Deutschlands Ruhm um 1600

jschmidt

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Nachdem ich vorhin eine Bemerkung über "rumreiche Feldzüge" las, fiel mir wieder ein, was Cicely Veronica Wedgwood, DBE, vor exakt 70 Jahren geschrieben hat. Ich zitiere aus der deutschen Taschenbuch-Ausgabe (Der Dreißigjährige Krieg, München: List 1971, S. 43):
Zu dieser Zeit [ausgangs des 16. Jh.] war Deutschland in ganz Europa durch nichts so berühmt wie durch Essen und Trinken. "Ochsen", sagten die Franzosen, "hören auf zu trinken, wenn sie nicht mehr durstig sind; die Deutschen fangen dann erst an." Reisende aus Spanien und Italien waren gleichmaßen erstaunt über die ungeheure Völlerei und den Mangel an Unterhaltungsgabe in einem Land, in dem die Wohlhabenden aller Klassen unter dem ohrenbetäubenden Lärm einer Blechmusik stundenlang bei Schmaus und Trank saßen. Die Deutschen verwahrten sich nicht gegen diese Anschuldigung. Ein deutsches Sprichwort lautete: "Uns Deutschen fällt's Geld durch den Bauch." "Valete et inebriamini", pflegte ein lebenslustiger Fürst seine Briefe an Freunde zu schließen. Der Landgraf von Hessen gründete einen Mäßigkeitsverein, aber der erste Präsident starb an Trunksucht. Ludwig von Württemberg, mit dem Beinamen "der Fromme", trank zwei Herausforderer unter den Tisch. Da er selbst noch nüchtern genug war, um Anordnungen zu geben, ließ er sie auf einem Wagen, zusammen mit einem Schwein, nach Hause schaffen. Dieses Laster hatte sich in allen Gesellschaftsschichten verbreitet. In Berlin brachen angetrunkene junge Kavaliere auf dem Heimweg in die Häuser friedfertiger Bürger ein und jagten sie auf die Straße; auf den Bauernhochzeiten wurde mehr für Essen und Trinken ausgegeben, als in einem Jahr erspart werden konnte, und die Brautpaare kamen öfter betrunken als nüchtern zur Kirche. In Bayern, und mit geringerem Erfolg in Pommern, traf die Regierung wiederholt gesetzliche Maßnahmen, um dergleichen Ausschreitungen zu verhindern.

Auf einen solchen Ruf konnte kein vernünftiger Deutscher stolz sein, und doch gab es unter den einfältigeren Patrioten welche, die geneigt waren, die nationale Vorliebe für Braten und Wein zu verherrlichen. Sie beriefen sich auf Tacitus, der von ihren Vorfahren das Gleiche berichtete. [...]
Was etwa Württemberg betrifft, auch Bayern, so leuchtet mir das alles unmittelbar ein. Im Übrigen hege ich ernstliche Zweifel, ob es sich hierbei nicht um eine tendenziöse, womöglich neiderfüllte Darstellung handelt.

Wer weiß etwa zum Thema? (Dran denken: Parallelen zu zeitgenössischen süddeutschen Politikern sind Tabu!)
 
Nachdem ich vorhin eine Bemerkung über "rumreiche Feldzüge" las, fiel mir wieder ein, was Cicely Veronica Wedgwood, DBE, vor exakt 70 Jahren geschrieben hat. Ich zitiere aus der deutschen Taschenbuch-Ausgabe (Der Dreißigjährige Krieg, München: List 1971, S. 43)...
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Was etwa Württemberg betrifft, auch Bayern, so leuchtet mir das alles unmittelbar ein. Im Übrigen hege ich ernstliche Zweifel, ob es sich hierbei nicht um eine tendenziöse, womöglich neiderfüllte Darstellung handelt.

