28 Jahre Bischof, dann Ehemann

Repo

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Ich bin bei einer Suche in Wikipedia auf diesen Eintrag gestoßen:

Johann von Bayern, 14181425, Bischof von Lüttich 13891417, Regent in Straubing seit 1399, 1418 2. Ehemann Elisabeths

Irrt hier Wikipedia oder war sowas tatsächlich möglich.
100 Jahre vor Luther.

Ich kenne mich allerdings in Kirchenrechtsfragen gar nicht aus.
28 Jahre Bischof, dann "konvertiert" zum Ehemann.
Ging das, oder ist das ein ganz besonderer Sonderfall


Fragt sich Repo
 
Repo schrieb:
Ich bin bei einer Suche in Wikipedia auf diesen Eintrag gestoßen:



Irrt hier Wikipedia oder war sowas tatsächlich möglich.
100 Jahre vor Luther.

Ich kenne mich allerdings in Kirchenrechtsfragen gar nicht aus.
28 Jahre Bischof, dann "konvertiert" zum Ehemann.
Ging das, oder ist das ein ganz besonderer Sonderfall


Fragt sich Repo
Ging durchaus - man ist vom Bischofsamt zurückgetreten und wurde wieder Laie, die meisten hochadeligen Bischöfe hatten ja nichtmal die einfachen Weihen empfangen!

Berühmte Exkleriker waren auch Cesare Borgia (war sogar Kardinal bevor er eine de-la-Tour geheiratet hat), Erzherzog Leopold V. (Bischof von Passau und dann Herrscher von Tirol mit einer Medici verheiratet) oder Großherzg Ferdinand von Toskana, ebenfalls von der Kirchenkarriere zurückgetreten um den Thron zu besteigen). Die beiden Letztgenannten waren zwar erst nach Luther, aber es beweist dass der Wechsel sogar in der deutlich strengeren Gegenreformation noch möglich war (sofern man die höheren Weihen noch nicht erhalten hat)
 
Rovere schrieb:
Ging durchaus - man ist vom Bischofsamt zurückgetreten und wurde wieder Laie, die meisten hochadeligen Bischöfe hatten ja nichtmal die einfachen Weihen empfangen!

Richtig, und zum konkreten Fall ist http://www.genealogie-mittelalter.d...ann_3_ohne_gnade_graf_von_holland_+_1425.html sehr aussagekräftig.
Johann hatte die höheren Weihen stets abgelehnt, weil er sich wohl nicht ganz zu Unrecht doch noch Hoffnung auf eine weltliche Herrschaft machte.
 
Bei diesem Bischof von Lüttich handelt es sich um Herzog Johann III. von Bayern-Straubing-Holland.
Bis zum Tode seines Bruders, Herzog Wilhelm II.(VI.)., 1418 war er Bischof von Lüttich, worauf er dann verzichtete.
 
Molto Grazie die Herrn.

In der Jugend, wenn man für ein hübsches Gesicht auch mal 10 Kilomter zu Fuss geht. Zölibat.

Im gesetzten Alter, wenn man aus diesen Gründen nicht mal mehr die Straßenseite wechselt. Ehemann und Dynastie gründen!

Arme Kerle


Grüße Repo
 
Das aragonische Königshaus erlebte das ganz ähnlich: nachdem die beiden älteren Brüder ohne einen Sohn als Nachfolger zu hinterlassen gestorben waren (Pedro I. und Alfonso I. (bekannt als el Batallador - nach einer recht schlüssigen These das Vorbild für Köng Amfortas aus dem Parzival)) musste der dritte Bruder - Ramiro II - ran: der war Bischof und Mönch und wurde deshalb auch el Monje genannt. Er heiratete, zeugte eine Tochter, vermachte ihr und ihrem Mann Ramón Berenguer IV., dem Grafen von Barcelona das Königreich und schuf damit indirekt das aragonesich-katalanische Königreich und eine Grundlage für den späteren spanischen Staat. Er selbst zog sich, nachdem er seine Tochter verheiratet hatte aus der Politik und ins Kloster zurück.
 
