Die Wiedertäufer im Vergleich zu Dschingis- Khan

H

Hulda

Gast
Bevor auf den merkwürdig anmutenden Zusammenhang zwischen den Wiedertäufern in Münster und Dschingis- Khan eingegangen wird, soll ein kurzer Überblick über diese spezielle Wiedertäuferbewegung gegeben werden:
Die Wiedertäuferkäfige von St. Lamberti in Münster lassen auch heute noch keinen Besucher der Stadt unberührt. Deutlich sichtbar fordern sie zu Fragen nach ihrer Bedeutung und Geschichte auf.

Missstände in der Lebensführung katholischer Geistlicher sowie der Reichtum der Kirche bereiteten - sehr grob gesagt - auch in Münster den Boden für neues, reformatorisches Gedankengut.

Eine Ursache für die Wiedertäuferbewegung (1533 bis 1536) in Münster ist wohl in der falschen Auslegung von Luthers "Von der Freiheit eines Christenmenschen" zu finden.
Freiheit wird hier auf alles Weltliche ausgedehnt, wodurch der Vielweiberei, Hurerei, der Ablehnung weltlicher Obrigkeit etc. die Legitimation gegeben wird.
Das Königreich der Wiedertäufer wird durch Jan van Leiden auf dieser ideologischen Basis errichtet. Teile der Bevölkerung lehnen sich auf. Dem wird mit Exekutionen begegnet, wobei sich Bernhard Knipperdolling ganz besonders "hervortut".
Dem Treiben wird durch eine abscheuliche Hinrichtung und zur Schautragung der Leichen der drei "Anführer" ein jähes Ende bereitet. Sie werden in Käfigen am Turm der Lamberti- Kirche aufgehängt.
Die Käfige hängen noch heute.

Nun zu Dschingis- Khan in diesem Zusammenhang:
Der Geschichtsforscher August Ludwig von Schlözer stellt die Verbindung zwischen Jan van Leiden (ursprünglicher Name Bockold) und Dschingis- Khan in seiner 1784 in Göttingen veröffentlichten Schrift her: Die Wiedertäufer in Münster. Neujahrs- Geschenk aus Westfalen für einen deutschen Knaben:

"...
Mein Sohn! der Weise Salomon sagte schon zu seiner Zeit vor bald 3000 Jahren: es geschieht nichts neues unter der Sonne.
Was der Schneider Bockold Anno 1535 in Westfalen tat
...: ...;-
hatte schon vor ihm Anno 1206, der MongolenFürst DschinkisChan
...

getan.
...
Nur was diese Leute, nach der Verschiedenheit der Völker und Zeiten, für verschiedene Schicksale hatten!
...
DschinkisChan machte Millionen Mongolen zu Sklaven, und starb als ihr Kaiser.
...
Bockold wurde von deutschen Westfalen gegriffen, hingerichtet, und in einem Käfich aufgehängt.

Schlözer wurde auch zu seiner Zeit schon mit "Schimpf und Schande" übersät, hatte deutlich über`s Ziel hinausgeschossen.

Interessant bleibt die seltsam anmutende Gleichsetzung des Mongolenfürsten (und anderer historisch bedeutender Größen, die hier nicht erwähnt werden sollen) mit dem (als Schurke gesehenen) Wiedertäuferkönig van Leiden alias Bockold.
Nun mein Diskussionsanlass: Ist die Sichtweise von Schlözers auf die Bedeutung Dschingis- Khans nur überspitzt, ansonsten aber in der Zeit üblich, oder stellt sie eine Ausnahme dar? Hierbei sollte der Aspekt der Beeinflussung durch das "Ansehen" einer Religion zu der Zeit in Mitteleuropa mit einfließen.
 
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Wirklich seltsam!

Rückfrage: Was könnte Schlözers Ziel gewesen sein (was war sein geschichtsdidaktischer Ansatz), und wer hat ihn mit Schimpf und Schande übersät?
 
Wirklich seltsam!