Ich stimme Dir zu, daß dies tendenziös ist, wenngleich sich die Deutschen offenbar diesen Ruf während des Mittelalters tatsächlich "erarbeitet" hatten - vgl. dazu auch:
Trinkkultur in Europa im Mittelalter und der Frühen Neuzeit schrieb:
Wenn auch in anderen europäischen Ländern viel getrunken wurde, so hatten sich gerade die Deutschen im Laufe des Mittelalters den Ruf erworben, besonders trinkfreudig zu sein. So gibt es eine Anekdote, dass Kaiser Karl V. bei einem Spaziergang mit spanischen Adligen voller Stolz auf seine Leibgarde wies und sagte: „Sehet, sein die Teutschen nicht wackere, starke, ansehnliche, gerade Männer?“ Worauf ein Spanier erwidert haben soll: „Es ist wahr […], wenn sie nur nicht so sehr söffen.“ Dabei gab es der Überlieferung zufolge gewisse regionale Unterschiede. Im 16. Jahrhundert hatten die Provinzen Sachsen, Mark Brandenburg, Pommern, Mecklenburg und andere Regionen in Norddeutschland im Volksmund den Beinamen „die großen Trinklande“ wegen des angeblich besonders ausgeprägten Alkoholkonsums.
Auszug aus Trinkkultur in Europa - Geschichte - Wikipedia

Wer weiß etwa zum Thema?

Zwar eine eher etwas allgemeine Abhandlung zur Trinkkultur, aber dennoch ganz interessant ist magellanworld
 
Was etwa Württemberg betrifft, auch Bayern, so leuchtet mir das alles unmittelbar ein. Im Übrigen hege ich ernstliche Zweifel, ob es sich hierbei nicht um eine tendenziöse, womöglich neiderfüllte Darstellung handelt.

Wer weiß etwa zum Thema? (Dran denken: Parallelen zu zeitgenössischen süddeutschen Politikern sind Tabu!)
Geht es Dir um zeitgenössische Beispiele?

Kurfürst Christian II. (1591-1611 Kurfürst) von Sachsen fiele mir da als ein Beispiel auf Anhieb ein, dessen ohnehin schon eher bescheidener Geisteszustand durch übermäßigen Alkoholkonsum obendrein noch eher abträglich beeinflusst sein gewesen soll.
Aber auch sein Vorgänger Christian I., der politisch versierter war und zumindest interessierter, soll für seine Zuneigung zu Jagd und den leiblichen Genüssen berühmt gewesen sein.
 
Geht es Dir um zeitgenössische Beispiele?

Ja, deshalb Dank für den Hinweis auf die Christians!

Es wäre interessant zu wissen, wie sich das über die Jahre entwickelt hat und warum ausgerechnet "wir" einen Spitzenstellung innehatten.

In den von Timotheus angegebenen Links findet sich z. B. der Hinweis, dass Trinkwasser seinerzeit als belastet und krankmachend galt - ein Argument, an den man auch dann noch festhielt, als das erweislich besser wurde.:)
 
Ich wage jetzt mal die These, daß es hier eigentlich nicht um eine speziell deutsche Gewohnheit geht, sondern um einen allgemeinen Mentalitätsunterschied zwischen den Romanen und den übrigen Europäern.

Die zitierten Kritiker sind ja eben die Romanen - Franzosen, Spanier, Italiener.
Und es ist ja bis heute so, daß diese ihren (durchaus nicht mäßigen) Alkoholkonsum anders gestalten als die nicht-romanischen Völker in Europa: Sie trinken in Begleitung der Mahlzeiten (mit Aperitif, Begleitweinen, Digestif), aber danach eher selten. Reine Trinkrunden sind bei ihnen (außer in Studentenkreisen) eher verpönt.

Ganz im Gegensatz eben zu den diversen germanischen Völkern (Engländer und Skandinavier waren damals wie heute ähnlich trinkfreudig wie die Deutschen), den keltischen Iren und Schotten oder den Slawen (gerade Polen und Russen haben da ja auch einen Ruf).