Die Möglichkeit, geistige Ämter niederzulegen, um in entsprechenden Situationen den Fortbestand der Familie oder zumindest deren reibungslosen Übergang in die nächste Generation sichern zu können, gehörte zum Grundbestand adeliger Familienstrategien im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Zumeist betraf das den adeligen Stiftsklerus, also Adelige, die in entsprechend vornehme Stifter (zumeist mit Adelsstatut) eingetreten waren (allen voran die Domkapitel), konnte aber, wie der genannte Johann von Bayern beweist, auch in den höchsten kirchlichen Rängen vorkommen.

Grundlage dieses Handelns war die Durchsetzung von einem unteilbaren Familienbesitz und dem alleinigen Erbrecht des Erstgeborenen, die Primogenitur. Ein Stammherr mit alleiniger Verfügbarkeit über die gesamten materiellen Ressourcen der Familie (und das meint zu großen Teil den territorialen Besitz) hatte deutlich bessere Chancen zu Machterhalt und -akkumulation als eine Gruppe von Brüdern mit gleichen, aber kleineren Anteilen am Gesamtbesitz. Für die Nachgeborenen blieben an erster Stelle die Kirchenpfründe als Basis für eine standesgemäße Lebensführung sowie Karrieren im Fürsten- und/oder Militärdienst.

Sollte nun der problematische Fall eintreten, dass der älteste Sohn und Stammherr unerwartet und vor Zeugung männlicher Nachkommen verstarb, konnte dem dadurch begegnet werden, dass der Nächstgeborene seine Rolle übernahm und die familiäre Linie fortsetzte. Deshalb war es von entscheidender Bedeutung, ein Kirchenamt aufgeben und sich vollends dem weltlichen Leben zuwenden zu können. Da die höheren Weihen (Diakon, Priester, Bischof) diesen Schritt problematisch machten, weil hierfür ein päpstlicher Dispens erforderlich war (der aus politischen Gründen verweigert werden konnte, eher aber noch eine Menge Geld kosten konnte), gaben sich adelige Kleriker zumeist mit den niederen Weihen zufrieden. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Resignation aus dem kirchlichen Amt zu Gunsten eines Dritten erfolgen konnte, der entweder gleich aus der eigenen Familie stammte oder zumindest einen solchen benennen konnte oder wenigstens zu einer verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbundenen Familie gehörte. Die Nachfolgefrage war so gelöst und die wertvolle Kirchenpfründe blieb in Verfügungsreichweite.

Offensichtlich war auch Johann III. von Bayern nur Elekt von Lüttich, will heißen, er wurde vom Domkapitel gewählt, nahm aber niemals die Bischofsweihe an (auch wenn der allgemeine Sprachgebrauch dann doch unscharf zu Bischof tendiert). Bei entsprechender Stärke oder guten Kontakten zur Kurie musste das nicht unbedingt nachteilig sein, zumeist aber bedeutete das schon einen problematischen Status, weil sich der Landesherr so eine offene Flanke schuf, die politische Gegner zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Gerade in der Reformationszeit sollten sich solche Fälle häufen, in denen erwählte Bischöfe aus konfessionellen Motiven katholische Weihen verweigerten; hier kam zu rein machtpolitischen noch das religiöse Motiv.
 
Repo schrieb:
Ich bin bei einer Suche in Wikipedia auf diesen Eintrag gestoßen: (...)

Irrt hier Wikipedia oder war sowas tatsächlich möglich.
100 Jahre vor Luther.

Ich kenne mich allerdings in Kirchenrechtsfragen gar nicht aus.
28 Jahre Bischof, dann "konvertiert" zum Ehemann.
Ging das, oder ist das ein ganz besonderer Sonderfall

Fragt sich Repo
Ein besonders krasser Fall war der von Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838):

Talleyrand war der Erstgeborene einer der ältesten und vornehmsten Adelsfamilien Frankreichs. Doch aufgrund seines Klumpfußes hielten ihn seine Eltern für eine Karriere am Hof von Versailles für ungeeignet. Sie drängten ihn in den Klerus ab. Dort sollte er dem Vorbild seines Onkels, dem Bischof von Reims und späteren Kardinal von Paris, folgen; einem Leben in Reichtum, aber unter der Soutane.

