uns einen Einblick in die Denkweise aus erster Hand gewähren, wie die Briefe von und an Cicero, in denen sich das dignitas-Streben der Verfasser oft recht deutlich wiederspiegelt. Allerdings verweise ich auf diverse kaiserzeitliche Grabsteine von Männern, die in der Politik, Verwaltung und beim Militär mehr oder weniger erfolgreich Karriere gemacht haben und auf denen penibel jede einzelne Karrierestation, jedes bekleidete Amt, dazu auch noch allfällige Priesterschaften, und jede Ehrung aufgelistet sind. Das scheint mir doch für ein entsprechendes dignitas-Streben zu sprechen.

Dass ab dem 2. Jhdt. zunehmend Aufsteiger aus der Provinz kamen, scheint diesem Streben keinen Abbruch getan zu haben, vielleicht sogar im Gegenteil. Nehmen wir als Beispiel Cassius Dio, dessen Familie aus Bithynien stammte: Sein Vater bekleidete mehrere Statthalterschaften und das Suffektkonsulat. Cassius Dio selbst war einmal Suffektkonsul und einmal eponymer Konsul, bekleidete ebenfalls mehrere Statthalterschaften und verfasste ein Geschichtswerk - nicht über Bithynien (wie sein Landsmann Arrianus) - sondern über Rom (obwohl an Geschichtswerken über Rom kein Mangel herrschte). 291 gab es dann noch einmal einen Konsul namens Cassius Dio, bei dem allerdings nicht bekannt ist, ob und wie er mit seinen Vorgängern verwandt war.

Ich habe den Eindruck, aus der Provinz zu stammen, scheint das Streben, es in Rom als "Römer" zu etwas zu bringen, eher noch befeuert zu haben. Sichtbarer Ausdruck dafür scheint mir zu sein, dass diverse Aufsteiger sich nicht damit begnügten, wichtige Posten in der Armee oder Verwaltung zu bekleiden, sondern auch nach einem Senatssitz und dem traditionellen (aber faktisch nur noch wenig einflussreichen) Konsulat strebten.
Es könnte natürlich auch sein, dass sie selbst teilweise gar nicht dezidiert danach strebten, sondern diese Positionen ihnen von den Kaisern und sonstigen einflussreichen Gönnern als Belohnung für Verdienste einfach zugeschanzt wurden. Aber auch das würde zeigen, dass zumindest die Förderer vermuteten, dass ein Senatssitz, das Konsulat (mit den Abstufungen Suffektkonsul - eponymer Konsul - eponymer Konsul mit dem Kaiser als Kollegen) und als Karrierekrönung das Prokonsulat in Asia oder Africa immer noch erstrebenswert waren, was sich, da die meisten traditionellen republikanischen Würden nur noch geringe realpolitische Bedeutung hatten, meines Erachtens eigentlich nur mit einem fortbestehenden dignitas-Denken und dass eben ein traditionelles Amt der dignitas besonders förderlich war erklären lässt.
So oder so: Letztlich landeten die meisten erfolgreichen Aufsteiger auf einer dieser Positionen.
 
Gerade in der Literatur nachgelesen und siehe da, ich habe gefunden, was die Dozentin meinte:

Die Augustus-Erhebung Caracallas, der eine Designationsphase wie bei den regulären Ämtern vorausging, zeigt aber auch ein Verständnis des Herrschertums als institutioneller Würde; dies weist bereits auf das Modell der Tetrarchie Diocletians voraus.
 
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Dass Caracalla zuerst zum Caesar und dann (noch zu Lebzeiten des Vaters) zum Augustus erhoben wurde, ebenso Geta, war aber auch nichts Neues. Auch Commodus war zuerst Caesar und bereits 177 Augustus geworden. Und dass jemand, der zum künftigen Augustus bestimmt war, davor erstmal Caesar wurde, gab es noch früher. Bereits Galbas designierter Erbe Piso wurde Caesar.
Der wesentliche Unterschied zur Tetrarchie war jedoch noch bei Caracalla der, dass er kein Teilreich zur eigenständigen Herrschaft erhielt. Vor der Tetrarchie war "Caesar" nicht viel mehr als ein schöner Titel, erst in der Tetrarchie kam echte Macht hinzu.
 
Das einzige, was die Tetrarchie hier übernommen hat, waren die Titel Caesar und Augustus. Das Herrschaftskonzept der Tetrarchie war ein vollkommen Anderes. Wenn wir nur die Zeit des Diokletian als Tetrarchie gelten lassen, dann war das explizit anti-dynastische Konzept Diokletians sogar das genaue Gegenteil des dynastischen Ansatzes von Severus.
 
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