In der Wahrnehmung der Romanen um 1600 sind aber "die Deutschen" DER Kontrapunkt.
Die sind nicht nur geographisch am nächsten dran, die dominieren auch zahlenmäßig - über den Daumen geschätzt hat es wohl 1600 nicht viel weniger Deutsche (incl. Holländer, Belgier, Elsässer, Schweizer, Österreicher ...) gegeben als die romanischen Völker zusammengenommen.
England war damals noch recht dünn besiedelt, von Schotten, Schweden oder Polen haben die Romanen viel weniger mitbekommen um beurteilen zu können, ob die vielleicht nicht ähnlich viel oder noch mehr soffen wie die Deutschen.
 
In den von Timotheus angegebenen Links findet sich z. B. der Hinweis, dass Trinkwasser seinerzeit als belastet und krankmachend galt
Und das war wohl auch richtig und eine in ganz Europa verbreitete Auffassung.
Deswegen waren als normale Getränke Bier (aber in einer alkoholarmen Variante) und Wein (oft verdünnt) üblich - auch zum Frühstück und auch für Kinder.
Irgendwo habe ich gelesen, daß der Hauptausgabeposten eines flämischen Waisenhauses im 17. (oder 18.?) Jahrhundert die Bierrechnung war!

Diese Konsumgewohnheiten setzten natürlich die Hemmschwelle gegenüber Alkohol herab - aber sie haben ansonsten wenig mit der Gewohnheit zu tun, sich "richtig" zu besaufen, dafür verwendete man dann Vollbier, starken Wein und Schnäpse.
 
In den von Timotheus angegebenen Links findet sich z. B. der Hinweis, dass Trinkwasser seinerzeit als belastet und krankmachend galt - ein Argument, an den man auch dann noch festhielt, als das erweislich besser wurde.:)

Um evt. Mißverständnissen vorzubeugen:
Das Trinkwasser galt nicht nur als belastet, sondern war es während des europäischen Mittelalters und der Frühen Neuzeit tatsächlich - und damit machte der Genuß eben auch krank.
Daß Wasser als grundsätzlich krankmachend angesehen wurde, betraf jedoch nicht allein das Trinkwasser, sondern ebenso das Nutzwasser - z.B. zum Waschen -, und war eine ab der Renaissance vorherrschende Sichtweise (die wir wiederum vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Pestepidemien sehen müssen).

Dieser Hinweis geht jedoch nicht direkt in Deine Richtung, sondern soll dazu dienen, daß im weiteren Diskussionsverlauf nicht verschiedene Dinge durcheinandergeworfen werden.

Und die Ansicht war nur in Deutschland verbreitet?:grübel:

Meines Wissens war diese Ansicht nicht nur in Deutschland verbreitet.
 
Ich wage jetzt mal die These, daß es hier eigentlich nicht um eine speziell deutsche Gewohnheit geht, sondern um einen allgemeinen Mentalitätsunterschied zwischen den Romanen und den übrigen Europäern. [...]
Ganz im Gegensatz eben zu den diversen germanischen Völkern (Engländer und Skandinavier waren damals wie heute ähnlich trinkfreudig wie die Deutschen), den keltischen Iren und Schotten oder den Slawen (gerade Polen und Russen haben da ja auch einen Ruf).

Dass Saufen (in heutiger Diktion: Alkoholismus) zum "mentalen Modell" von Nicht-Romanen gehört hat, mag stimmen. Aber woher kam dieses Modell und inwieweit waren Elemente wie die zitierte "Blasmusik" in dieses Modell verwoben?

Es mag wie eine Ausrede klingen, aber könnte das angedeutete "Nord-Süd-Gefälle" nicht etwas zu tun haben mit
a) Klima, Witterung, Breitengraden im Allgemeinen?
b) der "natürlichen" Nordgrenze für den Weinanbau usw.?
 