Von seinen Eltern auf das Priesterseminar geschickt, drohte Talleyrand das gesellschaftlichen Aus, wenn er es gewagt hätte, sich nicht zum Priester weihen zu lassen. Seiner unfreiwilligen Karriere als Geistlicher stand ein lasterhafter Lebenswandel gegenüber: Glücksspiel und Liebschaften. Besonders übel nahmen ihm seine gläubigen Zeitgenossen, dass er Voltaire, einen bekennenden Atheisten, vor dem Empfang der Priesterweihe um dessen Segen bat.

Als Generalbevollmächtigter (= Finanzminister) der Gallischen Kirche erwarb Talleyrand umfangreichen Einblick in das Vermögen der französischen Kirche. Nachdem er zum Bischof von Autun geweiht und von den Geistlichen seines Domkapitels zum Mitglied der Ständerversammlung gewählt wurde, beantragte er in der Konstituante die Nationalisierung der Kirchengüter, um den ansonsten unvermeidlichen Staatsbankrott abzuwehren. Dem Antrag wurde zugestimmt und Talleyrands Kirche die Kirchengüter entzogen.

Mit der Französischen Revolution traten der Erste und der Zweite Stand aus ihren Standesschranken. Talleyrand nutzte diese Gelegenheit, um sich der Soutane zu entledigen, ohne dabei irgendwelche Rücksichten auf die Feinheiten des Kirchenrechts zu nehmen. Der zum Priester und zum Bischof geweihte Talleyrand schickte dem Papst einen Brief, nicht um diesen um einen Dispens für seinen Rücktritt vom Bischofsamt zu bitten, sondern um diesen seinen Rücktritt von allen geistlichen Ämtern mitzuteilen. Sein Rücktritt hinderte ihn freilich weder daran, einen Eid auf die Zivilverfassung des Klerus abzulegen, Priester zu weihen oder noch eine lange Zeit die Einkünfte eines Abtes der Abtei Saint-Denis zu beziehen.

Der Papst drohte mit Exkommunikation; eine Drohung, die auf Talleyrand, der nie wirklich ein Geistlicher werden wollte, keinen Eindruck machte. Im Gegenteil: nach seiner Exkommunikation konnte er noch ungenierter das Leben eines Nichtgeistlichen leben. Er heiratete, was im modernen Mutterland der Zivilehe ohne weiteres möglich war. Hier zeigt sich natürlich, wie befreiend sich für Talleyrand und jene, die ähnlich wie er zum Eintritt in den Klerikerstand gezwungen wurden, die Französische Revolution auswirkte.

Ironischerweise musste sich später der Papst ausgerechnet mit Talleyrand als Frankreichs Aussenminister diplomatisch arrangieren.

Als es mit Talleyrand zu Ende ging, schien die Stunde der Kirche gekommen zu sein. Dem verlorenen Sohn wurde ein kirchliches Begräbnis für den Fall in Aussicht gestellt, dass er seine gegenüber der Kirche begangenen Verfehlungen in einem Schreiben gesteht und um Vergebung bittet. Talleyrand war grundsätzlich bereit ein solches Schuldbekenntnis abzugeben. Aber er verhandelte über die Einzelheiten und verhandelte und verhandelte und ließ sich Zeit das Schuldbekenntnis abzugeben. Die Vertreter der Kirche waren beunruhigt darüber, ob Talleyrand das Schuldbekenntnis noch vor seinem Tote abgeben wird; seine Familienangehörigen ebenfalls, da es damals eine Schande war, ohne kirchlichen Beistand beerdigt zu werden. Auf dem Totenbett bekannte er dann seine Sünden und unterschrieb das unmittelbar zuvor ausgehandelte Bekenntnis. Die Kirchenvertreter waren sehr erfreut darüber und beerdigten den verlorenen Sohn in aller Form. Wenig erfreut war der Papst als er das unterzeichnete Schuldbekenntnis zu lesen bekam. Es war viel zu vage und allgemein gehalten. Talleyrands Geständnis war nichtssagend. Der sterbende Talleyrand hatte die Kirche über das Totenbett gezogen.
 
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Gandolf schrieb:
Ein besonders krasser Fall war der von Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838)
Sub specie aeternitatis natürlich nicht.
Ist zwar süffisant zu lesen, trifft aber nicht den Kasus knaktus.
Gültig geweihte Kleriker, die ihre eigenen Wege gingen, gibt es zuhauf. Die Leistung des Diplomaten schmälert dies nicht.
 
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