Theoderichs Eroberung Italiens ein strategischer Schritt Ostroms?

Werder

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Hallo,

mal wieder eine Frage an die Experten: ich stelle mir gerade die Frage, ob Theoderichs Eroberung Italiens wirklich eine bewusste, strategische Entscheidung Ostroms durch Kaiser Zenon war, um militärischen Druck von seinen Grenzen zu nehmen, oder ob das im Prinzip ein "zufälliges" Resultat der ganzen Entwicklung war? Kann mir da jemand helfen? Das wäre ja im Prinzip eine sehr weitreichende Entscheidung gewesen, die zwar den Verlust des Westreiches zementiert hätte, aber für das Überleben Ostroms eine wichtige Rolle gespielt hätte. Ist dem so?
 
Wenn ich das richtig verstanden habe, dann handelte Theoderich im Auftrag des Kaisers und führte ein offiziell römisches Heer. Auch sah ihn der Kaiser als Patricius und Vasall Ostroms. Ähnlich wie das unter Odoaker schon gesehen wurde. Auch wenn diese römische Sicht, daß Italien immer noch zum römischen Reich gehörte, etwas optimistisch war.

Man berichtige mich, wenn ich da falsch liege.
 
Die Umlenkung der unruhigen Ostgoten auf Italien war sicher eine bewusste Entscheidung des oströmischen Kaisers, um den Druck von den Grenzen des Ostreichs zu nehmen.

Dahinter stand sicher der Gedanke, dass er so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: Er wurde zum einen den unbequemen Theoderich los. Zum anderen waren Odoaker und Theoderich gezwungen um Italien zu kämpfen, und der Kaiser konnte dabei der lachende Dritte sein. Allerdings ging das Konzept nicht auf, denn Theoderich ging aus dieser Auseinandersetzung gestärkt hervor.
 
Sicher war es ein strategischer Schritt. Ich skizziere mal grob den Ablauf vor der Entsendung nach Italien, dann dürfte es deutlich werden.

Theoderich war kaum aus Byzanz zurück, wo er seine Kindheit und Jugend als Geisel verbracht hatte, da entriss er Singidunum den Sarmaten, gab die Stadt aber nicht Byzanz zurück und es kam zum Bruch deswegen.

Byzanz spielte in den Folgejahren die beiden Gruppen der Ostgoten unter Theoderich d. Gr. und Theoderich Strabo gegeneinander aus. Unter Leo I. wird Theoderich Strabo zum obersten Heermeister, Nachfolger Zenon lässt ihn fallen. Zenon wird jedoch von Basilikos unter Mithilfe Strabos vertrieben. Um seine Wiedereinsetzung macht sich Theoderich d. Gr. verdient und erhält dafür Geld, Patrizierwürde und wird zum Waffensohn Zenons. Die Ostgoten selbst zwingen die beiden Theoderiche gemeinsam Forderungen an Byzanz zu stellen. Zenon aber will, dass Th. d. Gr. die Auseinandersetzung mit Strabo fortsetzt. Th. d. Gr. lehnt ab, erleidet Niederlagen gegen Byzanz, Strabo wird wieder zum Heermeister eingesetzt. Dem Hin und Her setzt der Tod ein Ende: Th. Strabo’s Pferd drückt ihn gegen eine Lanze und er stirbt. Den Sohn Strabos, Rekitach, lässt Th. d. Gr. mit Wissen des Kaisers auf offener Straße ermorden. Seit 483 n. Chr. ist Th. d. Gr. wieder Heermeister und Patrizier und wird 484 n. Chr. auch Konsul.

Doch über allem schwebt das Misstrauen Zenons: zunächst wird Th. d. Gr. beauftragt, gegen die Isaurier vorzugehen, wird dann aber wieder zurückgeholt und ein Vetter Strabos erhält das Kommando. Th. d. Gr. empfindet das als Demütigung und fällt in Thrakien ein. Zenon mobilisiert Bulgaren gegen ihn, hat aber keinen Erfolg. Statt dessen blockiert der Ostgote Byzanz. Um ihn zum Abzug zu bewegen, sendet Zenon Amalafrida, die Schwester Th. d. Gr., mit Geschenken an ihn. Die Goten ziehen sich daraufhin nach Novae zurück.

In der Zwischenzeit wachsen die Spannungen zwischen Byzanz und Odoaker. Der Kaiser ermuntert die Rugier zum Italien-Zug, um Odoaker auszuschalten. Der vernichtet jedoch die auf ihn Gehetzten und tötet deren König Feletheus-Fewa und Königin Giso. Giso war Ostgotin und mit Th. d. Gr. verwandt.