Dass Saufen (in heutiger Diktion: Alkoholismus) zum "mentalen Modell" von Nicht-Romanen gehört hat, mag stimmen. Aber woher kam dieses Modell ...
Da kann man wohl bloß spekulieren.
Wobei ich die Sichtweise umkehren würde: Wieso saufen die Romanen nicht?

Denn offenbar gibt es weltweit eine Neigung, sich in (Männer-)Gruppe vollzulöten, ob bei Chinesen, Indianern, Afrikanern oder Indern.
Und ich habe auch Franzosen und Italiener erlebt, die sich sehr fröhlich und bereitwillig deutschen Trinksitten angepaßt haben.
Offenbar haben sich in den romanischen Ländern kulturelle Traditionen entwickelt, die die "natürliche" Trunksucht in gewissen gesellschaftlich akzeptierten Grenzen halten. Ich habe aber keine Ahnung, wann und warum die sich entwickelt haben (muß aber schon sehr früh gewesen sein).

und inwieweit waren Elemente wie die zitierte "Blasmusik" in dieses Modell verwoben?
Das halte ich für ein nebensächliches Detail einer einzigen Quelle.

a) Klima, Witterung, Breitengraden im Allgemeinen?
Grundsätzlich denkbar, aber eine wirklich konsequente Korrelation zwischen Klima und Saufen sehe ich nicht.

b) der "natürlichen" Nordgrenze für den Weinanbau usw.?
Ich bin in der Pfalz aufgewachsen und würde da jede These zurückweisen, daß Wein den Saufgewohnheiten in irgendeiner Weise abträglich wäre ;-)
 
Es mag wie eine Ausrede klingen, aber könnte das angedeutete "Nord-Süd-Gefälle" nicht etwas zu tun haben mit
a) Klima, Witterung, Breitengraden im Allgemeinen?
b) der "natürlichen" Nordgrenze für den Weinanbau usw.?
Das mit dem Weinanbau kann ja kaum stimmen, würde zumindest für Deutschland, wo lange Zeit noch der Weinanbau bis hoch in brandenburgische Gefilde betrieben wurde, nicht zutreffen.

Ich befürchte eher man sah bei sich selber weg und nahm sich irgendwelche herrausragende Beispiele der Trunksucht als Maßstäbe, um es dann auf die Deutschen im Allgemeinen zu übertragen.

Wie schonmal einige Bekannte mir einmal verdeutlichten, muss man sich vorstellen, dass ja eigentlich nur eine bestimmte Oberschicht überhaupt die Gelegenheit zur Trunksucht und dergleichen hatte. Der arbeitende Teil der Bevölkerung ging mit Sonnenuntergang in die Heia und stand mit Sonnenaufgang wieder auf. Viel Zeit zum Saufen außer auf Festen gab es da nicht. (Gut die kirchlichen Feste dürften im 17.Jh. noch weit mehr gewesen sein als im 18.Jh., als einige den Einsparungen durch aufgeklärte Fürsten wie Joseph II. u.a. zum Opfer fielen.)
Die Oberschicht hingegen hatte die zeitliche Gelegenheit und die finanzielle Grundlage zum unmäßigen Trinken.

Bestimmte Höfe waren dafür meines Wissens besonders berühmt und gerade die Kunde von Höfen kam ja in die fremden Länder. Zum einen gelangte sie durch Italiener, welche selbst in Deutschland weilten, zum anderen durch die Deutschen die militärisch oder zivil schon öfter mal in Italien "vorbeischauten" dorthin.
Also ich denke, man muss vor allen Dingen in der Oberschicht nach besonders beredten Zeugnissen Ausschau halten.
 
Die zitierten Kritiker sind ja eben die Romanen - Franzosen, Spanier, Italiener.
Und es ist ja bis heute so, daß diese ihren (durchaus nicht mäßigen) Alkoholkonsum anders gestalten als die nicht-romanischen Völker in Europa: Sie trinken in Begleitung der Mahlzeiten (mit Aperitif, Begleitweinen, Digestif), aber danach eher selten. Reine Trinkrunden sind bei ihnen (außer in Studentenkreisen) eher verpönt.