Rückfrage: Was könnte Schlözers Ziel gewesen sein (was war sein geschichtsdidaktischer Ansatz), und wer hat ihn mit Schimpf und Schande übersät?
Schlözers Ziel war es, der Jugend deutsche Geschichte in Einzelbildern darzubringen, so Hans Kirchner 1919 in der Einführung zu von Schlözers Schrift über die Wiedertäufer. Kirchner beschreibt ferner, dass sein Anliegen auch darin bestand, einen Gegenpol zur sich damals schon breitmachenden "süßlichen Literatur" ( was auch immer damit gemeint war!) zu schaffen.
Ich vermute, zeitgenössische Historiker haben sich abfällig geäußert, habe aber keine genaueren Informationen, eben nur die, dass er ausgesprochen negative Kritik erhalten hat. Von Schlözer war wohl Professor in Göttingen... Die Schrift ist sehr reißerisch geschrieben... Es war auch wohl das erste und letzte Einzelbild deutscher Geschichte aus seiner Feder.
 
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Habe mir gerade den sehr ausführlichen Schlözer-Beitrag in historicum.net: Home, angeschaut, wo sogar Online-Ressourcen genannt werden. Umstritten war Autor sicher, hatte aber offenbar auch viele Fürsprecher.
Die Wiedertäufer-Schrift ist von 1784, die "Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder" von 1806. Den Begriff "Einzelbilder" habe ich nicht gefunden, was aber nichts heißt.

"Süßliche Literatur" - ob da "Sturm und Drang" mit gemeint ist? Ich fürchte, wir müssen Schlözer lesen, um klarer zu sehen...:)
 
Habe mir gerade den sehr ausführlichen Schlözer-Beitrag in historicum.net: Home, angeschaut, wo sogar Online-Ressourcen genannt werden. Umstritten war Autor sicher, hatte aber offenbar auch viele Fürsprecher.
Die Wiedertäufer-Schrift ist von 1784, die "Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder" von 1806. Den Begriff "Einzelbilder" habe ich nicht gefunden, was aber nichts heißt.

"Süßliche Literatur" - ob da "Sturm und Drang" mit gemeint ist? Ich fürchte, wir müssen Schlözer lesen, um klarer zu sehen...:)
Ich denke auch, "Sturm und Drang" ist gemeint...
Diese Wiedertäuferschrift, aus der ich zitiert habe, wird von Kirchner als Stein des Anstoßes gesehen. Der Autor war nicht gänzlich umstritten.
Von Kirchner stammt auch der Ausdruck "Einzelbild".
 
Habe einen Blick in die "Geschichtlichen Grundbegriffe" geworfen und bin sehr erstaunt, wie oft darin auf Schlözer Bezug genommen wird! Im Artikel "Presse" (Band 4, S. 899 ff. [918]), auch anderswo, erscheint er als engagierter und sehr profilierter Vertreter der Ausklärung, für den "politische und bürgerliche Freiheit ein Natur-Recht sind".
Dazu assoziere ich, dass die Wiedertäufer ein mehr oder weniger totalitäres System errichteten und z. B. in Münster Bücherverbrennungen durchführten, politische Gegner verfolgten usw. "Brennend und mordend" wiederum waren typische Attribute für die Mongolenzüge im 13.-15. Jahrhundert, die in deren Rezeptionsgeschichte immer wieder vorkommen (Modell "Kinderschreck"). Typisch fürs Mongolenbild z. B. Alexander von Humboldt (1808): "Wenn in dem Lauf der Jahrhunderte frühe Geisteskultur gleich dem erquickenden Sonnenlicht von Osten nach Westen gewandert ist, so haben späterhin, in derselben Richtung, Barbarei und sittliche Roheit Europa nebelartig zu überziehen gedroht."
Aber, wie gesagt, man müsste Schlözer selbst studieren und hinter die Kirchner-Interpretation, die ja gewiß eigene Motive/Ziele hat, zurückgehen.
 
Hier hätte ich zu Schlözer gleich nachschauen sollen:
Allgemeine Deutsche Biographie, Band 31, S. 567-600. Schildert S. als streitbaren Lehrer, erwähnt die "Wiedertäufer" nicht, zeigt aber, dass er viele kühne Gedanken hatte: Zum Beispiel "suchte [er] an seiner Tochter Dorothea zu zeigen, dass selbst Mädchen einer gelehrten Erziehung fähig seien." Schon deswegen, meine ich, sollten wir ihm einiges verzeihen...:winke:
 
Ich denke auch, dass in der Schrift von 1784 die Taten der Wiedertäufer in punkto Verderbtheit mit den Mongolen gleichgesetzt werden sollen. Lange Zeit galten die Mongolen, oder die asiatischen Steppenvölker in Europa als Inbegriff der Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit.