Wie man sieht, passt eins ins andere. Byzanz hat zu allen Zeiten versucht, Stämme bzw. Gruppen gegeneinander auszuspielen und damit zu schwächen. Theoderich d. Gr. war dem Kaiser zu stark geworden innerhalb der eigenen Grenzen nach Strabos Tod, der Zug der Rugier gegen Odoaker hatte nicht das erhoffte Ergebnis gebracht, was war also naheliegender als Theoderich nach Italien zu schicken. Er galt als römischer Amtsträger und trug seit seiner Einsetzung als Konsul den Namen Flavius Theodericus. Allerdings war er nicht mit einem römischen Heer unterwegs, wenn sich vielleicht auch ein paar Römer angeschlossen haben. Die geplante Schwächung der Ostgoten hatte nicht geklappt. Zu Spannungen zwischen Theoderich in Ravenna und dem Kaiser in Byzanz kam es in den nächsten Folgejahren immer wieder, obwohl der Ostgotenkönig von Anastasius 497 n. Chr. die Abzeichen der westlichen Kaiserwürde erhielt.
 
ich stelle mir gerade die Frage, ob Theoderichs Eroberung Italiens wirklich eine bewusste, strategische Entscheidung Ostroms durch Kaiser Zenon war, um militärischen Druck von seinen Grenzen zu nehmen, oder ob das im Prinzip ein "zufälliges" Resultat der ganzen Entwicklung war? ?
...der oströmische Kaiser konnte nicht entscheiden, ob der ostgotische reiks den als Usurpator gewerteten Odovakar in Italien besiegt oder nicht :winke: (die Frage ist also ein wenig unglücklich gestellt)

Das Eingreifen in die vorhandene Situation hat aus oströmischer Perspektive zwei zentrale Motive:
1. irgendwie ist es peinlich, dass ein barbarischer Putsch (Odovakar) den letzten weströmischen Kollegen (Orestes´ Sohn) beseitigt und die Kaiserinsignien nach Byzanz schickt (wie es ja sowieso auch peinlich ist, dass sich Westgoten, Franken und andere Barbarenbosse der anderen, der westlichen Reichshälfte bemächtigt haben)
2. der Konsul und Patricius Theoderich wird, so nützlich er auch hin und wieder ist, gelegentlich eben auch lästig - soll er sich mit Odovakar prügeln... einem von beiden, Odovakar oder Theoderich, wird das schon das Genick brechen: egal welchen von beiden es erwischt, wird ein Unruheherd beseitigt sein (und falls der Gote siegt, so tut er es halt als unser General - also für uns)

ob allerdings Theoderich nach seinem Sieg über Odovakar sich ebenso treuergeben als oströmischer Satrap präsentiert hatte wie jener Burgunderkönig, der nach Byzanz vester est populus nostrus geschrieben hatte, ist eine strittige Frage... wie dem auch sei, nach den Thronfolgestreitigkeiten unter den Ostgoten in Italien hielt es Kaiser Iustinian für an der Zeit, dem als Usurpator und Tyrann bewerteten gotischen Heerkönig Witichis den Krieg zu erklären (was dann der Beginn des langen und mörderischen Gotenkriegs war)
 
wie dem auch sei, nach den Thronfolgestreitigkeiten unter den Ostgoten in Italien hielt es Kaiser Iustinian für an der Zeit, dem als Usurpator und Tyrann bewerteten gotischen Heerkönig Witichis den Krieg zu erklären (was dann der Beginn des langen und mörderischen Gotenkriegs war)
Irrtum, Justinian erklärte Theodahad den Krieg, da er sich zum Rächer der ermordeten Amalaswintha aufwarf. Der Gesandte Petros hatte ihr offiziell Schutz zugesagt. Amalaswintha hatte sich einige Zeit zuvor schon einmal rückversichert, nach Byzanz fliehen zu können, als es Querelen mit dem gotischen Adel gab. Justinian hatte ihr einen Palast in Epidaurus einrichten lassen.

Witichis galt nicht als Ursupator, er war in Byzanz trotz Krieg anerkannter König, da zudem mit der Enkelin Theoderichs d. Gr., Mathaswintha, verheiratet. Und er war der einzige Ostgotenkönig, der Justinian persönlich kannte.

Erst ab Ildibad galten die Ostgotenkönige als Ursupatoren.
 