Und alle 50 Meter gibt es eine Bar, wo man auf die schnelle ein Glas Wein für wenig Geld kriegt.

Vorurteile sonst nichts.
 
Es mag wie eine Ausrede klingen, aber könnte das angedeutete "Nord-Süd-Gefälle" nicht etwas zu tun haben mit
a) Klima, Witterung, Breitengraden im Allgemeinen?
b) der "natürlichen" Nordgrenze für den Weinanbau usw.?

Zu (a): Dazu kenne ich lediglich die Aussage, daß es nördlich des Polarkreises wegen der Polarnacht zu Winterdepressionen kommt, welche ihrerseits wiederum zu höherem Alkoholkonsum führen. Allerdings habe ich dazu bislang noch keine unumstrittene Studie gefunden; der norwegische Psychiater Vidje Hansen bspw. widerspricht dem sogar entschieden: 3sat.online

Zu (b): Dem möchte ich zumindest bzgl. der Anbaugrenze für Wein nicht zustimmen, denn darum kümmerte man sich mW erst ab dem 18. Jh., während zuvor faktisch auch nördlich dieser Grenze Wein angebaut wurde.
Anm.: Die Anbaugrenze bedeutet ja nicht, daß nördlich davon kein Wein mehr wächst, sondern daß dieser Wein "lediglich" von minderer bis sehr dürftiger Qualität ist.
 
Nachdem ich vorhin eine Bemerkung über "rumreiche Feldzüge" las, fiel mir wieder ein, was Cicely Veronica Wedgwood, DBE, vor exakt 70 Jahren geschrieben hat. Ich zitiere aus der deutschen Taschenbuch-Ausgabe (Der Dreißigjährige Krieg, München: List 1971, S. 43):
Zu dieser Zeit [ausgangs des 16. Jh.] war Deutschland in ganz Europa durch nichts so berühmt wie durch Essen und Trinken. "Ochsen", sagten die Franzosen, "hören auf zu trinken, wenn sie nicht mehr durstig sind; die Deutschen fangen dann erst an." Reisende aus Spanien und Italien waren gleichmaßen erstaunt über die ungeheure Völlerei und den Mangel an Unterhaltungsgabe in einem Land, in dem die Wohlhabenden aller Klassen unter dem ohrenbetäubenden Lärm einer Blechmusik stundenlang bei Schmaus und Trank saßen. Die Deutschen verwahrten sich nicht gegen diese Anschuldigung. Ein deutsches Sprichwort lautete: "Uns Deutschen fällt's Geld durch den Bauch." "Valete et inebriamini", pflegte ein lebenslustiger Fürst seine Briefe an Freunde zu schließen. Der Landgraf von Hessen gründete einen Mäßigkeitsverein, aber der erste Präsident starb an Trunksucht. Ludwig von Württemberg, mit dem Beinamen "der Fromme", trank zwei Herausforderer unter den Tisch. Da er selbst noch nüchtern genug war, um Anordnungen zu geben, ließ er sie auf einem Wagen, zusammen mit einem Schwein, nach Hause schaffen. Dieses Laster hatte sich in allen Gesellschaftsschichten verbreitet. In Berlin brachen angetrunkene junge Kavaliere auf dem Heimweg in die Häuser friedfertiger Bürger ein und jagten sie auf die Straße; auf den Bauernhochzeiten wurde mehr für Essen und Trinken ausgegeben, als in einem Jahr erspart werden konnte, und die Brautpaare kamen öfter betrunken als nüchtern zur Kirche. In Bayern, und mit geringerem Erfolg in Pommern, traf die Regierung wiederholt gesetzliche Maßnahmen, um dergleichen Ausschreitungen zu verhindern.

