Die Volksversammlung der freien Männer spielte bei allen Germanen eine große Rolle. Bei den von Maelonn beschriebenen Substämmen könnte diese für einen solchen schnell zusammengerufen werden, und die Anreise würde niemanden überfordern. So kann eine Gesellschaft ohne (andere) zentralen Institutionen und ohne jedwede Bürokratie funktionieren. Diese Versammlung bedeutet allerdings keine Gleichberechtigung. Wohlhabendere werden einen größeren Einfluss gehabt haben, da sie andere beeinflussen, kaufen oder bedrohen konnten. Insbesondere das Gefolgschaftswesen zeigt ja, das es eine aristokratische Schicht gab, denen sich andere mehr oder minder freiwillig unterordneten.
Je höher die hierarchie Organisationsstufe wird, desto wichtiger werden mE die sozialen Unterschiede. Zu Versammlungen oder (religiösen) Zeremonien, die weiter weg abgehalten werden als ein, zwei Tagesmärsche, können oder wollen evtl nicht alle anreisen. Je größer die Versammung, desto wichtiger wird, wer spricht bzw angesichts der Menge sprechen darf. Es liegt quasi in der Natur der Sache, dass wohlhabende bzw aristokratische Schichten eine zunehmende Rolle spielen, je größer der Einzugsbereich wird. Diese können bspw im Falle eines Krieges oder einer Verheerung mancher Teile des Siedlungsgebiets Hilfe leisten, oder Widerstand organisieren (und bezahlen), zumindest eher als nicht-wohlhabende freie Bauern.
Nun zu diesen freien Bauern, die von der Hand in den Mund gelebt haben (bzw von einem Jahr aufs andere), die va auf die Subsistenzwirtschaft angewiesen waren, geringe Überschüsse produzierten und über keine großen Rücklagen oder handelbares Eigentum verfügten; sie werden mE die Masse der Freien ausgemacht haben. Diese Schicht profitierte auf der einen Seite am wenigsten von dem "Vorhandensein" der Römer. Ihnen fehlten die Mittel, um selber profitabel Handel zu betreiben, konnten sich die römischen Importwaren am wenigsten leisten. Auf der anderen Seite litt diese Schicht am meisten, wenn die Römer aggressiv vorgingen. Eine zerstörte Ernte oder geschlachtete Herde konnte die Vernichtung der Existenz bedeuten, und Gefangenen landeten unweigerlich in der Sklaverei, da es keine Möglichkeit einer Auslösung gab.
Personen bzw Familien, die dank großer oder fruchtbarer Ländereien/Herden und der Arbeit von Familienmitgliedern, Unfreien oder Gefolgsleuten Überschüsse produzieren und so Handel mit den Römern betreiben konnten, profitierten am ehesten von einem friedlichen Zusammenleben. Sie konnten in den Besitz wertvoller römischer Ware gelangen, die von Germanen selber nicht oder nur eingeschränkt produziert werden konnten. Männern mit Gefolgsleuten, die Fehden oder Kriege (an-) führten, konnten Gefangene an die Römer als Sklaven verkaufen. Durch ihr Kapital und ihre Verbindungen konnten sie als Mittelsmänner für Stammesgenossen auftreten, die zwar Überschüsse produzierten, aber keinen eigenen Handel treiben konnten oder wollten, und wiederum hiervon profitieren. Langfristig veränderte dies die germanische Gesellschaft grundlegend, aber Anfang des 1. Jh. war es noch nicht so weit (oder noch nícht weit genug).
Der Widerstand, der 9 und 16 n. Chr. geleistet wurde, muss mE von einer großen Mehrheit der betroffenen, freien Bauern getragen worden sein, und das heisst va von jenen, die wie gesagt am ehesten unter den Römern litten. Die aristokratischen Schichten fürchteten evtl einen Machtverlust, sei es durch die römische Okkupation, sei es durch eine Revolte ohne sie. Ihnen fiel es in jedem Fall zu, eine großangelegte militärische Operation zu koordinieren und zu leiten. Nur sie hatten die Verbindungen zu anderen einflussreichen Personen, und die organisatorischen Fähigkeiten und Möglichkeiten; va was Planung, Versorgung und Logistik angeht.
Germanien war groß und (aus Sicht der Römer) wild und unübersichtlich. Sie konnten Dörfer niederbrennen (wenn sie sie fanden), und Menschen versklaven oder umbringen (wenn sie ihrer habhaft werden konnten), aber darauf konnte man sich vorbereiten: Rücklagen, Saatgut, Wergegenstände verstecken oder an sicheren Orten einlagern; bei Anzeichen von Römern Menschen, Vieh und Vorräte evakuieren; im schlimmsten Falle all dies tun, und Dörfer und Ernte selber verbrennen (kA, ob die Germanen das damals machten).
Im Falle eines solchen "allgemeinen Widerstandes" mehrer Stammesverbände wird es relativ einfach, größere Zahlen zusammen zu bekommen. Das Problem ist, dass diese in der großen Masse keine Erfahrung, keine Disziplin, keine gute Ausrüstung und va keine Verpflegung mitbringen, die länger als einige Tage reicht. Jede größere militärische Operation, die über "wir treffen uns am Dienstag und verprügeln den Feind bis spätestens zum Wochenende, weil da muss/will ich wieder zu Hause sein", hinaus geht, ist erst mal unmöglich.
Anders sieht es aus, wenn vorher (va von denen, die es sich leisten konnten), Lager angelegt wurden, aus denen sich eine zusammengekommene Armee versorgen konnte. Dies können übrigens auch "mobile Lager" in Form von Schlachtvieh sein. Die Kontrolle über diese ist (neben Erfahrung, Ansehen und Gefolge) der entscheidende Punkt, der den jeweiligen Anführern konkrete Macht und damit auch Disziplinargewalt über die versammelten Kämpfer gab. Eine feste militärische Struktur existierte nicht von vorne herein, die musste wenn überhaupt so gut es ging etabliert werden. Und ich gehe davon aus, dass Arminius als römischer Offizier alles tat, solches zu tuen!
Besonders 9 n. Chr. kann und muss man mE von einer längeren Vorlaufphase ausgehen. Der Aufstand war bzw wurde geplant, es wurden von denen, die "dabei" waren und es sich leisten konnten, Vorräte angelegt, Pläne entwickelt und Absprachen getroffen. Als die beschlossene Aktion dann begann und sich die Truppen sammelten, gab es eine längere Phase (Tage bis Wochen), bevor die entscheidenden Angriffe auf die römische Armee begannen. In dieser Zeit wurde auf besagte Vorräte zurückgegriffen, und wer die Suppe austeilt hat auch die Möglichkeit, eine gewisse Hierarchie aufzubauen und die notwendige Disziplin für die Operation zu erzwingen.
Mein Fazit: Es war die Mehrheit der freien Bauern, die den militärischen Operationen die notwendige Masse und den Rückhalt in der Bevölkerung gaben. Es war die aristokratische Oberschicht, die diese Aufstände durch den Einsatz von Kapital und Verbindungen organisierten, und denen daher auch die Kommandofunktion zufiehl. Ich gehe davon aus, das insgesamt die Siege eher zu einer Stärkung der aristokratischen Macht beigetragen haben; die Konzentration dieser Macht in einer Hand, bei einer Person oder Familie, ist allerdings offensichtlich gescheitert; vermutlich weil es weit mehr als eine Person war, die diese Erfolge möglich machten, auch und gerade beim aristokratischen Kommandstab...