1. irgendwie ist es peinlich, dass ein barbarischer Putsch (Odovakar) den letzten weströmischen Kollegen (Orestes´ Sohn) beseitigt und die Kaiserinsignien nach Byzanz schickt (wie es ja sowieso auch peinlich ist, dass sich Westgoten, Franken und andere Barbarenbosse der anderen, der westlichen Reichshälfte bemächtigt haben)
Allerdings war Romulus Augustulus vom Osten nie anerkannt worden. Legitimer Kaiser aus östlicher Sicht war der von Orestes vertriebene Iulius Nepos, der noch bis 480 in seinem Rückzugsgebiet in Dalmatien weiterregiert hatte. Insofern hatte Odoaker zunächst nur einen Usurpator beseitigt. Er bemühte sich dann auch um Anerkennung seiner Position im Westen durch den östlichen Kaiser (nicht durch Nepos).

Da hatte es in der Vergangenheit eigentlich schlimmere Vorkommnisse gegeben: Schon der barbarische Heermeister Ricimer hatte im Westen geschaltet und gewaltet wie er wollte, oft ohne dass es dem Osten passte. Z. B. ließ er 461 den vom Osten (wahrscheinlich) anerkannten Kaiser Maiorianus hinrichten und ersetzte ihn durch Libius Severus, der vom Osten stets nur als Usurpator betrachtet worden zu sein scheint. Nach dessen Tod verzichtete er eineinhalb Jahre lang überhaupt darauf, eine neue Marionette einzusetzen, und regierte ohne eigenen Westkaiser, ehe schließlich Anthemius diesen Platz einnahm.
Verglichen mit dem Handeln Ricimers war das Odoakers, der nur einen Usurpator beseitigte, zunächst also nur halb so schlimm, zumal er Zenon formal als Herrn anerkannte. Erst später ging es mit den Beziehungen bergab.
 
Zuletzt bearbeitet:
Insofern hatte Odoaker zunächst nur einen Usurpator beseitigt. Er bemühte sich dann auch um Anerkennung seiner Position im Westen durch den östlichen Kaiser (nicht durch Nepos).
auf jeden Fall war Ostrom ein skirischer rex italiae ein Dorn im Auge, zumal er sein regnum nicht in kaiserlichem Auftrag installierte (man kann auch sagen, dass da ein weström. General geputscht hatte). Salopp gesagt: die in Byzanz fanden den Odovakar nicht ok.
(übrigens ließ Odovakar dem Augustulus eine mehr als satte Rente zukommen)
 
stimmt!
(oder galten sie als Tyrannen? wohl beides)
allerdings führte Theodahad nicht lange Krieg gegen Belisar, da Witichis ihn rasch gewaltsam ablöste) - der offizielle casus belli war freilich die Ermodung Amalaswinthas.
Theodahad hätte so oder so nicht lange Krieg geführt, wenn überhaupt. Er war ohnehin dabei, die Übergabe von Tuscien mit Byzanz über Papst Johannes II und Senator Alexander zu verhandeln. Gleichzeitig verhandelte Amalawintha über die Übergabe ganz Italiens, da sie sich nicht mehr dem gotischen Adel gewachsen fühlte. Zu dem Ausweg, Theodahad zum Mitregenten zu machen, holte sie die Zustimmung von Byzanz ein. Es „ging“ also nach Theoderich d. Gr. auch nichts bzw. erst recht nichts ohne Byzanz.

Dass die Goten Theodahad bei der Heeresversammlung aufgrund seiner Kriegsführung absetzten, dürfte nicht verwundern. Und gerade aufgrund der Sachlage versuchte der neue König Witichis, sich durch Heirat in die Amaler-Sippe (Mataswintha) zu legitimieren und wies in einem Schreiben an Justinian darauf hin, dass der Kriegsgrund nicht mehr bestehen würde. Das deutet darauf hin, dass die Legitimation des Amalers Theoderich, über Italien im Namen des Kaisers zu herrschen, auch für seine Nachfolger galt.

Diese Legitimation versuchte später Justinian selbst zu nutzen, in dem er die verwitwete Mataswintha mit seinem Neffen Germanus verheiratete, den er auf Kriegszug gegen Totila schickte. Eine Amalerin, verheiratet mit dem personifizierten Rechtsanspruch aus Byzanz auf das Kernland des ehemaligen Weströmischen Reiches, wäre eine Kombination gewesen, die manchen Goten von Totila hätte abfallen lassen.
 
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