Auf einen solchen Ruf konnte kein vernünftiger Deutscher stolz sein, und doch gab es unter den einfältigeren Patrioten welche, die geneigt waren, die nationale Vorliebe für Braten und Wein zu verherrlichen. Sie beriefen sich auf Tacitus, der von ihren Vorfahren das Gleiche berichtete. [...]
Was etwa Württemberg betrifft, auch Bayern, so leuchtet mir das alles unmittelbar ein. Im Übrigen hege ich ernstliche Zweifel, ob es sich hierbei nicht um eine tendenziöse, womöglich neiderfüllte Darstellung handelt.

Wer weiß etwa zum Thema? (Dran denken: Parallelen zu zeitgenössischen süddeutschen Politikern sind Tabu!)


Diese Darstellungen aus jener Zeit kenne ich so eigentlich über Holland. Die Bilder der holländischen Barockmaler scheinen dies ja auch zu bestätigen.

Aber die erste Speisekarte ist in der Zimmerschen Chronik beschrieben. Betrifft aber einen Reichstag, Worms? Mainz? (lässt sich finden, ist online)Also nix mit den pichelnden und schnabulierenden Schwaben und Bajuwaren.

Wie machten es die alten Preußen immer? Die tranken erst einen, bevor sie gingen!

Es sind immer die anderen die fressen und saufen, selbst ist man ja sooooo mäßig:devil:

Außerdem stammt von Viktor von Scheffel der Spruch: "Vom Durst redet keiner!"
Auf Deutsch: "Es wird oft gesagt, es würde einer saufen, was der für einen fürchterlichen Durst auszuhalten hat, sagt keiner":still:
 
Und alle 50 Meter gibt es eine Bar, wo man auf die schnelle ein Glas Wein für wenig Geld kriegt.
Sicher - ich habe ja auch gesagt, daß insgesamt der Alkoholkonsum in diesen Ländern auch beträchlich ist.

Aber Du wirst in diesen Bars nicht die typischen Saufrunden wie England, Holland oder Deutschland finden.

Manchmal habe ich das Gefühl, die Romanen versuchen in erster Linie, einen konstanten Pegel zu halten ;-)
(Dazu übrigens ganz interessant die Darstellungen in den Simenon-Romanen (Maigret et al.) - was da peu à peu den Tag über gepichelt wird ...).

In den übrigen Ländern ist Alkohol tagsüber weniger üblich (das bayrische Bier zum Schweinsbraten ist ja kein Alkohol ;-) - da gilt eher abends die Maxime: Wenn saufen, dann richtig.
 
Die heutige Situation ist ja allgemein bekannt; insbesondere Trunkenheit an der Tastatur ist eine Geißel der Menschheit...

Zu Brissotins an sich einleuchtendem schichtenbezogenen Argument ist anzumerken, dass zwischen Sonnenunter- und -aufgang noch, speziell winters, eine Menge Zeit zum Picheln blieb, und der finanzielle Aspekt relativiert sich ein wenig, wenn man die unterschiedliche Qualität und Kosten des Stoffs berücksichtigt. (Für sehr wahrscheinlich halte ich allerdings in Zusammenhang mit der Haltung der Obrigkeit, dass damals vielfach "Wasser gepredigt und Champagner getrunken" wurde.)

Was die Projektionsthese betrifft, so hat sie auch viel für sich, erklärt aber nicht, warum ausgerechnet auf Deutschland projiziert wurde - es sei denn, dass man "uns" bereits so viel anderes Schlechtes nachsagen konnte, dass es auf die Wahrheit gar nicht mehr ankam. (Beispiel aus einer anderen Diskussion: Wer so fanatisch Hexen verfolgt, der säuft auch fanatisch.)
 