Hunnen, Mongolen und Osmanen sind hier besonders zu nennen. Er viel später erfuhr das Mongolenbild in der Geschichtsschreibung eine Aufwertung, als die religiöse Toleranz, die im Reich des Khan geherrscht hat, in den Vordergrund gestellt wurden. Die Mongolen forderten zwar die vollständige Unterwerfung unter ihre Herrschaft und gingen auch mit Widerständlern nicht zimperlich um (nach der Eroberung Bagdads im Jahre 1258 sollen die Mongolen tausende Araber geköpft und ihr Köpfe auf der Mauer aufgespießt haben - könnte aber auch nur arabische Greuelpropaganda sein!)

Wenn nun also die Taten der Wiedertäufer mit den Taten der Mongolen gleichgesetzt werden, so geschieht dies mit dem Ziel, die Wiedertäufer zu verdammen.

Vergesst bitte nicht, wann dieses Buch erschien: Zur Zeit der Aufklärung, die ja den Menschen durch Vernunft verbessern wollte. Fünf Jahre später werden in Paris die Menschenrechte ausgerufen. Ein theokratisches Regime wie die Wiedertäufer kann da doch nur schlecht wegkommen.
 
Lange Zeit galten die Mongolen, oder die asiatischen Steppenvölker in Europa als Inbegriff der Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit. Hunnen, Mongolen und Osmanen sind hier besonders zu nennen.

So ist es, wobei die Dschingis-Chan-Mongolen auch noch mit dem belastet wurden, was 150 Jahre später Timur anrichtete. Einzelne Gegenstimmen wie die des (realen? fiktiven?) Marco Polo drangen nicht durch, und hernach waren die (Kommunikations-)Wege versperrt.
 
Danke für Eure erhellenden Diskussionsbeiträge. Ich schließe mich der Auffassung an, dass die Wiedertäufer durch die Gleichsetzung mit Dschingis- Khan verteufelt werden sollten.
Interessant ist hierbei noch der von Schlözer aufgeworfene Aspekt, dass die Westfalen die Wiedertäufer in Käfige hängten, wohingegen Dschingis- Khan als Kaiser der Mongolen starb. Also nochmals ein deutlicher Hinweis auf den in der damaligen Zeit wohl deutlich empfundenen Unterschied zwischen Deutschen (Christen?) und Mongolen.
Mohammed kommt in der Wiedertäuferschrift auch nicht besser weg als der Mongolenfürst...
 
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Interessant ist hierbei noch der von Schlözer aufgeworfene Aspekt, dass die Westfalen die Wiedertäufer in Käfige hängten, wohingegen Dschingis-Khan als Kaiser der Mongolen starb. Also nochmals ein deutlicher Hinweis auf den in der damaligen Zeit wohl deutlich empfundenen Unterschied zwischen Deutschen (Christen?) und Mongolen.

Ja, aber worin besteht der kategoriale "Unterschied"? Diese Textpassage Schlözers ist mir am rätselhaftesten! (Schon weil ich die ersten 30 Lebensjahre in Westfalen verbracht habe.:hmpf:)

Umgekehrt würde doch eher ein Schuh daraus: Die barbarischen Mongolen/Nichtchristen meucheln ihre Anführer auf grausame Weise, und die friedfertigen Westfalen/Christen lassen ihre Anführer im Bett sterben. Oder liegt die entscheidende Differenz darin, dass DCh. ein "winner" war und JvL. ein "loser"?

Ich bitte freundlichst um weitere Interpretationshilfe.
 
Ja, aber worin besteht der kategoriale "Unterschied"? Diese Textpassage Schlözers ist mir am rätselhaftesten!
Ich bitte freundlichst um weitere Interpretationshilfe.
Ich komme da auch nicht weiter... aber die Verwirrung macht mich neugierig, weckt mein Interesse...
Vielleicht findet sich noch ein schlauer Kopf, der zur Erhellung etwas beisteuern kann...

Edit: Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Westfalen die Verwerflichkeit ihrer Anführer erkannt haben, die Mongolen etc. nicht. Das abscheuliche Abschlachten der Wiedertäufer hätte dann aber nichts Christliches!!! Also Verwirrung...
 
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