insbesondere Trunkenheit an der Tastatur ist eine Geißel der Menschheit...
Auf wen konkret spielst Du an ;-)

und der finanzielle Aspekt relativiert sich ein wenig, wenn man die unterschiedliche Qualität und Kosten des Stoffs berücksichtigt.
Richtig. Die Quellen geben ja nun genug Beispiele her, daß auch unterhalb der Oberschicht kräftig getrunken wurde - vielleicht nicht so häufig wie gewünscht, aber mit ähnlichem Eifer.

erklärt aber nicht, warum ausgerechnet auf Deutschland projiziert wurde
Weil aus Sicht der Romanen Deutschland fast schon synonym mit "restliches Europa" war!
Wir müssen uns von unseren heutigen Größenvorstellungen lösen, im Jahr 1600 waren die Proportionen zwischen den europäischen Völkern noch ganz andere.

Erstens einmal ist der Bezugsrahmen nur das christliche (katholische) Europa - Südosteuropa und Rußland interessieren kaum.
Und in diesem Europa ist Deutschland der dominierende Kern - fast so bevölkerungsstark wie der ganze Rest zusammen!
Dieses Deutschland ist zwar in sich sehr heterogen (vor allem politisch), das ist aber für "kulturelle" Betrachtungen der hier diskutierten Art ziemlich nebensächlich.
Mögen die Holländer oder Schweizer schon fast selbständig sein, die Böhmen eine andere Sprache sprechen - wenn die in Rom oder entlang des Jacobspfads in Frankreich oder Spanien in der Pilgertaverne anfangen zu saufen, dann sind das für die Einheimischen alles Deutsche, und alle ähnlich veranlagt.

Da mag es noch ein paar Skandinavier, Polen, diverse Varianten Briten geben - die sind viel seltener, irgendwo hinten versteckt, mit denen hat man viel weniger zu tun (und im Zweifelsfall benehmen sie sich bei diesem Thema ähnlich wie die Deutschen).

Für die Spanier/Franzosen/Italiener, die sich ihrer kulturellen Ähnlichkeit untereinander bewußt sind, sind die Deutschen schlicht DIE Anderen, als Nachbarn, Kriegsgegner oder Verbündete, als Handelspartner und so weiter sehr wichtig - und damit auch ein zentrales Beobachtungsobjekt für Sitten und Gebräuche überaus interessant.
Und alles, was in Deutschland anders ist, wird natürlich zum Anlaß, darüber zu diskutieren bzw. sich das Maul zu zerreißen ;-)
 
Weil aus Sicht der Romanen Deutschland fast schon synonym mit "restliches Europa" war! Wir müssen uns von unseren heutigen Größenvorstellungen lösen, im Jahr 1600 waren die Proportionen zwischen den europäischen Völkern noch ganz andere. Erstens einmal ist der Bezugsrahmen nur das christliche (katholische) Europa - Südosteuropa und Rußland interessieren kaum. Und in diesem Europa ist Deutschland der dominierende Kern - fast so bevölkerungsstark wie der ganze Rest zusammen!

Reizt mich irgendwie zum Nachrechnen! Könnte man ein neues Thema draus machen, vielleicht unter Einbeziehung der Bevölkerungsverluste bis 1650.

Für die Spanier/Franzosen/Italiener, die sich ihrer kulturellen Ähnlichkeit untereinander bewußt sind, sind die Deutschen schlicht DIE Anderen [...] Und alles, was in Deutschland anders ist, wird natürlich zum Anlaß, darüber zu diskutieren bzw. sich das Maul zu zerreißen ...
Eine Art "völkerpsychologisches" Argument, wiewohl man von einer Wissenschaftsdisziplin "V." erst später reden kann. Für ein paar ausgewählte Literaturhinweise, die hier in Rede stehende Zeit betreffend, wäre ich dankbar.
 
vielleicht noch interessant,

aus jener Zeit datieren im heutigen Württemberg recht häufige Verbote des Mostens!
Der Bürger und Bauer sollte fiskalisch erfassten Wein trinken und keinen steuerfreien Most saufen.
 
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